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Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Heute Ruhetag (36): Ferdinand Freiligrath – Gedichte

Hermann Ferdinand Freiligrath (1810 bis 1876) war ein deutscher Lyriker, Dichter und Übersetzer. Seine Sammlung politischer Gedichte „Ein Glaubensbekenntniß“ erschien im September 1844 in Mainz und begründete Freiligraths Ruf als politischer Dichter. Freiligrath betätigte sich auch als Übersetzer, u. a. von Werken von Robert Burns, Victor Hugo, Alfred de Musset. Von bleibender Bedeutung ist vor allem sein politischer Einsatz und idealistischer Schwung gegen die als ungerecht empfundenen Zustände seiner Zeit.

Mit Ferdinand Freiligrath verbinden sich für mich besonders seine Übersetzungen der Gedichte von Schottlands Nationaldichter, Robert Burns – und hier speziell die Übersetzung eines Liedes, das mich gewissermaßen mein bisheriges Leben immer wieder verfolgt: Trotz alledem (A Man’s A Man for A’ That). Schon öfter bin ich in meinem Blog hier auf dieses Lied zu sprechen gekommen – und habe auch die eine oder andere (auch eigene) Version vorgestellt:

Robert Burns: A Man’s A Man for A’ That
Robert Burns: A Man’s A Man for A’ That – Teil 2
Fiedel Michel: Trotz alledem
Keltischer Nachschlag: A Man’s A Man for A’ That – Trotz alledem
Schottland 2005: Robert Burns und ‚Die Toten Hosen‘

Heute Ruhetag = Lesetag!

Aber auch die anderen Gedichte von Ferdinand Freiligrath sind lesenswert. Hier aber einmal die ‚volle’ Version:

Trotz alledem! (Aus „Ein Glaubensbekenntnis“, 1844)
Nach Robert Burns

Ob Armut euer Los auch sei,
Hebt hoch die Stirn, trotz alledem!
Geht kühn den feigen Knecht vorbei;
Wagt’s, arm zu sein trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz niederm Plack und alledem,
Der Rang ist das Gepräge nur,
Der Mann das Gold trotz alledem!

Und sitzt ihr auch beim kargen Mahl
In Zwilch und Lein und alledem,
Gönnt Schurken Samt und Goldpokal –
Ein Mann ist Mann trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Prunk und Pracht und alledem!
Der brave Mann, wie dürftig auch,
Ist König doch trotz alledem!

Heißt »gnäd’ger Herr« das Bürschchen dort,
Man sieht’s am Stolz und alledem;
Doch lenkt auch Hunderte sein Wort,
’s ist nur ein Tropf trotz alledem!
Trotz alledem und alledem!
Trotz Band und Stern und alledem!
Der Mann von unabhängigem Sinn
Sieht zu, und lacht zu alledem!

Ein Fürst macht Ritter, wenn er spricht,
Mit Sporn und Schild und alledem:
Den braven Mann kreiert er nicht,
Der steht zu hoch trotz alledem:
Trotz alledem und alledem!
Trotz Würdenschnack und alledem –
Des innern Wertes stolz Gefühl
Läuft doch den Rang ab alledem!

Drum jeder fleh‘, daß es gescheh‘,
Wie es geschieht trotz alledem,
Daß Wert und Kern, so nah wie fern,
Den Sieg erringt trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es kommt dazu trotz alledem,
Daß rings der Mensch die Bruderhand
Dem Menschen reicht trotz alledem!

St. Goar, Dezember 1843

    Signatur: (Hermann) Ferdinand Freiligrath

Ferdinand Freiligrath: Gedichte

Max Frisch: Lebensabendhaus

Nachdem ich in meiner Entgeltgruppe zum 1. Januar d.J. um eine Stufe höher eingruppiert wurde, was mir aber außer ‚viel Ehr’’ dank eines sensationellen „Reform“-Tarifvertrags eine Gehaltserhöhung von 0 € einbrachte, kommt es jetzt noch etwas dicker: Ich arbeite bei einem Wohlfahrtsverband, der sowohl in Hamburg, wo ich arbeite, als auch in München eine ‚Niederlassung’ hat. Zum 1. Januar 2015 sollen beide Standorte in einem zusammengeführt werden. Welche Mitarbeiter – die in Hamburg oder die in München – nun das ‚Glück’ haben, von einer Großstadt in die andere umziehen zu dürfen, ist noch lange nicht geklärt. Wer nicht umziehen will oder kann, soll mit einer Abfindung und Arbeitslosigkeit ‚belohnt’ werden.

Ich habe nichts gegen München. Mir gefällt Bayern durchaus. Nicht umsonst habe ich mit meiner Familie öfter Urlaub in den Bergen, in Grainau gemacht. Aber wenn man sich wie ich (bezogen auf den Termin, den 01.01.2015) unaufhaltsam der Rente nähert, dann muss man einen solchen Schritt, nämlich den Umzug mit Familie, nicht unbedingt wagen wollen.

Sollte der Standort in Hamburg geschlossen werden, so werde ich wohl die Abfindung kassieren und mich bis zum möglichen Renteneintritt arbeitslos melden. Das hieße, dass ich bereits in ein ¾ Jahren den Hut an den Nagel hängen werde. So schnell sollte das eigentlich nicht gehen. Aber wahrscheinlich wird man den ‚Laden’ in München dichtmachen.

Unter diesem Aspekt (frühes In-Rente-Gehen) kommt man natürlich schon auf den Gedanken, was man mit dem ‚Rest’ seines Lebens, dem so genannten Lebensabend, machen könnte. Viele zieht es in den Süden in eine Ferienwohnung am Mittelmeer oder so. Mich könnte eine Insel wie Helgoland interessieren. Oder eben die Berge wie in Grainau. Aber ‚warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah’. Mein Wohnort liegt im Norden der Lüneburger Heide. Und zum Meer ist es ja auch nicht so weit … So sollte unser jetziger Wohnsitz auch unser Altersruhesitz bleiben.

