Misha Amouk: Goodbye, Jehova – Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ

Wem sind die Zeugen Jehovas noch nicht ‚über dem Weg gelaufen‘. Es gibt wohl keinen, bei dem sie noch nicht an der Haustür geklingelt haben. Meist ist man peinlich berührt, weil man einerseits keine Lust hat, mit denen längere Gespräche zu führen, andererseits aber höflich sein möchte, auch wenn man sie abweist. Die Zeitschrift Wachtturm hat jeder schon einmal in Händen gehalten, die wenigstens haben hineingeschaut. Wenn man etwas von den Zeugen Jehovas weiß, dann eigentlich nur, dass sie keine Feier- oder Festtagen wie beispielsweise Weihnachten oder Geburtstagen begehen und dass sie Bluttransfusionen ablehnen. Und da war dann noch etwas vom bevorstehenden Weltuntergang.

Was passiert eigentlich auf der anderen Seite der Tür, wenn du sie den Zeugen Jehovas vor der Nase zuschlägst?

Zeugen Jehovas kennen die meisten von uns nur aus der Fußgängerzone oder als lästigen Besuch an der Tür – häufig etwas bieder, vor allem aber harmlos. Misha Anouk weiß, wie es auf der anderen Seite aussieht. Er wuchs in einer Zeugen-Jehovas-Familie auf und lief im Predigtdienst von Haustür zu Haustür – stets hoffend, keine Mitschüler zu treffen. Mit erfrischendem Humor erzählt er von einer Kindheit ohne Weihnachten, aber mit Geistern, von ersten Zweifeln und Weltuntergängen, die auf sich warten lassen. In seinem mitreißenden Insiderbericht analysiert Misha Anouk die emotionale Verführung der Zeugen Jehovas, beschreibt Organisation und Struktur der Wachtturm-Gesellschaft und erzählt, weshalb er schließlich eine Sünde beging, um die bekannteste Sekte der Welt zu verlassen.
(Umschlagtext)

Während meines Osterurlaubs habe ich das Buch Goodbye, Jehova!: Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ gelesen. Es ist wirklich sehr ausschlussreich und düfte alle die ansprechen, dies sich für die Verführbarkeit der Menschen, insbesondere durch Sekten, speziell durch die Zeugen Jehovas, interessieren. Es geht sehr in die Tiefe und wird ausreichend durch Zitate aus den Publikationen der Wachtturm-Gesellschaft, der organisatorischen Zentraleinrichtung der Zeugen Jehovas, belegt. Bei mir kann noch ein besonderes persönliches Interesse hinzu (s.u.).

    Buch und Autor Misha Anouk: Goodbye, Jehova!

Misha Anouk wurde in die Wahrheit hineingeboren. So bezeichnen Zeugen Jehovas ihren Glauben. Kein Wunder, das er fast 20 Jahre lang überzeugt war, Teil der wahren Religion zu sein. Doch dann kommen erste Zweifel. Er begreift, dass sein Platz woanders ist, jenseits der sich von der Außenwelt abschottenden Glaubensgemeinschaft. „Für mich ist und war die Frage nie, ob Zeugen Jehovas gute oder schlechte Menschen sind. Die Frage war immer nur, ob dieser Glaube für mich gut war.“ Goodbye, Jehova! Ist ein glänzend geschriebener Insiderbericht von einem, der jeden Aspekt der Glaubensgemeinschaft hautnah miterlebt hat. Mit Hilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen und anhand der Wachtturm-Literatur analysiert Misha Anouk unaufgeregt und mit viel Witz das „System Wachtturm“ und beschreibt, mit welchen psychologischen Tricks neue Mitglieder angeworben werden, wie sich die Organisation intern und extern gegen Kritik immunisiert und warum der Weltuntergang noch immer auf sich warten lässt.
(Klappentext)

Misha Anouk, geboren 1981 auf Gibraltar, ist freier Autor und widmet sich als Redner und in der täglichen Arbeit der Aufklärung über Bewusstseinskontrolle, Verschwörungstheorien, politische und gesellschaftliche Entwicklungen, Social-Media-Phänomene sowie der Medienkritik. Mit seiner Familie lebt er in Wien. Misha Anouk bloggt regelmäßig auf www.indub.io, twittert unter @mishaanouk und hat eine Facebook-Seite.

