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Gibraltar Encyclopedia of Progressive Rock

Ende der 60er Jahre entstand in England eine Musikrichtung, die Genre bestehender populärer Musik wie Pop- und Rockmusik und Blues aufgriffen und um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dazu gehörte die klassische Musik, aber auch Einflüsse aus Jazz und traditioneller, teilweise sogar nichtwestlicher Musik. Das Ganze nannte sich Progressive Rock (kurz: Prog oder Prog-Rock). Besonders in den 70er Jahren wurde diese Musik durch Gruppen wie King Crimson, Emerson, Lake & Palmer, Yes, Genesis, Gentle Giant und Jethro Tull populär und eroberte die Charts. Neben Gitarre, Keyboards, Bassgitarre und Schlagzeug kamen bei diesen Gruppen auch Streich- und Blasinstrumente sowie besondere Tasteninstrumente wie den Moog-Synthesizer oder das Mellotron zum Einsatz.

Der Progressive Rock gründete sich auf eine besondere musikalische Komplexität und beanspruchte einen an der europäischen Kunstmusik orientierten Stil. Nach dem steilen Aufstieg dieser Musik gab es allerdings sehr bald einen Wandel. Zum einen vergraulte man das subkulturelle Club-Publikum in England, das sich schnell anderen musikalischen Richtungen, z.B. dem Punk, zuwandte. Auch wie handwerkliches Können auf narzisstische Weise zur Schau gestellt wurde (z.B. von Keith Emerson) trug nicht dazu bei, einerseits den Kunstanspruch zu bekräftigen, andererseits ein breites Publikum zu bedienen. So gab es Gruppen, die versuchten, dem Publikumsgeschmack zu entsprechen, was aber z.B. bei einer Gruppe wie Gentle Giant gehörig in die Hose ging. Sie gewannen keine neuen Fans, vergraulten aber ihr ‚Stammpublikum’.

Inzwischen hat sich der Progressive Rock weiterentwickelt und kommt heute u.a. als Artrock, New Artrock oder New Prog daher. Viele Schubläden eben.

Nun wie oben bereits angesprochen, stand der Progressive Rock in der Kritik, gab aber dadurch auch genügend Anlass, literarisch aufgearbeitet zu werden. So gibt es eine sicherlich interessante Website The Progressive Rock Bibliography, die viele Verweise zu meist englischsprachiger Literatur aufzeigt. Dann gibt es eine deutsche Website mit den Rezensionen klassischer Prog-Alben Suppersready.

Gibraltar Encyclopedia of Progressive Rock

Aus einer Anzahl weiterer englischsprachiger Websites wie ProgarchivesDPRP (mit einem chronologischen Überblick über die Geschichte des Prog-Rocks) ragt aber die Gibraltar Encyclopedia of Progressive Rock, ergänzt durch das Gibraltar Prog Blog, hervor. Hier findet sich nicht nur reichlich Material zu all den Größen dieser Musikrichtung, sondern auch genügend Informationen zu all den anderen Gruppen, die eher nationale, wenn nicht gar nur lokale Erfolge erzielten. Und es bleibt nicht auf England bzw. Großbritannien beschränkt. Natürlich kann nicht jede hier aufgeführte Gruppe allein dem Progressive Rock zugeordnet werden. Es gibt reichlich Grauzone, also viele Randgebiete, die hier nicht vernachlässigt werden, was der ganzen Übersicht dann eher gut tut.

Progressive Rock lebt also auch heute noch, wenn auch manchmal unter einem anderen Mäntelchen. Ohne mich hier elitär oder dergleichen geben zu wollen: Aber ich finde es nach wie vor gut und wichtig, wenn sich eine Richtung der Rockmusik eines gewissen Kunstanspruches bedient. Seichtes Musikgeplänkel gibt es genügend und für mich zum Überdruss. Gute, anspruchsvolle Musik findet gerade deshalb auch heute ihre Hörer.

Simon Dupree and The Big Sound featuring Reg Dwight

Geschichten gibt’s, die glaubt man fast nicht. Oder hat jemand gewusst, dass Elton John einmal mit den Brüdern Shulman zusammengespielt hat, die 1970 die Artrock-Gruppe „Gentle Giant“ gegründet hatten?

Auf der Heimfahrt von der Arbeit höre ich in diesen Tagen die alten Aufnahmen der Gruppe Gentle Giant, die von 1970 bis 1980 existierte. Neben Jethro Tull zählt für mich die Gruppe Gentle Giant zu den interessantesten Vertreter des Artrocks (obwohl ich diese Schublädchen wie Artrock oder Progessive Rock nicht so mag). Besonders die ersten Alben der Band haben es mir angetan. Leider wurde der Stil zunehmend geändert, um kommerzielle Erfolge zu erzielen, was dann aber nicht eintraf. So löste sich die Gruppe leider viel zu früh auf.

