Albert Camus war Schriftsteller und Philosoph des Existenzialismus und gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. 1957 erhielt er für sein Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur.
Den Philosophen Camus habe ich hier schon in mehreren Beiträgen vorgestellt. In dem Beitrag Albert Camus: Der Fremde zu der Erzählung Der Fremde schrieb ich: „Leben heißt Miterleben […]. Ausgangspunkt der Philosophie Camus’ ist das Absurde des Lebens, die Sinnlosigkeit. Dem kann der Mensch nur durch die Revolte, durch ein tägliches sich Aufbäumen, entgehen. Morgens, wenn ich aufstehe, so lebe ich trotzdem (trotz der Sinnlosigkeit) und mühe mich um menschliche Solidarität.“
Neben Camus ist es Sartre, der gegen die „Sinnlosigkeit des Lebens“ revoltierte. Für den Marxisten Sartre endet die Revolte allerdings im Endziel Kommunismus, bei Camus ist die Revolte ‘endlos’. Außerdem spielt für den Mittelmeermensch Camus vor allem Licht und Schatten eine wichtige Rolle. In dem Schauspiel „Das Mißverständnis“ ist es die Sehnsucht der Schwester nach dem Meer und nach Sonne.
In meinem kleinen Philosophie-Modell berief ich mich übrigens auch auf Camus und schrieb zusammenfassend: „Es gibt keinen eigentlichen, allgemeingültigen Sinn des Lebens. Man muss sich und seinem Leben ‚selbst’ einen Sinn geben. Ähnlich dachte auch Buddha, der das Leben für leidvoll hielt. Man muss gegen diese allgemeine Sinnlosigkeit, gegen das Leid revoltieren. Diese Revolte ist ein tägliches sich Aufbäumen gegen die Absurdität des Lebens.“
Albert Camus war nun nicht nur Philosoph und Verfasser von Romanen und Erzählungen. Er war auch ein begeisterter Theaterfreund und als solcher Schauspieler und Regisseur eines kleinen Theaters in Algier – und natürlich Dramatiker. Zwischen 1938 und 1950 verfasste er vier Schauspiele. 1959 dramatisierte er mit dem Stück „Die Besessenen“ den Roman Dämonen von Dostojewski.
Die Dramen von Albert Camus sind in einem gut 340 Seiten umfassenden Buch erhältlich. Ich selbst zitiere hier aus der folgenden Ausgabe: Albert Camus: Dramen – ins Deutsche übertragen von Guido G. Meister – Rowohlt Verlag, Hamburg – 128. – 131. Tausend, April 1982 (14. Auflage) – Sonderausgabe
Vorweg: Natürlich werden Camus’ Stücke auch heute noch aufgeführt und sind nicht ‚vergessen’. Seine Themen haben nicht an Aktualität eingebüßt. Wie sollten sie auch. Was hat sich schon wesentlich auf unserer Erdenkugel geändert.
- Scipio: … Leiden verursachen sei die einzige Art, sich zu irren. (S: 23)
- Cherea: Man muß wohl zuschlagen, wenn man nicht widerlegen kann. (S. 32)
- Caesonia: … gieße über unsere Gesichter deine unparteiliche Grausamkeit, deinen ganz und gar sachlichen Haß. (S. 48)
- Caligula: Das Schicksal kann man nicht begreifen, und darum habe ich mich zum Schicksal gemacht … (S. 51)
- Cherea: … die Unsicherheit veranlaßt einen, zu denken. (S. 60)
- Caligula: Nun, ich trete gewissermaßen an die Stelle der Pest. (S. 64)
- Caligula: Die anderen schaffen aus Machtlosigkeit. Ich jedoch habe kein Werk nötig. Ich lebe. (S. 66)
- Calugula: Wenn ihr alle da seid, verspüre ich eine Leere ohne Maß, in die ich nicht blicken vermag. Nur unter meinen Toten ist mir wohl. (S. 69)
- Calugula: Die Dummheit […] ist mörderisch. Sie wird zum Mörder, wenn sie sich beleidigt fühlt. (S. 69)
- Caligula: Einen Menschen lieben, heißt einwilligen, mit ihm alt zu werden. Dieser Liebe bin ich nicht fähig. Eine alte Drusilla, das war viel schlimmer als eine tote Drusilla. (S. 71)
- Caligula: Ich lebe, ich töte, ich übe die sinnverwirrende Macht des Zerstörers, mit der verglichen die Macht des Schöpfers als billiger Abklatsch erscheint. Das heißt glücklich sein! (S. 71)
- Caligula: Aber wer wagte es, mich zu richten in dieser Welt ohne Richter, da niemand ohne Schuld ist! (S. 72)
Das Schauspiel Caligula, ein Schauspiel in vier Akten, entstand 1938, nachdem Camus, damals gerade 25 Jahre alt, Suetons De vita Caesarum gelesen hatte. Es ist die Tragödie maßlosen Machtwillens. Der vom Drang nach dem Absoluten besessene Caligula glaubt, die Treue zu sich durch die Untreue gegen die anderen gewinnen zu können. Caligula ist kein brutaler Despot, sondern ein raffinierter, intellektueller Verbrecher, der seine Untertanen immer weitertreibt, wie in einem Experiment, um zu prüfen, was sie alles erdulden. Als er endlich unter den Dolchen der Verschwörer zusammenbricht, sind seine letzten Worte: „Ich lebe immer noch.“ – Eine indirekte Aufforderung, dass die Verpflichtung zum Widerstand nie erlischt.
