Opa, lass das Fahren sein

Individualität wird bei uns in Deutschland bei vielen über den Gebrauch von Autos definiert – mit einem Namen: Individualverkehr! Eine ach so sehr ausgeprägt unverwechselbare Persönlichkeit wird dabei über die Automarke bestimmt. Kein Auto, keine Persönlichkeit (oder eine eher merkwürdige). Und da wir es auf den Straßen mit Individuen zu tun haben und wir diesen ihre ach so sehr geliebte Freiheit nicht beschränken dürfen, so rasen unsere die Freiheit liebenden Mitmenschen auch noch im hohen Alter über den Asphalt.

Vor einer Woche ereignete sich bei uns in Tostedt ein schwerer Verkehrsunfall (ich würde es eher Mordanschlag nennen), bei dem ein 83-jähriger Mann mit seinem PKW eine Fußgängerin mit Kinderwagen übersah und schwer verletzte:

[…] am Freitag, 28.10.2022 kam es in der Straße Zinnhütte zu einem schweren Verkehrsunfall. Gegen 10:55 Uhr wollte ein 83-jähriger Mann mit seinem Pkw von einem Grundstück in die Straße einbiegen. Dabei übersah er eine 35-jährige Frau, die auf dem Gehweg unterwegs war und einen Kinderwagen vor sich herschob. Der Mann erfasst die Frau mit seinem PKW und verletzte sie dadurch schwer. Der Kinderwagen mit dem wenige Monate alten Kleinkind darin kippte um. Hierdurch wurde das Kind leicht verletzt. Die Mutter kam mit einem Rettungshubschrauber in eine Klinik, das Kind wurde zu weiteren Untersuchungen mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. (Quelle: news.de)

Augenzeugen berichteten, das der Autofahrer zunächst über die Füße der Frau gefahren war, die in ihrer Not mit einer Hand auf die Kühlerhaube des Autos schlug, um den Fahrer zum Halten zu bewegen und ihr Kind zu schützen. Stattdessen gab der Fahrer noch einmal Gas und überfuhr die Frau. – Leider habe ich keine weiteren Information über den Zustand der Frau und hoffe nur, dass sie den ‚Anschlag‘ überlebt hat und bald wieder gesund wird.

Schon vor einiger Zeit hatte ein über Achtzigjähriger in der Nähe dieses ‚Tatortes‘ einen Radfahrer überrollt, dieses aber nicht gemerkt. Erst als die Polizei aufgrund von Zeugenaussagen den Fahrer zu Hause aufsuchte, gab dieser zu Protokoll, er hätte es rumpelt gehört, sich aber keine weiteren Gedanken gemacht. Der Radfahrer starb noch am Unfallort.

Und vor einige Jahren schrieb ich in dem Beitrag Davongekommen:

Diese Woche am Montag verlor ein 82-Jähriger die Kontrolle über seinen Wagen und rammte [eine] Eisdiele. „Glücklicherweise war die Terrasse noch unbesetzt, so dass kein Unbeteiligter verletzt wurde“, so ein Polizeisprecher. „Die im Lokal anwesenden Personen kamen mit dem Schrecken davon.“ Auch der Fahrer sei körperlich unverletzt geblieben. Nach Angaben des Sprechers hat er vermutlich Gas- und Bremspedal verwechselt.

Autofahrer rast in Eisdiele in Tostedt
Autofahrer rast in Eisdiele in Tostedt

Von Unfällen dieser Art, wie diese sich in letzter Zeit zu häufen scheinen, könnte ich hier noch viele weitere aufführen. In anderen Ländern müssen alte Menschen, wenn sie noch weiter ihren PKW nutzen wollen, in regelmäßigen Abständen Tests auf ihre Fahrtauglichkeit machen (z.B. in Finnland einmal im Jahr). Bei uns in Deutschland werden solche gesetzlich verpflichtende Fahreignungstests für Senioren immer wieder diskutiert. Getan hat sich bisher NICHTS. So argumentiert z.B. der ADAC: Menschen ab 65 Jahren verursachten etwa 16 Prozent der Unfälle mit Verletzten, obwohl sie 21 Prozent der Bevölkerung ausmachten. „Ältere Autofahrer verhalten sich im Straßenverkehr in alle Regel vorsichtig, eher defensiv und vorausschauend“, so der Automobilclub.

