Was ist bloß mit Ian los? Teil 68: Vom Sein und vom Schein

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

ich muss dem Lockwood Abbitte leisten – ich hatte ihm gegenüber behauptet, Sirtaki wird immer nur auf das Sorbas Lied getanzt. Nun habe ich im Internet eindeutige Beweise gefunden, die diese These widerlegen. Zu meiner größten Überraschung haben sich nämlich offenbar die Türken des Sirtaki angenommen und ihn zum Disco-Paartanz weiterentwickelt. Hier zuerst die Sorbas-Variante, bei der zum Schluss auch noch Teller zerschlagen werden – eine Tradition, die eigentlich zum Seimbekikos gehört. Sei’s drum, in den Sirtaki kann man alles reinpacken, da muss man es nicht so genau nehmen. Das sieht man auch bei diesem von Türken getanzten Sorbas-freien Paar-Sirtaki – er scheint mir gar Elemente aus dem Flamenco zu enthalten, teilweise kommt er mir jedenfalls irgendwie spanisch vor…

Und da wir gerade bei multikulturellen Tänzen sind, hier noch ein weiteres Kuriosum: Ein Tanz aus Sri Lanka. Im ersten Moment habe ich tatsächlich selbst geglaubt, dass diese ceylonesischen Tänzerinnen auf das armenisch-griechische Lied tanzen – es passt perfekt. Und wenn man das 12-saitige Banjo nicht sieht, dann denkt man fast man hört eine indische Sitar… Zum Vergleich hier noch das Original, dem der Ton entnommen wurde: Dinata Dinata. Dieses Lied ist überhaupt sehr vielfältig einsetzbar, so war es auch bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2004 in Athen der musikalische Hintergrund fürs Feuerwerk.

Tja, was der Einzelne aus einer Musik heraushört oder wo er Ähnlichkeiten zu entdecken meint, das scheint doch individuell sehr verschieden zu sein. Das griechische Lied „Mavra Matia“ klingt also schottisch und „Fat Man“ ist indisch – da wäre ich nie drauf gekommen. Tatsächlich gehört Fat Man z.B. zu den Titeln, die ich zwar seit Ende der 70er kenne, deren Existenz ich aber völlig vergessen hatte, da ich damals nichts mit ihnen anfangen konnte. So war ich erst vor zwei Monaten ziemlich überrascht das „Stand Up“- Album in meinem Regal zu finden – ich war fest davon ausgegangen, dass ich es nicht besitze. Erst als ich es wieder in den Händen hielt erinnerte ich mich schwach, dass es wohl so um 1980 herum einmal ein Geburtstagsgeschenk von meinem Bruder gewesen sein muss. Ich habe es einmal gehört, fand die Musik schrecklich, habe es in den Schrank gestellt und geistig verdrängt. Als ich die Platte jetzt aufgelegt habe fand ich einige Stücke durchaus hörenswert, und besonders Fat Man klang in meinen Ohren sofort vertraut – so griechisch eben.

In mancher Hinsicht verstehe ich Dich ja, lieber Lockwood. Ich muss zugeben, dass mir die traditionelle griechische Volksmusik auch nicht von Anfang an gefallen hat. Als Tourist ist man die übliche Bousouki-Musik gewöhnt und die „Laika“, die beim Griechen um die Ecke zum Souflaki aus dem Lautsprecher dudeln. Unter „Laika“ versteht man übrigens in Griechenland so ziemlich alle populäre Musik, die nicht älter als 100 Jahre ist, es ist also ein sehr weit gefasster Begriff. Auch große Teile der Musik von Mikis Theodorakis oder Jannis Markopoulos fallen darunter. Wie auch immer – als ich das erste Mal auf Kreta bei einem Tanzfest mit traditioneller Lira-Musik konfrontiert wurde, empfand ich das auch als ein furchtbares Gejaule (das habe ich natürlich niemandem gesagt…). Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mit diesen Klängen warm geworden bin, und es war dazu nötig darauf zu tanzen. Ich glaube diese Musik kann sich einem überhaupt nur beim Tanzen erschließen. Die Hoffnung, dass ich Tanzmuffel wie Euch davon begeistern kann, habe ich daher längst aufgegeben.

Wie ich schon einmal erwähnt habe, kann sich das Musik-Bedürfnis oder das Musik-Empfinden im Laufe der Jahre ändern, und ich bin davon überzeugt, dass ich nicht zuletzt wegen meines Ausflugs in die griechische Musik (wenn man 25 bis 30 Jahre als Ausflug bezeichnen kann) heute Zugang zu manchen Jethro Tull Stücken habe, mit denen ich in den 70ern nichts anfangen konnte – Fat Man, Witch’s Promise und A Passion Play gehören dazu. Im Laufe der Jahre haben sich meine Ohren an wilde Taktwechsel, schräge Rhythmen und dem üblichen mitteleuropäischen Musikgefühl zuwiderlaufende Melodien gewöhnt. Heute kommt mir das alles vertraut vor.

Schade, lieber Lockwood, dass Du mit der griechischen Musik so garnicht zurecht kommst. Was Du für Probleme mit der Sprache hast, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, und eigentlich kann doch Deine Abneigung gegen griechische Musik nicht schon immer so bestanden haben. Schließlich hast Du Dir selbst einmal freiwillig (nehme ich doch an) die „20 Sirtaki von Mikis Theodorakis“ gekauft. Das hätte ich jetzt nicht getan, Sirtaki ist nicht so mein Fall – für mein Empfinden zu langsam, öde und oberflächlich.

Aber wechseln wir das Thema, bevor der arme Lockwood noch über meinen langatmigen Ausführungen einschläft. Kommen wir zu roten Hüten, Piratenlook und gepunkteten Seiden-Pyjamas. Mir ist schon klar, dass das Golders-Green-Outfit eine Art modifizierten Reitdress darstellen soll, wie er in England z.B. zur Fuchsjagd getragen wird – durchaus sehr passend, wenn man beabsichtigt in einem Hippodrom ein Hunting Girl auf Velvet Green zu treffen. Zu solch einem Reitdress gehört auch eine Kopfbedeckung, im Original allerdings eher eine Art schwarze Reiterkappe, nicht gerade eine rote Melone. Da Mr. Anderson mit Reitkappe aber vermutlich auch nicht geistreicher ausgesehen hätte, will ich mich über den roten Hut ja garnicht mehr beschweren. Ich habe mich praktisch an ihn gewöhnt, man kann damit leben.

Auch das Piraten-Kopftuch finde ich garnicht mehr so schlimm, seit mir klargeworden ist, dass Mr. Anderson sich doch nur für einen pontischen Kriegstanz zurechtmachen will. Dass er dazu sein aktuelles Bühnen-Outfit noch arg aufpeppen müsste, finde ich nicht einmal – noch zusätzlich ein schwarz gefärbtes Bettlaken um den Kopf drapiert und ein altes Brotmesser in den Gürtel gesteckt – fertig! Wie ich Dich, lieber Wilfried, inzwischen kenne, könntest Du den Meister in Minutenschnelle mit diesen Utensilien ausstatten. Die Griechen würden ihn dann sicher mittanzen lassen, zumal er auch von Alter und Statur her perfekt zu ihnen passen würde und ihm die erforderlichen Tanzbewegungen keine Schwierigkeiten bereiten sollten.

