Archiv für den Monat: März 2012

Heute Ruhetag (10): August Strindberg – Ostern

Heute Ruhetag!

Elis kommt herein in aufgeknöpftem Winterüberzieher, er trägt ein großes Bündel Akten, die er auf den Schreibtisch legt. Dann zieht er den Überzieher aus und hängt ihn links auf. Guten Tag, mein Schatz.

Kristina. Guten Tag, Elis!

Elis sieht sich um. Die Doppelfenster herausgenommen, der Fußboden gescheuert, reine Gardinen … ja, es ist wieder Frühling geworden … Und sie haben die Eisbahn aufgebrochen, und die Palmenweide blüht unten am Fluß … ja, es ist Frühling … Und ich will den Winterüberzieher … weißt du, er ist so schwer – wägt den Rock in der Hand – als ob er alle Mühen des Winters, allen Schweiß der Angst und allen Staub der Schule eingesogen hätte … Ah!

Kristina. Und jetzt hast du Ferien!

Elis. Osterferien! Fünf schöne Tage, um zu genießen, zu atmen, zu vergessen. Reicht Kristina die Hand und setzt sich dann in den Lehnstuhl. Nein, sieh, die Sonne ist wiedergekommen … im November ging sie davon, ich entsinne mich noch des Tages, als sie hinter der Brauerei schräg über der Straße verschwand … Ach, dieser Winter! Dieser lange Winter!

[…]

August Strindberg: Ostern – ein Passionsspiel in drei Akten (Erster Aufzug: Gründonnerstag)

Jethro Tull 25th Songbook und die neue Scheibe

Heute ist es nun soweit: Jethro Tull’s Ian Anderson und seine neue Band bringen 40 Jahre nach Thick as a Brick den zweiten Teil: Thick as a Brick 2, auch kurz TAAB2 genannt, auf den Markt. Meine Special Edition mit CD und DVD ist bereits seit gestern in der Post und dürfte heute rechtzeitig bei mir eintreffen (siehe auch zuletzt meinen Beitrag: Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?)

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?

Die Euphorie im Netz ist ziemlich groß. Anderson hat auf der Jethro Tull- bzw. Ian Anderson-Website viele Musik-Ausschnitte bereitgestellt. Aber so ganz konnte mich das bisher nicht überzeugen. Und das liegt nicht nur an Andersons Stimme, die seit Jahren nicht mehr die beste ist. Immerhin hat man viel technischen Aufwand getrieben, um die Stimme einigermaßen ‚hinzubiegen’. Aber warten wir es ab. Ich lasse mich gern positiv überraschen.

So oder so habe ich bereits meine positive Überraschung. Es handelt sich um das Jethro Tull 25th Songbook, das der Palmyra Verlag seit vielen Jahren immer wieder neu auflegen will und das bis heute nicht geschafft hat. Endlich habe ich ein Exemplar aller Liedertexte bis 1995 (Roots to Branches) von Jethro Tull – mit den deutschen Übersetzungen von Karl Schramm. Ich hatte mich vor Jahren daran versucht, z.B. Thick as a Brick zu übersetzen, bin dann aber an vielen der Wortspiele von Ian Anderson mehr oder weniger gescheitert. Damals gab es eben kein Internet, mit dessen Hilfe ich vielleicht weitergekommen wäre (endgültig aufgegeben hatte ich es mit der Zeile: „Where the hell was Biggles when you needed him last Saturday?“ Ich fragte mich nicht, wo zum Teufel Biggles war, sonder WER Biggles war? Inzwischen weiß ich das natürlich. Er ist wie Superman ein Comic-Held: James Bigglesworth, ein Flieger aus dem ersten Weltkrieg! In den Niederlanden gibt es eine entsprechende Website zu Biggles, also: Wo zum Teufel war Biggles …? – siehe u.a. meinen Beitrag Was ist bloß mit Ian los? Teil 38: Friede auf Erden). Jetzt kann ich mein Schulenglisch also etwas auffrischen und mit Andersons eigenen Wortklaubereien erweitern, denn durch Zufall bin ich, lieber Lockwood, an ein Exemplar aus der 3. Auflage von 1997 herangekommen.

Aber dem nicht genug: Am Montag erscheint ja das Buch Jethro Tull Over Germany von Wolfgang Thomas und Sohn Kevin (siehe auch jethrotullovergermany.de).

Two and a half men

Ja es ähnelt der US-amerikanische Sitcom mit diesem Namen, das was die FDP zz. präsentiert: die Boygroup Westerwelle, Rösler und Döring (wer da den halben Hahn darstellt, bleibt dem Leser überlassen). Und man kann schon Angst um die Jungs bekommen. Nach der Wahl im Saarland, bei der die FDP nur unter ‚ferner Liefen’ ins Ziel stolperte, mag man gar nicht erst an die nächsten Wahlen im Mai denken (Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) – und noch weniger an die Bundestagswahl SPÄTESTENS im Herbst 2013 denken.

Die FDP hat allem Anschein nach ausgedient. Als Ersatz haben wir nun die Piraten gewissermaßen als FDP 2.0. Da stellt sich natürlich die Frage, was werden unsere FDP-Jungs SPÄTESTENS ab Herbst 2013 beruflich tun?

Westerwelle ist promovierter Jurist und seit 1991 als Rechtsanwalt zugelassen. Er arbeitete bis zu seiner Wahl zum Generalsekretär der FDP 1994 in der Bonner Anwaltskanzlei seines Vaters Heinz Westerwelle. Das war nicht allzu lang und ist schon ziemlich lang her (Quelle: de.wikipedia.de).

Rösler ist promovierte Arzt ohne abgeschlossene Facharztausbildung und war zuletzt bis 2003 Stabsarzt bei der Bundeswehr. Auch das ist lange her und mit der Berufserfahrung hapert es einwenig (Quelle: de.wikipedia.de).

