Fortsetzung von: (15): Damit Sie bitte recht verstehen
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um absichtliche Missverständnisse. Dahinter verbirgt sich eine gewisse Bosheit, wenn man den Gegenüber bewusst zu missverstehen trachtet. Außerdem erfahren wir heute etwas zur Theorie des Lachens. Viel Spaß!
„Na, hören Sie mal, das ist doch wohl der Gipfel der Unverschämtheit!“ tobt der Kollege, „ich erzähle Ihnen, daß meine Frau ein Baby erwartet, und Sie fragen, von wem!“ „Nun, regen Sie sich doch nicht auf“, versucht der andere ihn zu beruhigen, „ich dachte ja nur, Sie wüßten es.“
Das letzte Mal habe ich den Tropfen Adrenalin erwähnt, der in jedem Witz enthalten sein sollte. Jetzt, wo wir uns den Mißverständnissen zuwenden, die mit voller Absicht herbeigeführt werden, kommen die Gefühle noch eher in Gang.
Bei der großen Abendeinladung ziert sich der Operettentenor erst noch, aber dann gibt er doch eine Arie zum besten. Großer Beifall. Die Hausfrau kommt mit Sekt, und der Tenor meint zufrieden: „Schließlich habe ich ja meine Stimme auch mit hunderttausend Mark versichern lassen.“ „Nicht möglich“, staunt die Gastgerberin, „und jetzt will die Versicherung nicht zahlen, was?“
Es ist, wir bemerken es nebenbei, nicht der Doppelsinn von Worten, der hier das Mißverständnis nahe legte. Im Gegenteil, das boshafte Gegenüber erlaubt es sich, die ganze Botschaft mit Gewalt anders aufzufassen. „Na, Herr Meyer, wie ist denn Ihr Prozeß ausgegangen?“ „Wie zu erwarten – die gerechte Sache hat gesiegt!“ „O, das tut mir aber leid für Sie.“
Manchmal kann sich der Mißversteher aber auch auf einen Doppelsinn berufen. „Für meinen letzten Hit habe ich zwanzigtausend Mark gekriegt.“ „Sie Ärmster“, sagt der Kritiker, „haben Sie die bezahlt oder abgesessen?“ Die Machart kommt auch im Alltag vor, man kann sich ja leicht dümmer anstellen, als man ist.
Das Starlet kommt aus den Ferien zurück. „Du glaubst gar nicht“, sagt sie stolz zu einer Kollegin, „wie ich umschwärmt worden bin.“ „Ja, ja“, entgegnet die andere, „wir hatten hier auch eine furchtbare Mückenplage.“
Diese Witzkategorie „Absichtlich mißverstanden“ biete uns Gelegenheit, der Frage nachzugehen, wie eigentlich das Lachen entsteht. Zwei Theorien haben, soviel ich sehe, die meisten Anhänger gefunden. Herbert Spencer, ein englischer Philosoph, begann als Ingenieur, war dann Journalist und veröffentlichte mit vierzig Jahren 1860 eine Abhandlung über das Lachen. Zu dessen Erklärung verwendete er den modernsten Begriff der damaligen Naturwissenschaft: den Begriff der Energie. Beim Lachen, meinte er, werde psychische Energie abgeführt, die der Körper nicht mehr braucht.
Im Oberhaus begegnen sich zwei Lords auf dem Korridor. „Wie ich höre“, sagt der eine, „waren Sie gezwungen, Ihre Gattin zu beerdigen, mein armer Freund.“ „Ja“, seufzt der andere, „was sollte ich tun? Sie war tot …“
Spencer meinte, was sich später als Witz herausstellte, wirke zuerst einmal alarmierend auf uns. Stelle sich der Schrecken als unbegründet heraus, so lache man die überflüssige Energie weg. Aber, psychische Energie? Gibt es so was überhaupt? Der Ausdruck selbst ist heute überholt.
„Mein Lieber, leihen Sie mir doch hundert Mark, Sie bekommen sie morgen zurück. Sie haben das Wort eines Ehrenmannes.“ „Gut, aber wo ist der Ehrenmann?“
Die andere Herleitung des Lachens hat ebenfalls Tradition. Schon Immanuel Kant hat sie von Vorgängern übernommen. Kant meinte ja (das habe ich Ihnen schon mal erzählt), daß beim Verstehen eines Witzes sozusagen in unserem Kopf ein Hin und Her stattfindet. Aus dieser Bewegung ergebe sich, meinte Kant, schließlich das Lachen. Erst seien die Gedanken in Bewegung, danach die Gefühle, dann die Eingeweide und das Zwerchfell, so daß schließlich „die Lunge die Luft mit schnell aneinander folgenden Absätzen ausstößt und so eine der Gesundheit zuträgliche Bewegung bewirkt.“
„Sieht nach Regen aus“, sagt die Wirtin, als sie dem Gast den Kaffee auf den Frühstückstisch stellt. „Aber wenn man genau hinsieht“, meint der Gast, „merkt man doch, daß es Kaffee sein soll.“
Die Ansicht Kants, das Lachen habe seinen Ursprung im gedanklichen Kontrast des Witzes, hat auch der Philosoph Friedrich Theodor Vischer 1837 in seiner Ästhetik aufgegriffen. Wir erkennten diesen Kontrast, meinte er, „bemühen uns, den Widerspruch zu reimen, und es geht nicht: es geht nicht, und wir versuchen es doch wieder, und diese An- und Abspannung erzeugt das fröhliche Gelächter.“
Das altgewordene Liebespaar sitzt auf dem Sofa. „Ich finde“, sagt die Frau, „wir sollten doch noch heiraten.“ „Das finde ich auch“, sagt ihr Freund, „aber wer würde uns denn noch nehmen?“
An diesem Beispiel kann man sich klarmachen, daß Spencer durchaus recht hat mit der Annahme, erst sei da ein Schrecken, der im Lachen abfließe. Aber auch Kants Ansicht leuchtet uns hier ein: Man geht zwischen den Positionen hin und her und kann in die Erschütterung des Lachens geraten. Das zeigt, finde ich, daß beide Theorien sich keinesfalls ausschließen. Es ist sogar sinnvoll, sie zu kombinieren.
Bei einem Presseempfang sagt Goebbels zu einem amerikanischen Korrespondenten: „Wenn Ihr Roosevelt eine SS hätte, gäbe es bei Ihnen keine Gangster mehr.“ „Gewiss“, antwortet der Amerikaner, „die wären längst Standartenführer.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 43/1984
[Fortsetzung folgt]