Es war viel Aufsehens um das Erstlingswerk „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche. Der Roman geht in expliziter und provokanter Weise mit Themen wie Ekel und Sexualität um. Während viele Rezensionen den offenen Umgang mit gesellschaftlichen Tabus und auch den unbefangenen Erzählstil lobten, kritisierten andere den derben Erzählstil sowie die schlichte Handlung und sprechen von „Pseudo-Tabubruch“ ( „… ein Super-Girl im Pipi-Kaka-Land“ – Andrea Ritter, Silke Müller, Ulrike Schäfer).
Vielleicht muss man sich Auszüge aus der Vita der Charlotte Roche anschauen, um ein etwas eindeutigeres Bild von der Autoren zu bekommen. Zum einen ist sie da die „Queen of German Pop Television“ (Harald Schmidt). Manchen bekannt geworden sein dürfte sie durch eine Lesereise durch Deutschland, bei der sie Auszüge einer Dissertation von Michael Alschibaja Theimuras aus dem Jahr 1978 mit dem Thema Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern vortrug.
Roche vertritt religionskritische Positionen („Ich betrete keine Kirche …“), ist Mitglied von attac und engagiert sich für die Abschaffung von Kernkraftwerken in Deutschland. Den klassischen 1970er-Jahre-Feminismus – wie etwa die vollständige Ablehnung von Pornografie – hält Roche für überholt und vertritt eher einen Sex-positiven Feminismus.
In frühen Jahren unternahm Charlotte Roche viel, um aufzufallen – so fügte sie sich u.a. selbst Wunden zu, um Bilder mit ihrem Blut malen zu können. Ein sicherlich prägendes Ereignis war anlässlich ihrer in London geplanten Hochzeit im Juni 2001 der Unfalltod ihres Bruders und zweier Stiefbrüder, wobei auch ihre Mutter schwer verletzt wurde (verarbeitet in ihrem 2. Roman).
Nun der Roman „Feuchtgebiete“ ist zum großen Teil autobiografisch (lt. Roche zu 70 %). Im Mittelpunkt steht die 18-jährige Helen Memel, die u.a. von ihren bisherigen sexuellen Erfahrungen, ihrer Einstellung zu Körperflüssigkeiten wie Menstruationsblut, Eiter und Sperma und von ihr angewendeten Selbstbefriedigungspraktiken berichtet. Roche zufolge soll das Buch auf bestehende Tabuisierungen in der Gesellschaft hinweisen und übertriebene Reinlichkeitsvorstellungen kritisieren. Der Roman war in Deutschland das am meisten verkaufte Buch des Jahres 2008. Roches zweiter Roman „Schoßgebete“ erschien am 10. August 2011 mit einer Startauflage von 500.000 Exemplaren, die innerhalb kürzester Zeit ausverkauft war. Ich gehe wohl nicht zuweit, wenn ich behaupte, dass Voyeurismus die Verkaufszahlen gefördert hat.
2013 nun kam die Verfilmung des Romans in die Kinos und ist jetzt auf DVD bzw. Blu-ray Feuchtgebiete erhältlich. Regie führte David F. Wnendt.
Helen Memel (Carla Juri) ist eine sehr „unmädchenhafte“ 18-Jährige, die immer ausspricht, was ihr in den Sinn kommt und die reihenweise gesellschaftliche Tabus bricht – besonders jene sexueller Art. Hygiene ist für sie ein Fremdwort. Trotz ihrer ungewöhnlichen Art wünscht sich Helen nichts sehnlicher, als dass ihre geschiedenen Eltern (Meret Becker, Axel Milberg) wieder zusammenfinden. Diese sind einer Wiedervereinigung jedoch eher wenig zugeneigt und so bleibt Helen nur ihre beste Freundin Corinna (Marlen Kruse), mit der sie durch dick und dünn geht und immer wieder unkonventionelle Sachen ausprobiert. Eines Tages verletzt sich Helen bei einer Intimrasur und muss daraufhin ins Krankenhaus. Schon bald steht im Hospital alles Kopf, denn mit ihrer Art erregt Helen immer wieder die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen und sorgt für Irritationen. Das betrifft den Chefarzt Professor Notz (Edgar Selge) genauso wie den jungen Krankenpfleger Robin (Christoph Letkowski). Der hat es Helen angetan und sie verdreht ihm schon bald gehörig den Kopf.