Gentle Giant sah ich als Vorgruppe von Jethro Tull Anfang 1972 zum ersten, leider auch zum letzten Mal live auf der Bühne. Die Gruppe zählt man zum britischen Artrock mit unverwechselbarem Klangbild. Einflüsse von Klassik, Blues, Jazz und Avantgarde prägten dabei den komplexen Sound. Viele Titel haben ihren Ursprung in europäischer Musiktradition und speziell in keltischer Musik. Ausgefallene Arrangements mit einem breiten Spektrum an Instrumenten und fantastische, mehrstimmige Gesangspassagen waren das Markenzeichen von Gentle Giant. Noch faszinierender als das Arsenal der Instrumente und Stilmittel war die strukturelle Dichte des Geschehens: Diese fünf Rocker hatten offenbar größten Spaß an Kontrapunkt und Polyphonie, gegenläufigen und mehrschichtigen Partituren, ungeraden Metren und ständigen Taktwechseln. „Es ist unser Ziel, die Grenzen der zeitgenössischen Popmusik zu erweitern – auch auf die Gefahr hin, damit sehr unpopulär zu sein.“

Inzwischen wurden die alten Alben der Gruppe als CDs neu aufgelegt, teilweise auch digital remastered, und sind wieder im Handel erhältlich: Gentle Giant

Wie viele andere Gruppen, die um die Jahre 1968-70 entstanden, so hat auch die Gruppe „Gentle Giant“ eine etwas anders geartete Vorgeschichte. In den 60er-Jahren spielten die Brüder Derek (*11.2.1947), Ray (* 3.12.1949) und der Saxofonist Phil Shulman (* 27.8.1937) in Gruppen, die sie „The Howling Wolves“ und dann „The Road Runners“ nannten. Daraus wurde dann Anfang 1966 die Gruppe Simon Dupree and the Big Sound, wobei sich Derek Shulman, der Sänger der Gruppe, Simon Dupree nannte. Die Gruppe spielte Rock and Roll und Motown und die Bandmitglieder wurden so auch die „blue-eyed soul brothers“ genannt. Für unsere Ohren war das typische 60er-Jahre-Musik. Interessantes Detail am Rande: Neben den Beatles und den Moody Blues war die Gruppe eine der ersten, die sowohl bei den Aufnahmen im Abbey Road Studios als auch auf der Bühne das Mellotron benutzten. Auch wenn der große Erfolg für Simon Dupree and the Big Sound ausblieb, so hatten sie zumindest 1967 einen Top Ten Hit in England, das Stück „Kites“


Simon Dupree and the Big Sound: Kites

Wenn der große Erfolg von Simon Dupree and the Big Sound auch ausblieb, so traten sie doch bei verschiedenen Veranstaltungen mit Größen wie Jimi Hendrix, The Beach Boys, den Walker Brothers und Cat Stevens auf. Und als man 1967 auf Tour durch Schottland ging, fiel wegen Krankheit der Keyboarder Eric Hine aus und musste ersetzt werden. Als Ersatz sprang so Reg Dwight – mit vollständigen Namen Reginald Kenneth Dwight – ein. Dieser Reg Dwight ist heute besser bekannt als Elton John. Elton John kam damals als Ersatz über eine Agentur zur Gruppe und bekam für die Auftritte 25 £ die Woche. Immerhin ist doch noch etwas für die Nachwelt hängen geblieben. Elton John aka Reg Dwight schrieb für die Band ein Lied und spielte auch das Klavier (Text übrigens von Bernie Taupin): ‚I’m Going Home‘, das allerdings damals nicht veröffentlicht wurde und erst im März 2004 auf den Markt kam (Part of My Past (1966-1969)). Außerdem spielte Elton John auf den Liedern ‚Laughing Boy From Nowhere‘ und ‚Give It All Back‘.

Wie ging es dann weiter? Frustriert von ihrer Popband “Simon Dupree And The Big Sound”, die 1967 mit „Kites“ in England wie bereits erwähnt einen Top Ten Hit hatte, gründeten 1968 die Brüder Shulman mit dem Drummer Martin Smith in Glasgow „Dynamics Of Gentle“. Die Shulman-Brüder haben diesen Hit übrigens gehasst. Bald darauf kamen Kerry Minnear (* 2.1.1948) und Gary Green (* 20.11.1950) hinzu. Als Gentle Giant strebten sie dann ab 1970 einen progressiven Art-Rock an.

Diverse Videos zu Simon Dupree and the Big Sound gibt es bei YouTube.

zu Gentle Giant siehe auch meine Beiträge:
Gentle Giant: The Advent of PanurgeGentle Giant live im Golders Green Hippodrome 1978Gentle Giant – An Inmate’s LullabyThree Friends – die (halbe) Gentle Giant Reunion