Halldór Laxness: Sein eigener Herr

„Bjartur hat achtzehn Jahre lang als Knecht geschuftet, um eines Tages seinen eigenen Hof zu besitzen. Sumarhus nennt er sein kümmerliches Anwesen, das abseits im unwirtlichen Heideland liegt. Bjartur ist entschlossen, ein freier und unabhängiger Mensch zu sein, sein eigener Herr – diesem Ziel opfert er Glück und Gesundheit seiner Familie. Starrköpfig verschuldet er den Tod seiner Frau, und auch seine zweite Frau unterliegt in dem bitterem Überlebenskampf.

Nach vielen mageren und wenigen guten Jahren ist Bjartur schließlich gezwungen, Sumarhus zur Versteigerung freizugeben. Doch er resigniert nicht. Mit seiner geliebten Stieftochter Asta Sollilja bricht er zu noch ferneren Regionen auf, um von neuem einen eigenen Hof aufzubauen. …“
(aus dem Umschlagtext)

Halldór Laxness (1902-1998), eigentlich Halldór Guðjónsson, ist wohl Islands bekanntester Schriftsteller. Den Nachnamen Laxness nahm er nach dem Hof Laxnes (dt. „Lachshalbinsel“) bei Mosfellsbær an, wo er aufgewachsen war. Mit Sein eigener Herr (Originaltitel: „Sjálfstætt fólk“ – zu Deutsch: „selbständige Leute“) schrieb er in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts einen Bauernroman der besonderen Art.

„Bei seinem ersten Erscheinen Mitte der dreißiger Jahre rief das Buch eine Welle der Empörung unter den Isländern hervor. Man war Bücher über das Leben auf dem Lande gewöhnt, doch in diesen Romanen, Erzählungen und Gedichten wurde der Bauernstand verherrlicht, der harte Überlebenskampf des einzelnen Bauern entweder zur Idylle oder zum Heldenleben stilisiert; daß viele Kleinbauern unter erbärmlichsten Bedingungen dahinvegetierten, wollte man nicht wahrhaben. …

In der Erstausgabe von 1934-35 trug der Roman den Untertitel ‚Hetjusaga’ das heißt ‚Geschichte eines Helden’. Nicht nur der Titel „Sjálfstætt fólk“, sondern auch der ursprüngliche Untertitel des Romans drücken also die Ironie aus, die das Buch selbst kennzeichnet.“
(aus dem Nachwort von Hubert Seelow zur Ausgabe im Steidl Verlag – Göttingen – 2009)

Bjartur, der Held des Romans, ist ein eigensinniger, geradezu starrköpfiger Talbauer, der nur eines sein will: frei und unabhängig. Erst zuletzt erkennt er: „Die Geschichte von Bjartur in Sumarhus ist die Geschichte eines Mannes, der sein Leben lang, Tag und Nacht, den Acker seines Feindes säte.“ (Steidl taschenbuch 225 – Steidl Verlag, Göttingen – 2009 – 9. Auflage – S. 555). Aber selbst da resigniert er nicht und wag den Neubeginn, denn: „Zwangsversteigerung. … Er sagte nichts. Es war nie seine Gewohnheit, dem nachzutrauern, was er verloren hatte; er schleppte seinen Kummer nicht mit sich herum, das war am besten. Lieber sollte man mit dem zufrieden sein, was man noch besaß, nachdem man verloren hatte, was man besessen hatte, …“ (S. 530)

Im Mittelpunkt des Roman stehen folgende Personen:

Bjartur in Sumarhus (‚Sommerhaus’), eigentlich Gudbjartur Jonsson

(isländische Namensgebung: Vorname als wichtigster Teil des Namen und Vatersnamen, einen Nachnamen kennt man nicht – früher, wie hier und wie es Laxness für sich selbst wählte, benutze man Vornamen mit Herkunftsbeschreibung, hier: in – oder auch: auf Sumarhus)

