Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

In meinem Beitrag Idylle & Kitsch bin ich einmal kurz in die Gedankenwelt des Milan Kundera eingetaucht. Kundera ist 1929 als Sohn eines Konservatoriums-Professors in der Tschechoslowakei geboren, war Mitglied der kommunistischen Partei – wie viele seiner Altersgenossen auch. Und wie viele andere Künstler so war er in den 1950er Jahren und zu Beginn der 60er noch ziemlich angepasst. Das Jahr 1967 wurde für ihn dann aber zum Wendepunkt. Kundera erwuchs zu einer der „Galionsfiguren“ des Prager Frühlings, einer Bewegung, die sich gegen das politische System auflehnte und künstlerische Freiheit forderte, und die im Frühjahr 1968 einen Liberalisierungs- und Demokratisierungsprozess unter Alexander Dubček einleitete.

Der Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 beendete schlagartig den Prager Frühling und die damit verbundene Phase der Presse- und Kulturfreiheit in der Tschechoslowakei. Der Stalinismus kehrte in Reinform zurück. Kunderas Lehrtätigkeit an der Filmhochschule wurde eingestellt, seine Bücher aus Bibliotheken entfernt und nicht mehr verlegt.

1975 emigrierte Kundera nach Frankreich und lebt in Paris. 1984 kam der Roman heraus, der ihn international bekannt machte: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Nesnesitelná lehkost bytí) Ich habe das Buch als Fischer Taschenbuch 5992 (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, April 1987 – 311. – 410. Tausend: Februar 1988 – aus dem Tschechischen von Susanna Roth) vorliegen. Dieser Roman spielt in der kommunistischen Tschechoslowakei; dem totalitären System wird hier in wundervoller Weise die Liebe entgegengehalten.

    Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Während des Kalten Kriegs lernt der erfolgreiche Prager Chirurg Tomas die Serviererin Teresa kennen. Sie beginnen eine lebenslange Beziehung, die unter Tomas‘ ständigen Affären leidet. Teresa ist sich völlig bewusst, dass sie beide ein unterschiedliches Verständnis von Liebe und Sexualität haben. Daher stellt sie Tomas lange Zeit nicht zur Rede, sondern erträgt sein Verhalten.

Während des Prager Frühlings beginnt Teresa als Fotoreporterin zu arbeiten. Doch nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, der die tschechoslowakische Reformpolitik unter Alexander Dubček beendet, fliehen Teresa und Tomas in die Schweiz. Dort findet Tomas rasch Arbeit als Chirurg und erneuert sein altes Verhältnis zu der Malerin Sabina. Teresa dagegen tut sich schwer mit dem Leben im freien Westen, mit der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“.

Sie flieht vor Tomas und seinen Affären zurück in die Tschechoslowakei. Tomas folgt ihr aus Liebe nach Prag, gerät dort aber bald mit der neuen Parteilinie in Konflikt, da er sich weigert, einen während des Prager Frühlings verfassten Zeitungsartikel zu widerrufen. Er wird gezwungen, seine Karriere als Chirurg aufzugeben, und lernt als Fensterputzer eine neue Auffassung von Arbeit kennen. Da Teresa Tomas‘ Affären und die bedrückende Atmosphäre von Bespitzelung und Verrat in Prag nicht mehr erträgt, zieht das Paar in ein kleines, abgelegenes Dorf in Böhmen, wo es in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft arbeitet und zur Ruhe kommt.

