Kategorie-Archiv: Musik und mehr

Von Musik und allem Drumherum

Willi und die Swinging Sixties

Mitte der 60-er Jahre (des letzten Jahrhunderts) entstand ein modischer Trend, der auch die Kultur und die Politik beeinflusste und einen ganz besonderen Zeitgeist schuf: die Swinging Sixties, deren Mittelpunkt London als Swinging London war.

„Beginnend mit politischen Konflikten wie beispielsweise der Kubakrise und dem bereits schwelenden Vietnamkrieg setzte sich eine neue Sicht- und Denkweise in der Gesellschaft durch, welche sich in politischem Denken der Friedensbewegung, in der Kultur, der Mode und einem völlig neuen Freiheitsdenken äußerte. Indes zeigte sich ein Wechsel in der Musikszene, der gleichzeitig neue Modetrends setzte (Woodstock). Am engsten verbunden mit dem Begriff der Swinging Sixties dürfte allerdings die Londoner Straße Carnaby Street sein, welche in den 1960ern durch ihre unzähligen Mode- und Musikgeschäfte bekannt wurde und als ‚Trendmeile’ im westlichen Europa galt. Wer ‚hip’ oder Hippie sein oder einfach nur Drogen kaufen wollte, ging dort ‚shoppen’.“ (Quelle: de.wikipedia.org)


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Carnaby Street, London

Und Swinging London hatte ein Gesicht mit der magersüchtigen Twiggy, über die besonders die Modetrends gesetzt wurden. Twiggy Lawson ist bis heute im Geschäft.

Ich habe die Swinging Sixties als auslaufendes Modell erlebt, da ich mehr oder weniger einer Zwischengeneration (Mitte der 50-er Jahre geboren) angehöre, die nicht mehr der 68er-Bewegung zuzurechnen ist und noch nicht ganz der Boomgeneration (ab 1955 in Deutschland). Aus sozialpsychologischer Sicht gehöre ich wohl mehr den Baby-Boomern an, die in Deutschland als desillusioniert galten. Ihr Lebensmotto könnte man mit „Leben und leben lassen“ definieren. (siehe hierzu meinen Beitrag zum Roman von Georg Heinzen – Uwe Koch: Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden). Aber so ganz sind die Swinging Sixties (wie auch die sich daraus ableitenden 68-er) an mir nicht vorbeigerauscht.

Was waren die ‚Aushängeschilder’, die diese Zeit ausmachten? London als Mittelpunkt und dort der Stadtteil Soho mit der Carnaby Street als Modezentrum, in dem Minirock und Twiggy das Bild bestimmten, habe ich Anfang der 70-er Jahre besucht. So ganz mein Ding war das nicht. Mich interessierte in erster Linie die Musikszene der Stadt.

So gingen von London in den Swinging Sixties nicht nur die Mode- sondern auch die musikalischen Trends aus, die natürlich nicht nur in die USA, sondern auch zu uns nach Deutschland überschwappten. Der Beat-Club, ab 1965 von Radio Bremen produziert, war die Musiksendung für junge Leute schlechthin. Hier wurde die Musik gespielt, die sonst nur in der Londoner Musikszene zu hören war. In London selbst wurde der Marquee Club Dreh- und Angelpunkt dieser neuen Musik. Er diente vielen Gruppen als Sprungbrett ins internationale Musikgeschäft. Die Rolling Stones gaben dort am 12. Juli 1962 ihr erstes Konzert unter ihrem Bandnamen. Im Marquee Club traten Bands und Musiker auf wie Steamhammer, Jimi Hendrix, Iron Maiden, John Mayall mit Eric Clapton, Peter Green, Queen, Oasis, The Who, Pink Floyd, Marillion, The Nice, Rory Gallagher – und natürlich auch Jethro Tull, zunächst noch als „Navy Blue“. Schon mit der „John Evan Band“ hatte Ian Anderson zuvor im Marquee Club einen Auftritt. An meinem Geburtstag, den 2. Februar 1968, traten Ian Anderson und Co. dann als Jethro Tull zum ersten Mal auf.

So kam es dann auch, dass beim 8. National Jazz and Blues Festival vom 9. bis 11. August 1968 im Kempton Park Racecourse zu Sunbury die Gruppe Jethro Tull auftreten durfte (das Festival wurde 1961 vom Gründer des Londoner Marquee Club, Harold Pendleton, ins Leben gerufen) und ihren ersten großen Erfolg feierte.

Aber ich schweife ab. Nur soviel: Leider ist der Marquee Club seit 2008 nur noch Geschichte. Immerhin habe ich es Ende der 70-er Jahre wenigstens einmal besucht und bei einem gepflegten Ale die Hardrockgruppe UFO sehen und hören dürfen. Auch das war zwar nicht so ganz mein Ding. Trotzdem genoss ich den Aufenthalt in dem für die Rockmusik geschichtsträchtigen Räumlichkeiten (damals wie zu Zeiten der Auftritte von Jethro Tull in der Wardour Street No. 90).

