Fortsetzung von: (6): Ein Gemisch wird verdichtet
Des Witzes Knalleffekt ist dessen Pointe. Wer die verpasst oder nicht begreift, dem ist ein Witz kein Witz. Aber lesen wir, was Eike Christian Hirsch im 7. Teil seiner Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschien, dazu zu sagen hat.
Ulli spricht eine dufte Biene auf der Straße an: „Wohin auf den hübschen Beinen?“ „Ins Kino“, ruft sie, „wenn nichts dazwischenkommt.“ Kuno Fischer, wir kennen ihn schon (vor hundert Jahren Philosophieprofessor in Heidelberg), hat vom Wortspiel gesagt, es habe „nicht bloß zwei Bedeutungen, sondern zwei Gesichter, das eine ist Maske, das andere das wahre Gesicht; jenes sieht harmlos aus, dieses hat den Schalk im Nacken“. Noch ein Beispiel?
Zwei Studentinnen treffen sich nach dem Karneval. „Bin ich froh, daß die Tage vorbei sind“, sagt die eine. Erwidert die andere: „Ich wäre froh, sie kämen wieder.“ Anspielungen durch Doppelsinn kommen immer da vor, wo Tabus herrschen, deswegen finden sie sich auf sexuellem Gebiet und in Diktaturen. Warum bekommen verdiente Beamte den Führer als Büste und nicht als Bild? Weil sie sonst nicht wissen, ob sie ihn aufhängen oder an die Wand stellen sollen.
Wer eine Anspielung geboten bekommt, muß aufpassen, daß er sie versteht. Schließlich sind Witze darin mit dem Rätsel verwandt, daß man die Lösung finden muß. Ein junger Anwalt trifft einen ebenfalls noch jungen Arzt. „Wie geht es Ihnen?“ „Gut, ich kann nicht klagen. Und Ihnen?“ „Schlecht, ich kann nicht klagen.“
Zur Technik solcher Wortspiele ist kaum mehr viel zu sagen. Um so mehr lockt uns hier die Aufgabe herauszufinden, wie die Verständnisarbeit des Hörers funktioniert. Das Thema ist ja auch dran, denn das letzte Mal haben wir über die Witzentstehung nachgedacht. Sie werden nun vielleicht erwarten, daß ich mich auch diesmal an Sigmund Freud orientiere. Aber das ist nicht so. So treffend er die andere Seite (die Witzentstehung) beschrieben hat, so sehr hat er die Rolle des Witzhörers verkannt. Er meinte nämlich, daß der Zuhörer „die Lust des Witzes mit sehr geringem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt“. Sogar Theodor Reik, Freuds Schüler und dem Meister sonst sehr ergeben, wagte hier eine Korrektur: der Witz werde dem Hörer nicht geschenkt, „sondern nur unter dem Selbstkostenpreis verkauft“. Damit ist die Mitarbeit des Zuhörers aber immer noch unterschätzt. Vielleicht möchten Sie das einmal im Selbstversuch nachprüfen an Hand dieser Geschichte:
Ein Gardeoffizier, jung, arm, aber schneidig, bemüht sich um die Gunst einer Schönheit im Garnisonsstädtchen, die, sagen wir mal, als zugänglich gilt. Doch sie weist ihn ab mit den Worten: „Mein Herz ist schon vergeben.“ Da erwidert der Leutnant: “So hoch hatte ich eigentlich auch nicht gezielt“.
Nun, wie ist es Ihnen ergangen? Ich glaube, Sie fühlen sich, als hätten Sie selbst die treffende Bemerkung gemacht. Zu Recht sagt Arthur Koestler, der Zuhörer müsse „den Vorgang der Erfindung des Witzes bis zu einem gewissen Grade wiederholen, ihn in seiner Phantasie neu schaffen“. Was ist ein Junggeselle? Das ist einer, dem zum Glück die Frau fehlt. Wenn man es verstanden hat, war man selbst geistvoll.
Wir wissen schon, daß Freud der Ansicht war, nicht nur beim Wortlaut des Witzes herrsche das Prinzip der Ersparung, sondern auch die Lust des Hörers stamme aus Ersparung. Dagegen haben sich viele gewandt, auch Helmuth Plessner, ein deutscher Anthropologe, dessen Buch über „Lachen und Weinen“ in der Emigration erscheinen mußte. Er rechnet vor, daß die Sparsamkeit in Worten nur dazu führt, daß der Hörer mehr Aufwand treiben muß, um den Witz zu verstehen. Wo liegt dann aber die Quelle für die Lust an dieser Technik der Verkürzung?
Von der bekannten Schauspielerin wird gesagt, sie halte sich zwei Hausärzte. Den einen rufe sie, wenn sie was hat; den andern, wenn ihr was fehlt. Falls Sie an dieser Anspielung Freude gehabt haben sollten, möchte ich Ihnen auf den Kopf zusagen, daß sie sich weniger über ein Geschenk (oder einen billigen Kauf) gefreut haben als über eine eigene Leistung. Der Witz, dessen Wortlaut ja immer unvollständig und bloß andeutend ist, wurde erst in Ihrem Kopf fertig! „Was haben ein BH und ein Pullover gemeinsam?“ „Das eine hält, was der andere verspricht.“
Auch hier sind Sie von einer Wortbedeutung zur anderen geschwebt, haben ein Kunststück vollbracht und können stolz auf sich sein. Zu Recht spricht Arthur Koestler von der „Befriedigung, daß man schlau genug ist, um die Pointe zu erfassen“. Ich möchte sogar noch weiter gehen. Wir verstehen nicht nur. Ich glaube, wir fühlen uns, als seinen wir diejenigen, die den Witz gemacht hätten. Was ja auch halbwegs stimmt, denn wo hat es denn geblitzt? In unserem Kopf!
Für diese Ansicht, unsere Lust sei der Stolz auf eine Leistung, habe ich Unterstützung bei Theodor Reik gefunden, der schreibt, beim Verstehen übernähmen wir die Leistung des Witzerzählers und identifizierten uns mit ihm. So ist es wohl. Schließlich erhalten wir den Witz ja nur als eine Art Halbfertig-Produkt, das wir selbst erst vollenden. Wir machen nur das Finish, aber sind glücklich, als seinen wir die Erfinder.
Beim Familienausflug merkt die Mutter, daß das junge Ehepaar verschwunden ist. Sie fragt ihren Mann: „Was werden die Kinder wohl machen.“ „Nachkommen“, brummt er.
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 34/1984
[Fortsetzung folgt]