Max Frisch hat in seinen Entwürfen zu einem dritten Tagebuch einen Traum von einem Haus für die letzten Jahre („das weiße ‚Lebensabendhaus’ in der Landschaft von New England.“) skizziert. So heißt es dort:

„Was ich mir also wünsche: – so ein älteres Haus, meinetwegen aus Holz (weiss gestrichen) wie die Häuser in New England, eine ehemalige Villa mit dreizehn Zimmern etwa und einer Veranda.“ (S. 144)

    Lebensabendhaus a la Max Frisch

Dreizehn Zimmer brauchen meine Frau und ich natürlich nicht. Für Gäste (vor allem für unsere Söhne, wenn sie uns besuchen) ließe sich ein Zimmer herrichten. Statt einer (vielleicht überdachten) Veranda haben wir bereits eine Terrasse, die sich aber zum Wintergarten ausbauen ließe. Die Größe des Gartens hält sich in Grenzen, was sinnvoll ist, wenn man in ein bestimmtes Alter kommt, in dem die Gebrechen zunehmen und die Gartenarbeit nicht mehr so ‚von der Hand geht’.

Natürlich sollte man noch etwas weiter denken – wenn man die zunehmenden körperlichen, besonders wohl auch möglichen geistigen Gebrechen berücksichtigt: z.B. die Unterbringung in einer Anlage für betreutes Wohnen. Und dann?

1984 kehrte Frisch nach Zürich zurück, wo er nun bis zu seinem Tode lebte. Also nichts mit einem weißen Lebensabendhaus „wie … in New England.“ Max Frisch starb am 4. April 1991, mitten in den Vorbereitungen zu seinem 80. Geburtstag. Die Asche Max Frischs wurde bei einem Erinnerungsfest seiner Freunde im Tessin in ein Feuer gestreut; eine Tafel an der Friedhofsmauer des Ortes Berzona, einem ruhigen Bergort in der Schweiz, wo er abwechselnd mit New York bis 1984 wohnte, erinnert an ihn.

Das wäre eine Möglichkeit …

Literatur von Max Frisch

Siehe auch meine weiteren Beiträge zu Max Frsich:

Max Frisch: Der Mensch erscheint im Holozän – Eine ErzählungVergessene Stücke (9): Max Frisch – Biografie: Ein SpielMax Frisch: Homo faber – Ein BerichtMax Frisch und the American Way of Life!Max Frisch: Mein Name sei GantenbeinMax Frisch: StillerMax Frisch: Entwürfe zu einem dritten Tagebuch

Lauf in den Tod

Übermorgen am Sonntag startet der 28. Haspa Marathon in Hamburg. Natürlich wirft der Anschlag beim Boston Marathon am vergangenen Montag (15.04.2013) dunkle Schatten auf diesen Marathon-Lauf.

In Boston wurden drei Menschen getötet, zwei junge Frauen und ein achtjähriger Junge, dessen Bild um die Welt ging – als Symbol der Trauer. Außerdem wurden durch die zwei selbstgebauten Bomben über 180 weitere Menschen zum Teil schwer verletzt.


Boylston Street, Boston/Massachusetts/USA (Zieleinlauf)

Die Meldungen kennt man. Jetzt sucht man die Täter, denn das FBI veröffentlichte Fotos und Videobilder, die zwei junge Männer mit Baseballmützen zeigen und Rucksäcken, die die vermeintlichen Bomben enthalten. Wer hinter dieser perfiden Tat steht, ist weiterhin unbekannt.

Martin Richard (8) – Opfer des Anschlags beim Boston Marathon 2013

Der unsinnige Terror hat durch die Bilder des getöteten achtjährigen Jungen Gestalt und Namen und mahnt an die Opfer von Gewalt in dieser Welt. Das Bild hat mich deshalb besonders betroffen gemacht, weil es mich als Vater von zwei Söhnen an Bilder meiner Kinder erinnert, als diese im gleiche Alter waren wie der Junge aus dem Bostoner Vorort Dorchester.

Sicherlich hat diese mörderische Attacke auf unschuldige Menschen Hintergründe, die Täter ihre Motive. Gerade auch diese Hintergründe gilt es aufzudecken, die Ursachen zu beheben. Aber erst einmal ist auch der Opfer zu gedenken, die eben mit den möglichen Ursachen und Gründen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.

– Möge der Marathon-Lauf morgen in Hamburg ohne Zwischenfälle verlaufen. Das Wetter verspricht Sonne bei fürs Laufen angenehmer Temperatur.

The Amazing Spider-Man

Noch ein Spider-Man-Film? The Amazing Spider-Man ist eine US-amerikanische Comicverfilmung des Regisseurs Marc Webb aus dem Jahre 2012 und der (bisher) erste Teil einer Neuauflage der Spider-Man-Reihe – nach der Filmtrilogie von Sam Raimi, die 2007 mit Spider-Man 3 endete. Er erzählt erneut die Geschichte, wie Peter Parker zu Spider-Man wird, enthält aber neue Figuren und Handlungselemente.

Da ich die drei Spider-Man-Filme mit Tobey Maguire als Spider-Man/Peter Parker und Kirsten Dunst als dessen Freundin Mary Jane Watson gesehen habe, so kam ich nicht umhin, während meines Osterurlaubs auch diese Neuauflage mit Andrew Garfield in der Hauptrolle anzuschauen (ich habe ja nun einmal zwei Söhne, die gleichfalls die erste Spider-Man-Trilogie gesehen haben). Die Neuauflage ist als DVD/BluRay The Amazing Spider-Man erhältlich.

    The Amazing Spider-Man (2012)

Peter Parker (Andrew Garfield) wurde noch während seiner Kindheit von seinen Eltern verlassen. Sein Onkel Ben (Martin Sheen) und seine Tante May (Sally Field) nahmen ihn daraufhin bei sich auf. Heute führt er ein Leben als High-School-Außenseiter, versteht sich jedoch gut mit seiner Jugendliebe Gwen Stacy (Emma Stone). Als Peter einen mysteriösen Aktenkoffer findet, der offensichtlich einst seinem Vater gehörte, macht er sich auf, herauszufinden, wie und warum seine Eltern damals verschwanden. Die Spur führt ihn direkt zu Oscorp Industries und Dr. Curt Connors (Rhys Ifans), dem ehemaligen Partner seines Vaters. In der Forschungsanlage nehmen die Dinge, die sowohl Peters als auch Dr. Connors Leben für immer verändern werden, ihren Lauf und Peter muss sein Schicksal akzeptieren, ein Held zu sein…

aus: filmstarts.de


The Amazing Spider-Man (2012)

