Alle Artikel von WilliZ

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Inselspiele (02)

Nach unserem Inselratespiel von gestern mit Inseln unserer europäischen Nachbarn komme ich heute zum Teil 2: deutsche Inseln. Davon gibt es durchaus mehr als man denkt. Hier habe ich Inseln aus Nord- und Ostsee zusammengestellt, die ich mit meinen Lieben aufgesucht und als Lieblingsplätze ausgemacht habe. Dank Google Maps dürft Ihr sie zuerst erraten und dann zumindest virtuell besuchen. Wie im ersten Teil gilt: Preise gibt es keine. Wissen ist Lohn genug …

Und wieder als kleiner Tipp die Namen dieser Inseln (dem Alphabet nach): Fehmarn – Helgoland – Neuwerk – Norderney – Nordstrand (ist ja eigentlich eine Halbinsel) – Rügen


Wie heißt diese Insel? – hier zu Google Maps


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Inselspiele (01)

Die Urlaubszeit geht langsam zu Ende. Bei uns hier in Niedersachsen sind die Ferien seit gestern vorbei. Damit wird es Zeit, die Urlaubsfotos und –videos aufzuarbeiten, damit man an langen dunklen Winterabenden seine Liebe damit ‚beglücken’ kann.

Ich habe mir hier etwas anderes ausgedacht, um Euch mit Unnützem zu erfreuen. Wie bereits erwähnt, haben meine Familie und ich so ihre Lieblingsplätze. Und einer dieser Plätze (nicht ganz speziell ‚einer’, sondern ganz allgemein viele) ist der auf einer Insel. Man muss sich dort nicht wie Robinson fühlen, obwohl einwenig Einsamkeit gut tut. Nun gibt ja Google Maps (und dann noch ganz speziell Google Street View), mit deren Hilfe man sich auf virtuelle Reisen begeben kann. So also auf zu mehreren Inseln, die ich mit meinen Lieben in den letzten Jahren besucht habe. Nachfolgend einige kleine Ausschnitte von den Inseln. Wer weiß welche Inseln das sind? Preise gibt es keine. Wissen ist Lohn genug …

Hier also die Ausschnitte von insgesamt acht Inseln (nichtdeutsch, aber in Europa), die Größenverhältnisse sind unterschiedlich. Es handelt sich dabei um folgende Inseln (als kleine Hilfe): Anglesey/Wales – Ibiza/Balearen/Spanien – Island – Isle of Skye/Schottland – Orkney Inseln (Mainland)/Schottland – Sizilien/Italien – Stromboli/Italien –Vulcano/Italien


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Halbwegs effektiv

Nach dem Aus in der ersten Runde des DFB-Pokals kann sich der SV Werder Bremen voll und ganz auf die Fußballbundesliga konzentrieren. Und wie es aussieht, läuft es mit der neuen, auf vielen Positionen umgebrochenen Mannschaft ganz ordentlich. Beim deutschen Meister Borussia Dortmund musste man zwar eine unglückliche Niederlage einstecken. Aber die spielerischen Ansätze ließen erkennen, dass die Bremer in dieser Saison durchaus mit den Großen mithalten können. Was fehlt, ist die bessere Ausnutzung der Torchancen: mehr Effektivität!

Am Samstag im Derby zu Hause gegen den HSV wurde die Arbeit dann auch endlich belohnt. Mit 2:0 siegte Werder verdientermaßen, auch wenn wiederum die Torausbeute nicht optimal war. Nils Petersen traf per Kopfball erst die Latte, dann aber doch das Tor zum 2:0. Spannend machte es Aaron Hunt, der den ersten der beiden Elfmeter gegen den HSV zu lasch schoss, sodass René Adler den Ball halten konnte, dann aber Wagemut bewies und auch zum zweiter Elfer antrat und diesen verwandelte. Zum Saisonauftakt spielt Aaron Hunt wirklich hervorragend, übernimmt Verantwortung und könnte sich so zurück in die Nationalmannschaft spielen. Hoffen wir, dass sein Leistungshoch weiterhin anhält. Kevin De Bruyne zeigte gute Ansätze und begann stark, tauchte dann aber zeitweise unter. Marko Arnautovic spielte auf Rechtsaußen einen guten Part, muss aber noch etwas ruhiger werden, dann könnte er eines Tages doch endlich zeigen, dass er ein ‚Großer’ ist (spielerisch, nicht nur von der ‚großen’ Klappe her).

Aufbruch nach dem Umbruch?

Ein Schwachpunkt offenbart sich auf der linken Verteidigerseite von Werder, die diesmal mit Clemens Fritz, den eigentlichen Rechtsverteidiger bzw. Mittelfeldspieler, besetzt wurde. Trotz mehrerer Alternativen (Schmitz, Hartherz, Ignjovski) fehlt links immer noch eine Ideallösung auf dieser Position (vielleicht doch Boenisch?).

