Nun heute und morgen finden bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien die vier Spiele des Viertelfinals statt, also von Ruhetag kann nicht die Rede sein. Trotzdem oder gerade deshalb möchte ich hier eine kleine Fabel von einem gewissen Herrn Helmut Wördemann zum Besten geben, die sich um jenes Sportgerät dreht, um das in diesen Tagen soviel Aufsehens gemacht wird. Dass dieser Fußball hier von einem rostigen Nagel gemeuchelt wird, geschieht ihm ganz recht.
Diese kleine Fabel mag also zur Entspannung nach spannenden Spielen dienen. Viel Spaß beim Lesen! Zum Thema Fußball und Literatur vielleicht an einem der nächsten Tagen noch etwas mehr …
Es war einmal ein Fußball, der war rundum glücklich, wenn er auf’s Feld geworfen und von 22 Spielern hin und her getreten wurde. Er stieg und fiel, tanzte über den Rasen, rutschte quietschend von einem Fuß zum anderen, gab sich selbst einen jauchzenden Drall, wenn er seinen Flug stabilisieren wollte. Kurzum, er nutzte seine Kugelform aus, um auf der Erde und in der Luft umherzutollen und sich auszutoben.
Dass er von den mehr oder weniger geschickten Tritten und gelegentlichen Handwürfen der Spieler abhängig war, störte ihn nicht im geringsten.
»Ich habe doch keinen Antriebsmotor im Leib,« erklärte er keuchend, wenn sich jemand über seinen blinden Gehorsam wunderte, »ich bin doch auf die Kraft anderer angewiesen. Wenn ich nicht tue, was sie wollen, bleibe ich im Schrank liegen oder komme auf den Müll. Neinnein, das ist schon in Ordnung so.« Mit keck zur Seite rollenden Augen fügte er manchmal hinzu:»Und wenn ich ausbrechen will, finde ich schon einen Dreh und fliege kurz oder lang ins Aus. Aber das lohnt sich kaum, da ich ja ununterbrochen gebraucht werde. Tjaaa, es gibt viele Fußbälle, aber in einem Spiel wird immer nur einer geduldet.«
In diesen wunderbaren Ball, der Himmel und Erde zu beherrschen schien, verliebte sich ein kläglicher Nagel, ein Nichtsnutz, der sich halb aus seinem Arbeitsplatz im Torbalken gelöst hatte, um den Spielen zusehen zu können. Dafür nahm er gerne in Kauf, dass er in der wechselhaften Witterung schnell zu rosten begann. Ja, nachdem er sich in den Fußball verliebt hatte, war er sogar froh darüber, denn der Ball war ja auch dauernd dreckig.
Bei jedem Spiel starrte der Nagel erwartungsvoll auf die Torjäger.Er hoffte aber nicht etwa, dass ein Tor fiel. Er lauerte vielmehr auf die Fehlschüsse, auf einen ganz bestimmten Fehlschuss, auf den für ihn einzig interessanten Schuss, auf den Schuss, der ihm den Ball zuspielte.
Eines Tages, nach unendlich langer Wartezeit, geschah dann das Wunder seines kränkelnden Lebens: Der Ball traf ihn mit voller Wucht. Und er durchbohrte ihn mit der ganzen Leidenschaft seiner Liebe.
»Der ist hin,« sagte der Linienrichter zu einem Jungen, »hol‘ einen neuen Ball. Und bring‘ auch gleich den Platzwart mit, der soll den Nagel entfernen!«
»Warum hast du das getan?« fragte Bläschen murmelnd der Fußball, als er im Abfalleimer neben dem Nagel lag.
»Ich liebte dich,« stammelte der Nagel, »ich konnte ja nicht wissen, dass du so empfindlich bist. Um ehrlich zu sein, so zusammengeknautscht gefällst du mir gar nicht mehr. Ich hab‘ mich in dir getäuscht. Du bist ein Windbeutel, sonst gar nichts.«
Der Fußball stöhnte tief und weh auf und hauchte sterbend seine letzten Worte:
»Wer nicht mit mir umgehen kann, wie soll der mich verstehen? Wenn doch solche Geschöpfe ihre dummdreiste Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten steckten. Wäre er doch geblieben, wo er hingehörte! Der Kerl hätte sich in seinen Balken verlieben sollen, das wäre eine dauerhafte und glückliche Ehe gewesen. Ach, ich habe mich immer gerne mit Füßen treten lassen, warum muss so ein kleiner Nagel mich kaputtmachen? Was für ein Leben! Was für ein Tod!«