Ja, noch ein Spider-Man-Film … Sicherlich hängen mir diese Superman/Spider-Man und Batman-Filme so langsam aus dem Hals heraus. Aber ich finde es schon interessant, Neuverfilmungen mit alten Versionen zu vergleichen. Und entgegen erster Vorbehalte bin ich doch überrascht, wie gut diese Neuauflage ist. Meine Söhne finden zwar die Filme mit Tobey Maguire besser, weil dieser wohl nicht nur der bessere Schauspieler ist, sondern diesen Kontrast zwischen Superheld und unbeholfenen Außenseiter glaubwürdiger darstellt. Dafür erscheint mir aber die Neuverfilmung deutlich realer, wenn man einen solchen Film überhaupt als real einschätzen kann. Immerhin habe ich mich nicht gelangweilt, was schon positiv ist. Aber an Comic-Verfilmungen habe ich nun wirklich genug, obwohl z.B. der nächste Wolverine-Film wohl schon im Kasten ist. Ja, Amerika braucht wohl Superhelden. Mir genügen ganz normale Menschen 😉

siehe auch: Watchmen – Die Wächter

Martin Walser: Die Verteidigung der Kindheit

1988 klopften zwei Damen an Martin Walsers Tür. Sie waren mit dem Zug angereist und hatten vier Kartons mit Schriftstücken bei sich. Es handelt sich um den Nachlass einer unlängst verstorbenen Person. Wohin damit? Eine der Damen war übrigens von der Telefonseelsorge. Lauter Briefe und Karten und Fotos und Aufzeichnungen. Vielleicht interessiert sich der Schriftsteller Herr Walser dafür?

Ein Jahr lang wühlte sich Walser in die Zeugnisse dieses vergangenen, fremden Lebens hinein. „Ein Jahr nur rezeptiv, das ist schlimmer als Militär!“ so Martin Walser später. Mit der Zeit eignete sich Walser restlos seine Figur an und verfasste dann ein starkes und gewitztes, heiteres und weises Buch gegen das Vergessen: Die Verteidigung der Kindheit. Das Buch habe ich als Taschenbuch (Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main – st 2252– erste Auflage 1993) vorliegen und in diesen Tagen erneut gelesen.

    Martin Walser: Die Verteidigung der Kindheit

„Die Verteidigung der Kindheit – ‚ein fesselndes Deutschlandbuch’, ‚ein Meisterwerk’, ‚ein Epochenroman’, wie die Kritik feststellte – ist zugleich der Roman einer großen Liebe. Da die Welt auf große Liebe nicht gefasst ist, nicht eingerichtet ist, bringt eine solche Liebe den Liebenden nicht das, was man Glück nennt. Weltgerechtes Verhalten und große Liebe – das geht nicht zusammen. Schon gar nicht, wenn diese Liebe die eines Sohnes zu seiner Mutter ist. Und diese Liebes-Geschichte hört auch nach dem Tod der Mutter nicht auf. Denn jetzt muß Alfred Dorn dafür sorgen, daß die Vergangenheit nicht vergeht. Er muß nun die Kindheit verteidigen gegen Gegenwart und Zukunft. Die Verteidigung der Kindheit ist in diesem Sinne als Geschichtsschreibung des Alltags zu verstehen. Das, was nachher Epoche heißt, ist ja zuerst Alltag. Und weil dieser Roman einer großen Liebe von 1929 bis 1987 in Deutschland spielt und von Dresden über Leipzig nach Berlin und Wiesbaden führt, ist er ein deutsches Epos dieser Zeit.“
(aus dem Klappentext)

Nun, Martin Walser zeigte damals Interesse an dem Nachlass und strickte daraus diesen Roman – so wie er Jahre später die ihm angebotenen Akten eines hessischen Landesbeamten, der jahrelang mit seiner vorgesetzten Behörde, der hessischen Staatskanzlei zu Wiesbaden, stritt, zu dem Roman Finks Krieg verarbeitete. Wie hier so sehen wir uns im letzten Drittel des Romans ‚Verteidigung der Kindheit’ in Wiesbaden wieder, wo Alfred Dorn, der Held des Romans, ebenfalls als Beamter arbeitet.

Wie der Roman ‚Finks Krieg’ so verlangt auch die ‚Verteidigung der Kindheit’ viel Geduld vom Leser, denn mit Alfred Dorn haben wir es wieder mit einer der vielen überempfindlichen Walser-Gestalten zu tun, „denen das Leben ganz und gar nicht leichtfällt, denen so vieles mißlingt und die deswegen komisch sind.“ „Sein Held Alfred Dorn ist eine armselige, rührende Erscheinung, eine unausstehliche Mimose, ein Muttersöhnchen, ein Hysteriker. Und doch nimmt man an seinem Schicksal fast ohne Unterlaß mitleidend teil. So fremd einem dieser Neurotiker sein mag, seine überempfindlichen Beobachtungen bieten doch immer wieder Züge an, in denen sich viele wiedererkennen können.“ (Quelle: Ein deutsches MuttersöhnchenJoseph von Westphalen über Martin Walsers neuen Roman „Die Verteidigung der Kindheit“)

Das vorrangige Interesse Walsers an dem Nachlass dürfte aber auch durch das besondere Verhältnis des Beamten Dorn zu seiner Mutter ausgelöst worden sein. Martin Walser selbst hatte, wie wir in seinem Tagebuch aus dem Jahre 1967 erfahren, ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter und war am Boden zerstört, als diese verstarb. Da war Walser 40 Jahre alt. – Und viele Jahre später beschäftigte sich Walser noch einmal mit einem außergewöhnlichen Sohn-Mutter-Verhältnis in Muttersohn.