Nach der Länderspielpause geht es am 15.09. nach Hannover, die mit der neuen Saison sehr zufrieden sein können: In der Liga zum Start auf Platz drei, in der Europa League fast problemlos die Gruppenphase erreicht. Hier kann Werder zeigen, dass man zunächst im Norden wieder die Nummer eins sein möchte.

Und sonst so? Die Borussia aus Dortmund, Meister und DFB-Pokalsieger, ist nicht zu beneiden. In der Champions League hat sie mit Real Madrid, Manchester City und Ajax Amsterdam eine Hammergruppe bekommen und darf jetzt beweisen, dass sie auch international ein Spitzenteam ist. Die Bayern haben erst einmal die Bundesligatabellenspitze übernommen und mit Javier Martinez kurz vor Toresschluss den teuersten Transfer der Bundesliga getätigt. Für einen defensiven Mittelfeldmann ist das viel Holz. Die 40 Millionen Euro Transfersumme erscheinen mir überhöht. Es zeigt nur auf, welche Hektik bei den Bayern herrscht. Diese Art von Personalpolitik ist nach meiner Meinung nicht der richtige Weg. Wie wäre es mit einer vernünftige Nachwuchsförderung?

Und zuletzt: Nicht völlig überraschend ist die Wahl von Andres Iniesta zu Europas Fußballspieler des Jahres vor Weltfußballer Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Iniesta hatte großen Anteil daran, dass Spanien erneut Europameister wurde. Auf Platz zehn kam übrigens als einziger Deutscher in den Top Ten Mesut Özil. Glückwunsch!

Am Freitag steigt die deutsche Fußballnationalmannschaft in die Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilein mit dem Spiel gegen die Färöer ein. Am dann folgendem Dienstag geht es in Wien gegen Österreich. Es ist abzuwarten, wie sich das deutsche Team nach der Europameisterschaft und der unglückliche Niederlage gegen Argentinien schlägt. Alles andere als Siege für den Weltranglistenzweiten wären eine Enttäuschung.

Heute Ruhetag (21): Hans Christian Anderson – Sämtliche Märchen

Neben den vielen Märchen, die uns in mündlicher Überlieferung vorliegen und z.B. von den Gebrüdern Grimm gesammelt wurden (Grimmsche Volksmärchensammlung „Kinder- und Hausmärchen“), gibt es die so genannten Kunstmärchen, also die von Schriftstellern verfassten. In Deutschland hat z.B. Wilhelm Hauff Märchen geschrieben, aber auch von Hermann Hesse gibt eine größere Anzahl. Die wohl bekanntesten Kunstmärchen sind die des Dänen Hans Christian Andersen, der weit über 100 solcher Märchen zu Papier gebracht hat. Wer kennt sie nicht: „Das hässliche Entlein“, „Die kleine Meerjungfrau“, „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ oder „Des Kaisers neue Kleider“. Andersens Märchen sind nicht nur zeitlos; sie gehören mittlerweile zur Weltliteratur und sind nicht nur für Kinder geeignet.

Heute Ruhetag = Lesetag!

Des Kaisers neue Kleider

Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er kümmerte sich nicht um seine Soldaten, kümmerte sich nicht um das Theater und liebte es nur, spazieren zu fahren, um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und eben so, wie man von einem Könige sagt, er ist im Rathe, sagte man hier immer: »Der Kaiser ist in der Garderobe!«

[…]

»Aber er hat ja nichts an!« sagte endlich ein kleines Kind. »Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!« sagte der Vater; und der Eine zischelte dem Andern zu, was das Kind gesagt hatte.

»Aber er hat ja nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, als hatten sie Recht; aber er dachte bei sich: »Nun muß ich die Procession aushalten.« Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

Signatur: Hans Christian Andersen

Hans Christian Andersen: Sämmtliche Märchen. Einzige vollständige vom Verfasser besorgte Ausgabe

Italo Calvino: Der Nichtleser

    „Ich? Ich lese keine Bücher!“ erklärt Irnerio bündig.

    „Und was liest du dann?“

    „Gar nichts. Ich habe mich so ans Nichtlesen gewöhnt, daß ich nicht mal lese, was mir zufällig unter die Augen kommt. Das ist nicht leicht: Im zarten Kindesalter bringen sie einem das Lesen bei, und dann bleibt man das ganze Leben lang Sklave all des geschriebenen Zeugs, das sie einem ständig vor die Augen buttern. Na ja, auch ich mußte mich in der ersten Zeit schon ein bißchen anstrengen, bis ich nichtlesen konnte, aber inzwischen geht’s ganz von allein. Das Geheimnis ist, daß du nicht weggucken darfst, im Gegenteil, du mußt hinsehen auf die geschriebenen Wörter, du mußt so lange und intensiv hinschauen, bis sie verschwinden.“
    (Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht, S. 59)

Es ist eine interessante Sache, die vom Nichtlesen, wie sie Italo Calvino in seinem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht niedergeschrieben hat. Sind wir nicht Sklaven des Gelesenen? Können wir nicht auch ‚ohne’?

    Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Zunächst drängt sich mir der Vergleich mit dem Schwimmen auf, einmal gelernt, kann man es nicht mehr verlernen. Ähnlich sollte es sich mit dem Lesen verhalten. Gut, man kann aus der Übung kommen. Aber selbst wer jahrelang im Kerker ohne Lektüre verbringt, dürfte beim Freikommen noch Lesen können.

Dann interessiert mich schon, warum wir eigentlich lesen. Ohne Lesen läuft ziemlich wenig. Das dürften Analphabeten am besten wissen. Statt des Lesens haben sie sich aber bestimmt andere Hilfen geschaffen, die ihnen das Lesen ersetzen (notfalls fragen sie nach). Lesen und Schreiben gehört zum täglichen Leben. Ich kann zwar darauf verzichten, die Zeitung zu lesen usw., aber spätestens beim Einkaufen möchte ich doch wissen, was etwas kostet (so dicke habe ich es nicht). Oder ich brauche nur das Umfeld meines Schreibtisches zu betrachten: Buchrücken mit Schrift, Notizen, der Bildschirm selbst …

Beim im Roman nur kurz auftretenden Irnerio, der eigentlich lesen kann, ist das Nichtlesen zunächst ein ganz bewusster Akt. Lässt man in seiner Konzentration, nicht zu lesen, nach, wird man unwillkürlich ‚lesen’. Irnerio schaut also ganz genau hin auf die geschriebenen Worte – und das immer mit dem Bewusstsein, nicht zu lesen. Kann man das überhaupt? Zunächst dürfte es einem schwer fallen, das Gelesene gewissermaßen zu ignorieren. Ähnlich dürfte es beim Denken sein. Ego cogito, ergo sum, meinte schon René Descartes: „Ich denke, also bin ich.“ Immerhin schaffe ich es, eine Zeitlang, wenn auch nicht zu lang, meinen Kopf abzuschalten und nicht zu denken. Aber auf Geschriebenes zu blicken und nicht zu lesen – irgendwie schaffe ich das nicht. Vielleicht kann ich meinen Kopf soweit ausschalten, dass ich nicht den Sinn des Geschriebenen verstehen. Aber es sind immer wieder einzelne Wörter, die sich in mein Bewusstsein einbrennen: Ego lego, ergo sum – „Ich lese, also bin ich“, hätte der gute René sagen sollen.

Calvions Irnerio muss also ein langes ‚Training’ hinter sich gebracht haben, um sein Nichtlesen zu perfektionieren. Ich kann zwar weggucken. Aber das ist es ja angeblich nicht. Also hinsehen und nichtlesen …. Hinsehen und nichtlesen … (Ins Wasser springen und nicht schwimmen …). Wer lässt sich so etwas einfallen: Italo Calvino in seinem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht.

Übrigens es gibt einen Twitter-Account: Nichtlesen

Das Wort nichtlesen taucht natürlich nicht im Duden auf. Es gibt nur nicht lesen. Aber nicht lesen ist etwas anderes als nichtlesen … nur so am Rande!

Breivik und Wagner

Am vergangenem Freitag, den 24. August 2012, wurde Anders Behring Breivik vom Osloer Amtsgericht entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft für zurechnungsfähig erklärt und wegen Mordes an 77 Menschen zu 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Es ist ein Urteil, das der Attentäter von Oslo und Utøya gewollt hat. Breivik nahm den Urteilsspruch im Gerichtssaal mit einem Lächeln auf. Der Angeklagte selbst hatte sich im Prozess vehement dagegen gewehrt, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden. Mit diesem Urteil fand das Verfahren mehr als ein Jahr nach Breiviks Anschlägen ein Ende.

    Anders Behring Breivik

Zum Fall Breivik habe ich mich an anderer Stelle etwas ausführlicher geäußert (Zurück zur Normalität?), besonders zur Frage der Schuldfähigkeit. Unabhängig davon, ob Breivik jetzt ins Gefängnis muss oder bei zugestandener Unzurechnungsfähigkeit in die Psychiatrie gekommen wäre, er gilt für nicht heilbar und wird vermutlich nie wieder frei kommen. Das Ende der Sicherungsverwahrung ist zwar nicht festgelegt, wird aber in regelmäßigem Abstand überprüft werden. Das Gericht kann sie verlängern, „wenn die zeitlich begrenzte Strafe zum Schutz der Gesellschaft nicht ausreicht“.