– 1. Frau Rosa (Vater Thordur bzw. Þordur in Nidurkot) , eigentlich Rosa Þordursdottir
– dessen Tochter Asta Sollilja, genannt Sola (Stieftochter Bjarturs – eigentlicher Vater ist Ingolfur Arnarson Jonsson)

– 2. Frau Finna (Vater: Thorarinn bzw. Þorarinn auf Urdarsel/Sandgilsheide bzw. Urðarsel, wo sich Bjartur zuletzt niederlässt), eigentlich Finna Þorarinnsdottir
– ihre Mutter Hallbera, genannt Bera

gemeinsame Söhne mit Bjartur:
Helgi
Gvendur (eigentlich Gudmundur bzw. Guðmundur)
Nonni (eigentlich Jon) (einige Kapitel sind aus seiner Sicht geschrieben)

Die Leute von Utiraudsmyri, auch Raudsmyri oder nur Myri genannt
Ingolfur Arnarson Jonsson, „Ziehbruder“ von Bjartur

Benachbarte Bauern (und Freunde), mit denen Bjartur bei Kaffee und Kuchen lange wirklich köstlich philosophische Gespräche führt (Kaffee ist gewissermaßen das Nationalgetränk Islands, nichts geht ohne Kaffee – und so ist es heute noch in Restaurant, Cafes usw. Brauch, eine zweite Tasse Kaffee umsonst zu bekommen):

Thorir (Þorir) auf Gilteigur
Olafur in Ystidalur (Ystiðalur)
Einar in (oder auf) Undirhlid (Unðirhlid)
Hrollaugur auf Keldur (Kelður)

Einiges zum Inhalt: Obwohl Asta Sollilja, genannt Sola, nicht die Tochter von Bjartur ist, liebt er sich innig. Aber in seiner Starrköpfigkeit verstößt er sie, als sie in jungen Jahren schwanger wird. Die von ihr geborene Tochter bekommt den Namen Björt, was die weibliche Form von Bjartur ist. Sola zeigt sich ebenso starrköpfig wie ihr Stiefvater. Beide gehen sich jahrelang aus dem Weg. Der Roman endet aber versöhnlich. Als Bjarturs Hof versteigert wird, mach er sich wieder auf den Weg – und macht einen Umweg, um Sola, die inzwischen schwer lungenkrank ist, bei sich aufzunehmen. Das weitere Ende bleibt offen …

Der Roman spielt auf einem Gehöft namens Sumarhus (‚Sommerhaus’), das früher einmal Albogastadir auf der Heide und zuletzt Veturhus (‚Winterhaus’) hieß, um die Zeit des Ersten Weltkrieges. Auf dem Hof lastet ein alter Fluch, denn vor vielen Jahren trieb die Hexe Gunnvör bzw. Gudvör (oder auch Guðvör) hier im Namen von Kolumkilli, dem Iren und großen Geisterbeschwörer, der in der ersten Zeit des Papsttums von den Britischen Inseln nach Island gesegelt kam, ihr Unwesen. Das Gehöft liegt bei der Ortschaft Utiraudsmyri, umgeben von den Blauen Bergen (isländisch: Bláfjöll), die liegen etwa 20 km südwestlich von Reykjavík.

Im Roman finden sich wieder viele Bezüge zu alten isländischen Sagas (zuletzt heißt es auf Seite 549: Grettir Asmundarson war neunzehn Jahre lang ein friedloser Geächteter in den Gebirgen Islands, bis er auf der Insel Grangey erschlagen wurde; dennoch wurde für ihn in Konstantinopel, der größten Stadt der Welt, Rache genommen. Vielleicht werde auch ich [Bjartur] im Lauf der Zeiten gerächt. …“), es hat viele leise, sehr lyrische Passagen. Aber er ist auch eine unverhohlene Kritik an den sozialen Missständen früherer Jahre. Selbst als der Staat die Bauernschaft unterstützt, so kommt dies nur den Großbauern zugute, nicht Bauern wie Bjartur, die zudem die Zeche zu bezahlen haben. Im Mittelpunkt dieser Politik steht Ingolfur Arnarson Jonsson, eigentlicher Vater von Asta Sollilja, Sohn des Gemeindevorstehers und Ziehbruder Bjarturs (der Knecht auf dem Hof des Gemeindevorstehers war), der zunächst in den Althing, dem isländischen Parlament, gewählt wird und später – fiktiv – zum Ministerpräsidenten Islands (seine beiden Vornamen beziehen sich auf Ingólfur Arnarson, mit dem offiziell die sogenannte Landnahme Islands (zwischen 870 und 930) begann und der als Gründer der isländischen Hauptstadt Reykjavík gilt).