Für mich ist es eines der schönsten Romane Martin Walsers, dermaßen detailliert, wie aus dem wahren Leben gegriffen, der uns in eine Zeit führt, die die Älteren unter uns längst vergessen und die die Jungen nicht kennen gelernt haben. So ist es ein Roman gegen das Vergessen, auch wenn es hier ganz speziell auf den Romanhelden gemünzt ist, der in seiner ungewöhnlichen Liebe zu seiner Mutter beginnt, alles zu sammeln, was in seinem Leben von Belang zu sein scheint: „… jetzt kommt es auf jedes Foto an, auf jedes Backrezept, jeden Bettvorleger.“ (S. 263)

Und natürlich sind es Sprüche, Worte, die die Eltern sprachen und die nicht dem Vergessen anheimfallen dürfen: „Laßt den Jungen erst mal groß werden. Vaters Satz. Alfred spürte geradezu, wie Vaters Hand bei diesem Satz auf seinem Kopf hin und her rieb. Da kannste warten, biste schwarz bist. Hatte die Mutter gesagt. Der Vater: Dich laß ich an der ausgestreckten Hand verhungern. Die Mutter: Halt die Luft an. Der Vater: Du kriegst gleich eine gewienert. Die Mutter? Der Vater: Wenn Dummheit weh täte, müsstest du ununterbrochen schreien. Die Mutter? Der Vater: Dumm geboren und nichts dazugelernt. Die Mutter: Halt doch mal deine blöde Pappe. Der Vater: Und wenn ich dir eine vor den Latz knalle. Die Mutter: Das ist gehuppt wie gesprungen. [usw.]“ (S. 437)

Alfred Dorn wünscht sich „soviel Menschen, so viele Museen. Das fände er angemessen. Milliarden Museen. Das wäre seine Welt. Die Frage, wer diese Museen besuche, ist nicht angebracht. Das Bewahren ist ein Bedürfnis. Jeder Mensch will bewahrt werden. Er sagte es ja auch keinem, daß er sich bewahren will. Wahrscheinlich sagt das keiner, deshalb sieht es so aus, als sei jeder mit seiner Vernichtung einverstanden. Jeder Mensch verdient ein Museum.“ (S. 320)

„Gegenwart -, das war für ihn der Zwang, die Vergangenheit zurückzulassen, sich dem Leben zuzuwenden. Leben -, das war eine Zusammenstellung von Aufgaben, die ihm nicht lagen. Zukunft war für ihn nur eine ins Unerträgliche gesteigerte Fortsetzung der Gegenwart: fortgeschrittener Zerfall, den er an Haaren und Zähnen, Haut und Knochen immer schon erlebte und mit immer größerer Aufmerksamkeit und Angst beobachtete. In jedem Augenblick konnte diese Angst vor dem Verfall ausbrechen, der Schrecken, den das Vergehen weckt.“ (S. 198) Nein, Alfred Dorn will und kann nicht erwachsen werden. Die Welt der Erwachsenen bleibt ihm immer fremd. „Besessen trägt Alfred alle Spuren seiner Kindheit, deren er habhaft werden kann, zusammen. Berge von Fotos, Briefe, bis hin zu Kämmen der Mutter“ und eine Fischsturzform. „Auch dies ein rührendes und noch in seinem Wahn ehrenwertes Bemühen in einer Zeit, in der längst die Wegwerfgesellschaft triumphiert.“

Dorns Problem ist die Zeit, in der er lebt. Da gab es noch zwei Deutschland. Und weil er aus dem östlichen ins westliche geflüchtet war, ist es nicht leicht, die Objekte seiner Sammelleidenschaft, die sich noch im Dresden befinden, in den Westen zu bekommen. Und es ist die Zeit selbst, die vergeht und die ihn in Anspruch nimmt für Dinge und „Aufgaben, die ihm nicht lagen.“

„… vor der Pensionierung konnte er nicht beginnen. Aber vorbereitet wollte er sein, wie noch nie jemand vorbereitet gewesen war. Vielleicht war es ein Zeichen der Erschöpfung, daß er jetzt öfter die Hoffnung mobilisierte, die soviel Kraft beanspruchende Vorbereitung sei schon das, was sie vorbereiten sollte: die Verteidigung der Kindheit gegen das Leben.“ (S. 511)

Ja, diesen Walser mag ich, der das Alltägliche unseres Lebens auf eine Weise festzuhalten versteht wie kein anderer und daraus meisterliche Literatur zu gießen versteht. Seine Helden sind meist eigentümliche Versager, die sich kaum gegen die Großsprecher zu wehren verstehen. Aber in aller Tragik besticht Walser durch trockenen Witz, der die dargestellte Pein erträglich macht.

„Es hat lange keinen Roman in deutscher Sprache gegeben, der in diesem Ausmaß Durchblicke auf die historischen und politischen Ereignisse gestattet hat und von Realität durchdrungen ist.“ (Die Zeit)

„Martin Walsers 500seitiges Meisterwerk, das an einem individuellen Lebensschicksal nicht nur Erinnerungsarbeit an das deutsch-deutsche Verhängnis in seinen ‚Kleinkatastrophen’ leistet, sondern sich zu einer ergreifenden Klage über die Unmöglichkeit der Liebe und die Schrecken der Vergänglichkeit überhaupt steigert.“ (Neue Zürcher Zeitung)

Ein Scheibchen vom großen Kuchen

Wenn sie könnten, dann würden sich die Verantwortlichen beim SV Werder Bremen gern ein Scheibchen vom großen Kuchen abschneiden, den die Bayern diese Saison backen. Schon fünf Spieltage vor Ende der Fußball-Bundesliga-Saison eilt der FC Bayern München von einer Rekordmarke zur anderen. Längst schon sind die Münchner deutscher Meister – und haben mit DFB-Pokal (heute Abend im Halbfinale gegen den VfL Wolfsburg) und Champions League noch zwei weitere heißen Eisen im Feuer, wenn es im Halbfinale in der Champions League mit den FC Barcelona auch nichts mit dem gewünschten Gegner, nämlich Borussia Dortmund, wurde. Aber wer am 25. Mai 2013 im Londoner Wembley-Stadion am Ende die Nase vorn haben will, der muss alle anderen Mannschaften schlagen können. Können, das sollten die Bayern.

Mehr können als bisher geleistet, dass gilt für Werder Bremen. Statt Kuchen trocken Brot. Es ist schon komisch, wenn man wie letzten Sonntag die Meldung zum Spiel des FC Augsburg im Radio oder am PC verfolgt, nur um zu horchen, ob die Bayerisch-Schwaben vielleicht den Bremern wieder näher auf den Pelz rücken. Und sie rücken. Der Fastabsteiger rappelt sich noch einmal auf und kommt dem rettenden 15. Tabellenplatz immer näher. Werder steht weiterhin auf Platz 14, also dicht vor dem Abgrund. Nach acht Spielen ohne Sieg (und lediglich vier Pünktchen von 24) geht es am kommenden Wochenende gegen Wolfsburg weiterhin nur noch gegen den Abstieg.