Im genannten Beitrag schrieb ich u.a. auch: „Der forensische Psychiater Norbert Leygraf sieht Parallelen zum Fall Ernst August Wagner, der erste Fall in der württembergischen Rechtsgeschichte, bei dem ein Prozess wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt wurde.“ Danach hält Leygraf den Attentäter Breivik also für unzurechnungsfähig.

Zum Fall Ernst August Wagner: Am Abend des 4. September 1913 tötete der Hauptlehrer Ernst August Wagner seine Frau und seine vier Kinder mit einem Knüppel. Später erschoss er dann zwölf (anderen Quellen nach: neun) weitere Menschen. Dieser Wagner spielt in der Erzählung Klein und Wagner von Hermann Hesse eine nicht unbedeutende Rolle.

    Ernst August Wagner, 1934

Noch einmal zum Tathergang: Am Abend des 4. September 1913 tötete der damals als Lehrer tätige Ernst August Wagner in Degerloch seine Frau und seine vier Kinder mit einem Knüppel. Er begründete die Morde damit, er wolle seiner Familie die Folgen seiner geplanten Tat und die folgenden Schrecken ersparen. Danach fuhr er mit dem Fahrrad nach Stuttgart und von dort mit der Bahn weiter nach Mühlhausen bei Vaihingen an der Enz. Auf dem Weg nach Mühlhausen gab Wagner noch mehrere Briefe auf. Nachts zündete er vier Häuser an verschiedenen Stellen an und wartete, bis die Menschen vor den Flammen flüchteten. Er erschoss dann wahllos zwölf Menschen, acht weitere wurden schwer verletzt. Wagner wurde schließlich überwältigt und in Heilbronn inhaftiert. Bei den folgenden Ermittlungen stellte sich heraus, dass Wagner noch plante, seine Schwester und deren Familie umzubringen und schließlich das Schloss in Ludwigsburg niederzubrennen und sich dabei im Bett der Herzogin selbst zu verbrennen. (Quelle: de.wikipedia.org)

Ähnlich wie Breivik hatte Wagner seine Taten lange vorbereitet. Und wie Breivik schrieb er ein seitenlanges Pamphlet, nämlich eine 300 Seiten lange Autobiographie. Wagner erklärte darin u.a.:

„Überall aber täte eine Sanierung der Menschheit not. […] Nach meinem Beobachten und Ermessen müsste ein starkes Drittel dran glauben, ja, ich meine, wir hätten dann erst das Gröbste weg. Wir schiffen zu sehr in übelriechenden Niederungen und müssen jetzt endlich den Ballast abwerfen, um in reiner, gesunder Region zu schweben. Ich habe ein scharfes Auge für alles Kranke und Schwache, bestellt mich zum Exekutor und kein Kommabazillus soll durchschlupfen. 25 Millionen Deutsche nehme ich auf mein Gewissen […].“

Im Prozess in Heilbronn stellten die Gutachter den Verfolgungswahn von Wagner fest. Man beschrieb Wagner als einen ernsten, gramgebeugten, aber höflichen und gebildeten Mann. Aus den jahrelangen Untersuchungen schloss man, „dass Wagners unterdrückte Homosexualität, die er gleich nach der Tat offenbarte, zu dessen pathologischen Ekel vor der Welt geführt habe. Statt zum Tode verurteilt zu werden, wurde Wagner am 4. Februar 1914 in die Heilanstalt Winnenthal bei Winnenden [sic!] eingewiesen. Erstmals in der württembergischen Rechtsgeschichte wurde damit ein Prozess wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt.“

Während Breivik als Motiv für die Anschläge angab, Norwegen gegen den Islam und den „Kulturmarxismus“ verteidigen zu wollen, begründete Ernst August Wagner seine Taten mit der „geschlechtlichen Unnatur“, gegen die er ankämpfte. Er bezichtigte sich dabei der Sodomie, verweigerte aber jegliche Aussage zum Wie und mit Wem (Homosexuelle Praktiken, Unzucht mit Tieren oder doch nur Masturbation?). Die psychiatrischen Gutachten dürften aus heutiger Sicht umstritten sein und wirken „wie eine unfreiwillige Parodie auf gewisse Auswüchse der Psychoanalyse“ der damaligen Zeit.

In diesem Zusammenhang verweise ich auf einen sehr interessanten Artikel von Hans Schmid, der nicht frei ist von ironischen Untertönen: Schwaben-Amok, oder auch: Ich bin Sodomit. Und auch Mühlhausen, der Stadt des Wagner’schen Amoklaufs, gedenkt der ‚Mordbrennerei’ vom 4. September 1913 mit vielen Bildern (und weiterführenden Links).