Später, Anfang der 80-er Jahre besuchte ich dann mit einem Kumpel noch den 100 Club in der Oxford Street (Hausnummer 100, daher der Name). Ebenfalls ein geschichtsträchtiger Ort (siehe hierzu auch meine Beiträge Was ist bloß mit Ian los? Teil 2: Wie ich zu Jethro Tull kam und Ska im Park). Hier traten all die Blues-Größen auf, die großen Einfluss auf die Musikszene der Swinging Sixties hatten. Hier wurde mit dem ersten 100 Club Punk Festival am 20. und 21. September 1976 auch der Punk gewissermaßen hoffähig.

Wer sich heute an die Swinging Sixties erinnert (erinnern kann), denkt natürlich vor allem an den Minirock, Anfang der 60-er Jahre von der Modedesignerin Mary Quant kreiert. Und natürlich an Twiggy, dem ersten internationalen Superstar unter den Models. In diesen Jahren (ab 1962) kamen dann auch die James Bond-Filme ins Kino. Meinen ersten Bond-Film sah ich übrigens 1967 in Schweden. Es muss „Feuerball“ gewesen sein, denn „Man lebt nur zweimal“ kam erst im Herbst 1967 in die Kinos. Es war in Stockholm (im Original mit schwedischen Untertiteln!), wo ich mit meiner Schulklasse zwei Wochen anlässlich eines Schüleraustauschs weilte. Erwähnenswert ist, dass Schweden kurz zuvor vom Links- auf Rechtsverkehr umgestellt hatte, was z.T. für chaotischen Verhältnissen auf den Straßen sorgte.

Und ohne Zweifel darf und werde ich meine Lieblings-TV-Serie Avengers (Mit Schirm, Charme & Melone) hier nicht vergessen. Auch die gehört spätestens mit der 4. Staffel (John Steed und Emma Peel), die ab Ende 1966 im deutschen Fernsehen zu sehen war, zu dem Bild, das die Swinging Sixties (nicht nur) bei mir geprägt haben. Im Jahr 1967 gab es so ein Fotoshooting, bei dem die Stilikonen dieser Jahre vereint abgebildet wurden: Patrick Macnee, der John Steed in der Serie verkörperte, zusammen mit Twiggy (Diana Rigg wurde gesondert abgelichtet). Die Aufnahmen erfolgten in den Teddington Studios zu London und präsentieren die neuen Entwürfe zu „Avengers by Pierre Cardin and Alun Hughes. Fotos: Terry O’Neil (hier weitere Fotos mit Twiggy & Steed). Die Klamotten, die Diana Rigg als Emma Peel trug, verkauften sich nämlich auch nicht schlecht.

    Twiggy und John Steed (Patrick Macnee) 1966 bei einem Mode-Fotoshooting

Von dem Fotoshooting gibt es auch ein kleines Video bei British Pathé (britishpathe.com): Avengers meet Twiggy 1967 (Rigg’s new rigs – [Diana] Riggs neue ‚Ausrüstung’):

    Avengers meet Twiggy 1967 (Rigg’s new rigs)

Die Swinging Sixties endeten, wenn man so will, mit Monty Python, die ihren Flying Circus 1969 ins britische Fernsehen brachten. Während ich Paris und Madrid nur einmal bisher besucht habe (Rom habe ich nicht einmal aus der Ferne gesehen), war ich in London unzählige Male (das letzte Mal ist allerdings schon etwas her: 1996 war ich dort mit dem älteren meiner beiden Söhne, er war damals gerade fünf ½ Jahre alt und begeisterte sich für Peter Pan und Dinosaurier, da war London durchaus das Richtige – immerhin war ich ja 2005 mit meiner Familie u.a. in Edinburgh). Es ist natürlich nicht die Stadt also solche, die mich interessiert, sondern das typisch Britische mit seinem schwarzen Humor, seiner Musik und dieser besonderen Mentalität der Menschen, die irgendwo zwischen Unterstatement und weltmännischer Arroganz angesiedelt ist. Viele Briten (Engländer, sonders aber Schotten und Waliser) mögen London eigentlich nicht so sehr. Denen ist die Stadt einfach zu groß, alles dort zu teuer und wahrscheinlich auch zu ‚bunt’. Hier habe ich aber zum ersten Mal kennen gelernt, was multikulturelle Vielfalt ist. So etwas wie z.B. Chinatown gab es nicht (und gibt es auch heute noch nicht) bei uns. Hamburg und München sind sicherlich ganz schöne Städte. Aber eine Weltstadt wie London ist keine von beiden. Berlin kommt vielleicht an die englische Hauptstadt einwenig heran. Natürlich ist mir klar, dass es ein großer Unterschied ist, in einer Stadt wie London (oder Berlin) Urlaub zu machen oder dort zu arbeiten und zu leben.