Den gepunkteten Pyjama zum gleichfarbigen Kopfverband fand ich zwar auch nicht besonders geschmackvoll, übler fand ich da aber noch diesen Schmuddel-Look aus der „Under Wraps“-Tour, wo Anderson aussieht, als ob er zuvor 2 Wochen ungewaschen und unrasiert unter einer Brücke übernachtet hätte, oder diesen Halbstarken-Look mit unappetitlich durchgeschwitztem Lederwestchen auf blanker Männerbrust, in dem er Anfang der 90er Jahre auf Bühnen und im Fernsehen zu bewundern war. Der Gipfel ist für mich aber doch der Tampa-Auftritt, vielleicht weil es einfach ein so krasser Fehltritt zwischen den für meinen Begriff durchaus geschmackvollen und passenden Kostümen der Jahre davor und danach war, und weil mir die Bilder auch farblich einfach in den Augen brennen. Ab 1980 gab es ja dann eigentlich fast nur noch Fehltritte, da hat man schon garnichts anderes mehr erwartet. Aber dieses Thema habt Ihr sicher auch schon bis zum Abwinken behandelt.

Nun will ich doch noch einmal zu Tänzen zurückkommen (der arme Lockwood…), denn der Wilfried war ja fleißig und hat einen schottischen Tanz auf YouTube gestellt. Das bietet natürlich interessante Vergleichsmöglichkeiten. So arg viel Ähnlichkeit mit griechischen Tänzen kann ich aber nicht entdecken. Zum einen klingt der Dudelsack für meine Begriffe vergleichsweise schrill – vielleicht liegt’s auch am Ton. Der griechische dudelt jedenfalls für meine Ohren angenehmer. Dann handelt es sich offensichtlich um einen Tanz, den jeder für sich allein tanzt, auch wenn das hier vier Personen gleichzeitig tun. Ich kenne nur drei griechische Tänze – Seimbekikos, Tsifteteli (Bauchtanz) und Karsilamas (ein Paartanz), bei denen einzeln getanzt wird. Bei allen anderen Tänzen fasst man sich irgendwie an: Hand-Fassung (Sirtos, fast alle pontischen und makedonischen Tänze), Schulter-Fassung (Chasapikos, Pentosalis, Sirtaki und verwandte), Hand-Überkreuz-Fassung (z.B. Sonaradikos), Gürtel-Fassung (Tanz habe ich vergessen). Dieser „Körperkontakt“ ist ein ganz wesentliches Merkmal eines Tanzes, er schafft dieses „Gemeinschaftsgefühl“, das bei diesem schottischen Tanz bestimmt nicht so entsteht.

Und erst als die Kamera näher rangeht sieht man den nächsten gravierenden Unterschied: Da tanzen ja nur Frauen. Und das ist doch ein Schwerter-Tanz – oder? Der ist doch ursprünglich nicht für Frauen gedacht. Aber die tanzmuffeligen Männer glänzen mal wieder durch Abwesenheit und überlassen das Tanzen den Frauen. Typisch für wahrscheinlich fast alle Länder in Europa, außer Griechenland. Dort tanzt jeder vom 2-jährigen bis zum 90-jährigen, Männlein und Weiblein ohne Unterschied. Niemals würde man die Vorführung eines Schwerter-Tanzes Frauen überlassen. Früher durften sie bei Tänzen wie der jetzt schon mehrfach erwähnten Sera (Pontischer Kriegstanz) bestenfalls zur Verzierung dahinter stehen, klatschen oder vielleicht ein paar zaghafte eigene Schritte tun – aber bitte in einer eigenen Reihe und hinter den Männern! Heute dürfen sie auch mittanzen, aber nur im Familienkreis oder bei einem Tanzfest, nicht bei einer Vorführung. Und ja, dieser Tanz wird nicht nur auf der Bühne für Touristen aufgeführt, er wird auch noch privat auf Festen getanzt (da allerdings dann meist in seiner etwas vereinfachten „Verkleinerungsform“ der Seranitsa, bei der schon eher auch Frauen zugelassen sind). Und auch das ist noch ein wesentlicher Unterschied. In Griechenland „leben“ diese traditionellen Tänze noch. Ich wage zu bezweifeln, dass das in Schottland auch so ist.

Ach, der arme Wilfried, jetzt habe ich sein schottisches Tanz-Video völlig niedergebügelt. Aber so war das nicht gemeint, lieber Wilfried, wirklich ein sehr schönes Video, das Du da gemacht hast! Und als versöhnlicher Abschluss hier noch ein Kommentar, den ich auf YouTube unter einem Video des Lieds „Dinata Dinata“ (siehe oben) gefunden habe: Talking about different cultures, I am scottish and if I wasn’t I would love to be Greek! I love everything about the Greek culture from the history, the language to the music! I am hooked!. Na also, sage ich doch – Griechisch und Schottisch, das passt!

Lieber Lockwood, ich muss Dir völlig recht geben: Inzwischen haben sich so viele verschiedene Themen aufgetan, dass man in einem Zug garnicht mehr alle ansprechen kann. Jetzt habe ich mich langsam müde geschrieben, und zu den Mendel’schen Gesetzen bin noch nicht gekommen. Bitte nicht enttäuscht sein, ich fange nächstes Mal gleich damit an, versprochen.

Ich wünsche Euch ein schönes Pfingstfest!

Liebe Grüße

Kretakatze

PS.: Vielen Dank, lieber Wilfried, dass Du versucht hast Mr. Anderson von Beck’s Bier zu überzeugen. In seinem gegenwärtigen Outfit als pontischer Kriegstänzer würde er aber vermutlich auch nicht mehr optimal in eine Bierreklame passen. Ich werde mir noch etwas Besseres für ihn einfallen lassen müssen (man will ja doch, dass er finanziell nicht darben muss…)..

26.05.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

heute muss ich schon wieder eine frühere Aussage revidieren oder doch zumindest relativieren. Sicher werdet Ihr mich hier bald rausschmeissen, wenn ich weiterhin jeden Beitrag mit einem Widerruf beginne, in dem ich meine haltlosen Behauptungen vom Vortag zurücknehme. Wie ich schon einmal erwähnte, komme ich zu meinen Ansichten und Einsichten meist aus dem hohlen Bauch heraus. Manchmal sollte ich den vielleicht doch vorher mit etwas Substanz füllen. Ich werde versuchen mich zu bessern.

