Jack Burns, der Protagonist des Romans und gewissermaßen das Alter Ego von John Irving, begibt sich auf die Suche nach seinem Vater („Bis ich dich finde“) – zunächst noch als Kind mit seiner Mutter, denn der Vater hatte seine Mutter sitzen lassen, als diese von ihm schwanger war. Und dann sucht er ihn als Erwachsener, inzwischen berühmter Schauspieler und Drehbuchautor, und findet ihn und dazu noch eine Schwester.
Das klingt zunächst nicht allzu aufregend. Bedenkt man aber, dass Jacks Mutter eine Tätowierkünstlerin ist und vieles in dem Buch in der entsprechenden Szene spielt, der Vater hingegen ein begnadeter Organist ist, dessen ganzer Körper (bis auf Kopf, Hals, Hände und Penis) mit kirchlichen Liedertexten und –noten volltätowiert ist, und wenn man „berücksichtigt“, dass das Buch von John Irving ist, dann ahnt man vielleicht, was auf einem auf über 1100 Seiten zukommt.
John Irving: Bis ich dich finde.
Es ist (wieder) eine Geschichte mit skurrilen, aber liebenswerten Typen, lüsternen und starken Frauen, sexuellen Absonderlichkeiten, wahnwitzigen Episoden und sarkastischen Pointen. Aber abgesehen davon, dass mir das Milieu der Tätowierer nicht gerade zusagt, so finde ich vor allem, dass sich Rhythmus der Sprache und Dramaturgie der Handlung allzu häufig verlieren. Sicherlich ist es schwer, ein hohes sprachliches Niveau über mehr als 1100 Seiten durchzuhalten. Vielleicht wäre es da besser gewesen, den ganzen Stoff etwas zu straffen.
Und es ist in meinen Augen Irvings amerikanischstes Buch, obwohl in vielen Episoden Europa als Schauplatz dient. Da Jack Burns Schauspieler ist, so landen wir natürlich in Hollywood (den Oscar, den Jack Burns für sein Drehbuch erhält, hat Irving selbst im Jahre 2000 für „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ erhalten). Und da landet Jack Burns auf der Couch einer Psychiaterin (das Buch selbst ist eine Art Therapie – für John Irving). Bedenklich in diesem Zusammenhang ist die Empfehlung eines Mittels gegen Depressionen, als wäre es sinnvoll, die Wirkung einer Ursache zu behandeln und nicht an der Ursache selbst Hand anzulegen.
Aber auch dieser Irving-Roman hat ein unübersehbares Suchtpotential. Nach über 1100 Seiten ist er dann fast unerwartet zu Ende, mittendrin gewissermaßen, als müsse es doch jetzt erst recht weitergehen, da Jack Burns seinen Vater gefunden hat (und dazu noch eine Schwester).