Es sind Shakespeare’sche Geister, mit denen uns Javier Marías zu kämpfen aufgibt, die uns ‚ermahnen’, an sie zu denken in der alltägliche Schlacht: Morgen in der Schlacht denk an mich
Aber dann sind es auch wieder nur alltägliche Geister, die uns bedrücken, die uns diffuse Gefühle eingeben, irgendetwas zwischen Unsicherheit und Scham: ein seelisches Unwohlsein. Die Ursache liegt in der Situation. Es ist Nacht oder es stürmt. Es überkommt uns eine Ängstlichkeit, die begründet scheint – und es vielleicht ist oder auch nicht. „… und ich kann nicht einmal etwas dagegen tun“. Javier Marías beschreibt es wie folgt:
Das ist es, was panische Angst bewirkt und jene ins Verderben führt, die sie erleiden: Sie macht sie glauben, daß sie inmitten von Not und Gefahr trotz allem in ihr geborgen sind. Der Soldat, der fast ohne zu atmen und ganz still in seinem Schützengraben bleibt, obwohl er weiß, daß dieser schon bald angegriffen wird; der Passant, der nicht wegrennen will, als er spätnachts in einer dunklen, verlassenen Straße hinter sich Schritte hört; die Hure, die nicht um Hilfe ruft, nachdem sie in ein Auto gestiegen ist, dessen Türverriegelung sich automatisch schließt, und der klar wird, daß sie niemals zu diesem Kerl mit so großen Händen hätte einsteigen dürfen (vielleicht ruft sie nicht um Hilfe, weil sie meint, daß sie kein Anrecht darauf hat); der Fremde, der den vom Blitz gespaltenen Baum auf seinen Kopf niedergehen sieht und nicht ausweicht, sondern zuschaut, wie er langsam auf die große Allee fällt; der Mann, der einen anderen mit einem Messer auf seinen Tisch zukommen sieht und sich weder rührt noch verteidigt, weil er glaubt, daß ihm so etwas eigentlich nicht passieren kann und daß dieses Messer sich nicht in seinen Bauch bohren wird, das Messer kann nicht seine Haut und Eingeweide zum Ziel haben; oder der Pilot, der gesehen hat, wie das feindliche Jagdflugzeug es geschafft hat, hinter ihn zu gelangen, und der keinen letzten Versuch mehr unternommen hat, durch ein akrobatisches Manöver aus der Schußlinie zu kommen, in der Gewißheit, daß der andere, obwohl er alle Trümpfe in der Hand hielt, das Ziel verfehlen würde, weil diesmal er das Ziel war. ‚Morgen in der Schlacht denk an mich, und falle dein Schwert ohne Schneide.’
[…] es geht also alles weiter, und ich kann nicht einmal etwas dagegen tun […]
… dieser Mann mit so großen Händen streichelt mir den Hals und drückt noch nicht zu: er streichelt mich zwar grob und tut mir ein bißchen weh, aber ich spüre weiter seine plumpen, harten Finger auf meinen Wangenknochen und Schläfen, meinen armen Schläfen – seine Finger sind wie Tasten; und ich höre noch die Schritte dieses Menschen, der mich im Dunkeln ausrauben will, oder womöglich täusche ich mich und es sind die eines harmlosen Menschen, der nicht schneller gehen und mich überholen kann, vielleicht sollte ich ihm die Gelegenheit dazu geben, indem ich meine Brille herausziehe und stehenbleibe, um eine Auslage zu betrachten, aber es kann sein, daß ich sie dann nicht mehr höre, und was mich rettet, ist, daß ich sie weiterhin höre; und immer noch bin ich hier in meinem Schützengraben mit gefälltem Bajonett, von dem ich bald werde Gebrauch machen müssen, wenn ich nicht von dem meines Feindes durchbohrt werden will: aber noch nicht, noch nicht, und solange dieses Noch-nicht gilt, verbirgt und bewahrt mich der Schützengraben, obwohl wir auf offenem Feld sind und ich die Kälte an den Ohren spüre, die der Helm nicht bedeckt; und das Messer dort, das in einer Faust näher kommt, hat sein Ziel noch nicht erreicht, und ich sitze weiter an meinem Tisch, und nichts wird aufgeschlitzt, und trotzdem werde ich noch einen Schluck von meinem Bier trinken, und noch einen und noch einen; so wie der Baum da drüben noch nicht umgestützt ist und nicht umstützen wird, obwohl er abgebrochen ist und kippt, aber nicht auf mich, und seine Äste mir nicht den Kopf abtrennen werden, das ist nicht möglich, denn ich bin nur auf Durchreise in dieser Stadt und in dieser Allee, und ebensogut könnte ich nicht hier sein; und ich sehe die Welt weiter aus der Höhe, von meiner Supermarine Spitfire aus, und noch habe ich nicht das Gefühl von Sinken und Schwere und Schwindel, von Stürzen und Schwerkraft und Gewicht, das ich haben werde, sobald die Messerschmitt, die mir im Genick sitzt und mich im Visier hat, das Feuer eröffnet und mich trifft: aber noch nicht, noch nicht, und solange dieses Noch-nicht gilt, kann ich weiter an die Schlacht denken und die Landschaft betrachten und Zukunftspläne schmieden; … (S. 37 ff.)
Ich kenne das Beispiel vom Verfolgtem in einer bitterkalten Winternacht, der durchfroren Unterschlupf in einem warmen Heim in verlassener Gegend findet. Und dort vor dem wärmenden Ofen bleibt er hocken, obwohl er weiß, dass die Häscher ihm so nahe sind.
Aber solange es ‚weitergeht’, solange wir noch spüren, noch hören, noch sitzen und trinken, die Landschaft betrachten und Zukunftspläne schmieden, solange mag die Angst bestehen, aber solange leben wir auch noch.