Ich hatte, stark vereinfacht, die blonden Haare des Achilles deutschen Archäologen in die Schuhe geschoben – nicht ganz wörtlich natürlich. Das war wohl doch etwas zu schnell geschossen. Später erst ist mir eingefallen, dass der Achilles eine Gestalt aus den Erzählungen des Homer und anderer antiker Schriftsteller ist, und es daher möglich wäre, dass z.B. Homer etwas über seine Haar- und Augenfarbe geschrieben hat. Dann wären die deutschen Archäologen unschuldig.

Ich muss zugeben, dass ich jetzt nicht in den letzten Tagen die Odysee und die Illias durchgearbeitet habe. Nach meiner bescheidenen Kenntnis war Achilles ein (bis auf seine berühmte Ferse) unverwundbarer Halbgott und damit eine Sagengestalt, deren tatsächliche Existenz eher ungewiss ist. Selbst wenn Homer etwas über seine Haarfarbe geschrieben haben sollte, kann man davon ausgehen, dass diese Beschreibung nicht auf eigener Anschauung beruhte. Das heißt: Homer hat die Haare des Achilles vermutlich nie persönlich in Augenschein genommen. Verlässliche Aussagen über Haar- und Augenfarbe des Achilles werden daher wohl noch viel schwieriger zu erlangen sein als verlässliche Aussagen über Haar- und Augenfarbe des Mr. Anderson. Und dies hat sich ja bereits als aussichtsloses Unterfangen erwiesen.

Im Prinzip geht es ja auch nicht speziell um die Haarfarbe des Achilles, sondern darum, ob die antiken Hellenen nur eher vom hellen, mitteleuropäischen Typ waren, oder doch eher dunkelhaarig und dunkeläugig. Ich will nicht ausschließen, dass es Berichte antiker Schriftsteller oder Chronisten gibt, in denen auch die Haarfarbe mancher ihrer Zeitgenossen Erwähnung findet. Ich will auch nicht ausschließen, dass es schon damals in Griechenland blonde und blauäugige Menschen gegeben hat – so wie heute ja auch. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Mehrheit der damaligen Bevölkerung so ausgesehen haben soll. Eine solche „Population“ wäre schon dem Klima und den Lebensumständen nicht angepasst gewesen, und wie ich außerdem bereits erwähnt habe – ich habe noch nie antike griechische Darstellungen blonder Menschen gesehen. Soweit meine langatmige Vorrede.

Nun zur weiteren genetischen Entwicklung griechischer Populationen. Lockwood hatte ja meine These angezweifelt, nach der die heutigen blonden Griechen und speziell Kreter (ich würde mich da gerne auf Kreter beschränken, da ich mich mit blonden Griechen aus anderen Landesteilen nicht auskenne) von mittel- und westeuropäischen Kreuzfahrern und venetianischen Kaufleuten abstammen. Diese These habe ich mir ausnahmsweise nicht selbst ausgedacht, sondern ich habe sie irgendwo einmal gelesen, und mir hat sie eingeleuchtet. Es gab mindestens 4 Kreuzzüge (je nachdem, welche Kriegszüge gen Osten man dazu zählt), die sich über insgesamt 200 Jahre hinzogen (ca. 1100 bis 1300 n. Chr.). Kreta war ein zentraler Anlaufpunkt im Mittelmeer, die „Franken“, wie sie von den Griechen heute noch genannt werden, haben mehrere Burgen auf Kreta gebaut, Stützpunkte sozusagen. Ich würde davon ausgehen, dass die eroberten Gebiete im Bereich des heutigen Israel und Libanon auch Nachschub aus der Heimat benötigt haben, dass es also auch so etwas wie Handelsrouten gab. Da kann ich mir schon vorstellen, dass auch der eine oder andere westeuropäische Spross auf Kreta hängengeblieben ist.

Um das Jahr 1200 fiel Kreta an Venedig, danach regierten dort bis etwa 1650 – also 450 Jahre – die Venetianer. Sie trieben einen regen Handel, die Städte waren voll von venetianischen Kaufleuten. Venetianer sind zwar im Prinzip Italiener, aber Norditaliener sind auch oft vom mitteleuropäischen Typ. Ich würde davon ausgehen, dass auch noch andere europäische Länder an dem Handel beteiligt waren. Auf jeden Fall kam in diesen Jahrhunderten durch die Handelsbeziehungen bestimmt auch viel frisches „Blut“ nach Kreta.

Um 1650 wurde Kreta dann von den Türken erobert. Erst 1898, also gerade mal vor reichlich 100 Jahren, wurde Kreta durch vertragliche Regelungen europäischer Großmächte mit den Türken frei. 1913 wurde es mit Griechenland wiedervereinigt. Soviel zur jüngeren Geschichte (nicht dass Ihr denkt, das wüsste ich alles auswendig – das habe ich bei Wikipedia abgeschrieben).

Die ca. 250 Jahre türkischer Herrschaft haben wesentlichen Einfluss auf Kultur, Lebensgewohnheiten und Sprache der Griechen gehabt. Dass sie wesentlichen Einfluss auf die genetische Zusammensetzung der griechischen Bevölkerung hatten, wage ich zu bezweifeln. Griechen und Türken sind wie Wasser und Öl. Man kann sie zusammen in eine Flasche gießen und 250 Jahre schütteln, es wird keine einheitliche Masse daraus werden. Hält man die Flasche ein paar Minuten still, dann werden sich die Substanzen wieder trennen, und man wird wieder eine Flasche mit zwei verschiedenen Flüssigkeiten in den Händen halten. Die gegenseitigen Abstoßungskräfte sind zu stark, als dass ein anderes Ergebnis zu erwarten wäre.

Wenn ich versuche zu erklären, warum das so ist, kann ich auch gleich dem Wilfried seine Frage beantworten, welche besondere Beziehung es zwischen Griechen und Armeniern gibt. Es ist die Religion. Griechen definieren sich in erster Linie über den Orthodoxen Glauben. Alle Völker, die ebenfalls orthodox sind – es muss nicht griechisch-orthodox sein – sind Freunde, Brüder, gehören praktisch zur Familie. Griechen fühlen sich daher engstens verbunden mit Georgiern und Armeniern, mit orthodoxen Syrern und Libanesen, mit Russen und Serben. Während der Kriege in Jugoslawien standen die Griechen z.B. immer kritiklos auf der Seite der Serben – weil sie orthodox sind.

Mit den Armeniern verbindet noch zusätzlich, dass sie zur gleichen Zeit Opfer von Völkermord und Vertreibung wurden, wie die pontischen Griechen. Etwa zwischen 1915 und 1920 wurden im Osten der Türkei ca. 1 Mio. Armenier umgebracht oder vertrieben und im Westen der Türkei ca. 1,5 Mio. pontische Griechen (die übrigens von der Schwarzmeer-Küste stammen und nicht von der Ägäisküste, wie ich neulich geschrieben hatte). Gleichzeitig verließen ca. 500.000 türkisch-stämmige Bewohner Griechenland – ein Völkeraustausch. Wie ich schon sagte – hält man die Flasche still…

So wie die Griechen sich selbst und ihre Freunde am orthodoxen Glauben erkennen, so wird (stark vereinfacht, aber doch treffend) der Rest der Menschheit ebenfalls anhand seines Glaubens eingeteilt. Nicht orthodoxe Christen sind auch noch Menschen, Juden sind eigentlich schon keine mehr (es gibt einen unverhohlenen Antisemitismus in Griechenland, Juden sind verhasst – warum weiß ich auch nicht so genau), und Muslime sind der Teufel in Person. Und mit sowas paart man sich nicht. In solchen Kategorien denken übrigens auch Menschen, die sich selbst als Kommunisten und Atheisten bezeichnen. Allein mit Religion hat das nichts mehr zu tun.