Was passiert eigentlich auf der anderen Seite der Tür, wenn du sie den Zeugen Jehovas vor der Nase zuschlägst?“ Misha Anouk ist jahrelang an jedem Samstag von Tür zu Tür gezogen, um andere Menschen von der „Wahrheit“ zu überzeugen, wie die Zeugen Jehovas den Kern ihres Glaubens nennen. In seinem Buch „Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ“ beschreibt er den Ablauf der Hausbesuche. „Nachdem du die Tür geschlossen hast, wird hinter deiner Hausnummer ein Code notiert: M oder W für dein Geschlecht, NH für ‚Nicht zu Hause‘, KI für ‚Kein Interesse‘.“

So ein „KI“ ist gar nicht so leicht zu bekommen, denn die Zeugen Jehovas nehmen den Predigtdienst, so heißt das Missionieren, sehr ernst. Sie glauben an Harmagedon, den Weltuntergang, an dem Jehova alles Böse vernichten wird und nur die Zeugen und Menschen, die in Jehovas Gunst stehen, überleben und in einer Art Paradies weiterleben werden. Wann genau der Weltuntergang eintritt, ist nicht klar. Die Wachturmgesellschaft, die Leitung der Zeugen Jehovas, hat mit ihren Prognosen schon mehrfach falsch gelegen und hält sich nun mit genauen Aussagen zurück.
Quelle: stern.de

Zunächst: Gleich am Anfang des Buchs bin ich über den Namen Gilead gestolpert, den die theologische Hochschule der Wachtturm-Gesellschaft in Brooklyn, New York (S. 29), trägt. Vielleicht nicht von ungefähr haben in dem Buch Der Report der Magd von Margaret Atwood ‚fanatische religiöse Sektierer im Norden der USA die sogenannte Republik Gilead installiert.‘ Daneben grüßt, wenn man das Buch liest, nicht nur Orwells ‚Big Brother‘ aus 1984, sondern es winkt auch Huxleys ‚Brave New World’. Wären die Zeugen Jehovas nicht so real, man könnte sie für eine Ausgeburt eines Science fiction-Schriftstellers halten.

Nun ich habe das Buch, wie oben erwähnt, auch aus sehr persönlichem Interesse gelesen. Misha Anouks Eltern waren Zeugen Jehovas (der Vater ein ‚Ältester‘) und so wuchs er von Geburt an in einer ‚Versammlung‘ auf. Meine Eltern waren jahrelang ‚Offiziere‘ der Heilsarmee.

So kam es, dass ich als Zeuge Jehovas aufwuchs. Ob ich dabei Mitspracherecht hatte, ist Ansichtssache. Ich war mir in meiner Kindheit keiner Alternative bewusst. Wohin hätte ich denn auch sollen als Kind? (S. 30)

Ich kann die Gefühle, die hinter diesen wenigen Worte stecken, sehr gut nachempfinden. Obwohl die Heilsarmee sicherlich kaum mit den Zeugen Jehovas zu vergleichen ist, die religiöse Ausrichtung ist die einer christlichen Kirche protestantisch-freikirchlicher Prägung (ihre Wurzeln liegen im Methodismus), so bildet sie doch ähnlich einen geschlossenen Kreis. Ist man erst einmal Glied dieser Gemeinschaft (ich wie Misha Anouk durch Geburt), dann ist ein ‚Ausbruch‘, eine ‚Flucht‘ so schnell nicht möglich (zumindest nicht in jungen Jahren).

Als Kind von Heilsarmeeoffizieren wurde ich noch als Baby (ähnlich wie in ‚normalen‘ Kirchengemeinden) in der Heilsarmee getauft, nur heißt es hier ‚dem Herrn geweiht‘. Und meine Konfirmation (‚Einsegnung‘) geschah auch in der Heilsarmee (manchmal frage ich mich, warum ich eigentlich Kirchensteuer bezahle, nur weil meine Eltern trotz der Mitgliedschaft zur Heilsarmee auch weiterhin Mitglied der evangelischen Kirche waren?). Und abends wurde ich als Heilssoldat ‚eingereiht‘.

