Als ich mit meiner Frau aus unserem Kurzurlaub in Sizilien kommend am Koblenzer Hauptbahnhof Anfang Mai d.J. am sehr frühen Morgen auf unseren Zug nach Bremen warteten (der Bahnstreik war da noch im vollen Gange), hatten wir einige Zeit, um uns mit Frühstück und Lektüre zu versorgen. So kaufte meine Frau u.a. den Roman Das Nordseegrab: Ein Theodor-Storm-Krimi von Tilman Spreckelsen.
Apropos Sizilien und Theodor Storm: Im August 2000 (also vor nun 15 Jahren) weilte ich mit Frau und beiden Söhnen anlässlich einer sizilianischen Hochzeit schon einmal auf der großen Mittelmeerinsel. Dort in Marina di Ragusa fand gerade ein Bouquinistenmarkt, ähnlich wie in Paris an der Seine, statt, also ein Markt mit alten Büchern. Bei meinem Faible für Bücher (auch besonders für alte Bücher) kamen wir nicht umhin, dort ein wenig zu stöbern. Und so fiel uns Theodor Storms Roman Der Schimmelreiter – in deutscher Sprache – in die Hände. Der ältere meiner beiden Söhne wollte das Buch unbedingt haben, vielleicht des Titels wegen. So kauften wir es. Die letzten Tage dort im Süden fanden wir unseren Sohn immer wieder hingebungsvoll im Buch lesend. Dazu muss gesagt werden: Sohnemann war damals gerade zehn Jahre alt.
Urlaubszeit ist, wie öfter an dieser Stelle gesagt, auch Lesezeit. Nachdem meine Frau dem Theodor-Storm-Krimi gelesen hatte, nahm ich ihn mir während meines diesjährigen Sommerurlaubs vor. Husum (vor Jahren habe ich dort einmal bei einer Radtour in der Jugendherberge übernachtet, bin auch sonst schon öfter durch die Stadt gekommen), Theodor Storm und ein Kriminalfall – ein Mix, der Spannung verspricht.
Husum 1843: Die Stadt ist in Aufregung. Ein Bottich voll Blut, darin eine Leiche, die sich als Wachspuppe erweist. Wenig später wird ein echter Toter gefunden. Der junge Anwalt Theodor Storm spürt dem Geheimnis nach, in alten Dorfkirchen und vor den Deichen Husums. Ihm und seinem Schreiber Peter Söt schlägt die ohnmächtige Wut armer Bauern entgegen und das arrogante Schweigen der Reichen. Bis er auf ein fast vergessenes Schiffsunglück stößt, auf eine alte Schuld und einen Mörder, der diese Schuld eintreiben will.
(aus dem Klappentext)
Was die Nordsee sich holt, gibt sie nicht mehr frei. Aber ihre Opfer sind nicht vergessen. – Husum im Jahr 1843: Eine falsche Leiche und eine echte, ein Schiffsunglück, das keines war, und ein Mörder, der Rache will: der junge Anwalt und zukünftige Dichter Theodor Storm stößt zusammen mit seinem geheimnisvollen Schreiber Peter Söt auf Wut, Schweigen und eine alte Schuld.
Zum Autoren: Tilman Spreckelsen wurde 1967 in Kronberg/Ts. geboren. Er studierte Germanistik und Geschichte in Freiburg und arbeitet heute als Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Mit diesem Roman gewann er den Theodor-Storm-Preis 2014. Begründet wurde das wie folgt: „Subtiles, von Ideenreichtum funkelndes Fortschreiben von Storms erzählten Welten.“
Man merkt ziemlich schnell, dass Tilman Spreckelsen nicht unbedingt ein Autor von Kriminalromanen ist. Er macht den Fehler, den jeder Anfänger macht, der sich an Krimis wagt: Er trägt etwas zu dick auf. Damit verzettelt er sich ziemlich schnell. Auch gibt es ein Zuviel an auftretenden Personen, sodass man manchmal nicht weiß, von wem gerade die Rede ist. Nicht umsonst hat der Autor am Ende des Buchs eine dem Leser hilfreiche Liste der wichtigsten Personen angefügt:
Die wichtigsten Personen (S. 266 f.):
Heinrich Bandmann, Kaufmann aus Hamburg
Christian Ulrich Beccau, Untergerichtsadvocat
Peter Behrens, Gastwirt in Schwabstedt
Hinrich Bohn, Gemeinderat in Schwabstedt
Henning Brauer, Gemeinderat in Schwabstedt
Claus Clausen, Schreiber von Johann Casimir Storm
Johann Dames, Kaufmann aus Husum
Harro Feddersen, Primaner
Johann Fenner, Gastwirt
August Gläser, Apotheker
Bottilla Sophia Greol, Dienstmädchen
Peter Heyne, Kaufmann in Friedrichstadt
Sophia Heyne, seine Witwe
Thede Honnens, Trinker aus Mildstedt
Reinhard, Hermann Ludwig Karl von Kaup, Bürgermeister von Husum