Jetzt ist das alles ein bißchen überzeichnet, denn wenn man heute persönlich einen netten Türken kennenlernt, dann läd man den natürlich auch zu einem Gläschen griechischen Kaffee ein und tanzt Sirtaki mit ihm. Vermutlich hat es auch in den 250 Jahren Türkenherrschaft friedliches Zusammenleben und freundschaftliche Kontakte gegeben. Im Prinzip war aber diese Zeit gekennzeichnet von wiederkehrenden Aufständen der Griechen, die von den Türken blutig niedergeschlagen wurden und von ständigen Guerilla-Attacken der in die Berge geflohenen Widerstandskämpfer. Dass es in diesem Klima zu einer nennenswerten Vermischung der beiden Bevölkerungsgruppen gekommen sein soll, kann ich mir nicht vorstellen. Sonst müsste es auch heute noch auf Kreta ein paar Muslime geben. Oder wenigstens ein paar Menschen mit türkisch-stämmigem Namen. Ich habe nie einen getroffen.

Nun noch kurz zu den Mendel’schen Gesetzen. Du hast bezweifelt, lieber Lockwood, dass die rezessiven Gene für blonde Haare und blaue Augen auf Dauer gegen dominantes schwarz-braun bestehen könnten. Nun sterben Gene nicht deshalb aus, weil sie rezessiv sind, sondern weil sie einen Selektionsnachteil darstellen – wenn die Träger dieser Gene sich also weniger stark vermehren als die „Konkurrenz“, oder wenn sie gar ganz an der Fortpflanzung gehindert werden. Man kann wohl davon ausgehen, dass blonde Haare und blaue Augen, meist auch noch verbunden mit einer hellen Haut, in südlichen Ländern tatsächlich einen Selektionsnachteil darstellen. Gerade dann ist es aber für die Erhaltung eines Gens von Vorteil, wenn es rezessiv ist. Dadurch kann es sich nämlich in vielen Fällen hinter dem dominanten Gen „verstecken“, ohne dass der Träger den Selektionsnachteil erleidet, und kann so ungestört weitervererbt werden.

Jeder Tierzüchter weiß, dass er ein unerwünschtes Gen umso schwerer los wird, je stärker rezessiv es sich vererbt. Er kann dann nämlich die meisten Träger dieses Gens garnicht erkennen und dadurch auch nicht von der Zucht ausschließen. Irgendwann paart er dann unwissentlich zwei Träger dieses Gens miteinander und bums – hat er schon wieder so ein unerwünschtes Exemplar. Wird das dann ausselektiert, nimmt natürlich im Laufe der Zeit die Häufigkeit des Gens in der Population schon ab, aber langsam, sehr langsam. Nur so ist auch zu erklären, dass bestimmte rezessiv vererbliche Erbkrankheiten wie z.B. Bluterkrankheit oder Farbenblindheit einfach nicht aussterben wollen, und das schon seit Jahrtausenden.

In unserer heutigen Zeit der Sonnencremes und Bürojobs in klimatisierten Räumen ist auch der „Selektionsnachteil“ eines Blonden im Mittelmeerraum gegen Null gesunken. Stattdessen findet dort zur Zeit, wenn man das respektlos so nennen darf, eine regelrechte Verdrängungszucht statt. Horden attaktiver Mittel- und Nordeuropäerinnen fallen in die Urlaubsgebiete ein und schnappen sich dort die besten einheimischen Männer weg. In manchen Gegenden haben junge Griechinnen kaum noch eine Heirats-Chance – und das ist kein Witz. Der von mir bereits erwähnte dunkelblonde Grieche, der im Übrigen der Vater meines ebenso dunkelblonden Sohnes ist, hat später noch eine dunkelblonde Deutsche geheiratet und hat nun noch zwei blonde Kinder. Von all seinen zahlreichen Freunden ist gerade mal ein einziger mit einer Griechin verheiratet, alle anderen haben Ausländerinnen geheiratet – Deutsche, Holländerinnen, Engländerinnen, Schwedinnen, Österreicherinnen. Das geht jetzt so schon seit 20 bis 30 Jahren, und es wird immer schlimmer. Die Zahl der blonden Griechen ist rapide im Steigen begriffen.

Jetzt bin ich aber ganz schön weitschweifig geworden, und das musiklos, staubtrocken und Anderson-frei. Und es wird nicht besser, denn mein nächstes Thema hat auch nichts mit Jethro Tull zu tun.

Lieber Lockwood, was Du über Deinen Eindruck von den griechischen Tänzen geschrieben hast, hat jetzt mich fast erschreckt. Dass jemand diese Musik als herb und finster empfinden könnte, hätte ich nie vermutet. Gut, ich hatte natürlich bei den makedonischen Tänzen mit Absicht die am scheußlichsten klingenden ausgesucht, und dass ein Kriegstanz finster wirkt liegt in der Natur der Sache. Schließlich will man den Feind abschrecken, und das scheint den Tänzern ja bei Dir gelungen zu sein (kleiner Scherz am Rande, den Du mir hoffentlich nicht übel nimmst). Aber der Sonaradikos ist für meine Ohren ein fröhliches Lied, und der Sirtos mit Michalis Tsouganakis strotzt für meine Begriffe geradezu vor Lebensfreude – da hält mich kaum noch etwas auf dem Stuhl. Das Dinata Dinata ist auch vom Text her ein Lied über Stärke und Lebensfreude, aber den Text muss man meiner Meinung nach nicht verstehen um das zu hören. Du entwickelst Dich für mich immer mehr zum Rätsel…

Wenigstens weiß ich jetzt schon einmal etwas, was Dir gefällt – Abba. Das ist ein Anfang. Ich bin jetzt zwar nicht unbedingt ein spezieller Abba-Fan, aber ich höre ihre Musik auch recht gern. Da hätten wir mal einen ersten Ansatzpunkt. Was hörst Du denn sonst noch so, außer ein paar handverlesenen Platten von Jethro Tull? Nicht, dass ich jetzt an Dir herumkritteln oder Dich als zu wählerisch hinstellen möchte. Ich versuche nur herauszufinden, mit welchem musikalischen Kleinod ich vielleicht sogar Dir einmal eine Freude machen könnte.