Die Grenze zwischen Fanatismus und Wahn ist in Fällen wie denen des Ernst August Wagner und des Anders Behring Breivik kaum auszuloten. Eine gerichtliche Entscheidung ist also kaum eindeutig zu treffen, muss aber getroffen werden. Ein Urteil muss her. Im Fall Breivik spielen dann vielleicht auch ‚politische’ Überlegungen bei der Urteilsfindung eine Rolle. Nicht unbedeutend ist dabei, wie die Angehörigen von Breiviks Opfers den Richterspruch aufnehmen. Diese wirkten zwar nach Urteilsverkündung mitgenommen, aber zufrieden. „Dass Breivik für zurechnungsfähig erklärt wurde, ermöglicht den Familien, mit dem Geschehenen abzuschließen“, sagte Frode Elgesem, ein Anwalt der Hinterbliebenen.

Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Es ist wieder einige Tage her: Auf meiner Leseliege liegend bei Sonnenschein las ich erneut Italo Calvinos Wenn ein Reisender in einer Winternacht, einen ganz außergewöhnlichen Roman, den ich hier bereits einmal kurz vorgestellt habe (Romananfänge (5): Wenn ein Reisender …). Der Roman stammt aus dem Jahr 1979 und ist auf Deutsch in einer Übersetzung von Burkhart Kroeber 1983 erschienen (ich habe die Taschenbuchausgabe dtv 10516 – Deutscher Taschenbuch Verlag, München – Januar 1986).

„Wenn sich ein Lesender in dem Roman von Italo Calvino das Eigentumsrecht an dem neuen Roman von Italo Calvino erwirbt und nach Hause eilt, um in der bequemsten Lesehaltung – über die es allerdings unterschiedliche Ansichten gibt – darin zu lesen, muß er bald erleben, daß er auf den fälschlich eingebundenen Druckbogen eines polnischen Buches stößt. Damit nicht genug. Gerade als es spannend wird, denn die Ex-Frau des Doktors ist eine faszinierende Person, und der Kommissar behält den Reisenden in einer Winternacht im Auge, fängt die Handlung an, sich zu wiederholen. Bald findet sich eine (Mit-)Leserin Ludmilla, und ‚am Ende landen der Leser und Ludmilla in aller Welt und aller Welts-Geschichten verwickelt in den Schutzräumen (den Gummizellen?) einer Bibliothek, aus denen sie herauskatapultiert werden: ins Happy-End; die beiden heiraten. Und haben ihre schönste Katastrophe noch vor sich. Die Hochzeitsnacht. Anstatt das eine tun sie das andere: Sie lesen >Wenn ein Reisender in einer Winternacht< von Italo Calvino. Alles fängt von vorne an. In unaufhörlicher Lust. Lesen, ein Wahnsinn? Ein Witz.’ (Die Zeit)“
(aus dem Klappentext)

    Bin auf den Gedanken gekommen, einen Roman zu schreiben, der nur aus lauter Romananfängen besteht. Der Held könnte ein Leser sein, der ständig beim Lesen unterbrochen wird. (S. 237)

Diesen Gedanken, den Calvino einem seiner Protagonisten, einen Schriftsteller, unterschiebt, ist gewissermaßen das Motto dieses Buches.

    Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht
    und schon legt sich über den Roman, den du lesen möchtest, ein Roman, den du möglicherweise leben könntest, die Fortsetzung deiner Geschichte [mit ihr] … (S. 39)

Man beachtet nach ‚lesen möchtest’ das ‚leben könntest’ – leben statt lesen. Aus dem Roman erhebt sich plötzlich der Leser, wird lebendig und Teil eines Romans. Eine faszinierende Idee, die sich natürlich nur lesend (dann leider doch nicht lebend) realisieren lässt, aber immerhin. Oder?

Wollt ihr beweisen, daß auch die Lebenden eine wortlose Sprache haben, mit der man nicht Bücher schreiben, sondern die man nur leben kann, Sekunde um Sekunde lebendig erleben, nicht aufzeichnen noch im Gedächtnis bewahren? Zuerst kommt diese wortlose Sprache der lebenden Körper – ist das der Grundgedanke […] – und dann erst kommen die Worte, mit denen man Bücher schreibt … (S. 85)

„Nicht in der dritten oder ersten Person, sondern konsequent in der Du-Form wird geschildert, wie der Leser das Buch in einer großen Buchhandlung kauft, es nach Hause trägt, es erwartungsvoll auspackt, aufschlägt, den Klappentext überfliegt und schließlich, nachdem er die bequemste Lesestellung gefunden und sich die nötige Ruhe verschafft hat („Mach lieber die Tür zu, drüben läuft immer das Fernsehen“), zu lesen beginnt.“ (Quelle: de.wikipedia.org).