Und Döring ist Diplom-Ökonom und hat seit 1999 einige berufliche Erfahrung in mittelständischen Versicherungsunternehmen in Hannover sammeln können. Auch nicht so toll (Quelle: de.wikipedia.de).

Ja, was werden die Herren in Zukunft beruflich machen, wenn sie in Berlin ausgedient haben? Wer mag denen einen Job geben, muss zu befürchten sein, dass sie die Firma auch schnellstmöglich an die Wand fahren? Die Partei wechseln? Wer nimmt die schon?
Hartz IV? Oder auf Vorruhestand mit ’ner Art ‚Ehrensold’?

Ziemlich uncool, Sven Regener

Also Ihren Lehmann finde ich ja ganz cool, Herr Regener. Vielleicht weil er einiges auch mit mir zu tun hat: Sielwall in Bremen, überhaupt Ostertor – dann die Bundeswehr, mir ging es ähnlich wie Herrn Lehmann – und Berlin, bin dort zwar geboren, habe später aber woanders gelebt, bin aber oft genug nach Berlin gefahren. Mit Ihrer Musik (Element of Crime) habe ich weniger am Hut. Und jetzt das: Ihre Wutrede bei Bayern 2 im Rundfunk, Ihre Stellungnahme zu Urheberrecht und Internet.

Es ist nicht so, dass ich Sie nicht verstehe. Natürlich ist YouTube ein Milliardenunternehmen und bereichert sich ohne eigenes künstlerische Zutun mit den Werken anderer. Aber Millionen Menschen gucken tagtäglich die Videos dort und erfreuen sich daran. Und es soll viele Künstler geben, die sogar freiwillig ihre Videos dort einstellen, um bekannt zu werden.

    Urheberrecht auf die eigene Scheiße

Ihr Loblied auf die GEMA kann ich aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehen. Mich würde, so nebenbei gefragt, interessieren, wie die GEMA-Einnahmen an ihre Mitglieder ausgeschüttet werden, es soll nach einem komplexen Verteilerschlüssel geschehen. Sie, Herr Regener, werden dabei sicherlich nicht allzu schlecht abschneiden. Aber wie YouTube Positives wie Negatives einschließt, so ist auch bei der GEMA nicht alles bestens. So finde ich die Pauschalabgaben für Geräte und Medien, die das Kopieren von Musik ermöglichen, nicht okay. Warum wird damit jedem Käufer unterstellt, dass er auch urheberrechtlich geschützte Musik kopiert? Und warum kassiert die GEMA auch, wenn z.B. die evangelische Kirche bei uns im Ort so genannte Bandabende veranstaltet. Und zwar nicht gerade wenig (etwa 200 €). Kassiert wird auch dann, wenn die Bands, die übrigens kostenlos auftreten, keine Titel covern, sondern nur Eigenkompositionen vortragen. Ich nenne so etwas hanebüchen. Und wenn ein Stand auf dem Weihnachtsmarkt Weihnachtsmusik abspielt, dann kassiert die GEMA, damit auch Sie sich, Herr Regener, eine fette Weihnachtsgans leisten können. Und mit Kindergärten und Schulen war da auch noch etwas. Man kann es auf die Spitze treiben.

Natürlich sollten sich YouTube und GEMA endlich einig werden, damit nicht jedes 2. Video in Deutschland als nicht verfügbar ausgewiesen wird, „da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden.“ Die Musiker, die die GEMA vertritt, hätten dann auch etwas vom großen Kuchen (siehe hierzu den interessanten Artikel bei spreeblick.com).

Der Unterschied zwischen Urheber- und Nutzungsrechten ist Ihnen sicherlich bekannt, Herr Regener. In unserem Bekanntenkreis gibt es einen, der vor vielen Jahr einmal ein Buch geschrieben hat, das dann auch ein Verlag herausbrachte. Jetzt hätte er es gern, dass eine Neuauflage erscheint. Der Verlag, der die entsprechenden Nutzungsrechte hält, ist aber nicht interessiert. Natürlich könnte er das Buch selbst herausbringen. Dann müsste er aber für die Nutzungsrechte des Verlags zahlen. Sein Urheberrecht, das bekanntlich nur vererbt, aber nicht veräußert werden kann, kann er sich in die Haare schmieren.

Und so wie dieses Buch also nie mehr erscheinen wird, gibt es mindestens ein Dutzend Filme, die ich gern sehen möchte, für die ich auch angemessen zahlen würde, wenn sie auf dem Markt erhältlich wären, was sie aber nicht sind (z.B. Literaturverfilmungen wie Martin Walser: Der Sturz oder Halldór Laxness: Am Gletscher; dagegen ist z.B. die für mich interessante Verfilmung von Einar Kárason: Die Teufelsinsel nur ‚illegal’ im Internet zu beziehen). Wenn Film-, Musik- oder auch Verlagsindustrie keine Kohle verdienen können, dann verschwinden Werke einfach vom Markt.

Und was halten Sie vom Wahn der Abmahnindustrie? Es kann doch auch in Ihrem Interesse nicht liegen, dass ganze Bevölkerungsteile kriminalisiert werden, Rechtsanwälte sich dabei eine goldene Nase verdienen – und am Schluss der Autor und Urheber trotzdem nichts davon hat.

Die Welt verändert sich nun einmal. Sie werden mir doch sicherlich nicht erzählen wollen, dass Sie in jungen Jahren nicht auch die eine oder andere Kopie gezogen haben? ‚Damals’ war das eben aufwändiger und mit Qualitätsverlust behaftet, z.B. eine LP auf Musikkassette zu ziehen. Heute ist das ganz einfach und es kann jeder Trottel. Nein, Ihr ‚Geschäftsmodell’ zieht nicht mehr, weil die Technik voranschreitet. Und so müssen auch Musiker wie Sie zwangsläufig umdenken.

Ich will und kann Ihnen hier kein neues ‚Geschäftsmodell’ generieren, da müssen Sie sich schon selbst den Kopf zerbrechen. Aber viele Musiker vermarkten sich im Netz inzwischen selbst, weil sie es vor allem auch satt haben, in die Taschen der Musikindustrie zu arbeiten. Wie viel bekommen sie von einer verkauften CD und wie viel verdient z.B. ein Plattenlabel wie Sony? Sicherlich ist es richtig, dass viele kleine Indie-Labels heute keine Überlebenschance mehr haben. Aber das liegt nicht nur daran, dass Musik ‚unentgeltlich’ im Netz zu haben ist.

Ihre Wutrede war sicherlich spontan und emotional getragen. Aber die war leider auch ziemlich einseitig und ohne Blick zur Seite und nach vorn. Was wollen Sie gegen YouTube & Co. und den Raubkopierern tun? Alle verbieten oder einsperren? Sicherlich nicht! Sie als Musiker (und als Buchautor) sollten sich an der öffentlichen Diskussion beteiligen. Eine fäkalträchtige Standpauke genügt da nicht. Das eigentliche Problem ist dabei nach meiner Meinung weniger das Urheber- als vielmehr das Nutzungsrecht. Trotzdem muss beides überdacht (von Denken) und auf neue Füße gestellt werden. Ich könnte Ihnen, lieber Herr Regener, noch vieles andere unter die Nase reiben. Das soll aber für heute genügen. Blieben Sie cool, Herr Regener!

Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze

Wer sich für Prag interessiert und Kafka liest, kommt an Jaroslav Hašek (1883 – 1923) und seinem braven Soldaten Schwejk nicht vorbei. Ich habe mir für meinen bevorstehenden Urlaub Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk (auch als Kindle Edition) als Lektüre herausgesucht und bereits den ersten von vier Teilen gelesen. Der Schwejk ist immer wieder köstlich.

Wie sein weltberühmter Held so war auch Jaroslav Hašek ein Prager Original. Er durchwanderte von 1903 bis 1907 ganz Mitteleuropa. Wie Schwejk handelte er eine Zeitlang mit Hunden und war Soldat in der k.u.k. Armee. Und er war dafür bekannt, dass er gern redete und sehr viel trank. „Jaroslav Hašek war beinahe immer betrunken. Der Rausch löste seine Zunge, und er begann, in den Schankstuben den Leuten verschiedene Dinge zu erzählen. Dabei blieb sein feistes Gesicht, das eine frappante Ähnlichkeit mit dem Balzacs hatte, immer ganz ernst, nur seine Schweinsäuglein schienen ironisch zu blinzeln – aber das konnte auch Täuschung sein. Er erzählte das Unwahrscheinlichste, die Einwände seiner Zuhörer widerlegte er, und dann nahm er ein Briefpapier, schrieb alles nieder und trug die Geschichte in die nächstgelegene Redaktion, das Honorar zu vertrinken.“ („Der rasende Reporter“ aus Prag, Egon Erwin Kisch: Auf den Tod eines tschechischen Humoristen).

Und er gründete die „Partei des gemäßigten Fortschritts in den Grenzen des gesetzmäßig Erlaubten“ (auch: Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze (PFGFIDSDG), tschechisch: Strana mírného pokroku v mezích zákona (SMPVMZ)), eine Partei im Kaiserreich Österreich-Ungarn, die sich 1911 unter seiner Führung in Form einer Parodie am Wahlkampf für den österreichischen Reichsrat beteiligte. Für diese Partei hielt Hašek über tausend Wählerversammlungen ab. „Am Schluß einer jeden sammelte er für den Wahlfonds, über dessen Zweck er jeden Zweifel ausschloß. Er versoff ihn an Ort und Stelle.“ (Egon Erwin Kisch, s.o.)

    Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze // Strana mírného pokroku v mezích zákona

Unter den Zuschauern dieser Rednerabende war mit Sicherheit auch Franz Kafka und dessen Freund Max Brod. Hauptmittel Hašeks „war die frei improvisierte Rede, wobei er in langen Assoziationsketten Wichtiges mit Unsinnigem, Fakten mit Scheinfakten verband. So erklärte Hašek in einer Wahlkampfrede“ (siehe: de.wikipedia.org):

„Über uns wachen Ordnungsgesetze und Sicherheitsämter, ohne deren Aufsicht uns nicht einmal ein Haar vom Kopfe fällt. Das ist Fortschritt. Schauen wir anderswohin, nach China zum Beispiel, wo die Sicherheitsorgane den Leuten die Köpfe abschlagen, dann müssen wir selber zugeben, daß bei uns Fortschritt herrscht.“ (Jaroslav Hašek: Die Partei des maßvollen Fortschritts in den Grenzen der Gesetze. Frankfurt a.M. 1971, Anhang, S. 139f.)

Mit zunehmender Dauer der Veranstaltungen wurden die Argumentationsketten allerdings immer absurder:

„Freunde, wir sind an einem Punkt, an dem wir nicht sein wollten. So wie der Mann, der nach Budweis wollte und in einen Zug in die Gegenrichtung geriet. Er wurde vom Schaffner in der 2. Klasse erwischt, obwohl er nur einen 3. Klasse-Fahrkarte hatte und in Bakov aus dem Zug geworfen. Und weil schon einer der Wegbereiter unserer Partei, Herr Galileo Galilei einmal sagte: ‚Und sie bewegt sich doch’, so sage auch ich jetzt: Bewegen Sie sich doch, Fräulein Bożenka, und bringen Sie bitte eine neue Runde: Noch drei Bier für mich, einen Allasch für Opočenský, ein Viertel Weißwein für Langer, ein Bier und einen Magador für Diviš und ein Mineralwasser für Gottwald. Das ist der Beweis für Galileos Worte ‚Und sie bewegt sich doch’ und ein überdeutlicher Beleg dafür, dass die Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze weiß, wie sie sich durchsetzt und sich darum kümmert, was ihre Wähler wollen.“ (tschechisch in František Langer: Byli a bylo. Prag 1963)

siehe auch: (Auszug aus) Die Geschichte der Partei des …

Vielleicht mag die Idee zur Parteigründung aus einer Bierlaune heraus entstanden sein. Aber am Ende war es wesentlich mehr als eine Spaßpartei, denn Hašek schuf mit seiner Partei und seinen Auftritten gewissermaßen eine neue Kunstform, die sich mit Dada-Veranstaltungen und später mit Happenings vergleichen lässt.

Übrigens: Das Wahlprogramm des Kandidaten für den Wahlbezirk Prag-Weinberge, Jaroslav Hašek, umfasste sieben Punkte (Jan Berwid-Buquoy: Die Abenteuer des gar nicht so braven Humoristen Jaroslav Hašek. Berlin 1989, S. 175–185.):

1. Die Wiedereinführung der Sklaverei.
2. Verstaatlichung der Hausmeister („auf die gleiche Weise wie in Rußland [..], wo jeder Hausmeister gleichzeitig ein Polizeispitzel ist“).
3. Die Rehabilitierung der Tiere.
4. Die Einrichtung von staatlichen Anstalten für schwachsinnige Abgeordnete.
5. Die Wiedereinführung der Inquisition.
6. Die Unantastbarkeit der Geistlichen und der Kirche („Falls ein Schulmädchen von einem Geistlichen defloriert wird“).
7. Die obligatorische Einführung des Alkoholismus.

Nun der Suff brachte den Schöpfer des Schwejks um. Sternhagelvoll traf ihn mit noch nicht einmal 40 Jahren der Schlag. Ein seriöser Schriftsteller war er nicht, überhaupt war er kein seriöser Mensch. Aber es ist von ihm mehr geblieben als von all diesen k.u.k. Franz Josefs und Ferdinanden – Schwejk sei Dank!

Romananfänge (2): Schweinehund(e)

In meiner Vorbetrachtung läutete ich gewissermaßen einen Wettbewerb für gekonnt formulierte Romananfänge ein. Dazu bin ich, wie geschrieben, durch John Irving angeregt worden. Eine ‚Ursache’ besteht aber auch in vielen Romananfängen, die ich selbst verfasst habe und über die ich meist kaum hinausgekommen bin. So fand ich in den Notizen und Aufzeichnungen aus dem Jahre 1982, die ich vor kurzem hervorgekramt hatte, folgende Skizze, Mitte Februar 1982 verfasst, die ich nach und nach ausbauen wollte – wozu es dann aber nicht kam. Dreißig Jahre nach dem Verfassen dieser wenigen Sätze fragte ich mich natürlich, warum ich den Titel Schweinehund(e) gewählt hatte? Einer dieser Schweinehunde sollte sicherlich auch der ‚innere Schweinehund’ sein. Hier die ersten vier Absätze. Kleiner Hinweis: Berlin, hier Ausgangspunkt, ist ja inzwischen wieder Metropole im Sinne von Hauptstadt.

Willi und die Romananfänge

Schweinehund(e)

Geboren wurde ich. Das soll vorkommen. Dabei war es kalt im Februar. Und man wunderte sich sehr. Die Nabelschnur hatte ich um den Hals. Gehängt. Väter wurden nervös. Gesicht schon blau. Erste Atemluft eine Qual. „Laßt die Kindlein.“ Das noch mit Mitte dreißig, fui. Was kann man schon dagegen tun. Geschenkt. So lebe ich und darf dankbar sein. Ich denke: muß. Aber auch so wird man alt. Wer will schon anders. Leben nach dem Tode. Erst einmal leben, dann weitersehen. Kann nur nicht so ohne weiteres. Kopf voll – zunächst einmal Windeln voll …

Hermann, der Wehrmann, sprach leis ein Flehen aus. Ei der Daus, was kommt da raus? Klaus? (Einen Klaus, oder sind’s schon zwei, genügen der Familie. So bekundet mein Vater seinen Friedenswillen, meine Mutter erinnert sich an gefallene Brüder: heißt mein Bruder kämpferisch …).

Geboren in einer Großstadt, ehemals Metropole, jetzt überaltert – aber auch viel Jungvolk, nur das Mittelalter fehlt. Dafür ist es in Stein erhalten. Dem Mann am Klavier, bitte ein Bier – mit Strohhalm: Berliner Weiße mit Schuß in den Ofen. Grün mit Waldmeister, rot mit Himbeer.

Am Ku’damm grasen keine Bullen. Stück weiter am Zoo treibt man sich rum. Und Züge der Reichsbahn. Eine letzte Bulette, bestrichen mit Senf, statt Eckkneipe Dosenbier. Rückreise … Uhr … An einer Leine Wachhunde, was mir zwischendurch einfällt. Übereinander gestapelt pennt einer, einer kratzt sich am Bein, einer liest, einer nuckelt an übriggebliebenem Bier, eine liest was über Grass, eine schaut ins Leere, mittendrin sucht einer seine Fahrkarte. Im Scherz: 10 Mark für die Reinigung! Schuhe runter – vom Sitz, vom Fuß. Sucht schon Geld, findet doch noch [die] Fahrkarte. Alles jubelt listig: Den Schaffner doch hereingelegt, wieso eigentlich?

Soweit das. Kunst der Kunst wegen (L’art pour l’art) mag ich eigentlich nicht. Gerade eine Erzählung, ein Roman sollte auch immer einem Zweck dienen, aufklären, zum Denken anregen. Trotzdem hatte ich damals geplant, viele stilistische Mittel in mein Geschreibsel einfließen zu lassen. Davon zeugt die hier (ausschnittweise) wiedergegebene Übersicht:

Rückwärts schreiben -> Sätze (Warum lügt er? -> Er lügt warum?)
Silbentrennung (Don-Au-Dam-Pf-Schi-Fff-Ahrt-Skapi-Tän)
Kunstsprache
Sinnlose Sprache
diagrammäßige Schrift
Ornamentale Schrift
zwischendurch leere Blätter („frei für Notizen“)
„Skizzen aus dem Büro“

überhaupt alle Stilmittel:
– Lyrik (Gedichte, Balladen etc.)
– Prosa (Kurzgeschichten, auch Essays …)
– Tagebuch, Briefe
– Anmerkungen – Skizzen, Notizen, Spickzettel
– Aphorismen, Anekdoten, Witze („Sprach Hinz zu Kunz: „Laß uns mal …“)
– Einkaufszettel, Rechnungen, amtl. Briefe (Bw).
– Märchen, Legenden
– Programme (Radio/TV)
– Zitate
– Bibliographie / Discographie (?)

einfach alles, das irgendwie, irgendwann zu Papier gebracht wurde …:
– Liedertitel, Buchtitel, Zeitungsschlagzeilen
– Reklamen (Slogans), Plakate, Plattenhüllen (-> Blodwyn Pig)
– auch Englisch (-> Wörterbücher: Langenscheidt/ Duden / etc.)
– Reiseberichte (Übersichten / Pläne -> Randbemerkung)
– Kleidungsgrößen – Körpermaße
– Lehrsätze der Mathematik / Physik / Chemie
– Wortdefinition (verschiedene -> Lexika / Duden / Wörterbücher)
– aus der Geschichte der Sprachen

Heute Ruhetag (9): Honoré de Balzac – Die tolldreisten Geschichten

Ihr habt es inzwischen wohl schon gemerkt: Meine Ruhetage sind Lesetage. Und das, was ich lese, sei Euch natürlich auch ans Herz gelegt, zumal es nichts kostet. Denn all die Fabeln und Fabulierungen sind dank dem Projekt Gutenberg frei zugänglich und von irgendwelchen Urheberrechten längst entbunden, da die Autoren und Autorinnen längst, d.h. vor vielen, vielen Jahren, ins Gras gebissen haben und kein Erbe sich die Tantiemen unter den Nagel zu reißen gedenkt. Gerade die Alten bieten meist schmackhafte, wenn auch deftige Kost. So seid aufs Neue verköstigt.

Heute Ruhetag!

Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen, die vom Guten und Besten der Welt den Geschmack auf der Zunge haben, und eines für solche Zecher am Spundloch des Lebens, die schon dem unsterblichen François Rabelais, unsrem Tourainer Landsmann ewigen Angedenkens, die liebste Kumpanei und Jüngerschaft waren.

Nicht daß der Autor sich einbildet, etwas andres zu sein als ein guter Tourainer und etwas andres zu können, als den guten Gesellen dieses fetten und famosen Landes ein paar Schöpflöffel einer nicht alltäglichen Brühe zu kredenzen; – dieses Landes, das fruchtbarer ist an gehörnten und hörnerpflanzenden Spaßvögeln als irgendein Land der Welt, darunter nicht wenige sind, vor denen unser ganzes Volk salutiert und noch einige Völker der Erde mit ihm, wie der Meister Courier selig, der nun niemand mehr kitzelt, oder Meister Verville mit seinem Buch ›Wie die Welt will beschissen werden‹ und andere, die jedermann kennt, den edlen Meister Cartesius ausgenommen. Denn der war ein fast düsterer Geist und hat seine Wolkenträume und Hirngespinste höher gestellt als die guten fetten Bissen und die klaren Tropfen, also daß die Waffelbäcker und Garköche der guten Stadt Tours nichts von ihm wissen noch hören wollen und, wenn man seinen Namen nennt, ein Gesicht machen, als ob sie sagen wollten: ›Ist mir nicht vorgestellt.‹

[…]

›Also seid mir lustig und aufgeräumt, meine Lieben, und lest dies mit fröhlichem Sinn, daß sich eure Lenden und Eingeweide dabei wohl fühlen; wenn ihr mich aber verleugnet, nachdem ihr mich gelesen, so mög euch der Beelzebub reiten.‹

Diese Worte sind von Meister Rabelais, vor dem wir alle ehrfurchtsvoll den Hut abziehen als vor dem König der Wissenschaft und aller göttlichen und menschlichen Komödie.

Honoré de Balzac: Die dreißig tolldreisten Geschichten (Prolog)

Honoré de Balzac: Die dreißig tolldreisten Geschichten

Auf zur Zugspitze

Auf in den Süden. Nur noch zwei Arbeitstage, dann habe ich Urlaub und dann geht es mit meiner Familie wieder einmal nach Grainau, dem Zugspitzdorf, in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der an einem und dem selben Ort mehrmals Urlaub macht. Ich liebe durchaus die Abwechslung. Okay, ich war öfter schon in London und natürlich auch in Schottland. Aber London ist immer wieder interessant und neu. Und Schottland ist ‚ein weites Feld’. Nach Grainau geht es jetzt bereits zum dritten Mal, immer mit der Familie und ‚komischerweise’ immer in Fünfjahresabstand; d.h. 2002 (Video in Urlaub: Grainau 2002 – 2007) war ich mit Kind und Kegel das erste Mal dort. Und dann folgte 2007 (siehe Grainau 2007: Berglandschaften und Grainau 2007: Eibsee) der nächste Urlaub in dem kleinen, aber feinen Ort unterhalb der Zugspitze. Irgendwie gefällt uns Grainau.

Wie die beiden erste Male so werden wir auch diesmal in einer Ferienwohnung in der Alpspitzstraße bei Familie Degenhart unterkommen. Vom Balkon hat man freie Sicht auf die Waxensteine und die Zugspitze.

Seit dem letzten Mal vor knapp fünf Jahren hat sich doch einiges dort ‚unten’ getan, u.a. gibt es jetzt am Osterfelderkopf am Fuße der Alpspitze die Alpspix, eine Aussichtsplattform für atemberaubende Ausblicke. Natürlich werden wir uns das nicht entgehen lassen. Ziemlich neu ist auch der Kletterwald in Garmisch-Partenkirchen, oberhalb der Talstation der Wank-Seilbahn (2011 während unseres Urlaubs in Brandenburg besuchten wir ja den Arbora Kletterwald in Bad Saarow). Und neu ist jetzt auch die ZugspitzCard Gold, die einmal eine Zugspitz-Rundreise beinhaltet.

ZugspitzCard 2011/2012

ZugspitzCard 2012/2013

ZugspitzCard 2011/2012 – gültig bis 30.04.2012 ZugspitzCard 2012/2013 – gültig ab 01.05.2012

Vor fünf Jahren gab es die ZugspitzCard auch bereits, allerdings nicht in der Version GOLD. Möchte man unbedingt auch einmal auf die Zugspitze, dann sollte man diese Version der Karte nehmen, denn der normale Fahrpreis beträgt 48 €, der Mehrpreis für die Gold-Version gerade 32 €. Und wir wollen auf jeden Fall auf die Zugspitze. Ansonsten hat man freien Eintritt ins Zugspitzbad von Grainau (morgens vor dem Frühstück oder am Nachmittag werden wir dort unsere Bahnen ziehen), kann die Garmisch-Classic-Rundfahrt buchen, um auf die Aussichtsplattform AlpspiX zu kommen. Der besagte Kletterwald ist im Preis enthalten – und auch die Eishockey-Heimspiele des SC Riessersee im weltbekannten Olympia-Eissportzentrum von Garmisch-Partenkirchen, der zz. noch in der Abstiegsrunde der 2. Bundesliga spielt.

Natürlich sind noch viele andere Leistungen ‚all inclusive’. Außerdem gibt es so genannte Bonus-Partner, bei denen man Preisermäßigungen bekommt. Die ZugspitzCard und ZugspitzCard Gold gibt es für 3, 6 oder 13 Tage. Es lohnt sich auf jeden Fall. Wir freuen uns auf jeden Fall auf die Tage in Grainau und Umgebung.

siehe auch meine Beiträge (mit Videos):
Urlaub in Grainau/Zugspitze 2007
In a Black Box: Partnachklamm 2007

Romananfänge (1): Vorbetrachtung

Die Erzählung Das Urteil von Franz Kafka (ja, schon wieder Kafka) endet wie folgt:

„Georg fühlte sich aus dem Zimmer gejagt, den Schlag, mit dem der Vater hinter ihm aufs Bett stürzte, trug er noch in den Ohren davon. Auf der Treppe, über deren Stufen er wie über eine schiefe Fläche eilte, überrumpelte er seine Bedienerin, die im Begriffe war heraufzugehen, um die Wohnung nach der Nacht aufzuräumen.

»Jesus!« rief sie und verdeckte mit der Schürze das Gesicht, aber er war schon davon. Aus dem Tor sprang er, über die Fahrbahn zum Wasser trieb es ihn. Schon hielt er das Geländer fest, wie ein Hungriger die Nahrung. Er schwang sich über, als der ausgezeichnete Turner, der er in seinen Jugendjahren zum Stolz seiner Eltern gewesen war. Noch hielt er sich mit schwächer werdenden Händen fest, erspähte zwischen den Geländerstangen einen Autoomnibus, der mit Leichtigkeit seinen Fall übertönen würde, rief leise: »Liebe Eltern, ich habe euch doch immer geliebt«, und ließ sich hinfallen.

In diesem Augenblick ging über die Brücke ein geradezu unendlicher Verkehr.“

    Willi und die Romananfänge

Besonders der Schlusssatz hat es mir angetan, dieses „geradezu unendlich“, das in nur einem Augenblick geschieht. Ich habe diesen Satz einmal am Schluss eines Kapitels (Von Pfannen, Seelen und Quark) persifliert: „In diesem Augenblick verging sich an der Schwester der Doktor trotz geradezu unendlicher Wehr.“ Kafka mag mir vergeben. – Überhaupt überzeugt Kafka mit ‚starken’ Schlusssätzen – wie bereits im Roman Der Prozess erfahren:

„»Wie ein Hund!« sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.“

Wenn man einen neuen Roman in Händen hält, vielleicht den Autor noch gar nicht kennt oder nur vom Hörensagen, dann ist es natürlich der Anfang des Romans, der überzeugen sollte, um das Buch so schnell nicht wieder aus der Hand zu legen. Ich weiß nicht mehr so recht, es war auf jeden Fall John Irving, der sich mit „Romananfängen“ beschäftigte. Ich glaube es war in seinem Roman Witwe für ein Jahr (oder war es doch schon früher in Garp und wie er die Welt sah). Es ging um den Anfangssatz, der möglichst einprägend zu sein hatte (ähnlich den Kafka’schen Schlusssätzen). Irving machte daraus fast so etwas wie eine Wissenschaft oder besser: einen Wettbewerb für gekonnt formulierte Romananfänge!

Ich fand die Idee damals auf jeden Fall ganz ‚interessant’, irgendwo zwischen witzig und aufschlussreich. Nun könnte man wirklich eine Art Wettbewerb einläuten, um am Ende den aussagekräftigsten Anfangssatz zu prämieren (den Roman kann man getrost außen vor lassen). Wirklich interessant wäre es dann, von den jeweiligen Anfangssätzen auf den Inhalt der Romane zu schließen. In loser Folge werde ich mich hier mit eben solchen Romananfänge ‚beschäftigen’. Dabei müssen es natürlich nicht nur dicken Romanwälzer sein. Erzählungen tun es auch.

Wenn wir schon (wieder einmal) bei Kafka sind. Hier die Anfangssätze zu den zwei genannten Prosawerken:

Der Prozess beginnt mit: „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Aha, das sagt doch schon (fast) alles!

So spektakulär die Erzählung Das Urteil endet, so landläufig beginnt sie: „Es war an einem Sonntagvormittag im schönsten Frühjahr.“ Aber meist kommt das Grauen auf leisen Pfoten.

Wie auch immer: Vielleicht habt Ihr ja auch Spaß an dieser Sache. So denke ich daran, zum Einen Euren Lieblingsroman kennen zu lernen – und dann schreibt Ihr den Anfangssatz auf. Und umgekehrt: Zum Anderen nennt Ihr mir Euren Lieblingsanfangssatz – und den Romantitel. Wie sieht’s aus? Wer hat Lust mitzumachen?

Halldór Laxness: Weltlicht

Nach den Romanen Islandglocke, Am Gletscher und Sein eigener Herr habe ich einen weiteren Roman des isländischen Schriftsteller und Nobelpreisträgers Halldór Laxness gelesen: Weltlicht (Original: Heimsljós) – Steidl Verlag, Göttingen 2009 – Steidl taschenbuch 230 – aus dem Isländischen von Hubert Seelow. Eigentlich handelt es sich um vier kleinere Romane, jeder mit einem eigenen Titel; aber da Olafur Karason, die Hauptperson, in allen Romanen auftritt, kann man diese auch als einen großen Roman ansehen.

„Du bis das Licht der Welt!“ (S. 62)

    Halldór Laxness: Weltlicht

„Olafur Karason ist ein Fremdling im Island der dreißiger Jahre. Seine Leidenschaft und sein Talent gelten einzig der Literatur. In den Augen der Bauern und Städter ist er deshalb ein Faulpelz. Von den Eltern verstoßen wächst Olafur als Gemeindepflegling heran, muss schwere körperliche Arbeit verrichten, leidet unter Hunger, Schlägen und menschlicher Kälte. Später lebt er in ärmlichen Verhältnissen an der Seite einer ungeliebten Frau, seine Kinder sterben, wegen Vergewaltigung kommt er ins Gefängnis. Dort hat er eine Vision, und nach seiner Entlassung erfüllt sich doch noch sein Traum von Schönheit und Vollkommenheit. Nach den Tagebüchern des isländischen Volksdichters Magnus Hjaltason Magnusson (1873-1916) zeichnete Laxness seine Figur Olafur Karason und darüber ein breites Panorama von Island. Dieser Roman des isländischen Nobelpreisträgers war bisher nur in einer sprachlich veralteten deutschen Übersetzung vorhanden. Das Buch wurde von Hubert Seelow neu übersetzt.“
(aus dem Klappentext)

Laxness erzählt die Geschichte des Gemeindepfleglings Olafur Karason, der schon früh Dichter werden möchte. Als Kind trägt er heimlich Bücher am Herzen, bevor er überhaupt lesen kann. Bücher sind für ihn der Trost in einer Zeit von Armut und Rückständigkeit. Als von der Mutter ausgesetztes Gemeindekind wird er für jede Arbeit ausgebeutet, dabei verhöhnt und sein kleiner Körper gequält. Aber er findet Trost im Göttlichen, in der Schönheit, die er in der Natur findet. Für die Menschen bleibt er ein Sonderling, der sich vor der Arbeit drückt. Nur Frauen fühlen sich von dem Außenseiter angezogen, aber er scheitert, weil er nicht bereit ist, für die Liebe zu kämpfen. „Wie wunderbar du atmest. Ich komme, um dich atmen zu hören.“ sagt eine seiner Geliebten. Olafur nimmt seinen Leidensweg in Demut hin – opfert die Liebe dem Mitleid zu einer fünfzehn Jahre älteren, fallsüchtigen Frau und ihren gemeinsamen Kindern. Ärmliche Verhältnisse prägen die Ehe an der Seite dieser ungeliebten Frau, die Kinder sterben, und wegen der Vergewaltigung einer Minderjährigen kommt Olafur schließlich ins Gefängnis. Hier entwickelt er Visionen, und nach seiner Entlassung erfüllt sich endlich sein Traum von Schönheit und Vollkommenheit – „es liegt nicht in meiner Natur, von dem Glauben abzuweichen, daß es nur eine wahre Liebe zwischen Mann und Frau gibt“.

Für mich ist Olafur Karason eine zwiespältige Person. Ich sehe, wie er Ablehnung und Erniedrigung erfährt, verstehe aber nicht, wie er das immer wieder mit Demut und stoischer Gelassenheit erträgt und sich auf den Wogen des Lebens treiben lässt.

In der Zeit, in der Laxness seinen Roman schrieb – 1936 bis 1940 – setzte er seine Hoffnungen auf das neue Russland, als Gegengewicht zum aufkommenden Faschismus in Europa. Später hat Laxness diesen Irrweg bereut. Er war sogar 1937, wie andere Prominente aus aller Welt, zu den berüchtigten Schauprozessen Stalins nach Moskau eingeladen worden, wo er auch den zweiten Teil des Romans verfasste. In seinem Roman bleibt Laxness aber wahrhaftig und verweigert jegliche Schablonen sowjetisch-realsozialistischen Kunstverständnisses. Im Gegenteil: Laxness bietet neben geradezu griechischer Tragödie ein mitreißendes Schauspiel isländischer Natur, in dem auch die Elfen, also die Mythen ihr Daseinsrecht behaupten. Es ist ein Buch voller Poesie („Die Sonne war untergegangen, weiße Nebel stiegen aus den Tälern des Landes auf und schmiegten sich an die grünen Abhänge der Berge. Es war, als löse sich das Land in einen taumelnden, feenhaften Wachtraum ohne Wirklichkeit auf, fest und flüssig wurde eins, der Himmel stieg herab, die Erde hinauf, über allem der unwirkliche Schimmer einer unendlich weit entfernten Zukunft oder Vergangenheit, eine andere Zeit über der Welt.“ – S. 141) – und köstlich sind die Beschreibungen der auch hier in großer Zahl angetretenen kauzigen Figuren („Den Leuten war es gelungen, Schnaps aufzutreiben, und es gab Flüche, Obszönitäten, Geschrei, Gekotze, Schlägereien, Knochenbrüche und andere Belustigungen.“ – S. 476). Laxness knüpft stilistisch zuweilen an die literarische Tradition der heimatlichen Skaldendichtung an und zeichnet ein menschliches Schicksal, das zutiefst berührt und zugleich Licht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse quer durch alle Schichten Islands wirft: „… der Geist des armen Volksdichters […] lebt schon seit tausend Jahren unter dem isländischen Volk, in der verräucherten Hütte in einem abgelegenen Tal, in der kargen Behausung der Fischer am Fuß des Gletschers, auf dem Haifischboot vor dem Nordland […] dieser Geist war der Lebensquell des Volkes durch seine ganze Geschichte, und er ist es, der dieses arme Eiland hier im Westen im Meer zu einer großen Nation und Weltmacht und einem unbesiegbaren Vorposten der Welt gemacht hat.“ (S. 609)