Hatte ich eine Wahl? Natürlich war es meine Entscheidung, Mitglied der Heilsarmee zu werden. Aber so ‚freiwillig‘, wie man denken könnte, war es sicherlich nicht. Ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen.

Je mehr man von mir beim Predigen erwartete, desto mehr hatte ich wiederholt mit Panikattacken zu kämpfen. Ich rede nicht gern mit fremden Menschen. Schon gar nicht wollte ich an deiner Für klingeln und mit dir über die Gute Botschaft sprechen. Ich habe es gehasst. (S. 137 )

Nun die Heilsarmee geht nicht von Haus zu Haus. Sie tritt höchstens durch ‚Freiversammlungen‘ an die Öffentlichkeit. Wer abends in der Stadt gern einmal ein Bierchen trinken geht, kennt sie vielleicht von ihren ‚Wirtschaftsmissionen‘ her, die dem ‚Predigtdienst‘ der Zeugen Jehovas durchaus ähnlich sind. Allerdings sind hier nur bestimmte Mitglieder der Heilsarmee unterwegs. Hierbei werden Spenden gesammelt und die Zeitschrift namens „Heilsarmee-Magazin“ (bis 31. Dezember 2007 hieß sie martialisch „Der Kriegsruf“) verteilt.

Wesentliches Merkmal der Heilsarmee sind die Uniformen der Mitglieder, Salutisten genannt. Wie schon der Name sagt, so ist die Heilsarmee militärisch organisiert. Der (oder durchaus auch die) Oberste ist der General/die Generälin, der/die Leiter/in der Gemeinschaft weltweit. Dieser (oder eben auch diese) residiert in London, wo sich auch das Internationale Hauptquartier (IHQ) befindet. Leiter der einzelnen Gemeinden (Korps genannt) sind überwiegend hauptamtliche Mitarbeiter (Offiziere, ich denke von Kadetten bis zum Oberst) und entsprechen einem Pastor oder Pfarrer einer Kirchengemeinde. Alle anderen Mitglieder sind Heilssoldaten. So wie man die Zeitschrift ‚Der Kriegsruf‘ inzwischen namentlich neutral als ‚Heilsarmee-Magazin‘ kennt, so spricht man wohl auch eher von Gottesdiensten statt Heils- (am Sonntagmorgen) oder Heiligungsversammlungen (am späten Sonntagnachmittag). Der Heimbund wurde inzwischen ebenso neutral in Frauenkreis oder Frauentreff umbenannt. Die Jugendliga nennt man wohl Kids- und Jugendclub.

Auch junge Heilssoldaten sind angehalten, Uniform zu tragen. Man kann sich vorstellen, wie ich mich mit 14 Jahren in einer solchen gefühlt habe. In dem Alter hat man schon pubertätsbedingt Schwierigkeiten genug mit sich selbst, da muss man sich nicht auch noch
dadurch outen, dass man einer Religionsgemeinschaft angehört, die durch ihr ‚kriegerisches‘ Aussehen in der Öffentlichkeit oft der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Die Wachtturm-Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Dabei: Es passiert nie etwas. Es droht bloß ständig etwas vorzufallen. Man ist gezwungen, immer auf Trab zu sein, die Spannung wird künstlich aufrechterhalten. Ein ständiger Stresstest. (S. 275)

Mein Stresstest war das Zeugnisablegen und die Bußbank. Ein Gottesdienst (zumindest zu meiner Zeit) sah in etwa so aus: Auf ein Lied folgte das Gebet, dann Zeugnisse. Mitglieder der Heilsarmee (aber durchaus auch Besucher) stehen auf und berichten, wie sie zu Jesus gefunden haben bzw. wie ihnen Jesus in der letzten Woche geholfen hat. Das hat einen durchaus spontanen Charakter. Begleitet wird das durch ‚Halleluja‘-Rufe. Ich kann mich zwar nicht mehr genau erinnern, aber ich denke, dass man auch von mir von Zeit zu Zeit erwartete, Zeugnis abzulegen. – Dem folgten erneut Lieder, die Kollekte, eine kurze Predigt und dann der Aufruf, „nach vorn“ zur Bußbank zu kommen (gewissermaßen als Ersatz für das Abendmahl bzw. für die Beichte). Ein Salutist kommt und betet mit dem „Suchenden“. Während des Aufrufs erfolgt das sogenannte „Fischen“ (Salutisten gehen durch die Reihen und sprechen Besucher des Gottesdienstes an, um sie zur Bußbank zu bitten). Nach dem Bußbankgebeten wird als Schluss ein weiteres Lied gesungen (siehe hierzu auch Uwe Heimowski: Die Heilsarmee in books.google.de)