Aber es gibt ja nicht nur den (männlichen) Leser, sondern auch die (weibliche) (Mit-)Leserin. Das Buch wird ja nicht nur von Männern gelesen:

Es ist an der Zeit, daß sich dieses Buch in der zweiten Person nicht mehr nur an ein unbestimmtes männliches Du wendet, […] sondern nun auch direkt an dich, die du seit dem zweiten Kapitel als notwendige Dritte Person auftrittst, damit der Roman ein Roman werden kann … [S. 168)

Italo Calvino beehrt uns in diesem Roman gleich mit zehn Romananfängen, die leider an ihrer jeweiligen Peripetie abbrechen. Manchen Leser wird das sicherlich nerven. „Stilistisch stellt jeder der zehn Romananfänge […] eine Parodie auf oder eher Hommage an eine bestimmte Schreibweise oder Autorengruppe des 20. Jahrhunderts dar – vom Nouveau Roman à la Robbe-Grillet bis zum russischen Revolutionsroman, von Kafka und Borges bis zum Pariser Gangsterkrimi, vom amerikanischen Campusroman bis zum Psychothriller, vom japanischen Liebesroman bis zum lateinamerikanischen magischen Realismus und zum Symbolismus eines Andrej Bely. So gesehen, bilden die zehn Romananfänge eine Art Querschnitt durch die moderne Literatur, ohne sich in jedem Fall einem bestimmten Stil oder Genre sicher zuordnen zu lassen.“ (Quelle: de.wikipedia.org).

Insgesamt ist der Roman ein Metaroman: Ein Roman in einem Roman in einem Roman usw. – das elfmal. Wer Romane mag, wird diesen Roman lieben (müssen).

„Dein Zuhause als Ort, wo du liest, kann uns nun sagen, welchen Platz die Bücher in deinem Leben haben: ob sie eine Schutzmauer sind, die du vor dir errichtest, um die Außenwelt fernzuhalten, ein Traum, in den du eintauchst wie in eine Droge, oder ob sie womöglich Brücken sind, die du nach draußen schlägst, hinaus in die Welt, die dich so interessiert, daß du ihre Dimensionen mit Hilfe der Bücher erweitern und vervielfachen willst.“ (S. 169)

„Ein brillantes Verwirrspiel um einen Lesenden und eine (Mit-)Leserin, die von einer Geschichte in neun andere geraten. ‚Prall und deftig, mit beiden Händen ins Leben gegriffen, saftig, detailreich, dicht dazu, voller versteckter und offener Bezüge, dabei raffiniert und hinterlistig, immer so erzählt, daß sich die Balken biegen’, schrieb W. Martin Lüdke im >Spiegel<“

Lucia und der Sex

Als die junge Kellnerin Lucía ihre große Liebe, den Autor Lorenzo, verliert, sucht sie auf einer Insel im Mittelmeer nach Spuren ihres Geliebten. Dort trifft sie auf Elena und Carlos, die auf der Insel Ruhe suchen. Lucía ahnt noch nicht, dass die Leben der beiden geheime Verbindungen zu Lorenzo aufweisen. Nach und nach taucht Lucía immer weiter in eine Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, Sinnlichkeit und Begehren und kommt den Geheimnissen Lorenzos immer näher.

aus: filmstarts.de

Gewissermaßen als Kompensation zu dem Film Thor, Blockbuster dieser Art gehen mir langsam auf den Geist, habe ich mir den schon etwas älteren spanischen Film Lucía und der Sex (Original: Lucía y el sexo – 2001) angeschaut (als DVD Lucía und der Sex erhältlich). Der Film ist ein Drama von Regisseur Julio Médem. Für Paz Vega brachte ihre erste Hauptrolle den Durchbruch im Filmgeschäft, wenn sie auch mit Filmen wie Spanglish mit Adam Sandler im Hollywood’schen Mainstream eher baden ging.

    Lucía und der Sex

Apropos Baden: ‚Lucía und der Sex’ ‚besticht’ durch sehr explizite Sexszenen. Und so beginnt die eigentliche Handlung mit einer Sexszene im Wasser vor einer Insel in einer Vollmondnacht zwischen Lorenzo, dem Schriftsteller und einer Unbekannten, deren Namen wir aber bald erfahren: Elena. Beide bleiben sich zunächst unbekannt und wissen über den anderen nur, dass sie aus Valencia stammt und dort die beste Paella-Köchin der Stadt ist, er in Madrid lebt und gerade an diesem Tag seinen 25. Geburtstag hat.

Dann tritt Lucía auf den Plan: Sie hat Lorenzos ersten Roman gelesen und immer wieder lesen müssen. Und wie ein Stalker hat sie Lorenzo die letzte Zeit verfolgt, weiß, wo er wohnt, wo er sich mit Freunden trifft, wo er zum Essen geht. Sie gesteht es ihm ganz freimütig und bekundet dabei ihre große Liebe zu ihm. Er ist fasziniert von der jungen, attraktiven Frau. Und so ziehen sie bald zusammen.