Quelle:de.wikipedia.de

Inhalt
Erster Teil: Das Leichte und das Schiere [Tomas]
Zweiter Teil. Körper und Seele [Teresa]
Dritter Teil. Unverstandene Wörter [Sabina]
Vierter Teil: Körper und Seele [Teresa II]
Fünfter Teil: Das Leichte und das Schwere [Tomas II]
Sechster Teil: Der große Marsch [Franz]
Siebter Teil: Das Lächeln Karinins [Teresa & Tomas]

Über dieses Buch: Das Datum ist bestimmbar. Als im Frühjahr 1984 die Originalausgabe des Romans ‚Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins’ in Paris erschien, war dem Autor Milan Kundera etwas gelungen, was seinen nach 1968 exilierten Landsleuten und Kollegen verwehrt blieb: er hatte den großen Durchbruch geschafft. Seit damals ist Kundera wohl der international bekannteste tschechisch schreibende Autor seit Jaroslav Hašek. Die ‚New York Times’, ein rarer Sonderfall, widmete diesem Roman gleich zwei hymnische Rezensionen und schickte noch ein Interview mit dem Autor hinterher. Gesprächspartner war Philip Roth. Aber auch in den anderen tonangebenden Blättern der westlichen Hemisphäre löste ‚Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins’ Begeisterung aus. Die verschlungene, mehrfach gebrochene Liebesgeschichte zwischen Tomas und Teresa gibt den Rahmen ab für einen der witzigsten und intelligentesten Romane der vergangenen Jahre, der zugleich Leselust und höchste intellektuelle Ansprüche befriedigt. ‚Wann werden wir endlich einen deutschen Roman erhalten’, fragte die ‚FAZ’, ‚der sich so einfühlsam und nachdenklich mit Liebe und Sexualität befaßt und der das Individuum vor dem Hintergrund des Lebens hier und heute zeigt? Ein Roman, der überdies so intelligent und souverän, so lesbar und so unterhaltsam wäre?’
(aus dem Klappentext)

Tomas sagte sich: „Mit einer Frau schlafen und mit einer Frau einschlafen sind nicht nur zwei verschiedene, sondern geradezu gegensätzliche Leidenschaften. Liebe äußert sich nicht im Verlangen nach dem Liebesakt (dieses Verlangen betrifft unzählige Frauen), sondern im Verlangen nach dem gemeinsamen Schlaf (dieses Verlangen betrifft nur eine einzige Frau).“ (S. 18)

Als ich den Roman 1988 zum ersten Mal las, irritierte mich die Ansicht Tomas’, „daß Liebe und Sex nichts miteinander zu tun hätten.“ (S. 146). Sex ohne Liebe – irgendwie konnte ich mir das nicht vorstellen. Heute hat sich diese Ansicht für mich sicherlich etwas relativiert, obwohl ich weiterhin Sex nicht des Sex’ wegen haben möchte. Tomas unterscheidet, nein, er trennt zwischen dem Bedürfnis nach Sex – und der Liebe zu einer Frau. Er liebt Teresa und erkennt, „… daß die Treue die höchste aller Tugenden sei. Die Treue gibt unserem Leben eine Einheit, ohne die es in tausend flüchtige Eindrücke zersplittert.“ (S. 88)

Kundera ist ein scharfer Beobachter der Liebenden: „Zwischen Liebenden entstehen rasch Spielregeln, derer sie sich nicht bewußt sind, die aber dennoch gelten, und die sie nicht übertreten dürfen.“ (S. 82) Das kann ein bestimmter Blick sein, eine Geste – eine Spielregel ist plötzlich verletzt. Ohne es eigentlich genau zu wissen, ist etwas wie Verunsicherung, Verwirrung im Spiel, vielleicht sogar Zweifel?

Aber der Roman ist nicht nur eine Liebesgeschichte. Immer wieder verquickt Kundera alltägliche Betrachtungen mit philosophischen Tiefsinn. Oder er beschreibt Empfindungen, die wir alle irgendwann kennen gelernt haben, aber deren Ursache uns nicht wirklich bewusst wurde – wie z.B. den Schwindel, der uns überfällt und den wir am Ende fast zu schnell wieder abgeschüttelt und damit vergessen haben:

„Was ist das, Schwindel? Angst vor dem Fall? Wieso überkommt uns dann Schwindel auch auf einem Aussichtsturm, der mit einem Geländer gesichert ist? Schwindel ist etwas anderes als Angst vor dem Fall. Schwindel bedeutet, daß uns die Tiefe anzieht und lockt, sie weckt in uns die Sehnsucht nach dem Fall, eine Sehnsucht, gegen die wir uns dann erschrocken wehren.“ (S. 59) … „Man könnte auch sagen, Schwindel sei Trunkenheit durch Schwäche. Man ist sich seiner Schwäche bewußt und will sich nicht gegen sie wehren, sondern sich ihr hingeben. Man ist trunken von der eigenen Schwäche, man möchte noch schwächer sein, man möchte mitten auf einem Platz vor allen Augen hinfallen, man möchte unten, noch tiefer als unten sein.“ (S. 74)

Kundera berührt viele Punkte in seinem Roman. So spielt die Hässlichkeit oder die Schönheit immer wieder eine Rolle, die Kundera in ein Verhältnis zur Zeit stellt. Bezogen auf die Zeit, in der sein Roman spielt, nennt Kundera diese „‚die historische Phase der totalen Häßlichkeit’: Die Totalität der Häßlichkeit äußerte sich zunächst als allgegenwärtige akustische Häßlichkeit: Autos, Motorräder, elektrische Gitarren, Preßluftbohrer, Lautsprecher, Sirenen. Die Allgegenwart der visuellen Häßlichkeit würde bald folgen.“ (S. 90) – Und sie ist längst gekommen: Schaufenster, Plakatanschläge – und immer wieder Videowände mit laufenden Bildern.

„Schönheit aus Irrtum. Bevor die Schönheit endgültig aus der Welt verschindet, wird sie noch eine Zeitlang aus Irrtum existieren. Die Schönheit aus Irrtum, das ist die letzte Phase in der Geschichte der Schönheit.“ (S. 98)

Kundera meint damit die Schönheit aus Zufall. Etwas ist nicht immer aus sich heraus schön. Der Zufall, wie z.B. das Verlaufen von verschiedenen Farben, lässt etwas Schönes entstehen. Aber im Grunde weiß einer der Protagonisten, „daß Schönheit eine verratene Welt ist. Man kann nur auf sie stoßen, wenn ihre Verfolger sie aus Versehen irgendwo vergessen haben.“ (S. 107)

Was wir haben und was wir vermissen würden, wenn wir es plötzlich nicht mehr haben: wir haben es in unserer allzu freien Welt nicht kennen gelernt. Kundera dagegen kennt das genau: „Die Kultur geht unter in der Menge, in Buchstabenlawinen, im Wahnwitz der Masse. Darum sage ich dir immer: ein einziges verbotenes Buch in deiner Heimat bedeutet unendlich viel mehr als die Milliarden von Wörtern, die an unseren Universitäten ausgespuckt werden.“ (S. 100)

Tomas, eine der Hauptfiguren, kann es eigentlich egal sein. Er ist ‚tiefer als unten’ angekommen. So würde es nichts ausmachen, die Petition, die vielleicht auch ihm helfen könnte, wieder in seinen wahren Beruf zurückzufinden, zu unterschreiben. Was hindert ihn also?: „Er war gar nicht sicher, richtig zu handeln, doch war er sicher, so zu handeln, wie er handeln wollte. Er sagte: ‚Seid mir nicht böse. Ich werde nicht unterschreiben.’“ (S. 211) – Es ist manchmal eine Empfindung, ein ‚Schwindel’, der uns leitet, so irrational dieser auch sein mag. Der Mensch besteht eben nicht nur aus ‚Kopf’, sondern auch aus ‚Bauch’. Und oft genug ist es der ‚Bauch’, der unser Leben bestimmt.

Vielleicht eine der Lehren aus diesem Roman, der auch heute noch, 30 Jahre nach dem ersten Erscheinen, wirklich lesenswert ist und zu den Klassikern der Moderne gerechnet wird.

Hier eine Leseprobe mit dem Anfang des Romans
siehe auch klassiker.blog.de und kundera.de

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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