Gestern mit einem Tag Verspätung den neuesten Tatort mit Ulrich Tukur als LKA-Ermittler Felix Murot gesehen. Was soll ich viel schreiben, wenn es Herr Tittelbach auf den Punkt bringt:
„Gegen die Rache eines Wahnsinnigen und die Methoden bolivianischer Drogenkartelle hat der gute Mensch aus Wiesbaden schlechte Karten. Das Fatale: Murot und jener Mann, der ihn und das BKA demütigen will, waren einst beste Freunde. Leichen pflastern nun den Weg des Heimkehrers: 47 Tote (?) – ein ‚Tatort’-Rekord, brutal aber ist ‚Im Schmerz geboren’ nicht wirklich. Es fließt Theaterblut, es werden Western-Tode gestorben, ein antiker Chorleiter warnt (‚Schickt die Kinder rasch zu Bette’) und das ‚Prinzip Tarantino’ wird telegen erprobt. Der Film von Florian Schwarz nach dem Buch von Michael Proehl ist mehr als ein Zitaten-Schatzkästlein; er bleibt Krimi, er bleibt spannend und ist dramaturgisch sehr komplex.“
Ulrich Tukur als LKA-Mann Felix Murot aus Wiesbaden, das ist ein Ermittler der etwas anderen Art. In Folge 1 „Wie einst Lilly“ kämpft Murot nicht nur gegen das Böse, sondern auch gegen einen haselnussgroßen Tumor in seinem Kopf. In der 2. Folge „Das Dorf“ gerät Murot „in ein Horror-Dorf – und in höchste Lebensgefahr. Dieser ‚Tatort’ ist ein Lust-Objekt für Filmfans. Die latente Angst zaubert eine Spielwiese von kafkaesker Bedrohlichkeit. Dr. Mabuse und Edgar Wallace grüßen schwarzweiß aus der Gruft. Tukur glänzt in Film-Noir- & Musical-Ambiente – und Claudia Michelsen als sadistische Dorfärztin kommt mit der Spritze.“ In Folge 3 „Schwindelfrei“ darf Tukur aka Murot auch das machen, was er ganz gut kann: Der singt und spielt Klavier. Und spielt den Clown in einem heruntergewirtschafteten Zirkus. Natürlich gibt es eine erstochene Frau und ein Tatzeuge verschwindet. Vielleicht die bislang schwächste Folge aus der Murot-Reihe.
In „Im Schmerz geboren“ macht Murot das aber wieder gut. Ob’s nun 47 Tote sind (viele haben mehr gezählt – irgendetwas über 50), sei dahingestellt. Auf jeden Fall übertrifft Murot bei Weitem Herrn Tschiller – und das nicht nur in der Anzahl der Leichen. Dieser Tatort ist ein gelungener Mix aus Theater (Shakespeare lässt grüßen), Bildergalerie, klassischem Konzert (Musik von Bach bis Beethoven), französischem Film (Truffauts „Jules und Jim“ spielt eine nicht unerhebliche Rolle), Italowestern wie Spiel mir das Lied vom Tod und Filme a la Tarantino. Da sich alles aber gekonnt die Waage hält und der Aspekt Spannung nicht zu kurz kommt, so ist ein Kunst-Krimi der besonderen Art entstanden, der weit über übliche Krimikost hinausgeht und selbst manch hervorragenden anderen Tatort übertrifft. Ich liebe es geistreich und spannend. Und das ist dieser Film. Und trotz aller ‚Künstlichkeit’ so stimmt auch die ‚Psychologie’ der Charaktere. Es stellt sich die Frage, ob ein solcher Murot-Tatort noch zu toppen ist.
Übrigens habe ich Ulrich Tukur erst kürzlich in einem Tatort aus Frankfurt (Folge 552) mit den Kommissaren Dellwo und Sänger aus dem Jahr 2003 gesehen: Das Böse. Auch hier beeindruckt Tukur durch sein schauspielerisch gekonntes Auftreten. Er spielt den Herr Petzold, einen gediegenen Banker, der sich zuletzt als gefährlicher Psychopath entpuppt und sogar nicht davor zurückscheut, die Eltern der Oberkommissarin Sänger zu ermorden. Während er als Murot das Gute verkörpert, so zeigt sich Tukur in dieser Tatort-Folge auf beängstigende Weise als das personifizierte Böse.