Werder Bremen: ein sinkendes Schiff?

Ich will hier keine Prognosen wagen (im Falle von Werder Bremen wäre das äußerst gewagt), aber noch kann ich mir nicht vorstellen, dass die Bremer in die 2. Liga absteigen (wenigstens nicht diese Jahr). Aber das konnten sich die Hoffenheimer am Anfang der Saison auch nicht. So darf man jetzt schon einen Blick auf die nächste Saison werfen. Und wie schon vor vier Wochen aufgeführt (Alles auf Null?) sieht die Zukunft nicht gerade rosig für die Bremer aus. Diese kann nur darin bestehen, den eigenen Nachwuchs an die 1. Mannschaft heranzuführen. Dass dann wiederum ein weiteres Jahr im unteren Drittel der Tabelle herausspringt, ist jetzt schon klar.

Ich habe noch einmal hier und da geguckt, um die eine oder andere Ursache für das Absacken von Werder herauszufinden. Ich kann mir nicht helfen: Aber es ist zu einem großen Teil die fehlgeschlagene Personalpolitik (ich weiß, ich wiederhole mich). Ein (neues) Beispiel ist Max Kruse, der bei Werder nichts wurde und jetzt beim FC Freiburg zu einem wichtigen Leistungsträger (10 Tore, 7 Vorlagen) geworden ist. Und Freiburg ist nicht irgendwer, sondern mischt weiterhin ganz oben in der Tabelle mit. Heute würde man sich in Bremen die Finger nach ihm lecken …

Nichts gegen Mehmet Ekici. Aber bedenkt man, dass Dortmund 2011 nicht viel mehr Geld an den 1. FC Nürnberg für Ilkay Gündogan überwiesen hat als Werder für Ekici – und man heute sieht, was der eine leistet und der andere nicht, dann kann man schon ins Grübeln kommen. Und da ist noch ein Eljero Elia (ja, schon wieder der), der bis 2016 einen Vertrag mit Werder hat und dessen Leistungen weiterhin eher bescheiden sind.

Auch nichts gegen Klaus Allofs. Aber als ehemaliger Hauptverantwortlicher in Sachen Personalpolitik hatte er in seiner letzten Zeit bei Werder nicht mehr das glückliche Händchen wie früher (z.B. Diego, Özil). Der neue Sportdirektor, Thomas Eichin, wird angesichts leerer Kassen kaum etwas bewegen können. Er wird höchstens verkaufen können: Neben Elia gilt auch Marko Arnautovic (nach anfänglich guten Leistungen glänzt er zz. wieder nur durch Mäßigkeit) als Verkaufskandidat. Im Übrigen will Eichin bei Transfers künftig nicht nur auf das Talent achten: „Bei der Verpflichtung von Spielern lege ich großen Wert auf Charaktereigenschaften wie Teamgeist und bedingungslosen Siegeswillen.“ Dann erspart man sich vielleicht solche Luschen wie die zuvor Genannten.

Nun die Saison geht in die letzten Runden. Werder-Fans werden froh sein, wenn sie endlich den großen Haken hinter dieser Saison setzen können. Bei den Bayern sieht das ganz anders aus (da könnte man wirklich neidisch werden): Die Höhepunkte stehen denen noch bevor, so ein erster nächste Woche am Dienstag im Halbfinalspiel gegen den FC Barcelona.

P.S. Nein, nichts zu den frühen Gegentoren, die Werder immer noch kassiert (Sind die blöd?!) …

Martin Barre & Band auf Deutschland-Tour

Nach den Remixen von Aqualung und Thick as Brick (TAAB) plant Ian Anderson, auch die Scheiben „Benefit“ und „A Passion Play“ von Steven Wilson u.a. 5.1-mäßig aufpolieren zu lassen („Benefit“ ist wohl schon ‚im Kasten’). Außerdem soll im nächsten Jahr nun auch noch ein 3. Teil von TAAB eingespielt werden: die öfter schon angekündigte Heavy Metal-Platte. Und damit alte Jethro Tull-Fan nicht darben müssen, darf man wohl auch noch mit einer DVD/BluRay zur aktuellen Tour (TAAB/TAAB2) rechnen (Quelle u.a. Jethro Tull Board @ www.laufi.de). Damit Ian Andersons Klingelbeutel wohltönend läutet (oder so ähnlich, Ihr wisst schon …). Zudem ist der Flötenschrat ab 30. April auch wieder auf deutschen Bühnen zu hören und sehen.

Warum lässt mich das alles als alten Tull-Fan eigentlich so völlig kalt?

Interessanter ist für mich erst einmal die Tatsache, dass Martin Barre (immerhin 43 Jahre Stage left Gitarrist an der Seite von Ian Anderson) mit Band ebenfalls auf Deutschland-Tour sein wird. Das Ganze beginnt am 20. Oktober in Münster. Da der Name Jethro Tull wohl den Geschichtsbüchern angehört (das Porzellan ist wohl nicht mehr zu kleben – Anderson und Barre gehen getrennte Wege), aber Barre natürlich die lange Zusammenarbeit mit Anderson nicht leugnen kann, so wird man von Barre & Co. natürlich auch viele (alte) Stücke von Jethro Tull zu hören bekommen.

    Martin Barre & Band – Live in Europe Tour 2013

Natürlich ist Martin Barre nicht Jethro Tull (Ian Anderson ohne Barre ist es aber auch nicht mehr), und über seine Mitstreiter ließe sich lange (oder auch nicht – evtl. ist Dave Pegg, gleichfalls Ex-Jethro Tuller, am Bass dabei) diskutieren. Hier vielleicht zum Hineinhören einige Videos bei YouTube mit Martin Barre & Band – und Audio-Ausschnitte von Martin Barres Website.

