In einer vor Kurzem vom Center for Crime and Justice am King’s College in London durchgeführten Studie wurden 120 verurteilte Straßenräuber gefragt, warum sie ihre Straftaten begangen hatten. Ihre Antworten sagten eine Menge über das moderne britische Straßenleben aus. Nervenkitzel. Spontaner Impuls. Status. Und finanzieller Gewinn – in ebendieser Reihenfolge. Genau das sorglose, gefühllose Verhalten, das man oft bei Psychopathen antrifft.
Erleben wir also die Entstehung einer sub-psychopathischen Minderheit, für die die Gesellschaft nicht existiert? Einer neuen Spezies von Individuen, für die es weitgehend keine sozialen Normen gibt, die keinen Respekt vor den Gefühlen anderer haben und gleichgültig gegenüber den Folgen ihres Handelns sind? […] Den Ergebnissen einer neueren, von Sara Konrath und ihrem Team am Institute for Social Research der University of Michigan durchgeführten Studie zufolge lautet die Antwort auf diese Fragen Ja.
(Kevin Dutton: Psychopathen, 2013)
Von Erasmus im 16. Jahrhundert bis hin zu Elizabeth Eisenstein im 20. Jahrhundert sind fast alle Gelehrten, die sich mit der Frage befaßt haben, wie sich das Lesen auf die geistige Verfassung eines Menschen auswirke, zu dem Schluß gelangt, daß es die Rationalität fördert; daß der sequentielle, aussagebestimmte Charakter des geschriebenen Wortes das unterstützt, was Walter Ong die „analytische Verarbeitung von Wissen“ nennt. Wer sich auf das geschriebene Wort einläßt, der macht sich eine Denkweise zu eigen, die hohe Ansprüche an die Fähigkeit, zu klassifizieren, Schlüsse zu ziehen und logisch zu denken, stellt. Dazu gehört, daß man imstande ist, Lügen, Irrtümer und übermäßige Verallgemeinerungen zu erkennen oder eine mißbräuchliche Verwendung der Logik und des gesunden Menschenverstandes aufzudecken. Dazu gehört auch, daß man Gedanken zu gewichten, Behauptungen zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen und eine allgemeine Aussage mit einer anderen zu verbinden vermag. Um dies zu erreichen, muß man einen gewissen Abstand von den Wörtern selbst gewinnen, was durch den isolierten, unpersönlichen Text selbst unterstützt wird. Deshalb bricht ein guter Leser nicht in lauen Beifall aus, sobald er auf einen treffenden Satz oder auf eine geistreiche Wendung stößt. Hierzu ist das analytische Denken zu konzentriert und zu distanziert.
(Neil Postman: Wir amüsieren und zu Tode, 1985)
Es ist nichts Neues, dass die Alten über die junge Generation stöhnt. Junge Menschen neigen nun einmal dazu, sich von den Älteren zu unterscheiden, was diese oft mit Unverständnis quittieren. Trotzdem muss nicht ausdrücklich betont werden, dass die heutige junge Generation nicht schlechter oder besser ist als z.B. meine Generation. Aber es gibt Hinweise, dass sich bestimmte Trends entwickelt haben, die sich zumindest bei einer Minderheit der Jungen zunehmend negativ auswirken.
Zwischen den Texten von Kevin Dutton und Neil Postman liegen fast 30 Jahre. Auf den ersten Blick haben beide Texte nichts miteinander gemeinsam. Ich denke aber, doch …
Es ist erst wenige Wochen her, da vermeldeten die Medien einen Rückgang der Jugendkriminalität. Allerdings sei die Jugendgewalt deutlich brutaler geworden. Das deckt sich durchaus mit der Aussage von Kevin Dutton, der von einer möglichen „Entstehung einer sub-psychopathischen Minderheit“ spricht, die skrupel- und gewissenloser gegen ihre Mitmenschen vorgeht.
Ein Grund hierfür könnte die unzureichende Urteilsbildung in einer Zeit sein, die zunehmend von der Unterhaltungsindustrie geprägt ist (hierzu und zu dem Buch von Neil Postman komme ich später noch einmal ausführlicher zu sprechen). Dazu gehört auch, dass gerade ein Großteil der jungen Menschen weniger liest. Die positiven Auswirkungen des Lesens beschreibt Neil Postman sehr eingehend. Daraus lassen sich die negativen Folgen des Nichtlesens ableiten.
Natürlich gibt es jede Menge Schund zu lesen. Was in irgendwelchen Bestsellerlisten auftaucht, muss nicht unbedingt gut sein. Aber immer ist es nicht nur nach meiner Meinung besser zu lesen als gar nicht.
Neil Postman schreibt: „Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.“ Und was fürs Fernsehen gilt, gilt u.a. auch für ein Medium wie das Internet. Es sind Bilder, die längst das Wort abgelöst haben. Selbst wenn Wörter ein Bild umrahmen (wer liest den Text denn noch), so ist es das Bild, das sich uns einprägt. Postman weiter: „Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie“.
Wen wundert’s da noch, wenn manch jugendlicher ‚Idiot’ des Nervenkitzels wegen zum brutalen Straftäter wird. Es sind nicht nur die so genannten Ballerspiele, es ist die kritiklose Spaßgesellschaft insgesamt, in der dank einer geldgierigen Unterhaltungsindustrie der einzelne zu verblöden droht.