Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht. Aus dem Altersheim bekam ich ein Telegramm: „Mutter verschieden. Beisetzung morgen. Vorzügliche Hochachtung.“ Das besagt nichts. Vielleicht war es gestern.
Mit diesen lakonischen Worten beginnt Albert Camus‚ erster Roman „Der Fremde“, eigentlich nur eine Erzählung von knapp 120 Seiten, 1940 entstanden und 1942 – wie eines seiner philosophischen Hauptwerke „Der Mythos des Sisyphos – Ein Versuch über das Absurde“ – veröffentlicht.
Das frühe Meisterwerk schildert in einer Sprache von kristallener Härte und Klarheit die Geschichte eines jungen Franzosen, der unter der unerbittlichen Sonne Algiers bar aller Bindung ohne Liebe und Teilnahme gleichgültig dahinlebt, bis ihn ein lächerlicher Zufall zum Mörder macht. Im Scheitern seiner scheinbar absolut freien Existenz erfährt er, daß Leben Miterleben heißt.
Albert Camus war französischer Philosoph und Schriftsteller, 1913 in Algerien geboren, 1957 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet und am 4. Januar 1960 bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Man zählt ihn zu den Vertretern des Existenzialismus wie Jean-Paul Sartre, mit dem er zunächst befreundet war, sich später aber wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten entzweite (für den Marxisten Sartre endet die Revolte im Endziel Kommunismus, bei Camus ist die Revolte ‚endlos‘).
Ausgangspunkt der Philosophie Camus‘ ist das Absurde des Lebens, die Sinnlosigkeit. Dem kann der Mensch nur durch die Revolte, durch ein tägliches sich Aufbäumen, entgehen. Morgens, wenn ich aufstehe, so lebe ich trotzdem (trotz der Sinnlosigkeit) und mühe mich um menschliche Solidarität. Wesentlich ist dabei die Gleichgültigkeit, die Indifferenz, gegenüber dem Leben. So tue ich Gutes, nicht weil es einen Sinn macht, sondern aus völliger ‚Gleichgültigkeit‘.
„Der Fremde“ ist ein Beispiel für diese ‚Gleichgültigkeit‘ dem Leben gegenüber. Er lebt scheinbar in den Tag hinein. Aber dieses Leben hat seine Ordnung und muss jeden Tag neu gelebt werden. Ein dummer Zufall lässt ihn einen Araber töten. Absicht? Notwehr? Es war die Sonne!
Den Prozess gegen ihn erlebt er ebenso indifferent. Erst in der Verkündigung des Todesurteils gegen ihn dämmert es ihm, wie die ganze Absurdität des Lebens über ihn hereinbricht. Plötzlich beginnt er dagegen zu rebellieren. Er anerkennt seine Situation als unausweichlich und akzeptiert sich nun auch als ein Teil seiner Welt. Damit und in der Erwartung seiner Hinrichtung lässt er das Absurde des Lebens hinter sich.
siehe auch meine Beitrag. Mythos Kafka – Mythos Camus