Leo Rosten: Jiddisch – eine kleine Enzyklopädie

Mit der jiddische Sprache habe ich mich hier in meinem Blog schon öfter befasst. Es ist nach allgemeiner Meinung eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische, mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und weiteren Sprachelementen angereicherte Sprache, die von den aschkenasischen Juden (die Juden in Mittel-, Nord- und Osteuropa und ihre Nachfahren, z.B. die in die USA ausgewandert sind) gesprochen und geschrieben wurde und noch wird. Geschrieben wird diese Sprache mit hebräischen Buchstaben, für die es allerdings unterschiedliche Transliterationen in lateinische Buchstaben gibt.

Von dem älteren meiner beiden Söhne habe ich mir jetzt ein lexikarisches Werk ausgeliehen und gelesen, das von Leo Rosten verfasst, inzwischen ergänzt und kongenial ins Deutsche von Lutz-W. Wolff übersetzt und bearbeitet wurde: Jiddisch: Eine kleine Enzyklopädie.

    Leo Rosten: Jiddisch - eine kleine Enzyklopädie

Was chuzpe, koscher und meschugge heißt, wissen Sie sicher. Einen bagel, gefilte fisch oder lox haben Sie vielleicht auch schon gegessen. Aber wissen Sie, was das alles mit der Tora, dem Talmud und dem jüdischen Glauben zu tun hat? Jiddisch ist diejenige europäische Sprache, die dem Deutschen am nächsten steht. Wenn es heute im amerikanischen Slang hunderte von deutsch/jiddischen Lehnwörtern gibt, dann verdanken wir das nicht zuletzt den jüdischen Auswanderern, die ihre aus dem Mittelhochdeutschen stammende Sprache nach Amerika importiert haben.

Leo Rosten hat Ende der sechziger Jahre ein vergnügliches Hausbuch geschaffen, das jiddische Wörter, jüdische Geschichte, Folklore und Witze mit einer zwanglosen Einführung in die Grundelemente des Judaismus verbindet und uns so mit einer Welt vertraut macht, die uns fast verloren gegangen wäre. Für die vorliegende deutsche Ausgabe wurde das Buch mit vielen Stichworten angereichert, die uns aus der deutschen Alltagssprache vertraut sind.

Leo Rosten wurde 1908 in Lodz geboren. Aufgewachsen ist er in einem Arbeiterviertel Chicagos. Seine ›Hyman Kaplan‹-Romane beruhen auf Personen aus dieser Umgebung. Sein Humor, der mit Scholem Alejchem und Mark Twain verglichen wird, machte ihn bald populär, aber keines seiner Bücher hatte eine so nachhaltige Wirkung wie die ›Joys of Yiddish‹, die nicht weniger als 17 Auflagen und Neuausgaben erlebten. Leo Rosten starb am 19. Februar 1997.
(aus dem Klappentext)

Wer sich fürs Judentum, für die Religion des Judaismus und speziell für die jiddische Sprache interessiert, dem sei das vorliegende Buch wärmstens ans Herz gelegt. Es ist als Lexikon konzipiert. Aber wer einmal einen Blick hingeworfen hat, wird es bald von A bis Z durchlesen wollen, vielleicht nicht in einem Rutsch, eher nach und nach. Es ist nicht nur aufschlussreich, sondern äußerst amüsant verfasst; zu vielen Stichworten gibt es auch typisch jüdische Witze. Ich mag den jüdischen Humor.

Viele der jiddischen Wörter stammen aus dem Deutschen, genauer: aus dem Mittelhochdeutschen. Aber es gibt auch viele hebräische Begriffe, die über das Jiddische in den deutschen Wortschatz eingeflossen sind. Fast jeder benutzt diese Begriffe, ohne deren Herkunft zu kennen: Bammel haben oder Massel haben (bzw. etwas vermasseln), blau machen/sein, Schmiere stehen, Tacheles reden (nein, kommt nicht aus dem Griechischen), einen guten Rutsch wünschen – oder auch Wörter wie Pleitegeier, Reibach, Tinnef, Techtelmechtel oder Zoff.

Viele heutige Redensarten, Grundsätze und Sprichwörter entstammen in dieser oder jener Formulierung dem Talmud [eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, das aufzeigt, wie die Regeln der Tora in der Praxis und im Alltag von den Rabbinern verstanden und ausgelegt wurden – Tora, der erste Teil der Bibel: die fünf Bücher Moses]:

„Urteile im Zweifel für den Angeklagten.“
„Auch der Dumme kann fromm sein.“
„Achte auf den Inhalt, nicht auf die Verpackung.“
„Eine gute Tat führt zur nächsten.“
„Du sollst deinem Kind nicht drohen. Bestrafe es oder vergib ihm.“
„Beginne den Unterricht stets mit einer heiteren Erläuterung.“
„Böse Nachbarn zählen das Einkommen eines Mannes, nicht seine Unkosten.“
[…]
„Wenn man in Rom ist, soll man seinen Bräuchen folgen.“
„Ende gut, alles gut.“ (Das vor allen Dingen!)