„Historisch setzt es nach dem Tod der Drusilla und der damit verbundenen Krise des Kaisers ein, der die Sinnlosigkeit des Lebens erkennt und damit Camus’ philosophische Konzeption des Existentialismus versinnbildlicht.“
Wuppertaler Bühnen: CALIGULA (Trailer) von Albert Camus
„Caligula, das ist der Spieler ums Absolute, der Tyrann, dessen uneingeschränkte Macht ihn verleitet, sich auf die Suche nach der vollkommenen Freiheit zu begeben, um sich neben die Götter einzureihen. Caligula ist der launische Despot, der zwischen Wahn und Willenskraft seine Untertanen wie Fliegen auslöscht, wenn ihm danach ist, und befiehlt, den Mond für ihn vom Himmel zu holen.
Der als Sohn französischer Eltern in Algerien geborene Albert Camus (1913–1960) popularisierte in seinem kurzen Leben, das mit einem Autounfall endete, die Philosophie gemeinsam mit Jean Paul Sartre, was bis heute nachwirkt. Die beiden waren weit über Frankreich hinaus und auch außerhalb der Intellektuellenszene moralische Instanzen in einem Europa, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg entsetzt die Frage stellte: Wie konnte das geschehen? Was ist die Essenz, was ist die Existenz des Menschen, worin besteht seine Freiheit, was macht die Macht mit ihm? Um all diese Dinge geht es in ‚Caligula’, der in der Nachkriegszeit oft aufgeführt wurde; Camus hatte das Stück unter dem Eindruck Hitlers umgeschrieben und verschärft.“ (Quelle: diepresse.com)
„Der Mensch, zumindest der herrschende, ist so grausam wie Gott.
Grotesk der Konflikt. Ausgerechnet einen Kaiser läßt Camus erkennen, daß die Welt schlecht eingerichtet ist! Derlei Erkenntnis gewinnen üblicherweise Unterdrückte. Oder weiß mir jemand einen Regenten zu nennen, dem die »Weltordnung« ungelegen gewesen wäre? Camus‘ Geschichte gipfelt in des Kaisers Entschluß, das Unmögliche möglich zu machen. Beispielsweise will dieser sich von Helicon, einem ehemaligen Sklaven, den Mond holen lassen. Im übrigen hofft er, eigene unumschränkte Freiheit dadurch zu erringen, daß er Untergebene foltert, vergewaltigt und mordet. Ein Irrer an den Hebeln der Macht also. Verheerend die Folgen.“ (Quelle: berliner-schauspielschule.de)
Caligula – Hörspiel – Hörbuch – deutsch – komplett
Camus selbst schrieb in einem Vorwort zu seinen Dramen: „Caligula, ein bis dahin eher liebenswerter Kaiser, entdeckt beim Tod seiner Schwester und Geliebten, Drusilla, daß die Welt schlecht eingerichtet ist. Von diesem Tag an versucht er, vom Verlangen nach dem Unmöglichen besessen, von Verachtung und Grauen vergiftet, durch Mord und systematische Umkehrung aller Werte eine Freiheit zu üben, die er letzten Endes als falsch erkennen wird. […] während seine Wahrheit darin besteht, die Götter zu leugnen, besteht sein Irrtum darin, die Menschen zu leugnen [so sagt Cherea: ‚Gewiß kommt es bei uns nicht zum erstenmal vor, daß ein Mensch unumschränkte Macht verfügt, aber es geschieht zum erstenmal, daß jemand sich ihrer unumschränkt bedient, daß er so weit geht, den Menschen und die Welt zu leugnen.’ (S. 31)]. Es ist nicht möglich, alles zu vernichten, ohne sich selbst mit zu zerstören.“
Personen:
Caligula
Caesonia
Helicon
Scipio
Cherea
Senectus, der alte Patrizier
Metellus, Patrizier
Lepidus, Patrizier
Octavius, Patrizier
Patricius, Oferhofmeister
Mucius
Die Frau des Mucius
Wachen
Sklaven
Dichter
Der erste, dritte und vierte Akt spielen in Calugulas Palast, der zweite in Chereas Haus. Zwischen dem ersten und den drei folgenden Akten liegen drei Jahre.
Caligula wurde 25.09.1945 im Théâtre Hébertot, Paris (Leitung Jacques Hébertot) uraufgeführt (R: Paul Oettly)
DSE: 29.1.1947 Staatstheater Stuttgart (R: Helmut Henrichs)
- Martha: Was sollte aus der Welt werden, wenn die Verurteilten anfingen, dem Henker ihre Herzensnöte anzuvertrauen? (S. 92)
- Maria: Von nun an muß ich in jener fürchterlichen Einsamkeit leben, da die Erinnerung eine Folter ist. (S. 113)
Das Mißverständnis (franz.: Le Malentendu), ein Schauspiel in drei Akten, wurde von Albert Camus 1941 im besetzten Paris geschrieben.