Schließlich beginne ich mir ernsthaft Vorwürfe zu machen, dass ich durch meine unvorsichtige Auswahl fragwürdiger Tanz-Videos eine akute Ellinikophobie (Elliniko = Griechisch) bei Dir ausgelöst haben könnte. Gerne würde ich mein Möglichstes dazu beitragen, zumindest noch die drohende chronische Manifestation abzuwenden. Außerdem liegt es in meiner Forschernatur nicht eher zu ruhen, als bis ich den Krankheitserreger separiert und identifiziert habe. Ich denke Du ahnst bereits Übles.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe ist es nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache, die Du als „herb und finster“ empfindest. Ich kann mir nur vorstellen, dass das mit den vielen harten Lauten zusammenhängt – ps, ks, ts, ch und th, um nur die härtesten zu nennen. Für mich ist das ein Grund, warum mir die Sprache besonders gefällt, im Gegensatz zum langweiligen Trallalla-Blablabla des Italienischen (ich hoffe, das liest jetzt kein Italiener) gib es der Sprache etwas Herzhaftes und Handfestes. Im Prinzip hat Griechisch den gleichen Laut-Umfang wie Spanisch, nur kommen die harten ps, ks und ts wohl noch häufiger vor. Wer keine der beiden Sprachen versteht, kann sie nach meiner Erfahrung kaum auseinanderhalten. Hast Du mit Spanisch die gleichen Probleme?

Ich halte das Thema „Sprachen“ überhaupt für sehr interessant. Worin unterscheiden sie sich? Warum liegt einem die eine Sprache und eine andere nicht? Das wäre schon wieder das nächste, sehr weite Feld…

Aber jetzt bin ich müde, gute Nacht, Ihr Lieben…gäääähn…

Kretakatze

PS.: Nur für gesundheitlich stabile, nicht Ellinikophobie-gefährdete Personen – ohne Altersbeschränkung – hier doch noch ein kleines Gute-Nacht-Lied:

Areti Ketime Nanourisma (Wiegenlied) – live in Athen

Der türkische Name verwundert, und sie scheint selbst noch ein halbes Kind zu sein….

Sie spielt Sandouri (eine Art Hackbrett = Saiteninstrument) und singt dazu – orientalisch, traurig, schön…

27.05.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

ich denke, es braucht mehr Mut, einen „Fehler“ zuzugeben, als später aus Trotz auf einem falschen Standpunkt zu beharren. Die Gefahr, dass Du, liebe Kretakatze, aus diesem Forum ausgeschlossen wirst, sehe ich also nicht.

Zur hellenistischen Pigmentierung:
Vor etlichen Jahren habe ich die Iliade gelesen (die deutsche Übersetzung, nicht im Original) und mir ist nicht erinnerlich, dass Homer etwas über Haar- und Augenfarbe seiner Helden geschrieben hat. Selbst wenn er es getan hätte, wären diese Informationen von zweifelhaftem Inhalt; wir sind uns darüber einig, dass die Figuren des Trojanischen Krieges eher sagenhaft als historisch sind. Von Homer ist also keine Hilfe zu erwarten.
Die langfristigen Einflüsse der Franken auf die griechische Bevölkerung in Tateinheit mit einer gekonnten Auslegung der Mendelschen Gesetze sehe ich nach Deiner letzten mail in einem anderen Licht. Aus dieser wissenschaftlichen Betrachtung scheint es also tatsächlich möglich, dass blonde Griechen ein Produkt ausländischer Gene sind. Leider sagt diese Erkenntnis nichts über Färbung des Achilles aus. Der Trojanische Krieg, so er wirklich stattgefunden hat, tobte etwa 2.000 Jahre vor den Kreuzzügen und 3.000 Jahre vor den Touristenströmen. Falls Achilles und einige seiner realen Landsleute also wirklich blond waren, dann ohne mitteleuropäisches Zutun. Aber, wie ich schon letzte Woche gesagt habe, an Deinem Einwand der dunkelhaarigen Vasenbemalungen kommt man nicht so leicht vorbei.

Vielleicht hat man die Rolle des Achilles (interessant die englische Aussprache: Äikillis) mit Mr. Pitt besetzt, weil seit Siegfried ein strahlender Held blond zu sein hat. Sein Gegenspieler Hektor wird konsequenterweise dunkelhaarig besetzt.

Das Verhältnis der Pigmentierung einer Population zu ihrer Umwelt muss man mit Vorsicht betrachten. Es fällt uns leicht zu verstehen, warum Schwarzafrikaner eine dunkle Haut haben. Wegen der Sonne, klar. Warum sind aber nordamerikanische Prärieindianer oder die Steppenvölker Zentralasiens, die noch nicht einmal einen Schatten spendenden Baum kennen, nicht ebenso dunkelhäutig ? In den Bergen Neuguineas lebt ein Volk (den Namen habe ich vergessen), das als das Dunkelhäutigste weltweit gilt. Dieses Volk lebt auf einem Hochplateau, das ständig von Wolken und Nebel umgeben ist, sodass nur wenige Sonnenstrahlen den Erdboden erreichen. Wir sehen also, dass sich Hautfarbe und Sonneneinstrahlung nicht immer im Verhältnis 1:1 verhalten.

Deinen berechtigen Hinweis auf das gespannte Verhältnis zwischen Griechen und Türken habe ich bei meiner Theorie unterbewertet. Auch ohne genauere Prüfung räume ich ein, dass beide Völker kein großes Interesse an einer Vermischung hatten und haben.

Dass blonde Menschen auf die Völker des Mittelmeerraums eine große Anziehungskraft ausüben, habe ich bei einem Israelurlaub festgestellt. Als blonder Recke ist man bei den jungen Frauen Hahn im Korb und als blonde Frau braucht man schon eine Eskorte, wenn man sich frei bewegen will. Bei diesem Israelurlaub ist mir aufgefallen, dass es dort nur sehr attraktive Frauen zu geben scheint. Entweder gibt es dort keine unattraktiven Frauen oder diese trauen sich nicht vor die Tür. Der Blondwahn dieser Region führt dazu, dass einige der jungen, schwarzgelockten glutäugigen Frauen sich blond färben lassen. Das war in meinen Augen eine schreckliche Erfahrung. Um es mit den Worten eines Stammtischs zu sagen: Das ist, als würde ich an einem Mercedes den Stern abbrechen.

Vorläufiges Zwischenergebnis: In der Frage, ob der antike Hellene vom mitteleuropäischen oder orientalischen Typ war, sind wir noch keinen bedeutenden Schritt weiter gekommen. In den Weiten des Internets gibt es ein Forum zur Ethnologie, dort könnte man bestimmt eine Antwort finden. Ehrlich gesagt bin ich im Moment aber zu faul, um danach zu suchen.