    Bußbank der Heilsarmee

Wie bei den Zeugen Jehovas so gibt es (wie hier zu erkennen ist) auch bei der Heilsarmee viele Termini technici, also ‚Fachausdrücke‘, die markantes Merkmal für eine solch ‚geschlossene Gemeinschaft‘ sind. Diese sind zudem Ausdruck einer speziellen Lehre, die eben nur für die Gemeinschaft von Bedeutung ist. Sie sind vor allem aber auch Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen kirchlichen Gemeinschaften.

Was ich heute jedoch mit Sicherheit sagen kann: Ich habe es aus den falschen Gründen getan. Nicht, um Gott näherzukommen. Nicht aus Überzeugung. Sondern aus einer mir gegenüber an den Tag gelegten Erwartungshaltung, die zentnerschwer auf meinen Schultern lastete. (S. 320)

Theoretisch bin ich heute noch Mitglied der Heilsarmee. Ich weiß gar nicht, ob man von sich aus austreten oder ob man gewissermaßen wie bei den Zeugen Jehovas als Abtrünniger oder Abweichler ausgestoßen werden kann. Ist für mich auch egal. Ich habe nichts gegen die Heilsarmee. Sie tut viel Gutes, besonders im sozialen Bereich.. Aber sie ist nicht ‚mein Ding‘. Ich freue mich z.B. über meinen älteren Sohn, der sich von sich aus in der evangelischen Kirche engagiert. Von daher bin ich auch weiterhin bereit, Kirchensteuer zu zahlen.

Noch einmal kurz zurück zu den Zeugen Jehovas, zu denen sich weltweit sieben bis acht Millionen Menschen bekennen, die ihre spezielle Auslegung der Bibel haben:

Es gibt keine Hölle […]. Einen Himmel zwar auch nicht, zumindest für dich nicht; aber dafür ein Paradies [..…]. Die Toten werden wiederauferstehen, Gott wird alle Krankheiten abschaffen, wir werden ewig leben. (S. 325)

Als ich mit meinen jüngeren Sohn über das Buch sprach und die Vergleiche mit meiner Heilsarmee-‚Vergangenheit‘ zog, meinte er, ich könnte auch ein Buch schreiben. Sicherlich könnte ich, aber anders als bei Misha Anouk ist diese, meine Vergangenheit schon viel zu lange her. Außerdem ist die Heilsarmee mit Sicherheit keine Sekte wie die Zeugen Jehovas. Man muss z.B. nicht Mitglied sein, um sein ‚Heil‘ zu finden. Das hier Geschriebene soll genügen.

Stimmen zum Buch
Seine Geschichte zeigt, wie gut das System der Zeugen Menschen manipulieren kann. (Zeit online)

Misha Anouk hat etwas durchgemacht, an dem andere Menschen zerbrechen würden. (Morgenpost)

Das Buch erlaubt nicht nur tiefe Einblicke in den Alltag eines Zeugen zwischen Königreichssaal und Predigtdienst an fremden Haustüren, es blättert auch das ganze Spannungsfeld zwischen diametral gegenüber stehenden Denkrichtungen auf. (Lübecker Nachrichten)

Ein bemerkenswertes Buch, hervorragend geschrieben und akribisch recherchiert. (Hamburger Abendblatt)

Hervorragend recherchiert, wahnsinnig intim und sehr, sehr gut. (NDR Das!)

The Governing Body of Jehovah‘s Witnesses, 25 Columbia Heights, Brooklyn, New York 11 201 – 2483, USA (S. 304)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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