Da aber Barre & Co. im Oktober (und zwar am Freitag, den 25.10.) gewissermaßen vor meiner Haustüre auftritt und die Eintrittspreise mit 25 € moderat sind, da komme ich dann doch ins Grübeln, ob ich mir (möglichst mit meinen Söhnen) den alten Gitarrenfuzzi reinziehen werde. Ist ja noch etwas Zeit bis dahin.

Nun am 25. Oktober tritt Barre mit Band in der Empore in Buchholz in der Nordheide auf. Da die Empore selbst keine Werbung für das Konzert macht, Karten aber schon (eben für 25 € das Stück) erhältlich sind, gehe ich davon aus, dass die Halle für das Konzert lediglich angemietet wurde. Dann dürfte das Konzert unbestuhlt stattfinden. Rund 800 Leute ließen sich so unterbringen.

    Martin Barre

P.S. Meine Söhnen wollen auf jeden Fall mit ins Konzert: Dann also auf! Immerhin ist Martin Barre einer der weltbesten Rockgitarristen. Es wäre traurig, wenn der ‚Laden’ nicht voll werden sollte.

Siehe auch meine Beiträge: Meine 10 größten Gitarristen der Rockmusik: Martin Barre100 größten Gitarrensolos der Rockmusik – Plätze 21 – 30

Heute Ruhetag (35): Johann Fischart – Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung

Das 20. Jahrhundert war stolz auf seine „innovative“, „avancierte“, „experimentelle“ Moderne. Von Schwitters bis Burroughs und von Joyce bis Arno Schmidt galt die Parole: je extremer, rätselhafter, rücksichtsloser, desto besser. Aber das noch nie Dagewesene hat einen ehrwürdigen Stammbaum. Eigenbrötler, Selbstdenker, bizarre Neuerer hat es in der deutschen Literatur immer gegeben. Einer dieser Alten Wilden war Johann Fischart. Seine Geschichtklitterung ist keine Rabelais-Übersetzung, sondern ein entfesselter Karneval der Wörter. Der Text des Gargantua ertrinkt in einer chaotischen Flut von Sprachspielen und Assoziationen. Fischart selbst nannte sein Werk „ein Muster der heute verwirrten ungestalten Welt“, und Jean Paul sah darin einen „goldhaltigen Strom“. Wir Heutigen können mit glatter Stirn behaupten, daß wir hier ein Finnegans Wake aus dem 16. Jahrhundert vor uns haben. (Quelle: die-andere-bibliothek.de)

Johann Fischarts Geschichtsklitterung findet ihren Niederschlag besonders im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (online aufrufbar). Nirgends wird Fischart mit seinem ‚Karneval der Wörter’ so häufig zitiert wie hier. Man schaue z.B. bei den Stichworten Geschichtsklitterung bzw. Klitterung nach – Schlucker oder gar Kruckenstupfer („der an der krücke geht, eig. mit der krücke wiederholt aufstöszt (stupfen stoszen)“).

siehe auch : Phantasie ohne Grenzen

Heute Ruhetag = Lesetag!

Ein und VorRitt, oder das Parat unnd Bereytschlag, inn die Chronick vom Grandgoschier, Gurgellantual und Pantadurstlingern.

Ihr meine Schlampampische gute Schlucker, kurtzweilige Stall und Tafelbrüder: ihr Schlaftrunckene wolbesoffene Kautzen und Schnautzhän, ihr Landkündige und Landschlindige Wein Verderber unnd Banckbuben: Ihr Schnargarkische Angsterträher, Kutterufstorcken, Birpausen, und meine Zeckvollzepfige Domini Winholdi von Holwin: Ertzvilfraß lappscheisige Scheißhaußfüller unnd Abteckerische Zäpfleinlüller: Freßschnaufige Maulprocker, Collatzbäuch, Gargurgulianer: Grosprockschlindige Zipfler und Schmärrotzer: O ihr Latzdeckige Bäuch, die mit eim Kind essen, das ein Rotzige Nasen hat: ja den Löffel wider holt, den man euch hinder die thür würfft: Ja auch ihr Fußgrammige Kruckenstupfer, Stäbelherrn, Pfatengramische Kapaunen, händgratler, Badenwalfarter: Huderer, Gutschirer, Jarmeßbesucher, ihr Gargantztunige Geiermundler und Gurgelmänner, Butterbrater, safransucher, Meß und Marcktbesucher, Hochzeitschiffer, Auffhaspler, Gutverlämmerer, Vaterverderber, Schleitzer, Schultrabeiser: Und du mein Gartengeselschafft vom Rollwagen, vom Marckschiff, von der Spigeleulen, mit eueren sauberen Erndfreien Herbstsprüchen. Ihr Sontagsjüngherlin mit dem feyertäglichen angesicht, ihr Bursch und Marckstanten, Pflastertretter, Neuzeytungspäher, Zeitungverwetter, Naupentückische Nasen und Affenträher, Rauchverkeuffer, Geuchstecher, Blindmeuß und Hütlinspiler, Lichtscheue Augennebeler: Und ihr feine Verzuckerte Gallen und Pillulen, unnd Honiggebeitzte Spinnen. Sihe da, ihr feine Schnudelbutzen. Ihr Lungkitzlige Backenhalter unnd Wackenader, ihr Entenschnaderige, Langzüngige Krummschnäbel, Schwappelschwäble, die eym eyn Nuß vom Baum schwetzen: ihr Zuckerpapagoi, Hetzenamseler, Hetzenschwetzer, Starnstörer, Scherenschleiffer, Rorfincken, Kunckelstubische Gänsprediger, Schärstubner, Judasjagige Retscher, Waffelarten, Babeler und Babelarten, Fabelarten und Fabeler, von der Babilonischen Bauleut eynigkeyt. Ihr Hildenbrandsstreichige wilde Hummeln, Bäumaußreisser, Trotzteuffelsluckstellige Stichdenteuffel unnd Poppenschiser, die dem Teuffel ein horn außrauffen, unnd pulferhörnlein drauß schrauffen. Unnd endlich du mein Gassentrettendes Bulerbürstlein, das hin und wider umbschilet, und nach dem Holtz stincket, auch sonst nichts bessers thut, dann rote Nasen trincket, und an der Geysen elenbogen hincket. Ja kurtzumb du Gäuchhornigs unnd weichzornigs Haußvergessen Mann unnd Weibsvolck, sampt allem anderen dürstigen Gesindlein, denen der roh gefressen Narr noch auffstoset.

