Was für ein Halbfinalspiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. 7:1 gewinnt die deutsche Mannschaft gegen den Gastgeber und (selbsternannten) Titelaspiranten Brasilien und stürzt damit ein ganzes Land in eine Schockstarre. Selbst untröstliche Eltern müssen ihre weinende Kinder trösten. Gestandene Fußballprofis wie der brasilianische Abwehrspieler David Luiz, der im Viertelfinale noch den kolumbianischen Stürmerstar James Rodríguez trösten musste, weinen ungehemmt.
Sieben zu eins? Und auf dem Mond da weiden Kühe! Könnte man meinen: Es ist geradezu unglaublich …
Betrachtet man das Ganze aber genauer, dann verwundert es eigentlich nicht mehr so ganz. Die Brasilianer begannen ungewohnt offensiv. Aber schon bald verpufften die ersten Angriffe. Nach Ballverlusten auf beiden Seiten fand Deutschland zu einem geordneten Spiel, dem nur noch der ‚letzte Ball’, der letzte gelungene Spielzug fehlte. Anders als z.B. im Spiel gegen Algerien taten sich für die deutschen Spieler Räume auf, die auch konsequent genutzt wurden. Dann das frühe Tor (11. Spielminute) durch Thomas Müller nach einer Ecke. Wieder ein Tor nach einer Standardsituation (‚ruhender Ball’). Hier zeigte sich bereits die Löchrigkeit der brasilianischen Abwehr. Plötzlich lief alles wie ‚geschmiert’, die Kombinationen klappten und weitere Tore fielen fast im Minutentakt, u.a. das 2:0 durch Miroslav Klose, dem damit sein insgesamt 16. WM-Treffer gelang und der damit alleiniger WM-Rekordtorschütze wurde – und damit Ronaldo, Brasilien, ablöst: durch ein Tor in Brasilien gegen Brasilien.
Bild: Miroslav Klose – seit gestern alleiniger WM-Rekordtorschütze
Die Brasilianer wirkten mit einem Mal wie gelähmt und irrten eigentlich nur noch über den Platz oder wie Brasiliens Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari sagte: „Die Organisation ging verloren, es kam Panik auf“ und „Es ist die schlimmste Niederlage aller Zeiten, eine fürchterliche Katastrophe.“
In der zweiten Halbzeit fing sich die brasilianische Mannschaft einwenig. Aber da hatte der Druck durch das deutsche Team merklich nachgelassen.
Schon während der 2. Halbzeit hatte das Publikum den Stürmer Fred als Buhmann ausgemacht, dessen Leistungen allerdings während des ganzen Turniers bescheiden waren und eine Aufstellung in keiner Weise rechtfertigten. Am Schluss, während erste brasilianische Fans längst gegangen waren oder andere das historische Desaster mit stiller Trauer oder vielen Tränen begleiteten, gab es gellende Buhrufe und wüste Pfiffe.
Immerhin zeigten sich die brasilianischen Spieler und ihr Trainer fair und sportlich und gratulierten der deutschen Mannschaft, allen voran Miroslov Klose.
Gestern erlebte Brasilien sein zweites „Maracanaço“ – einen Schock wie bei der ersten Weltmeisterschaft im eigenen Land, als Brasilien gegen Uruguay im entscheidenden Spiel die WM 1950 verlor, ein Trauma, das das Land bis heute nicht überwunden hat.
Bundestrainer Löw und auch einzelne Spieler waren sich schon gestern Abend bewusst, dass es im Finale am Sonntag (21 Uhr MESZ – Übertragung in der ARD) – ob nun gegen Argentinien oder die Niederlande (beide Mannschaften treffen heute Abend um 22 Uhr MESZ im 2. Halbfinale aufeinander) – ein völlig anderes Spiel geben wird. Löw rief zu etwas Demut auf und Torschütze Thomas Müller (der auch zwei Vorlagen lieferte) will „die Kirche im Dorf lassen“.
Mit Sicherheit wird die gegnerische Mannschaft die Räume sehr viel enger machen und damit versuchen, den Spielfluss des deutschen Teams zu unterbinden. Ich hoffe nur, dass es damit nicht zu einem vielleicht aus taktischer Sicht interessanten, für den Zuschauer, der gelungene Spielzüge und Torraumszenen (und natürlich schöne Tore) sehen will, dann eher langweiligen Spiel kommen wird.
Neben dem Weltmeistertitel für die deutsche Mannschaft winkt auch noch erneut wie 2010 der „Goldene Schuh“ für Thomas Müller als besten Torschützen der WM. Allerdings fehlt ihm noch ein Tor im Endspiel, denn noch führt der Kolumbianer James Rodríguez.
Dann also bis Sonntag um 21 Uhr in der ARD …