Li Tai-pe [Li Bai, auch Li Po] lebte in China von 699 bis 762 nach Christi Geburt. Als ewig trunkener, ewig heiliger Wanderer wandert er durch die chinesische Welt. Kunstsinnige Herrscher beriefen den erlauchten Vagabunden an ihren Hof, und oft genug erniedrigte und erhöhte sich der Kaiser zum Sekretär des Dichters: wenn Li Tai-pe nach einem Zechgelage ihm seine Verse im Morgengrauen in den Pinsel diktierte. Der Kaiser, der den Dichter und Menschen brüderlich liebte, machte ihn zum kaiserlichen Beamten, setzte ihm eine Rente aus und gab ihm als Zeichen seiner höchsten Gnade ein kaiserliches Prunkgewand zum Geschenk — für einen Chinesen damaliger Zeit die höchste Ehrung. Li Tai-pe schleifte das kaiserliche Gewand durch alle Gossen der Provinz und ließ sich an Abenden voll Trunkenheit als Kaiser huldigen. Oder er hielt, in des Kaisers Kleidern, rebellische Ansprachen an die Trinkkumpane und das herbeigelaufene Volk. Er starb im Rausch, indem er bei einer nächtlichen Bootfahrt aus dem Kahne fiel. Die Legende läßt ihn von einem Delphin erretten, der ihn, während in den Lüften engelhafte Geister ihn betreuen, aufs Meer hinaus und in die Weite der Unsterblichkeit entführt.
Sein Volk vergötterte ihn und errichtete ihm einen Tempel; der kunstreichste der chinesischen Lyriker wurde auch der volkstümlichste. Noch heute genießt er in China, dem klassischen Lande des Literatentums, ein Ansehen, wie es nicht einmal Goethe bei den Deutschen genießt. Während eifrige Kommentatoren fortgesetzt am Werke sind, seinen Versen spitzfindige, tiefsinnige und geistreiche Erklärungen unterzulegen, singen junge und alte Burschen seine unsterblichen Lieder auf den Straßen.
Nachwort zu den Nachdichtungen (geschrieben im März 1915 – diese beruhen nicht auf dem chinesischen Originaltext, sondern auf Übersetzungen): Du Fu an Li Tai-pe – Klabund
Zu Klabund selbst habe ich mich schon einmal hier im Zusammenhang mit seinem kleinen Roman Borgia geäußert. Klabund (”KLAbautermann und VagaBUND”) lebte von 1890 bis 1928 und hieß eigentlich Alfred Henschke.
Im Frühling
Wenn Leben innerer Träume Widerschein –
Wozu sich an die blasse Stirne schlagen?
Berauschen will ich mich an allen Tagen
Und schlafe trunken vor den Säulen ein.
Die Wimpern heb ich auf – und bin erwacht.
Ein Vogel singt in blühenden Geweben.
Ich frage ihn, in welcher Zeit wir leben.
Er sagt: da Frühling Vögel singen macht.
Erschüttert bin ich: wenn ich weinen geh.
Ich gieß den Becher voll. Die Lippe trinkt.
Ich singe laut, bis Mond im Blauen blinkt.
Vergesse Mond und Lied und Li Tai-pe.