aus: filmstarts.de
)
Feuchtgebiete – der Film
Vom Hype um das Buch habe ich mich damals nicht anstecken lassen. Ich bin immer ziemlich skeptisch gegenüber ‚Bahnbrechendes’, das ungebremst die Charts erobert. So viele Hörer, Zuschauer und wie in diesem Fall: Leser können sich nicht irren. Oder doch? Und jetzt der Film. Da konnte ich mir nur 100 Minuten meines Lebens vertun. So habe ich mir den Film also angetan.
Ich habe mich immer schon gefragt, warum bestimmte ‚Dinge’, die im Leben passieren, z.B. in Literatur und Film ausgeklammert, einfach ignoriert werden. Diese ‚Dinge’ haben immer etwas mit Körperflüssigkeiten zu tun. Da prägen sich manche Ausnahmen sehr schnell ein: Frank Zappa auf dem Klo, selbst Albert Einstein, der dem Betrachter die Zunge zeigt, muss hierzu gerechnet werden. Stellt man nun diese ‚Dinge’ in den Mittelpunkt, dann ist das in der Regel ‚Pornografie’ oder eben so ein Tabubruch a la „Feuchtgebiete“. So gesehen hat sich das Buch lediglich einer Marktlücke bedient, die eigentlich schon seit ewigen Zeiten unübersehbar aufgeklappt nach ‚Füllung’ heischt. Eine Verfilmung ist dann nur noch logische Konsequenz.
Ich habe mir also diesen Film angetan. Und da ich ‚locker’ an die Sache herangegangen bin (mehr als 100 Minuten Lebenszeit vertun war ja nicht drin), bin ich durchaus positiv überrascht (aber eigentlich habe ich nichts anderes erwartet und wäre enttäuscht, hätte der Film mich enttäuscht). Was der Film bietet, das ist ein durchaus „feinfühliges Porträt einer ungewöhnlichen Protagonistin, unter deren tougher Schale […] langsam das verletzliche Mädchen zum Vorschein“ kommt. Überzeugend gespielt von der Hauptdarstellerin Carla Juri als Helen (und schön auch, Axel Milberg, einen meiner Lieblings-Tatort-Kommissare, als Helens Vater zu sehen). Sicherlich hat das alles etwas Postpubertäres an sich (und bezieht man die 70 % Eigenanteil der Romanautorin mit ein – etwas Paraphiles). Manches mag dann wirklich auch ekelig sein. Bedenkt man aber, auf welch schlüpfrigen Terrain sich der Regisseur bewegte, so erstaunt das filmische Ergebnis durchaus. Selbst der unappetitlichen Pizzabäckerszene (nicht umsonst mit Pornodarstellern gedreht … – so weiß man, warum die Spinatpizza so ‚komisch’ schmeckte – mehr verrate ich nicht …) gewinnt man aufgrund der stilistischen Überhöhung mit „Blauer Donau …“ usw. geradezu poetische Züge ab. Es mag manchmal Schmuddelecke sein, ist aber deutlich fernab von Pornografie. Also nicht unbedingt etwas für Voyeure.
Es ist eben nun einmal so: Der Film (wie das Buch) zeigt uns bestimmte ‚Dinge’, die im Leben passieren … und etwas mit Körperflüssigkeiten zu tun haben. Was andere Filme (und Bücher) ignorieren, steht hier im Mittelpunkt. Und das hat einen durchaus unterhaltsamen Charakter.