Das Harte, Herbe, Finstere an der griechischen Sprache hat tatsächlich mit den vielen harten Lauten zu tun. Auch gibt es hier Zischlaute, die wir in dieser Form im Deutschen nicht kennen. Beispiel: Öichi ! Das ist sehr wahrscheinlich vollkommen falsch geschrieben; es bedeutet „nein“ oder „nicht“. Dann fällt mir noch Kazekato ein; wahrscheinlich auch total falsch geschrieben. Es bedeutet „setzen!“ oder „setz dich!“ Ich kenne diese Begriffe nur, weil meine griechischen Bekannten sie häufiger zu ihrer damals zweijährigen Tochter sagten. Es sind nur zwei Begriffe, die aber ausreichten, bei mir einen harten herben Eindruck der Sprache zu hinterlassen. Dieser Eindruck konnte durch Deine Videos leider nicht revidiert werden.

Selbst das Wiegenlied, das Du in Deiner letzten mail gelinkt hast, unterstreicht diesen Eindruck. Hinzu kommen die häufigen Vibratos im griechischen Gesang. Das klingt schon sehr orientalisch. Selbst Dein Wiegenlied erinnert mich an den Ruf des Muezzin.

Spanisch klingt in meinen Ohren angenehmer. Es enthält zwar Elemente aus dem Arabischen, aber irgendwie komme ich damit besser klar. Die zum Hören angenehmste Sprache ist für mich italienisch (Sorry !) Um meine Äußerungen etwas zu relativieren möchte ich erwähnen, dass ich überhaupt kein Talent für Sprachen besitze. Ich habe weder Kenntnisse im Griechischen, noch im Spanischen oder Italienischen.

In einem Punkt widerspreche ich allerdings vehement: Der Sprachunkundige kann spanisch und griechisch sehr wohl auseinanderhalten. Woran es liegt, kann ich nicht mit Wortlauten belegen, aber ich finde die Klangbilder beider Sprachen sehr unterschiedlich, trotz der gemeinsamen harten Laute. In meinen Ohren verhält sich spanisch zu griechisch wie Zwiebelkuchen zu rohen Zwiebeln. Ein etwas unglücklicher Vergleich, aber er macht deutlich, wie die beiden Sprachen auf mich wirken.

Ich kann nicht verstehen, warum ich für Dich zum Rätsel werde. Ich bin kein großer Mysterienträger. Dass ich mit griechischer Sprache und Musik nicht klar komme, mag außerhalb Deiner Erfahrungswelt liegen, aber das ist doch nichts Geheimnisvolles. Es ist eine Geschmacksfrage, nicht weniger, aber erst recht nicht mehr. Deswegen muss ich Dir doch nicht kryptisch erscheinen.

Und eine Griechenphobie hast Du in mir auch nicht erzeugt, jedenfalls keine, die über die angeborene latente Xenophobie hinausgeht. Vielleicht interpretierst Du in meine Nichtbegeisterung für die griechische Kultur zuviel hinein. Es ist ganz einfach eine fehlende Begeisterung. Es ist kein Hass, keine Angst, keine Ablehnung. Dass Du ganz anders über die Menschen der Ägäis denkst, habe ich begriffen. Aber diese unterschiedlichen Geschmäcker machen mich noch nicht zum Problemfall, oder ?

Sprachen sind auch für mich als Unkundigen ein interessantes Feld. Ich habe mich beispielsweise vor Jahren gefragt, wieso die finnische und die ungarische Sprache miteinander verwandt sein können. Liegen diese beiden Länder doch nicht gerade in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und eine gemeinsame Geschichte dieser Nationen ist mir auch nicht bekannt.

Für mich waren Finnen Nordeuropäer und Ungarn ein Konglomerat aus Mitteleuropäern und Nachfahren der Hunnen. Ganz so ist es wohl doch nicht. Eine Erklärung lieferte mir damals ein Sprachwissenschaftler, mit dem ich einen kurzen Briefwechsel unterhielt. (Prof. Gerhard Vollmer, der steht sogar in Wikipedia). Er empfahl mir damals die Lektüre eines Standardwerkes zur Entwicklung der Sprache und der Sprachen: „Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache“ von David Crystal. Den Erwerb dieses Buches habe ich nie bereut.

Ääh, ich fürchte, bei meiner letzten mail ist der Eindruck entstanden, dass ich nur Jethro Tull und Abba höre. Für Deine gezielte Nachfrage zu meinen Musikbedürfnissen bin ich deswegen dankbar. Wie jeder „richtige Junge“ habe ich mich im pubertären Alter für Rockmusik interessiert. Queen, AC/DC, Status Quo, ZZTop und wie sie alle hießen. Später ergänzten Werke von Big Country und Led Zepplin meine Plattensammlung. Zwischendurch natürlich immer wieder Jethro Tull. Mein Faible für Rockmusik hält bis heute an. Irgendwann in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam ich mit Britischer Folklore in Berührung, vorwiegend Irish-Folk. Hier hatten es mir besonders die Dubliners angetan. Wenn man auf dem Folkpfad ein wenig nach rechts und links schaut, stößt man zwangsläufig auf Jethro Tull. In den 80er Jahren hörte ich zum ersten Male Musik von den Pogues, für die ich eine ähnliche Begeisterung empfinde wie für JT. Zwischen all diesen Rockmusikern lief meine Vorliebe für Abba parallel im Hintergrund. Ich höre nicht oft Popmusik, aber, wie gesagt, wenn, dann von Abba. Sie haben wunderbare Melodien geschrieben und ich finde den Gesang von Agnetha Fältskog (die Blonde) überirdisch. Bevor ich es vergesse: Zum Thema Kate Bush habe ich mit Wilfried auch schon etliche Seiten gefüllt. Mein Pseudonym ist ein stark verdeckter Hinweis auf Mrs. Bush.

Alben der o.g. Künstler machen ca. 90 % meiner Plattensammlung aus. Daneben enthält sie Werke der klassischen Musik (Bach, Beethoven, Händel, Mozart) und einige Exoten: Theodorakis, Don Kosaken, Scottish Pipes and Drums und einiges mehr. Da fällt mir ein: Ich habe sogar eine LP von Vicky Leandros, aber ich glaube, das lässt Du nicht als griechische Musik gelten. Diese LP habe ich wegen dem Titel Lago Magiore im Schnee (Original von Mort Shuman) gekauft. Die anderen Titel auf dem Album kenne ich gar nicht.

Nicht, dass ich es bereue, mich als Abba-Hörer geoutet zu haben, aber diese Ergänzungen waren mir wichtig.

Ich wünsche allen Lesern und Griechen einen schönen Abend und eine geruhsame Nacht.
Lockwood

28.05.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

mit Rücksicht auf den öffentlichen Gesundheitszustand werde ich ab sofort meine Beiträge frei von griechischen Musik-Videos halten. Sollte ich es doch für angemessen oder notwendig erachten, Links zu griechischer Musik zu zu legen, werde ich dies nur noch am Ende als „Anlage“ unter der Rubrik PS.: und nach einem entsprechenden Warnhinweis tun.