Lucía und der Sex (Original mit englischen Untertiteln)

Das Techtelmechtel in der Vollmondnacht war nicht ohne Folgen. Elena gebiert eine Tochter namens Luna. Und trotz der wenigen Informationen, die Lorenzo und Elena von sich haben, erfährt Lorenzo über seinen Agenten Pepe, dass er Vater ist.

Nach einiger Zeit verändert Lorenzo sich, wird depressiv, schläft nicht mehr mit Lucía und leidet unter einer Schreibblockade. Der Grund hierfür ist folgender: Um seine Tochter zu sehen, setzt sich Lorenzo auf eine Gartenbank bei einem Spielplatz, den das Kindermädchen Belén (Elena Anaya) mit Luna aufzusuchen pflegt. An einem Abend, an dem Elena mit ihrem Partner ausgeht und das Kindermädchen auf Luna aufpassen soll, holt Belén Lorenzo ins Haus. Als die beiden übereinander herfallen, hören sie den durch den von Beléns Geruch wild gewordenen Hund. Dieser zerfleischt Luna und verletzt Belén schwer. (Mehr zum Inhalt siehe dieterwunderlich.de)

In mancher Kritik wird dem Film vorgeworfen, die Kombinationsfähigkeit und Aufmerksamkeit des Zuschauers reichlich zu strapazieren, die dann mit sehr expliziten Sexszenen zurückgewonnen werden soll. Sicherlich ist die Geschichte, die Julio Médem erzählt, sehr komplex und kunstvoll verschachtelt. Dabei erscheinen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion oft so verschwommen, sodass man sich als Zuschauer fragt, ob Lorenzo das Gesehene tatsächlich erlebt oder nur für einen Roman erdacht hat. Erst gegen Ende wird einem klar, dass Lorenzos neuer Roman sehr dicht bei der Wirklichkeit liegt, er das scheinbar Alltägliches nur ins Poetische und Rätselhafte erhöht hat. Überhaupt geht von dem Film eine eigenartige Poesie aus. Der gezeigte Sex verkommt nicht zur Pornografie, im Gegenteil ist er Teil einer besonderen Symbolik, die Julio Médems ganz eigenen, faszinierenden Stil offenbart.

Thor – der Film

„Mit Aufklärung, Säkularisierung und Moderne gleich die Götter für abgesetzt zu erklären, wäre nicht nur verfrüht, sondern schlichtweg ein Irrtum. Die Sehnsucht nach Übermenschlichem und die Lust am epischen Heldenmythos liegen im Herzen unserer Zivilisation.“ (Quelle: filmstarts.de)

Die Sehnsucht gebiert Superhelden und neue Götter. Neue Götter? Nein, da gab es vor langer Zeit Götter genug, die müssen nur neu aktiviert werden. Immer wieder beliebt ist dabei die nordische Mythologie mit ihren diversen Göttergeschlechtern. Und so kam Donnergott Thor zunächst als Comic-Figur und daraus resultierend als Filmheld daher und glänzt so nicht nur als Gott, sondern auch als auf die Erde verbannter Superheld:

Thor ist ein US-amerikanischer Action- und Science-Fiction-Spielfilm aus dem Jahr 2011, der als Comicverfilmung auf der Superhelden-Comicfigur Thor des Verlages Marvel basiert. Regie führte Kenneth Branagh.

„Göttersohn Thor (Chris Hemsworth) steht kurz davor, zum König Asgards gekrönt zu werden, doch Allvater Odin (Anthony Hopkins) kann die feierliche Zeremonie nicht beenden – Grimmige Frostriesen-Renegaten haben den Friedenspakt zwischen Asgard und dem eisigen Jotunheim gebrochen und sind in Odins Waffenkammer eingedrungen. Gegen den Willen seines Vaters reist der aufbrausende Thor mit seinem Bruder Loki (Tom Hiddleston) und einer Schar alter Kampfgefährten in die Heimat seiner Feinde und lässt den uralten Konflikt der Reiche damit erneut entflammen. Erzürnt verbannt Odin seinen Sohn ins unterentwickelte Midgard (die Bezeichnung der Götter für unsere Erde). Während Thor sich dort mit dem Forscher-Trio Jane (Natalie Portman), Erik (Stellan Skarsgard) und Darcy (Kat Dennings) anfreundet, fällt der gramgeplagte Allvater in einen verwunschenen Schlaf, sodass nun der diabolische Loki auf dem Thron Platz nimmt…“
(Quelle: filmstarts.de)

Dem nicht genug: Inzwischen wurde auch Captain America aus dem Marvel’schen Comickosmos verfilmt – und zusammen mit Iron Man, Thor, Hulk u.v.a. kämpft Captain America für den Erhalt unserer lieben Erde: The Avengers schließen sich nahtlos an den Film Thor an.