Die Zeitunterschiede zwischen den vier Romanen sind nicht allzu groß, höchstens wenige Jahre. Aber da die Orte wechseln, so gibt es eine am Ende vielleicht doch eher unübersehbare Anzahl von Personen, die in den Romanen auftreten. Ich habe hier eine kleine Übersicht (fast) aller Personen erstellt, um es den Leser (auch mir) etwas leichter zu machen, sich zu orientieren. Die wichtigsten Personen sind in fett gefasst. Bei den Namen habe ich mich an die Schreibweise im Buch gehalten (der Dichter Sigurdur Breidfjörd schreibt sich eigentlich Sigurður Breiðfjörð; Thordur wäre auf Isländisch Þórður). Viele der Orte sind wie so oft bei Laxness fiktiver Art. Zunächst die Namen der Literaten, die im Buch genannt werden (der erste ist wiederum fiktiv – und als solches ein schöner Stabreim):

G. (Gudmundur) Grimsson Grunnvikingur, genannt Gvendur
Hallgrimur Petursson
Sigurdur Breidfjörd (1799-1846)

Übersicht der Personen und Orte

Olafur Karason Ljosavikingur (Ljosavik = Lichtbucht), auch Lofi genannt – Hauptperson, Gemeindepflegling & Dichter

1. Buch: Der Klang der Offenbarung des Göttlichen
Originaltitel: Ljós heimsins (später: Kraftbirtíngarhljómur guðdómsins)
geschrieben auf der Reise nach Südamerika, Herbst 1936

Ort: Fotur unter Fotarfotur

Kamarillas, Pflegemutter Olafurs
Just, jüngerer Bruder Olafurs (Pflege)
Jonas, genannt Nasi, älterer Bruder Olafurs (Pflege)
Magnina, Tochter des Hauses (Magna)

Witwe Karitas, Mutter von Kr.
Kristjana, Magd

Gudrun von Graenholl
Lauga, Freundin

Josep, alter Mann in Haushalt
Jarthrudur (Jonsdottir) aus Gil – Brief

Reimar, Fuhrmann und Dichter

Thorunn in Kambar
Fridrik, der Elfenheiler
Tota, Schwester von Th.

2. Buch: Das Schloß des Sommerlandes
Originaltitel: Höll sumarlandsins
geschrieben in Moskau, Winter 1937-38

Ort: Svindinsvik

Jon Einarsson, der Heide
Gisli, der Alte

Petur Dreiroß Palsson, Geschäftsführer der Wiederaufbaugesellschaft
Gemeindevorsteher Gunsi
Pfarrer Brandur Jonsson
Toti Butter, ehemaliger Etatsrat

Juel J. Juel -> AG Grimur Lodinkinni Fangstation

Vegmey Hansdottir (Meya von Brekka), Olafurs Geliebte
Hlaupahalla

Holmfridur, Dichterin
Lydur, ihr Ehemann

Thorarinn Eyjolfsson (Örn Ulfar, Bursche von Skjol) – Freund von Olafur

Disa in Skalholt (Holsbudar-Disa)
Ewigkeits-Dadi Jonsson

Die Gebeine von Satan & Mosa (vor 200 J. hingerichtet) -> Sigurdur Natan(sson) + Moeidur

3. Buch: Das Haus des Dichters
Originaltitel: Hús skáldsins
geschrieben in Laugarvatn, Thingvellir, Spätsommer 1939

Ort: Svindinsvik am Othveginsenni

Jara -> Jarthrudur Jonsdottir aus Gil, Ol. 15 Jahre ältere Braut (s. 1. Buch)
Magga -> Margret, Tochter – stirbt
Kari, Sohn, bereits gestorben

Jens Färinger, Fischer
Hjörtur von Veghus
Joa -> Jorunn Hjartardottir, Tochter

Stina, Schülerin

Disa -> Vedis Petursdottir, Tochter des Geschäftsführers, Petur Dreiroß Palsson

Werke von Olafur:
Johann, der Nackte und seine Geliebte
Jan, der Allmächtige

4. Buch: Die Schönheit des Himmels
Originaltitel: Fegurð himinsins
geschrieben in Reykjavik und Umgebung, Winter 1939-40

Ort: Gemeinde Bervik
Ödhof Litlabervik (Olafur)
Hof Storabervik
Fluß Bera (Berja oder Berga)

Jon Olafsson, Sohn von Olafur

der alte Mann und die alte Frau in Gljufur
Helga, die Tochter (siehe Ende des Romans) und 2. behinderte Tochter

Pfarrer Janus
Thordur von Horn

Sveinn von Bervik, 13jähriger Junge, später in Reykjavik Abiturient

Jason Gottfredsson, Leuchtturmwächter von Tangar
Jasina Gottfredlina Jasonardottir, seine Tochter
Witwe von Sudureyri, Tante von Jasina
Dora, ihre Tochter

Reimar Vagnsson, jetzt Postbote und Dichter – siehe Buch 1 (und 2)

Mutter von Olafur – Besuch in Adalfjördur

Gericht in Kaldsvik unter Kaldur

Gefängnis in Reykjavik
– Besuch bei Sveinn von Bervik
– Besuch bei Thorunn in Kambar, heißt jetzt Felgor (Frau von Felgor)

Traum und Wirklichkeit: Bera (wirklicher Name unbekannt)