„Sein eigener Herr“ ist ein herrlich altmodischer Roman. Bemerkenswert sind die bissigen Dialoge, die Bjartur mit dem Gemeindevorsteher und all den anderen führt. Allein diese sind des Lesens wert. Und bei all den Nackenschlägen, die die Protagonisten einstecken müssen, bleibt immer ein letztes Fünklein Hoffnung. Wie heißt es u.a. im Roman:

Das merkwürdigste an den Träumen des Menschen ist, daß sie alle in Erfüllung gehen; das ist von jeher so gewesen, auch wenn die Menschen es nicht wahrhaben wollen. Und es ist typisch für das Verhalten des Menschen, daß er durchaus nicht erstaunt ist, wenn seine Träume in Erfüllung gehen; es ist, als ob er von jeher damit gerechnet hat. Bestimmung und Endpunkt sind Geschwister, die beide im selben Herzen schlummern. (S. 414)

Wie verabschiedet man sich auf Island? Sæl og blessuð! Glück und Segen!

Literatur in Steidl Verlag (der u.a. auch Günter Grass verlegt) von Halldór Laxness

siehe auch:
Halldór Laxness: Islandglocke
Halldór Laxness: Am Gletscher

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

4 Gedanken zu „Halldór Laxness: Sein eigener Herr

  1. Ich wollte genauer wissen, wo in Island sich dieser grandiose Roman abspielt und bin dabei auf diese Web-Seite gestossen. Dabei sind mir zwei Dinge in Ihren Texten aufgefallen:
    1. Sie schreiben in Ihrem Text, der Roman spielt zu Zeiten es Zweiten Weltkriegs. Kann ja wohl nicht sein, wenn er in den 1930-er Jahren erschienen ist.
    2. Der Ort der Handlung kann auch nicht 20 km südwestlich von Reykjavik sein, das ist viel zu weit weg von dem immer wieder erwähnten Vik (i Myrdal). Bjartur käme da nie zu Fuss oder per Pferd hin – es sind über 150 km. Die erwähnten „Blauberge = Blafjöll“ gibt es offensichtlich in mehreren Ausgaben auf Island, auch in der Nähe von Vik.
    Leider weiß ich jetzt aber immer noch nicht, wo der genaue Ort der Handlung ist. Ich wäre bei meiner nächsten Islandreise gerne mal dort gewandert.

    1. Natürlich spielt der Roman zu Zeiten des ERSTEN Weltkrieges. Was den Ort der Handlung betrifft, so weiß ich nur, dass Laxness wohl bewusst keine genauen Angaben (oder falsche) gemacht hat: Wie seine Personen so sollten auch die Lokalitäten fiktiv bleiben.

    2. eine der genauesten Ortsangaben im Roman ist m.E. die Stelle an der Bjartur auf einem Rentier einen Fluß namens Jökulsá überquert, und Bjartur dadurch in Verlegenheit bringt, dass er in nordwestlicher Richtung fließt, was Bjartur bei seiner Suche nach einer Überquerung weiter von seinem Heim wegbringt. Es gibt einige Jökulsá auf Island aber m.E. fließen nur der Jökulsá á Fjollum und der Jökulsá í Fljótsdal an einigen Stellen in nordwestlicher Richtung.
      Westliche des Jökulsá á Fjollum gibt es einen Ort namens Myri. Ich kann mir vorstellen, dass das erfundene Sumarhus zwischen diesem kleinen Myri und Jökulsá á Fjollum gestanden hat.

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