(S. 599)

Anhand eines Begriffs (fefillin bzw. tfiln = Gebetsriemen) zeige ich auf, wie sich dieses Lexikon gestaltet. Apropos Gebetsriemen: Viele haben diese zwar auf Bildern schon einmal gesehen, was sie aber bedeuten, wissen die wenigsten. Hier (auch nur in Auszügen) der Text dazu:

tefillin siehe tfiln.

tfiln (f. Pl.)
Aus dem hebräischen tefilín „Phylakterien, Gebietsriemen“. Hebräisch tefilá „Gebet“.

In Amerika: tfiln, tefillin, t‘fillin

Gebietsriemen. Tefillin sind zwei lange, dünne Lederriemen mit denen sich fromme Juden zwei quadratische Lederkapseln (von etwa fünf Zentimeter Länge und Breite) am linken Arm und an der Stirn befestigen, wenn sie beten. Die Kapseln enthalten kleine Pergamentstreifen mit vier Schriftversen aus Exodus (13,1-10; 13,11-16) und dem Deuteronomium (6,4-9; 11,13-21) in hebräischer Sprache. Die Tefillin werden von erwachsenen orthodoxen Juden beim Morgengebet getragen.

Der Gebrauch der Tefillin geht auf Exodus 13,9 zurück, wo es heißt: „Darum soll dir’s ein Zeichen sein in deiner Hand und ein Denkmal vor deinen Augen, auf dass des Herrn Gesetz sei in deinem Munde.“ Widerholt wird dieses Gebot im Deuteronomium 6,8.

Die Art und Weise, wie Tefillin angelegt werden, ist genau vorgeschrieben. Sie werden, zum Zeichen der Ehrfurcht, im Stehen getragen. Die eine Kapsel wird auf der Innenseite des linken Arms unmittelbar über dem Ellenbogen getragen (auf diese Weise ist sie beim Beten in der Nähe des Herzens); der Riemen wird sieben Mal um den linken Unterarm geschlungen. Die andere Kapsel wird auf der Stirn getragen, meist oberhalb des Haaransatzes; der Riemen wird um den Kopf geschlungen und verknotet. Die losen Enden werden über die Schulter gelegt und hängen nach vorn. Schließlich wird das Armband dreimal um den Mittelfinger der linken Hand gewickelt (das steht für den hebräischen Buchstaben schin, mit dem der kabbalistische Gottesname Schaddai beginnt).

Das ganze Ritual hat die psychologische Wirkung, dass es dem Betenden hilft, weltliche Sorgen abzuschütteln und sich auf den Gottesdienst zu konzentrieren. […]

Am Sabbat wurden keine Gebietsriemen getragen. Der Sabbat war ein heiliger Tag und bedurfte zusätzlicher Heiligung durch die Gebetsriemen nicht. […]

All dies deutet daraufhin, dass es sich bei den „Phylakterien“ – das griechische Wort phylakterion bedeutet „Schutz“ oder „Festung“ – ursprünglich um eine Art Amulett handelte. Die Juden glaubten, dass jeder, der die Tefillin trägt, vor Schaden geschützt sei, weil „Gottes Glanz“ auf ihn falle. Deshalb war es auch verboten, die Gebetsriemen mit dem Gebetsschal zu verdecken. Es war sogar üblich, die Tefillin auf der Straße zu tragen, aber da dies die Aufmerksamkeit von Antisemiten erregte und Verfolgungen auslöste, setzt sich diese Sitte nie wirklich durch. […]
(S. 606 f.)

    Tefillin – Gebetsriemen der Juden

„Dieses Wörterbuch ist eine Freude.“ (Viola Roggenkamp in der ‚Zeit‘)

„Leo Rostens Standardwerk erklärt die jiddischen Begriffe äußerst amüsant mit Synonymen, Anekdoten und Witzen Es ist also auch ein Lexikon des jüdischen Lebens, der jüdischen Soziologie und Geschichte wie auch der Religion. Die deutsche Ausgabe wurde nicht nur kongenial übersetzt, sondern auch kommentiert und um viele wichtige Teile ergänzt. Rostens Buch zu lesen ist ein Vergnügen.“ (Arno Lustiger in der ‚Welt‘)

siehe auch: Jiddische Seiten – Yiddishe Saiten

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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