Thor (Natalie Portman, Kenneth Branagh) | Trailer deutsch HD

„Thor“ und „Captain America“ sind inzwischen als DVD bzw. Blu-ray erhältlich: Thor/Captain America

Den Film Thor habe ich mir am Wochenende mit meinem jüngeren Sohn angeschaut. Ohne meinen Sohn hätte ich wohl schon längst in Filmsachen Superhelden die Leine gezogen. Diese immer wieder nach gleichem Strickmuster fabrizierte Filmware geht mir langsam auf den Geist (das ist wahrsten Sinne). Dem Spiderman konnte ich in seiner Selbstironie noch einiges abgewinnen – dieser Kraftprotz Thor aber gebärdet sich auf Midgard (unsere Erde) streckenweise wie eine Dumpfbacke.

Warum habe ich mir diesen Film also überhaupt angeschaut? Da wurde als Regisseur der Shakespeare-Profi Kenneth Branagh ausgewiesen. Aber was soll selbst ein Branagh gegen die Eigengesetzmäßigkeiten Hollywoods, wenn es darum geht, einen Blockbuster zu produzieren, der möglichst viel Kasse machen soll. Branagh kommt mir wie der Zauberlehrling vor, dem es nicht gelingt, die entfesselten Kräfte der Computeranimation zu bändigen. Optisch kommt so natürlich einiges zu Wege. Aber die Charaktere bleiben blass. Und eine den Kraftprotz Thor anschmachtende Natalie Portman ist geradezu ein Ärgernis.

Den Film Captain America habe ich mir geschenkt (den hat sich mein Sohn bereits mit seinen Freunden angeschaut). Und die in gut zwei Wochen als DVD/Blu-ray erscheinenden The Avengers muss ich dann wohl oder übel wieder angucken müssen 😉

Heute Ruhetag (20): Hugo Ball – Hermann Hesse

Am 9. August 1962, also vor 50 Jahren, starb Hermann Hesse. Ein Todestag, der wie sein Geburtstag am 2. Juli 1877, also vor 135 Jahren, den Medien und Buchverlagen Anlass genug ist, sich über den Dichter und Schriftsteller und seinem Weg Gedanken zu machen, ihn in seinem Werk vielleicht neu zu entdecken. Auch ich war in meinen frühen Jahren bereits ein fleißiger Leser von Hesse und habe ihn aus den gegebenen Anlässen in den letzten Monaten erneut gelesen

Herausragende Persönlichkeiten sind immer Anlass auch, sich mit ihrem Leben, ihrer Herkunft und den Umständen ihres Lebens zu beschäftigen. Diese bündelt sich dann in Biografien über die Person. Im Falle Hesses gab es bereits zu seinem 50. Geburtstag eine ausführliche Biografie, die auch heute noch interessierte Leser findet. Hugo Ball, den seit seinem Umzug ins Tessin eine enge Freundschaft mit Hermann Hesse verband, schrieb diese Biografie von Anfang Oktober 1926 bis Anfang März 1927. Im Juni 1927 erschien diese bei S. Fischer kurz vor Hesses 50. Geburtstag und kurz vor dem Tode Hugo Balls.

Heute Ruhetag = Lesetag!

[…]

Wer hätte als Kind nicht an seinem Vornamen gelitten, ihn hundertmal sich vor- und eingesprochen, Forderungen an ihn gestellt, ihn mit berühmten Mustern verglichen, ihm zugejubelt oder ihn ungenügend befunden? Wer hätte als Knabe und Jüngling nicht hundertmal in sanftem, kühnem, steilem oder lässigem Bogen mit Schnörkel und seltsam verschlungenem Strich seinen Namen vor sich hingeschrieben, sich mit ihm gestritten und ausgesöhnt, sich ihn eingeprägt und mit ihm abgesondert von den Geschwistern, von der Familie, als Ich, als Ich selbst, als eigenster Besitzer und Mitgiftträger für Zeit und Ewigkeit?

Frühere Zeiten pflegten dem heranwachsenden Novizen den leiblichen Vornamen nebst seinem Ich abzunehmen und ihm dafür den Namen einer Maske, ein fremdes, höheres, kanonisiertes Ich als Vorbild einzuokulieren. Wir Heutigen aber: müssen wir uns mit dem natürlichen Ich nicht abfinden? Ist dieses uns verbleibende leibliche Ich nicht ein steter Quell der Verfänglichkeit und des Verfangenseins in den Zufall und in die eigene Natur? Und wenn übermächtige Gaben der Eltern uns aufsaugen und entselbsten wollen, wenn eine wohl- oder schlechtbeschaffene Erziehung unseren Eigenwillen brechen, uns kleinkriegen will –: ist dieser Vorname nicht eine Zuflucht? Enthält er nicht unser besonderes Recht auf eigenes, neues, von vorn beginnendes Leben und Wirken?

[…]

Hugo Ball: Hermann Hesse – Sein Leben und sein Werk (1927)