    Johann Fischart - Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung

Ihr all, sag ich noch einmal, verstaht mich wol, solt sampt und sonders hie sein meine liebe Schulerkindlein, euch wil ich zuschreiben diß mein fündlein, pfündlein und Pfründlein, euer sey diß Büchlin gar mit haut und haar, weil ich doch euer bin so par, Euch ist der Schilt außgehenckt, kehrt hie ein, hie würd gut Wein geschenckt: was lasset ihr lang den Hipenbuben vergebens schreien? Ich kan euch das Hirn erstäubern, Geraten ihr mir zu Zuhörern, so wird gewiß dort die Weißheit auff der Wegscheid umbsonst rufen.

[…]

Johann Fischart: Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung (Text der Ausgabe letzter Hand von 1590)

Hierzu Des Autors Prolog aus François Rabelais: Gargantua und Pantagruel (1532) in einer Übersetzung von Gottlob Regis (1832), der dem obigen Fischart-Text „Ein und VorRitt …“ ‚sehr entfernt’ entspricht.

Sehr treffliche Zecher und ihr, meine kostbaren Venusbrüder (denn euch und sonst niemandem sind meine Bücher zugeschrieben): Alcibiades, in dem Gespräch des Platon, Gastmahl betitelt, sagt unter anderen Reden zum Lob seines Meisters Sokrates, welcher unstreitig der Weltweisen Kaiser und König war, daß er sei gleich den Silenen gewesen. Silenen waren einstens kleine Büchslein, wie wir sie heut in den Läden der Apotheker sehen, von außen bemalt mit allerlei lustigen, schnakischen Bildern, als sind Harpyien, Satyrn, gezäumte Gänslein, gehörnte Hasen, gesattelte Enten, fliegende Böcke, Hirsche, die an der Deichsel ziehen, und andre vergnügliche Bilder mehr, zur Kurzweil konterfeiet, um einen Menschen lachen zu machen: wie denn des guten Bacchus Lehrmeister Silenus auch beschaffen war. Hingegen im Innersten derselben verwahrte man die feinen Spezereien, als Balsam, Bisam, grauen Ambra, Zibeth, Amomum, Edelstein und andre auserlesene Dinge. So, sagt er, war auch Sokrates; weil ihr denselben von außen betrachtend und äußerm Ansehn nach schätzend nicht einen Zwiebelschnitz für ihn gegeben hättet: so häßlich war er von Leibesgestalt, so linkisch in seinem Betragen, mit einer Spitznas, mit Augen wie eines Stieres Augen, mit einem Narrenantlitz, einfältigen Sitten, bäurisch in Kleidung, arm an Vermögen, bei Weibern übel angesehen, untauglich zu allen Ämtern im Staat, immer lachend, immer jedem zutrinkend, immer Leute foppend, immer und immer Verstecken spielend mit seiner göttlichen Wissenschaft. Aber, so ihr die Büchse nun eröffnet, würdet ihr inwendig gefunden haben himmlisch unschätzbare Spezereien: einen mehr denn menschlichen Verstand, wunderwürdige Tugend, unüberwindlichen Starkmut, Nüchternheit sondergleichen, feste Genügung, vollkommenen Trost, unglaubliche Verachtung alles dessen, darum die sterblichen Menschen so viel rennen, wachen, schnaufen, schiffen und raufen.

007 James Bond: Skyfall

Ein dritter Versuch – und ein drittes Mal kann ich nur sagen: nein, das ist nicht ‚mein’ Bond. Ich kann und werde mich wohl nie mit Daniel Craig als James Bond anfreunden. „Allein sein Äußeres sagt mir nicht zu, den gedrungenen Körper und dieses dazu unpassende Gesicht“ – wie ich schon einmal schrieb. Meine beiden Söhne, die den Film übrigens schon im Kino gesehen haben, pflichten mir bei.

„Burnout, Kindheitstrauma, Mutterkomplex – und womöglich sogar schwul?“ (Quelle: spiegel.de) Man beugt sich dem Zeitgeist. Aber auch das hilft wenig. Skyfall heißt also der neueste Bond.

    James Bond 007 - Skyfall

„James Bonds (Daniel Craig) Loyalität zu seiner Vorgesetzten M (Judi Dench) wird auf die Probe gestellt, als die resolute Chefin des MI6 von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird. M hat Daten verloren, die alle Agenten enttarnen können, die in terroristische Zellen eingeschleust wurden. Dadurch gerät der britische Geheimdienst ins Fadenkreuz eines Verbrechers, durch dessen Skrupellosigkeit viele Menschen ihr Leben lassen müssen. Nun liegt es an 007 die unheimliche Bedrohung aufzuspüren und aufzuhalten, die den gesamten Geheimdienst an den Rand des Zerfalls treibt. Und wie Bond schnell merkt, ist sein Gegenspieler kein Unbekannter, der darüber hinaus bestens mit der Vorgehensweise des MI6 vertraut ist – aus eigener Erfahrung. Der Agent im Dienste Ihrer Majestät setzt nun alles daran, dem Verbrecher das Handwerk zu legen. Es ist egal, zu welchem Preis – so lautet die Anweisung.“

aus: filmstarts.de


James Bond 007: Skyfall

Und noch einmal wiederhole ich mich, denn was ich zum 2. Teil (Ein Quantum Trost) schrieb, gilt für mich auch für diesen 3. Bond-Film mit Daniel Craig: „Allein dieses ‚very british’ vermissen meine Söhne und ich an dem neuen Bond. Ihm fehlt jegliche Selbstironie, die Briten auszeichnet. Sein Charme ist der eine Hyäne. Das Wenige an Witz, das er hervorbringt, ist lahm. Und seine Sprüche reißen keinem vom Hocker. Ausgeglichen wird das durch eine Orgie an Action und Gewalt. Aber was zu viel ist, das ist einfach zu viel. Selten habe ich mich vor dem Bildschirm so sehr danach gesehnt, dass diese endlosen Verfolgungsjagden und Schießereien endlich ein Ende finden.“

Übrigens: Nachdem die ersten beide Teil mit Daniel Craig in der Hauptrolle ohne Miss Moneypenny auskamen, lernen wir sie in diesem Teil am Schluss des Films kennen – und zudem ihren Vornamen: Eve.

siehe auch: Gerührt oder geschüttet? Der neue Bond ist da

Tatort Saarbrücken: Eine Handvoll Paradies

Nachtrag zu meinem Beitrag: Münsteraner Mörderland – Vorgestern Abend habe ich mir die zweite Tatort-Folge aus Saarbrücken: Eine Handvoll Paradies (Erstsendung: 07.04.2013) angeschaut.

