Heute Ruhetag (45): Stanislaw Przybyszewski – Androgyne

Stanisław Przybyszewski (1868 – 1927) war ein polnischer Schriftsteller, der zu Beginn seiner Laufbahn auf Deutsch schrieb. Er entwickelte ein großes Interesse für Satanismus sowie die Philosophie von Friedrich Nietzsche und begann ein Bohème-Leben. Zu seinen Freunden in dieser Zeit gehörten Edvard Munch, Richard Dehmel und August Strindberg, die sich in ihrer Berliner Stammkneipe Zum schwarzen Ferkel trafen. 1895 wurde er Mitbegründer der Zeitschrift Pan, veröffentlichte daneben aber auch in Karl Kraus‘ Fackel und in der Freien Bühne.

Als Vermittler zwischen der deutschen und den slawischen Literaturen gilt Przybyszewski auch in der Tschechoslowakei, wo er kurze Zeit wohnte und literarisch befruchtend wirkte, bevor er 1919 wieder nach Polen zurückkehrte.

Hier arbeitete er intensiv am Aufbau des neuen polnischen Staates mit. Przybyszewski starb 1927 im Alter von 59 Jahren, also in einem Alter, in dem ich mich jetzt nur noch zwei Wochen lang befinde (wenn Ihr wisst, was ich meine … 😉 ).

Seine Erzählung „Androgyne“ fand ich auf einer Werkliste mit „100 erotischen Klassikern“ beim Projekt Gutenberg–DE auf Spiegel Online; hier ist sie auch nachzulesen, da sie urheberrechtsfrei, genauer gemeinfrei ist. Zur Erzählung (bis auf ihren Inhalt selbst) habe ich leider nichts gefunden. So habe ich in ihr etwas quergelesen und muss sagen, dass sie etwas schwülstig-hochtrabend klingt. Aber wer sich an einem solchen schmuddelig feucht-kalten Abend daran erwärmen möchte, bitte …

Heute Ruhetag = Lesetag!

Es war späte Nacht, als er nach Hause kam.

Er setzte sich an den Schreibtisch und sah gedankenlos auf einen herrlichen Blumenstrauß hin, der mit einem breiten roten Band umwunden war.

Auf dem einen Ende stand in goldenen Buchstaben ein mystischer, weiblicher Name.

Nichts weiter.

Und wieder empfand er diesen langen, fliederweichen Schauer, der ihn durchzuckte, als man ihm diesen Strauß auf die Estrade hinaufreichte.

Man hat ihn ja mit Blumen beworfen, soviel Kränze regneten nieder zu seinen Füßen – aber dieser Strauß mit diesem roten Band und dem mystischen Namen – wer mag ihn wohl hinaufgeschickt haben?

Er wußte es nicht.

Als ob eine warme, kleine Hand die seine erfaßt – nein! nicht erfaßt, – sich wollüstig einschmeichelte, hineinküßte mit heißen Fingern …

Und sie, deren Name ihn so verwirrte …

Vielleicht hat sie die Blumen geküßt, bevor man sie ihm reichte, ihr Gesicht in das weiche Blumenbett eingewühlt, bevor sie es zum Strauß gewunden, das reiche Armgewinde von Blumen an ihr Herz gedrückt und sich nackt und lustkeuchend über das Blumenlager gewälzt …

Und das Geblüte atmete noch den Duft ihres Körpers, zitterte noch das kauernde, heiße Lispeln ihres Verlangens …

Sie liebte ihn ja, sie kannte ihn schon lange, ganze Tage hat sie zitternd durchdacht, bevor sie wagte, ihm diese Blumen zu schenken … Er wußte es, ganz genau wußte er es …

Er wußte sicher, daß sie ihn liebte, denn solche Blumen schenken nur Mädchen, die lieben.

[…]

Ein Mädchengesicht tauchte auf: ein heller, heiliger Klang in den schwarzen Sturmakkorden, der helle Widerschein eines blassen Sternes in dem schäumenden Gischt dunkler Wogen, – nie früher hatte er es gesehen, aber er kannte es, er kannte es gut, dies Mädchengesicht …

Er wachte auf: rieb sich die Augen, ging in dem Zimmer auf und ab, aber er konnte die Vision dieses Gesichtes nicht los werden: halb Kind, halb Weib.

Ja, ja – sie war es sicher. Sie ließ ihm den Blumenstrauß auf die Estrade reichen.

Er dachte nach, woher seine plötzliche Gewißheit, daß sie es war.

Jemand Fremdes hat ihm die Blumen hinaufgereicht.

Und er dachte und grübelte …

Stanislaw Przybyszewski : Androgyne

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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