Heinrich Friedrich Kramer, Landvogt in Husum
Hans von Krogh, Amtmann
Johann Kuhlmann, Arzt
Paul Lüdersen, Kaufmann in Husum
Hinrich Möllers, Kaufmann in Plön
Knut Petersen, Gemeinderat in Schwabstedt
Carl Ernst Schmidt, Vermieter von Storms Kanzleiräumen
Anton Setzer, Amtsverwalter
Hanne, Laura und Sophie Setzer, Töchter des Amtsverwalters Setzer
Peter Söt, Schreiber von Theodor Storm (und Ich-Erzähler)
Johann Steffens, Armenhäusler aus Schwabstedt
Johann Casimir Storm, Koogschreiber, Abgeordneter und Anwalt in Husum, Vater von Theodor und Helene Storm
Helene Storm, Theodors Schwester
Theodor Storm, Anwalt in Husum
Friedrich Johann Christian Tostensen, Pförtner im Schloss
Christian Vorlauf, Geisterseher in Schwabstedt
So ist das Buch in erster Linie eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert, denn Spreckelsen hat die Hintergründe der damaligen Zeit sehr genau recherchiert – oder wie es auf der Rückseite des Buchs steht: Historisch genau, atmosphärisch dicht, nordisch gut: Theodor Storm und sein Gehilfe ermitteln
Für einen echten Krimifan fehlt es natürlich an ‚Psychologie‘ in dem Roman. Nun geschehen Verbrechen hier meist aus der Not der Täter heraus. Und die reichen Kaufleute ähneln in ihrer Arroganz heutigen Industriellen. Aber etwas mehr Farbe, besonders bei der Person des Theodor Storm, hätte ich mir schon gewünscht. Er bleibt recht blass.
Trotzdem hat mir dieser Krimi sehr gut gefallen. Sicherlich hat es mit diesem ungewöhnlichen Mix (Historie, Storm, der Norden, Mord) zu tun. Und es kann ja nur noch besser werden. Spreckelsen plant einen zweiten Band mit Storm und seinem Gehilfen, dem Schreiber Peter Söt. Dieser soll zu Weihnachten spielen und sich um eine Mordserie um eine religiöse Sekte ranken.
Fragen an Tilman Spreckelsen:
In ‚Das Nordseegrab‘ geht es um ein Schiffsunglück, bei dem es nicht mit rechten Dingen zugeht, um ehrenwerte Kaufleute und betrogene Bauern. Wie haben Sie Atmosphäre und Alltagsdetails des 19. Jahrhunderts recherchiert? Gab es solche Mordfälle wirklich?
Die Details waren mir sehr wichtig: ich wollte wissen, was man 1843 in Husum für ein Stück Butter bezahlen musste, auf welchem Weg man von Storms Wohnung zum Hafen kam, welche Kartenspiele bei vornehmen und einfachen Leuten beliebt waren oder was in diesem Jahr die Attraktionen der Schausteller auf dem Pfingstmarkt der Stadt waren. Ich habe alte Reisebeschreibungen gelesen, juristische Texte, das damalige Husumer Wochenblatt, Storms Briefe … Ich habe die Häuser in Husum besucht, in denen Storm lebte oder seine Freunde traf. Und viele der Verbrechen, die ich schildere, haben so oder so ähnlich tatsächlich stattgefunden. Nur dass sie bei mir in einem größeren Zusammenhang stehen.
Theodor Storm kennt man als Dichter und Autor von ‚Der Schimmelreiter‘. Wie kamen Sie darauf, Storm als Ermittler zu entdecken?
Storm war Jurist und hat damit immerhin eine zehnköpfige Familie ernährt – das ist nur heute wenig bekannt. Ich wollte mir vorstellen, wie er als junger Anwalt – noch ohne Familie – nach dem Studium wieder nach Husum zurückkehr, manchmal einen Mandanten betreut, einen Chor gründet, sich verliebt und sonst ziemlich in den Tag hinein lebt, immer ein bisschen unter der Fuchtel seines erfolgreichen Vaters. Und dann plötzlich tief in einem Fall steckt, ohne es richtig zu merken.
Ihr Kriminalroman spielt an der Nordseeküste in Husum. Was hat Sie an diesem Landstrich gereizt, was ist das Besondere an dieser Gegend?
Der Himmel, das Meer, Husums wundervolle Altstadt … Da ist vieles noch so wie zur Zeit Theodor Storms. Ganz spannend ist, wie sich dort die Grenze zwischen Land und See immer wieder verschoben hat und noch heute verschiebt. Wer vor Husum bei Ebbe durchs Watt läuft, hat unter den Füßen eine versunkene Welt. All die alten Dörfer mit ihren Kirchen, Häusern, Brunnen und Äcker, die sich das Meer geholt hat! Wahrscheinlich muss man wie Storm in einer solchen Landschaft leben, um den >Schimmelreiter< zu schreiben.