„Fünf Freunde, alle etwas Mitte Dreißig, haben nach dem Studium in einem Beruf Fuß gefaßt und versuchen nun, in ihrer jeweiligen Profession voranzukommen und zugleich ihren Platz in der Gesellschaft zu festigen: Sagoe ist Journalist, Bandele Universitätslehrer, Egbo Angestellter im Auswärtigen Amt, Kola Maler und Dozent und Sekoni Ingenieur und Bildhauer aus Liebhaberei. In einem Land wie Nigeria aber, das, gerade in die nationale Unabhängigkeit entlassen, allerorten Kriecher und Streber hervorbringt und wo überall die Korruption blüht, gleicht das einem Abenteuer, zumal diese fünf Freunde selber alles andere als Heilige sind; auch sie unterliegen der korrupten Gesellschaft.
Je näher Soyinka seine ‚Helden’ mit den Vertretern der fragwürdigen neuen nigerianischen Führungsschicht in Berührung kommen läßt, um so entlarvender treten die Reaktionen auf Phänomene wie Rassismus, Generationskonflikt, religiöse Intoleranz, Homosexualität oder Polygamie zutage. Der Kampf des einzelnen gegen einen übermächtigen Staatsmechanismus scheint aussichtslos; der Roman endet pessimistisch und desillusionierend: Der Biafra-Krieg wirft seine Schatten voraus.“
aus dem Klappentext zu: Wole Soyinka: Die Ausleger (Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)
„Ich muß zugeben, mir gefällt die Idee mit den Eseln“, sagte Kola. „Aber es könnte sein, daß sie gegen den Geruch allergisch sind.“ „Gasmasken. Die Polizei kann sicher genügend zur Verfügung stellen.“ „Gasmasken an Esel auszugeben, könnte aber ein erhebliches Sicherheitsrisiko bedeuten. Stellt euch mal vor, die veranstalten eine Demonstration, dann wäre der Einsatz von Tränengas ja völlig nutzlos.“ |
|
Umschlaggestaltung Hermann Schelbert |
Einen der Helden aus dem Roman von Wole Soyinka, Träger des Nobelpreises für Literatur 1986, haben wir bereits indirekt kennengelernt: Sagoe, der Journalist philosophiert über den Leerizismus [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3], eine Wortschöpfung von Soyinka (im Original: voidancy zu voidance = Entleerung). Es ist eine persönliche Philosophie, mit der er die gängigen -ismen für sich verneint; er muss als der am meisten „verwestlichte“ in diesem Kreis gelten. Kalo arbeitet an einem großen Gemälde, in dem er alle seine Freunde und Bekannten als Yoruba-Gottheiten porträtiert. Sekoni ist nach einem abgelehnten Kraftwerksprojekt zum Bildhauer mutiert. Bandele ist vielleicht am wenigsten greifbar geblieben, er hat kein konkretes „Projekt“, mit dem er sich identifiziert. Egbo steht vor allem zwischen zwei Frauen, verkörpert aber das Gegenstück zu Sagoe, nämlich den „Traditionalisten“.
Soyinka macht es besonders den europäischen Leser nicht leicht. Er experimentiert und lässt so „provokant klassisch-westliche Formelemente auf die traditionellen Formprinzipien des Yoruba-Dramas stoßen. […] Wer sich an Soyinkas Buch mit festgefügten Vorstellungen zur Romanstruktur macht, wer feste, an europäischen Konventionen und Traditionen epischen Erzählens gebildete Erwartungen an die literarische Form Roman heranträgt, wird von Soyinka schon auf den ersten Seiten […] enttäuscht und verwirrt.“ (aus dem Nachwort von Eckhard Breitinger). Aber genau das macht den Reiz dieses Roman aus. Er entführt uns in eine andere (auch sprachliche) Welt, in der weniger der Einzelne im Mittelpunkt steht als die Gemeinschaft. Sicherlich erfordert dieser Roman einige Aufmerksamkeit, um den Überblick über die gerade geltende Zeit, die gerade aktiven Personen (Zuordnung der Personen) und die inneren Bezüge zu behalten. Aber als Leser gewöhnt man sich schnell an dieses ‚Fließen’ der Handlung.
Eng im nigerianischen Kontext bleibt Soyinkas erster Roman aus dem Jahr 1965, „The Interpreters“ – Die Ausleger“. Der Titel bezieht sich auf fünf Akademiker verschiedener Fachrichtungen, die das Leben im gerade unabhängig gewordenen Nigeria interpretieren, jeder auf seine Art, alle aber in dem sehr afrikanischen Bewußtsein, Teil des Ganzen und verantwortlich für die Gemeinschaft zu sein. Die verschiedenen Interpretationsansätze, die Soyinka mit Humor, Ironie, auch Sarkasmus auf seine fünf Hauptpersonen verteilt, gelten so auch für das Nigeria der achtziger Jahre und manchen anderen Staat der „Dritten Welt.“
Almut Seiler-Dietrich – Die Zeit Nr. 24 vom 05.06.1987 – S. 55
siehe auch Zeit online Literatur: Schwarzer Orpheus, springender Tiger
Stücke, Romane und Gedichte von Wole Soyinka