Ein Mann, der viele Jahre in Übersee war, kommt heim. Dort leben seine Schwester und seine verwitwete Mutter davon, Untermieter aufzunehmen und zu ermorden. Weil sie ihn nicht erkennen, wird er selber zum Untermieter, ohne seine Identität preiszugeben, und schlussendlich getötet.
Das Missverständnis im Cuvilliés Theater, München
Camus schriebt dazu in seinem Vorwort: „Ein Sohn, der erkannt werden will, ohne seinen Namen nennen zu müssen, und der infolge eines Mißverständnisses von Mutter und Schwester umgebracht wird – das ist das Thema des Stücks. Gewiß verrät es eine sehr pessimistische Auffassung des menschlichen Daseins, die aber sehr wohl mit einem gemäßigten Optimismus in bezug auf den Menschen vereinbar ist. Denn eigentlich will das besagen, daß alles anders gekommen wäre, wenn der Sohn gesagt hätte: ‚Ich bin’s, dies ist mein Name.’ Er will besagen, daß der Mensch in einer ungerechten oder gleichgültigen Welt sich selbst und seine Mitmenschen erretten kann, wenn er sich an die einfachste Aufrichtigkeit, das treffendste Wort hält.“
Personen:
Martha, Jans Schwester
Maria, Jans Ehefrau
Die Mutter
Jan
Der alte Knecht
Das Mißverständnis wurde 1944 im Théâtre des Mathurins uraufgeführt.
- Die Pest: … in Tat und Wahrheit bin ich ein Idealist […] Ich bringe euch das Schweigen, die Ordnung und die unbedingte Gerechtigkeit. (S. 146)
- Der Richter: Wenn das Verbrechen Gesetz wird, hört es auf, Verbrechen zu sein. (S. 158)
Der Belagerungszustand (französisch L’état de siège) ist ein Theaterstück in drei Teilen von Albert Camus. Es wurde 1948 in Paris uraufgeführt. Das Stück entstand unter dem Einfluss der deutschen Teilung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. Er zeigt damit die Grausamkeiten, welche tyrannische menschenfeindliche Regimes nach sich ziehen und macht vor allem die Bürokratie als eines der wirkungsvollsten Instrumente der Despotie aus.
Der Belagerungszustand – Schauspielhaus
Zu diesem Stück äußert sich Camus selbst: „Es ist jedoch von Vorteil, zu wissen
1. daß Der Belagerungszustand in keiner Weise eine Bearbeitung meines Romans Die Pest darstellt. Allerdings habe ich einer meiner Personen diesen symbolischen Namen gegeben. Aber da es sich um einen Diktator handelt, ist die Bezeichnung zutreffend;
2. daß Der Belagerungszustand kein nach klassischem Muster verfaßtes Stück ist. […] Ich habe für mein Schauspiel das als Mittelpunkt gewählt, was mir in unserem Jahrhundert der Tyrannen und der Sklaven die einzige lebendige Religion zu sein scheint, nämlich die Freiheit. […] Es war eingestandenermaßen meine Absicht, das Theater den psychologischen Grübeleien zu entreißen und auf unseren von gedämpften Murmeln erfüllten Bühnen die lauten Schreie ertönen zu lassen, die heute ganze Menschenmassen ins Joch beugen oder befreien.“
Personen:
Die Pest
Die Sekretärin
Nada
Victoria
Der Richter (Viktorias Vater)
Die Frau des Richters
Diego
Der Gouverneur
Der Alkalde (Strafrichter, Bürgermeister in Spanien)
Die Frauen von Cádiz
Die Männer von Cádiz
Die Wachen
Der Belagerungszustand wurde am 27. Oktober 1948 im Théâtre Marigny uraufgeführt. Bühnenmusik von Arthur Honegger.
„Albert Camus’ ‚Théâtre’ umfaßt einen imponierenden Band, in dem der Kern seiner Dramatik deutlich wird : ‘In der heutigen Zeit lebende Gestalten die Sprache der Tragödie sprechen zu lassen’.“ Stuttgarter Zeitung
„Die hohe Moral seiner Kunst verbietet Camus das Zweideutige und das Allzubrillante, denn es soll und will den Leser, das Publikum zur Entscheidung zwingen. Sie appelliert an unsere Urteilsfreiheit, die von Camus als jene Freiheit erkannt wird, die dem sittlichen Individuum die Verantwortung für Gut und Böse in ihrem vollen Gewicht aufbürdet.“ Bayerischer Rundfunk, München
„Camus unterscheidet sich in wesentlichen Dingen von den Existentialisten Sartrescher Prägung, indem er der Hoffnungslosigkeit jener seinen starken, männlichen Humanismus entgegensetzt, wie er auch immer jene höchst kunstvolle Klarheit und Einfachheit erreicht, mit der er sofort den Zugang zum Hörer findet.“ Westdeutsche Allgemeine, Essen
Siehe auch Video bei YouTube: Albert Camus on Nihilism