Tatort Saabrücken: Eine Handvoll Paradies (Erstsendung: 07.04.2013)

Okay, der Hauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) bedient sich schon ziemlich unorthodoxen Methoden, sein rosafarbener Roller, überhaupt sein Outfit spottet jeder Beschreibung – und seine Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) ist eine eher schlechte Lara Croft-Kopie. Die Rocker sind eine Karikatur ihrer selbst. Trotzdem finde ich diese neuen Saarbrücken-Tatorte einfach köstlich, also auch diese Folge. Stellbrink ist einfach schräg.

Irgendwie werde ich dabei an die Coen-Brüder erinnert (z.B. an Filme wie Fargo oder The Big Lebowski, hier u.a. auch die Traumsequenz). Und die Rocker kann man in etwas anderer ‚Aufmachung’ in Martin Walsers Roman Muttersohn (der ja auch sehr schräg ist) wiederfinden.

Natürlich hapert es manchmal an der Logik (z.B. wenn am Ende die Polizei genau dort aufkreuzt, wo sie gebraucht wird, weil der Tank des Rollers von Hauptkommissar Stellbrink ein Leck hatte und sie der Benzinspur folgte), aber was soll’s. Wie in der erste Folge ging es auch hier um Drogen. Da könnte man natürlich fragen, welche davon der Drehbuchautor genommen hat.

Insgesamt hoffe ich nicht, dass das Gequake zu groß ist und der Tatort deshalb abgesetzt wird. Die Reihe wird auch einen Hauptkommissar Stellbrink verkraften – wie sie sicherlich auch einen Nick Tschiller alias Til Schweiger verdauen kann.

… bald kommt Haarmann auch zu dir …

    Warte, warte nur ein Weilchen,
    bald kommt Haarmann auch zu dir,
    mit dem kleinen Hackebeilchen,
    macht er Hackefleisch aus dir.

Manche mögen es morbid finden, wie ich mich immer wieder mit der Bestie Mensch und seiner Destruktivität beschäftige und besonders vor Massenmördern nicht Halt mache. Fritz Haarmann (1879-1925), von dem der Liedertext nach der Melodie des Operettenliedes „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt auch das Glück zu dir“ handelt, ermordete zwischen 1918 und 1924 mindestens 24 männliche Jugendliche in Hannover und wurde am 15.4.1925 durch das Fallbeil hingerichtet. Zu Forschungszwecken wurde der Schädel aufgehoben. Noch heute befindet sich der in einer konservierenden Flüssigkeit eingelegte Kopf in Göttingen.

    Fritz Haarmanns Kopf

Haarmann war ein homosexueller Kleinkrimineller und aufgrund seiner Kenntnisse des kriminellen Milieus von der Polizei als Spitzel engagiert. In der Nachkriegszeit mit ihrem knappen Warenangebot lebte Haarmann vom Handel mit Altkleidern und Fleischkonserven. Manche der Altkleider stammten von seinen Opfern. Haarmann hat, so das Ergebnis des international beachteten Prozesses im Dezember 1924, die jungen Männer, meist Stricher oder Ausreißer, am Bahnhof aufgelesen und sie in seiner Wohnung in der Roten Reihe getötet, indem er sie im Liebesakt in den Hals biss. Seine Opfer wurden zerstückelt, die Gebeine in die Leine geworfen. Ob er auch Menschenfleisch verkaufte, wurde nie geklärt. Neben Peter Kürten, dem Vampir von Düsseldorf, war Haarmann einer der schlimmsten Serienmörder zu Zeiten der Weimarer Republik.

Fritz Haarmann – Serienmörder in Hannover zwischen 1918 und 1924

Der Fall Haarmann fand nicht nur in dem makabren Lied seinen Niederschlag, sondern wurde mehrmals filmisch bearbeitet, so bereits 1931 in einem Film von Fritz Lang: M – Eine Stadt sucht einen Mörder (im Wesentlichen liegt dem Film aber der Fall des Peter Kürten zu Grunde), dann in den Filmen Die Zärtlichkeit der Wölfe (Regie: Uli Lommel, D 1973, Produktion: Rainer Werner Fassbinder) und Der Totmacher (Regie:Romuald Karmarkar, D 1995) mit Götz George als Haarmann.

Aber bereits zu Lebzeiten Haarmanns wurde 1924 unter dem Titel „Der Kriminalfall in Hannover“ ein etwa 20minütigen Stummfilm gedreht, von dem allerdings nur fünf Minuten erhalten sind. Sie zeigen Aufnahmen aus der Innenstadt und Altstadt Hannovers, Orte an denen Haarmann wohnte bzw. sich aufhielt. Die Fragmente des Films zeigen wahrscheinlich die ältesten erhaltenen Bewegtbilder aus Hannover: Der Kriminalfall in Hannover

Bewertenswert ist, welche makabre ‚Faszination’ der Fall Haarmann bis heute noch ausübt. Haarmann selbst war sich bereits seiner Vermarktbarkeit bewusst: „Wenn ich so gestorben wäre, dann wäre ich beerdigt worden und keiner hätte mich gekannt, so aber – Amerika, China, Japan und die Türkei, alles kennt mich.” (aus: Auf „gute Nachbarschaft“ – von Thomas Christes)

So gibt es eine Menge an Materialien, z.B. Bücher, ja sogar einen Comic zu Haarmann und zum Film Der Totmacher im Handel. Serienkiller, Massenmörder, die die Phantasie anregen? Es ist schon erstaunlich, wie viel Material allein das Internet hergibt.

Siehe auch: „Der Ordnung verpflichtet …“. Auf den Spuren der hannoverschen Polizei – zum Fall Haarmann


Die Grausamsten Serienkiller – (Dokumentation Geschichte, History)