Heute möchte ich noch kurz das Stichwort „Liedermacher“ aufgreifen, das Wilfried vor ein paar Tagen im Zusammenhang mit einem armenisch-griechischen Lied gebraucht hat. Zu diesem Titel – es war Meno Ektos – hat der Begriff meiner Meinung nach nicht gepasst. Unter Liedermacher-Stil verstehe ich etwas anderes. Aber natürlich gab und gibt es auch in Griechenland Liedermacher. Der bekannteste von ihnen war und ist Dionisis Savvopoulos, der bereits in dem Feuerwerks-Video von der Abschlussfeier der Olympischen Spiele zu sehen war – es war der ältere Herr mit der großen Trommel vor dem Bauch. Unter PS.: habe ich ein paar Stücke von ihm zusammengestellt, die teilweise auch von anderen Interpreten vorgetragen werden. Außerdem würde ich auch noch Miltos Paskalidis zu den griechischen Liedermachern zählen. Auch von ihm kann man dort noch ein Video finden.

Zudem habe ich im Anhang auch noch ein paar Links zu Titeln von und mit Nikos Papasoglou abgelegt. Er hat mit unserem allseits verehrten Mr.Anderson, den ich nun auch einmal wieder kurz erwähnen möchte, eine traurige Gemeinsamkeit: Seine Stimme hat böse gelitten. Als ich ihn zuletzt 1989 live gehört habe, klang er noch wie auf dem Video zusammen mit Savvopoulos. Als ich die neuen Aufnahmen gehört habe, bin ich wirklich erschrocken – er klingt völlig heißer, teilweise bekommt er kaum noch einen Ton heraus. Beim zweiten Video versagt ihm dann die Stimme vollends und das Publikum singt für ihn weiter – da könnte einem fast das Heulen kommen. Aber Ihr kennt das ja…

Dass es Papasoglou nun besonders wild getrieben und seine Stimme mit Gesangsakrobatik ruiniert haben soll, kann ich mir bei ihm nicht recht vorstellen. Wahrscheinlich sind bei manchen Menschen die Stimmbänder der Dauerbelastung durch das tägliche Singen auf Konzert-Tourneen einfach nicht gewachsen. Auch Stimmen altern und verändern sich. Das ist mir in letzter Zeit bei meinen Streifzügen durch YouTube aufgefallen, wo man gut Live-Auftritte desselben Musikers aus verschiedenen Jahren oder Jahrzehnten vergleichen kann (bei den Studio-Aufnahmen kann doch noch viel durch die Technik kaschiert werden).

Creedence Clearwater Revival’s John Fogerty zum Beispiel war seinerzeit nicht zuletzt für seine Reibeisen-Stimme berühmt. Er hatte nicht nur einen Frosch im Hals, das war ein ganzer Froschteich, mit dem er beim Singen gegurgelt hat. Zur Anschauung hier einer meiner Lieblingstitel: I Heard It Through The Grapevine (miserabel synchronisierter Clip von 1970). Eigentlich sollte man annehmen, dass jemand, der so singt, innerhalb kürzester Zeit seine Stimmbänder durchgeraspelt hat. Aber die scheinen bei Mr. Fogerty ganz schön zäh zu sein. Der gleiche Titel live 2006 klingt dann so (bescheidenes Bootleg, aber den Titel gibt’s von 2006 nicht besser).

OK, der Froschteich ist weg, aber die Stimme dröhnt noch ganz schön laut. Da kann Mr. Anderson nicht mithalten. Für weitere Detail-Vergleiche hier noch der Song Rock ’n‘ Roll Girl und die Ballade Deja Vu All over Again (ebenfalls Bootlegs von 2006), bei denen man den Herrn etwas besser aus der Nähe sieht. Was fällt auf: Er trägt noch immer die gleichen Jeans und das gleiche karierte Hemd wie vor 40 Jahren. Mr. Anderson würde in seine Kostüme von damals nicht mehr passen, und sie würden ihm heute auch kaum besser stehen das das, was er aktuell so trägt. Dafür waren sie allerdings auch bedeutend origineller als das Outfit von Mr. Fogerty! Und der nächste auffällige Unterschied: Auch wenn sein Gehopse auf der Bühne ein wenig ungelenk aussieht, sollte man doch nicht vermuten, dass Mr. Fogerty bei diesen Aufnahmen 61 Jahre alt war. Er scheint kaum gealtert zu sein. Weiterentwickelt hat er sich aber auch nicht.

Also wenn wir einen Musiker möchten, der nicht altert, immernoch das gleiche trägt wie 1970 und immernoch die gleiche Musik macht, und dessen Stimme durch nichts kaputtzukriegen ist, dann nehmen wir doch einfach Mr. Fogerty – oder?

Ich denke nach meinem Schreibmarathon über die Feiertage – das Wetter war aber auch so mies, da konnte man ja doch nichts anderes tun – werde ich es die nächste Woche über etwas langsamer angehen lassen. Lasst es Euch gutgehen!

Es grüßt Euch

Kretakatze

PS.: Achtung, die folgenden Musik-Videos könnten bei Personen mit entsprechender Disposition eine ernstzunehmende Ellinikophobie auslösen! Aufruf nur auf eigene Gefahr! Für Fälle von akutem Krankheitsausbruch oder Auftreten von anaphylaktischem Kulturschock Abba-CD bereithalten!

Dionisis Savvopoulos To chimona etouto (In jenem Winter)
Savvopoulos hat in den 70ern die „Neo Kima“, die Griechische „Neue Welle“ begründet – Liedermacher-Stil

Eleni Tsaligopoulou Thalassografia (Nicht wirklich übersetzbar, in einem: Darstellung des Meeres / Vermessung des Meeres / Beschreibung des Meeres) – professionelles Video
Das Lied ist im Original von Savvopoulos – mystisch-sehnsuchtsvoll, Bilder von Felsen und Meeresbrandung
Übersetzung: Trage uns weit, Trage uns zu fernen Orten, Wehe übers weite Meer, Wehe Wind, wehe (wird mehrfach wiederholt)

Sofia Avramidou Seimbekiko (Heißt so, wie der Tanz, den man darauf tanzen kann) – TV-Sendung (griechische Version von „… sucht den Superstar“
Das Lied ist im Original von Savvopoulos – langsam-tragisches Chanson zu Klavier
Der Text handelt von der Vertreibung der kleinasiatischen Griechen aus Smirni (= Ismir) 1922 und dem folgenden Flüchtlingselend – daher auch die Bilder im Hintergrund

Nikos Papasoglou und Dionisis Savvopoulos Acharnis – Paravasi (Acharnis: Ort in der Nähe von Athen – Überschreitung)
Beide Lieder sind von Savvopoulos – zwei Männer mit einer Klampfe unter einem Baum…

Nikos Papasoglou Pote Voudas Pote Koudas (Manchmal Buddha, manchmal Koudas (Personenname, ich weiß nur nicht von wem…)) – TV-Sendung
… manchmal Jesus und Judas… Das Lied handelt vom Spiel des Lebens – Tsifteteli (griechischer Bauchtanz)
Nikos hat erheblche Simmprobleme und ist in den letzten 15 Jahren bemerkenswert erblondet… Trotzdem ein hörenswerter Titel, der gute Laune macht (dem Publikum und mir jedenfalls)

Nikos Papasoglou Kanis edo den tragouda (Niemand hier singt) – TV-Sendung
Hier versagt ihm jetzt völlig die Stimme und das ganze Publikum hilft beim Singen aus… fast schon tragisch

Miltos Paskalidis Ederlezi – Fotia mou (Ederlezi: traditionelles Zigeunerlied aus Jugoslawien – Fotia mou: Mein Feuer – Liebeslied) live Bootleg
Dunkelblonder Grieche mit Brille; raucht, während er nicht singt, und hat noch beim Gitarre spielen die Zigarette in der Hand; intelektueller Rebell, der sein Publikum gern gegen den Strich bürstet – Liedermacher-Rock? Der griechische Herbert Grönemeyer?

