… „das Unmoralische ist, daß solche Machtworte möglich sind. ‚Baue einen Tempel!‘ … Oder nehmen wir Hitler. Der hat Himmler einmal seinen grundsätzlichen Befehl erteilt. ‚Ermorde alle Juden!‘ – drei Wörter, natürlich nur mündlich. Aber er selbst hat nie einen Juden ermordet, sowenig wie Himmler oder Heydrich oder Eichmann, das wurde dann vom niederen Fußvolk besorgt. Und in Auschwitz war es noch idiotischer. Dort mußten die jüdischen Gefangenen selbst das Zyklon-B in die Gaskammern werfen. Da hatte man dann die Situation, daß der eigentliche Mord nicht von den Mördern, sondern von den Opfern begangen wurde. Wer es getan hat, hat es nicht getan, und wer es nicht getan hat, hat es getan.“ …
aus: Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels (Kapitel 40 – S. 494)
Es ist sicherlich leichtsinnig, in nur wenigen Sätzen die Gedanken zusammenzufassen, die mir zu dem oben Geschriebenen eingefallen sind. Es solches Thema lässt sich nicht auf wenige Begriffe verkürzen. Wenn ich es trotzdem wage, so nur, um einen Denkanstoß zu vermitteln zu einem Problem, das nicht Geschichte geworden ist, sondern uns alle tagtäglich, wenn auch meist im Kleinen, berührt.
1. Manager des Todes
Von den Osterfeiertagen haben wir noch die frohen Botschaften im Ohr, die uns helfen sollen, an das Gute im Menschen zu glauben. Aber angesichts der Kriege und des Elends in dieser Welt, alles von Menschenhand verursacht, zerrinnt dieser Glaube zwischen den Händen und es bleibt wieder nur das Bild des Menschen als Bestie, z.B. als kultivierte Bestie …
Erstaunlich ist, wie Menschen, die Macht ausüben, zu Mördern werden, ohne selbst einem Menschen je ein Haar zu krümmen. Wie ein Top-Manager der Industrie geben sie die Direktiven heraus, kurzgefasst und unmissverständlich, um die Richtung ‚des Unternehmens‘ zu bestimmen. Und schon setzt sich ein Team zusammen, um die Ausführungsrichtlinien zu verfassen. In diesen Etagen ist alles noch sehr abstrakt, ohne Berührungspunkte zur eigentlichen Tat. Die lässt man auf der untersten Ebene dieser perfiden Hierarchie ausführen. Handlungsgehilfen findet man überall.
Nach außen unterscheiden sich die Manager des Todes wahrlich kaum von Wirtschaftsführern. Man gibt sich gesellig und aufgeschlossen. Eher ist man in diesen Kreisen erschrocken über die Bestie Mensch, über die Brutalität, zu der Menschen untereinander fähig sind.
2. Das existenzialistisches Drama
Wie gesagt: Handlungsgehilfen finden die Manager des Todes überall. Das Leben ist ein existenzialistisches Drama, in dem die moderne Zivilisation leider zu oft als dünner Überzug entlarvt wird. Werden allgemein gültige Regeln aufgehoben, so reißt diese Hülle und die Bestie Mensch zeigt ihr wahres Gesicht. Gerade unter extremen Bedingungen wie im Krieg verlieren zivilisatorische Errungenschaften jede Bedeutung.
3. Anatomie der menschlichen Destruktivität
Erich Fromm hatte sich in den 70-er Jahren aus psychoanalytische Sicht mit den Managern des Todes eingehend beschäftigt. Sein Werk hierzu: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Sicherlich muss man fragen, ob sich ein Mensch wie Hitler auf einen Fall von Nekrophilie ‚reduzieren‘ lässt (gemeint ist hier im Wesentlichen die zunehmende Tendenz zur Zerstörung) oder Heinrich Himmler als klinischen Fall des anal-hortenden Sadismus (bürokratisch-ordnungsfanatischer Charakter). Fromms Anatomie der Aggressionen, sowohl der lebensnotwendigen defensiven als der bösartigen Aggression, der Destruktivität, ist ein wichtiger Denkansatz und im Ergebnis eine Verteidigung der menschlichen Würde, ein Appell an die Menschheit, ihr Leben und dessen gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern.