Die Rechtsextremen-Szene hat ihren eigenen Jargon. Dabei werden oft Begriffe übernommen und in ihrem Wortsinne umgekehrt. Das Wort ‚Gutmensch‘ dient so der Verhöhnung von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, und damit als „Kampfbegriff gegen Andersdenkende“.
Jetzt wurde ‚Gutmensch‘ zum Unwort des Jahres 2015 gewählt, nachdem das Wort bereits 2011 auf den zweiten Platz gelandet war. Ich finde das gut so. Wer „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert“, wer diejenigen, „die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen“, zu beleidigen sucht, wird auf diese Weise bloßgestellt. Wer andere mit diesem Unwort bedenkt, offenbart lediglich seine dumme Arroganz, Uneinsichtigkeit, ja sein ganzes asoziales Verhalten.
Leider wird der Ausdruck nicht nur im rechtsextremen Lager benutzt, sondern auch von Journalisten zur Pauschalkritik an einem „Konformismus des Guten“. Vielleicht lässt die Brandmarkung als Unwort des Jahres solche Journalisten ihr Schreiben überdenken.
Natürlich steht die Wahl des Wortes ‚Gutmensch‘ im Zusammenhang mit dem, was immer wieder als Flüchtlingskrise bezeichnet wird. Und geradezu zwangsläufig wären wir damit bei den Ereignissen der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. Dazu ist bis heute sehr viel geschrieben worden. Vor allem viel Unsinn. Keine Angst, ich werde mich hüten, hier meinen Senf dazu beizutragen. Aber so ganz entkommt Ihr mir dann doch nicht.
Zunächst verweise ich auf einen Gastbeitrag der türkischstämmige Autorin Necla Kelek (58) auf rp-online.de: Kaum einer hat sich Gedanken gemacht, wer da ins Land kommt
Frau Kelek ist nicht unumstritten. Zu den vielen hunderttausend jungen männlichen Flüchtlingen schreibt sie: „Ihre Sozialisation ist von Gewalt, der Unterwerfung der Frauen durch die Männer, von Homophobie und Antisemitismus, von Unterwerfung des Einzelnen unter die religiöse Gemeinschaft, von der Familie, dem Clan geprägt.[ …] alle kommen mit der kulturellen Prägung eines islamischen Welt- und Menschenbildes hierher, das sich von dem libertären Freiheitsbegriff unserer Zivilgesellschaft fundamental unterscheidet.“
Damit hat sie meiner Meinung durchaus Recht. Sie schreibt dann aber weiter: „Das Ergebnis ist ein Kulturschock, der sich in Gewalt und Übergriffen entladen hat.“ – siehe Köln. Ich fürchte, dass hier extrem verallgemeinert wird. Ein Problem vieler (fast aller) Wortmeldungen in diesen Tagen. Die jungen Flüchtlinge kommen nach Deutschland durchaus mit der Einsicht, dass hier vieles anders ist und dass sie sich den Gegebenheiten anpassen, dass sie sich integrieren müssen, wenn sie bleiben wollen. Ausnahmen gibt es natürlich immer. Und die haben sich in Köln ‚vorgestellt‘.
Aber genug. Oder doch noch nicht ganz. Ich empfehle einen Beitrag von Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, auf zeit.de: Unser Sexmob. Sein ironischer, gar polemischer Ton mag manchen vielleicht abschrecken; ich finde diesen aber durchaus dem Thema angemessen. Denn so langsam glaube ich, dass wir in einem Irrenhaus leben. Und dem kann man nur noch mit einer Prise Humor begegnen. Herr Fischer geht mit viel gesundem Menschenverstand an die Sache. Und besonders unsere Politiker, allen voran Frau Merkel, bekommen ihr Fett weg. Ich empfehle dabei, die Kolumne bis zum Ende zu lesen. Von meiner Seite ist dem nichts mehr hinzuzufügen. Nun aber wirklich genug!
Noch eines: Leider predigt auch ein Bundesrichter mit seinem Text tauben Ohren. Und die, die etwas missverstehen wollen, werden es auch missverstehen. Wenn es aber gelingt, den oder die eine(n) nachdenklich zu machen, so wäre das schon ein Erfolg.
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
160 Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
165 Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand Schiller
Sie reden von Polizei und Gesetzesänderung, aber dass das Gute das Dunkle nach sich zieht, erst recht die Abhängigkeit von „Gutmenschen“, davon redet keiner. Die enttäuschten Erwartungen, wohin damit?
Schon im Urlaub kann es passieren, dass man angesichts des Andersartigen, der Lockerung von alltäglichen Strukturen, den Boden unter den Füßen verliert.
Das Unterschiedene der Kulturen, Religionen ist auch der Umgang mit Menschenführung. Manche mehr geprägt durch Form, Struktur, Ritual, Ordnung usw. (bewundernswerte Prägungen) Das Ideal, das sicher vorhandene Inbild, verinnerlicht sich dadurch nicht so unbedingt. Man hat ja der Form genügt. Das Gewissen sich selbst gegenüber bildet sich wohl erst im Laufe der Geschichte.
Jetzt versuche ich vorsichtig zu sein. Das archaisch Geprägte – plötzlich in der Neuzeit angekommen, empfindet die offene Selbstbestimmung als aufreizend. Wer gefallen will und das zur Schau trägt (gilt auch für gedankliches Ausufern), muss damit rechnen fehlinterpretiert zu werden.
„Sehr lebendig“ heißt die Überschrift zur Rezension des Buches „Ein sterbender Mann“ – ich enthalte mich der dionysischen Assoziationen. Allein dies zu schreiben ist der Gewinn dieses Augenblicks, meiner Form des Lebendigseins. Nichts für ungut – Monika