28.05.2007

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Hallo Ihr beiden Hübschen,

Ihr müsst schon entschuldigen, wenn ich nicht mehr so ganz mitkomme, aber zz. steht mein Lust-und-Laune-Pegel etwa bei „mies“, was nichts mit Euch zu tun hat, sondern mit meiner Arbeit. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mich in Eure Diskussion um Haar- und Augenfarbe nicht einmischen möchte. Das ist mir inzwischen zu haarig geworden. Nur soviel: Ob nun wahre Helden blond und blauäugig zu sein haben, auch wenn diese eher der Sage als der Realität entsprungen sind, sollte man nicht allein Hollywood überlassen (und dort deutschen Regisseuren, z.B. Wolfgang Petersen). Weshalb blond immer wieder für so viel attraktiver gehalten wird, ist mir eher ein Rätsel. In einigen Fällen muss es mit einem unbegründeten Minderwertigkeitsgefühl zusammenhängen.

Ich wollte jetzt mit einem längeren Beitrag zum Thema Folklore – Volkslieder und Folk kommen. Aber dafür brauche ich dann doch etwas ‚mehr Luft’. Mit Lockwood hatte ich dieses Thema bereits angeschnitten.

So möchte ich doch etwas zum Thema Jethro Tull (speziell Ian Anderson) und deren Outfits anmerken. Damit wir nicht ganz so ohne Anderson bleiben. Im Rock-Lexikon von Siegfried Schmidt-Joos und Barry Graves in einer erweiterten Auflage vom Okt. 1975 steht u.a.:

‚…Im modischen Kleider-Zuschnitt der Charles Dickens-Ära erschienen die Musiker auf der Bühne, als alte Männer ließen sie sich für ein Cover-Foto schminken. Zunächst klang ihre Musik „wie eine elektrisch verstärkte Heilsarmee-Kapelle“ (‚Rolling Stone’). Später vollführten sie in der Maske von Tiefseetauchern, Bären und dem weißen Kaninchen Harvey eine Show, die als typisch englische Mischung von Rock, Music Hall, Burleske und Marty Feldmans Comedy Machine über die Rampe kam.

Anderson zog wieder alle Show-Register, ließ vier Damen unter Lockenperücken geigen, einen weiblichen Dirigenten unter Frackschößen verführerische Dessous offenbaren und verlieh der Komödie mit virtuosem Flötenfeuer den gewohnten Glanz. Er sei, urteilte Ulrich Olshausen, aus Menschenverachtung in die Rolle des Hofnarren geschlüpft: „Wenn er sich mit servilem Kratzfuß für den Applaus bedankt, dann ist er der Wissende, der mit seiner Unterwerfung diejenigen verhöhnt, von denen er abhängt.“’

14x Ian Anderson

Der Bär (John Irving lässt grüßen) und die Dirigentin sind mir dabei unbekannt geblieben. Man beachte: Der Artikel beleuchtet die Anfangsjahre der Band. Ich erinnere mich außerdem in diesem Zusammenhang einmal etwas mit dem Begriff Vauxhall gelesen zu haben (Vauxhall-Look oder so). Vauxhall ist ein Londoner Stadtteil und bekannt für die traditionelle English Music Hall und für viele Cabarets. Heute ist Vauxhall auch bekannt für Schwulenbars und Nachtclubs. Unter dem Vauxhall-Look versteht man wohl eine entsprechend laszive Kleiderordnung. Eine gewisse Schlüpfrigkeit im Auftritt lässt sich bei Ian Anderson nicht leugnen.

Wie bereits angedeutet, herrscht in einigen Stücken von Ian Anderson eine Diskrepanz zwischen Musik und Text (z.B. „Broadford Bazaar“ ist ein schönes Folk-Lied, aber der Text steckt voller Kritik). Hinzu kommt bei Live-Auftritten das schrille Outfit der Gruppe; man stelle sich also den Vortrag von „Broadford Bazaar“ im blau-grellen Tampa-Outfit vor. Absurder geht es eigentlich nicht. Okay, so krass kam uns Herr Anderson wohl noch nie daher. Eher so, dass zwei von den dreien (Musik, Text und Outfit) zusammenpassten. Der Tampa-Anzug fällt mit dem „Too old to rock ‚n’ roll“-Album zusammen und darf als Selbstironie gewertet werden. Und die Klamotten mit Melone nach Gutsherrenart von 1977 im Hippodrome entsprechen den rustikalen Liedern aus dem Wald.

Das Urteil der Menschenverachtung möchte ich nicht teilen. Der Kritiker stammt aus der Jazz-Szene. Und da sieht man alles wohl etwas seriöser und ernster. Ein wenig Hohn gegenüber dem Publikum traue ich Herrn Anderson aber schon zu. Wenigstens früher.

Warum aber nun dieser Zirkus? Hierzu hat Ian Anderson nie wirklich Stellung bezogen. Wenigstens ist mir keine entsprechende Aussage bekannt. Sicherlich spielen mehrere Faktoren hier eine Rolle. Zum einen ist es der Wunsch, sich von anderen (Rockgruppen) zu unterscheiden. Und: Welches Kind verkleidet sich nicht gern. Außerdem soll das Ganze einen Wiedererkennungswert haben. Darin ist Anderson ein Meister. Wer Jethro Tull zumindest vom Namen her kennt, weiß um das Männchen mit Flöte auf einem Bein. Der Drang nach Selbstdarstellung spielt sicherlich eine Rolle. Und wenn man erst einmal durch ausgefallene Bühnenauftritte bekannt geworden ist, dann kann man nicht plötzlich nur noch in Jeans und T-Shirt auftreten. Eigendynamik nennt man das wohl. Aber der Hauptgrund ist wohl der, dass Ian Anderson Brite ist. Die haben die Exzentrik scheinbar im Blut.

Großbritannien ohne Queen, ohne Monty Python und ohne schwarze Taxis und Doppeldeckerbusse (Lockwood, das Thema hatten wir bereits) wäre nicht vorstellbar. Und ich behaupte: ohne Jethro Tull würde der Insel auch etwas Wichtiges fehlen!

Nun denn …
Viele Grüße
Wilfried

29.05.2007

English Translation for Ian Anderson