Fortsetzung von: Der Witzableiter (23): Mein Gott, auch das noch
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um ‚Dinge’, die durch Magen, Darm und Blase wandern und daher als unappetitlich empfunden werden. Warum wir trotz des Ekels lachen? Das Eklige hat seinen Reiz und im Witz hat es wie so oft etwas ‚Befreiendes’.
Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens
Ein Schotte bittet auf dem Sterbebett seinen Freund: „Nimm die Flasche Whisky, die ich dreißig Jahre gehütet habe, und schütte sie später bis auf den letzten Tropfen auf mein Grab.“ Der tiefbetrübte Freund fängt an zu schluchzen und sagt: „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich aufgrund unserer Freundschaft den Whisky erst durch meine Kehle rinnen ließe?“
Das geht ja noch. Aber richtige Fäkalien sind für viele Menschen völlig indiskutabel. Das war nicht immer so. Vom Mittelalter bis in die Aufklärungszeit hinein reichte „die bloße Nennung eines unappetitlichen Vorganges“ aus, „um wieherndes Gelächter auszulösen“, wie der Germanist Richard Alewyn notiert hat. Diese Quellen der Lust sind heute tabu.
Ein schwäbischer Weingärtner kommt zur Herbstzeit betrunken nach Hause und ruft seinem Weib zu: „Karlene, breng mr schnell de Kübel, i muass spucke!“ Dann, als sie mit dem Kübel ankommt: „ Breng mr lieber a frische Hos, i hao omdisponiert.“
Diese Scherze gehören so sehr in die Vergangenheit wie die hygienischen Verhältnisse, in denen sie spielen. An einem Furz (medizinisch: Flatus) haben aber Kinder noch ein ungeniertes Vergnügen. Martin Grotjahn hat beobachtet, daß „kleine Kinder bei einem unfreiwilligen oder imitierten Flatus vor Vergnügen kreischen“. Manchmal kann, was eklig ist, auch Erwachsene reizen:
Klein Erna und Heini küssen sich leidenschaftlich. Da unterbricht Heini und sagt: „Jetzt hab’ ich gerade dein Kaugummi verschluckt.“ „Nee“, sagt Klein Erna, „das war kein Kaugummi. Ich hab’ ja man bloß so’n Schnupfen.“
Martin Grotjahn hat, schließlich ist er Analytiker, den Flatus „den infantilen Vorläufer des späteren Lachens“ genannt. Das muß man nicht glauben, aber mit einer anderen Beobachtung wird Grotjahn recht haben: Lachen ist vor allem Ausatmen. Beim Anhören eines Witzes dringen böse Erinnerungen in uns ein – „im zweiten Teil des Witzes werden sie freigelassen, ausgeatmet“. Ich finde das richtig. Im Lachen will man etwas loswerden, zum Beispiel seinen Ekel.
Der neue Kurgast weiß nicht, daß es unerwünscht ist, über Krankheiten bei Tisch zu reden. Er spricht seinen Nachbarn an: „Welche Wirkung beobachten Sie eigentlich nach dem Brunnentrinken!“ Der Nachbar wehrt ab: „Psch-psch!“ Da nickt der neue Gast und sagt: „Ja, ja, bei mir auch.“
Einatmen ist bedrückend (seufzend atmet man ein), Ausatmen ist befreiend (beim lustvollen Stöhnen atmet man aus). Schon Goethe sagte vom Ein- und Ausatmen: „Jenes bedrängt, dieses erfrischt, so wunderbar ist das Leben gemischt.“ (Quelle: Divan, Buch des Sängers, Talismane) Bei manchem Witz hat man ja tatsächlich etwas wegzusprudeln.
Im ersten Weltkrieg schrieb eine deutsche Soldatenzeitung einen Preis aus für die beste Kurzgeschichte, die nicht mehr als zweihundert Worte umfaßte. Den ersten Preis bekam diese: „Am Ende unseres Laufgrabens befand sich eine Latrine. Der Balken war angesägt. Das sind zwölf Worte. Die übrigen 188 sagte Feldwebel Huber, als er sich daraufgesetzt hatte.“
Auch das Lachen ist also ein Hin und Her. Darin läuft eine Bewegung aus, die wir auf allen Ebenen des Witzes beobachtet haben: beim Verstehen, bei der Rückkopplung der Gefühle – und nun bei den körperlichen Folgen.
Die Bäuerin fragt ihren Feriengast, wie es ihm auf dem Hof gefalle. „Sehr gut“, gibt der zur Antwort, „nur die vielen Fliegen auf dem Klo stören mich arg.“ „Dann müssen Sie halt in der Mittagszeit aufs Klo gehen“, meint die Bäuerin, „dann sind die Fliegen alle in der Küche.“
Zu Recht sagt man im Deutschen, man „schütte sich aus vor Lachen“. Zu den Dingen, die wir ausschütten möchten, gehören die Ekelgefühle, die uns einst bei der Sauberkeitsdressur antrainiert worden sind. „Igitt-igitt!“ Aber ein bißchen Lust am Schmutz ist uns heimlich doch geblieben und will im Witz zum Vorschein kommen.
Zwei Sperlinge halten ihre Mahlzeit auf einem Haufen Pferdeäpfel. Sagt der eine: „Ich weiß einen tollen Witz!“ Piepst der andere: „Aber bitte keinen unappetitlichen, jetzt beim Essen.“
Vom Lachen sagt Anthropologe Helmut Plessner, es sei eine Reaktion auf eine Lage, „auf die es keine andere Antwort gibt“. Eine Kapitulation also. Und das kann ja sehr entspannend sein.
Zwei Lebemänner machen Rast in einem Gasthaus und müssen zur gleichen Zeit die Toiletten aufsuchen. „Ach, Kalle“, ruft der eine seinem Freund in der Nachbarbox zu, „kannst du mir etwas Klopapier rüberreichen, hier ist nichts“. „Hier ist auch keins“, tönt er zurück. „Irgendeine Zeitung?“ „Nein, nichts.“ „Hast du einen alten Umschlag? Oder eine Drucksache?“ „Leider nichts!“ „Na schön, kannst du mir dann einen Hunderter wechseln?“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 51/1984
[Fortsetzung folgt]