Für mich ist das ein sehr schwaches Argument. Der Prozentsatz der Autofahrer und Autofahrerinnen ab 65 Jahre dürfte in Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung weitaus geringer sein als in anderen Altersgruppen. Zudem kann ein Test nicht schaden, da dieser auch die alten Menschen schützt. Vor allem allerdings sollten alte Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind (meist ein Grund, weshalb diese nicht aufs Autofahren verzichten wollen) oder wenn sie sich für den Schulterblick nicht mehr komplett umdrehen können, von vornherein ihren Waffenschein Führerschein abgeben, denn im Falle eines Unfalls, sind diese nicht mehr in der Lage, anderen Unfallopfern schnell zu helfen, geschweige sich selbst zu helfen. (siehe u.a. autozeitung.de aus 2019)

Ich gebe es zu, dass mich der Unfall mit der Frau und dem Kind sehr betroffen gemacht hat. Ich bin Großvater eines gerade sieben Monate alten Kindes. Und die Mutter dieses Kindes in in etwa so alt wie die schwer verletzte Frau.

Freitags fahre ich (mit dem Fahrrad) zum Wochenmarkt und stelle mein Rad bei dem Kaufhaus in unserem Ort ab, der in der Ortsmitte ein großes Areal mit Parkplätzen bereit hält. Um die Mittagszeit sind es vor allem Rentner, die hier einkaufen und natürlich mit dem Auto vorfahren. Manche würden am liebsten bis ins Kaufhaus hineinfahren wollen, andere kurven herum und gefährden oft genug Fußgänger (oder Radfahrer wie mich) durch ihre chaotische Fahrweise. Wenn sie dann kaum noch aus ihren Fahrzeugen herauskommen, weil sie absolut klapprig auf den Beinen sind, dann überkommt mich ein unbeschreiblicher Horror: Liebe Leute, gebt endlich Eure Führerscheine ab!

Um eines klarzustellen: Ich sage nicht, dass alte Autofahrer und -fahrerinnen schlechte Autofahrer sind. Sind sie aber nicht mehr fit oder gar gesundheitlich angeschlagen, dann eignen sie sich nicht mehr zum Fahren. Hier ein Schnell-Check, der hilft, seine Fahrtauglichkeit einzuordnen:

1. Verlieren Sie beim Fahren manchmal die Orientierung?
2. Haben Sie Schwierigkeiten, andere Verkehrsteilnehmer, Ampeln oder Verkehrszeichen zu erkennen und rechtzeitig darauf zu reagieren?
3. Haben Sie Probleme, das Gas-, Kupplungs- oder Bremspedal zu betätigen?
4. Hören Sie Motorengeräusche, Schaltung oder Signale anderer Verkehrsteilnehmer (manchmal) spät oder schlecht?
5. Finden Sie es schwierig, den Kopf zu drehen und über Ihre Schulter zu blicken?
6. Werden Sie im dichten Verkehr oder auf unbekannten Straßen nervös?
7. Hupen andere Autofahrer häufig wegen Ihres Fahrverhaltens?
8. Verursachen Sie in letzter Zeit häufiger kleinere oder „Beinahe“-Unfälle?
9. Fühlen Sie sich beim Fahren unsicher?
10. Werden Sie schläfrig oder wird Ihnen schwindelig, nachdem Sie Ihre Medikamente eingenommen haben?
(Quelle: t-online.de)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Ein Gedanke zu „Opa, lass das Fahren sein

  1. Ich bin froh, dass mein Vater im hohen Alter darauf verzichtet hat, noch weiter Auto zu fahren, und dass er das Auto schließlich verkauft hat. Er war wirklich unsicher geworden, wie ich gemerkt habe, als ich ein paarmal mit ihm mitfuhr.

    Sicherlich ist es schwer für alte Menschen, zugeben zu müssen, dass sie eben einfach nicht mehr so fit sind wie in jüngeren Jahren, weder körperlich noch geistig.

    Doch ein Auto kostet ja insgesamt auch viel Geld, und da könnte man ja – nicht nur im Alter – überlegen, ob man die Kosten nicht lieber einspart, sich Einkäufe liefern lässt, vielleicht Bus oder auch mal Taxi fährt und dafür halt auch niemanden gefährdet.

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