Meine Fresse: Da wollte ich eigentlich nur so einen kleinen Beitrag zu den Swinging Sixties schreiben und bin wieder einmal vom Hundertsten ins Tausendste gekommen.

Martin Barre: Away with Words

    “Arranging and representing the Tull songs featured on the album became a very peasant and rewarding task. These lesser known songs have always been amongst my favourite pieces of music and reworking them brought back many good memories. My own compositions have been written to compliment and enhance these pieces.
    Composing and arranging is my passion, and bringing together the many acoustic instruments was a delight for me, but of course, the electric guitar, couldn’t be totally left out of the picture!
    I hope you enjoy the results of this project as much as I have.
    Martin Barre”

So steht es in bescheidenen Worten im Inlay-Text zu Martin Barres neuester CD: Away With Words, die in diesen Tagen erschienen ist (bzw. am 8. November auch direkt auf den deutschen Markt kommt).

Martin Barre hat sich also einige weniger bekannte, dafür aber von ihm favorisierte Lieder von Jethro Tull vorgenommen und diese um eigene Kompositionen erweitert. Komponieren und Arrangieren ist seine Leidenschaft. Auf dieser Scheibe nun versammelt Barre viele akustische Instrumente, konnte aber die elektrische Gitarre nicht ganz verleugnen. Und obwohl die CD „Away with Words“ heißt (Hinweg/Fort mit Wörtern), so konnte er selbst auf Gesang (der Titel deutet eigentlich daran hin, keine Wörter zu benutzen) in „Hymn 43“ nicht ganz verzichten.

    Martin Barre: Away with Words (2013)

Nun das neue Album von Martin Barre habe ich mir während seines Konzertes mit seiner neu formierten Band in Buchholz/Nordheide gekauft und noch am gleichen Tag, sozusagen zum Ausklang eines gelungenen Abends, mit meiner Frau und meinen Söhnen angehört. Meine Frau dazu: Und dass habt Ihr heute im Konzert gehört? Nein, haben wir nicht oder nur zum Teil, denn im Konzert fetzte es gewaltig. Gehört haben wir Paparazzi (instrumental), Hymn 43 und Home (beide mit Gesang) in ähnlicher Form.

Das neue Album ist also eher das Gegenteil vom Konzert. Martin Barre nimmt sich dort wie bereits erwähnt einiger alter, meist dem Folkrock verpflichteter Tull-Stücke an, arrangiert sie zum großen Teil neu und verbindet diese mit eigenen Kompositionen zu geradezu neuen Stücken. Das Ganze klingt in vielen Teilen wie klassische Gitarrenmusik (Julian Bream & Co. lassen grüßen).

Barre sprach dann leider von „Desaster“ und meinte vor allem wohl die Verkaufszahlen und die ersten Kritiken, wenn’s denn welche gibt (und die Verzögerung bei der Veröffentlichung – immerhin gab es das Album bei den Konzerten zu kaufen).. So wie Konzertankündigungen für die Martin Barre Band fast ungehört in der Weite des Raums verhallen, so ignorant ist die Musikwelt auch gegenüber Veröffentlichungen eines der besten Rockgitarristen der Welt. Schade, denn dieses Album, gerade weil es in wunderschönen akustischen Arrangements daher kommt, gefällt mir ausgesprochen gut. Natürlich ist es das Ergebnis eines eher intimen Projektes.


Martin Barre live 2013 Bamberg – Martin’s Jig/Hymn 43
(leider mit wilden Schwenks und etwas viel Geklatsche)

siehe auch: Martin Barre live beim Cropredy-Festival: Air: Lament Of The Spalpeen/Martin’s Jig/Hymn 43

Was Martin Barre hier bietet, ist Gitarrenmusik vom feinsten. Manchmal streift er vielleicht die Grenze zur Süßlichkeit. Dabei lässt er immer einen klaren Ton erklingen, spielt manchmal in Stakkato, dann wieder perlen die Töne förmlich über das Griffbrett. Aber nie ist es Selbstzweck, kein Jagen nach Geschwindigkeitsrekorden. Barre spielt eher dezent und offenbart doch eine ungewöhnliche Technik dabei. Es ist die reinste Freude. Für Spieler wie Zuhörer.

Bass und Schlagzeug kommen nur sporadisch zum Einsatz, nämlich dann wenn sie einem Stück zusätzliche Fülle verleihen sollen. Dass Barre zudem ein guter Flötist ist, wissen wir von Konzerten mit Jethro Tull, denn wer sonst außer Ian Anderson durfte dieses Instrument spielen.

Ähnlich wie Ian Andersons Divinities – Twelve Dances With God hat diese Musik nur noch wenig mit Rockmusik zu tun. Und doch ist gerade diese Mischung aus Folk und Klassik ein nicht unerheblicher Bestandteil der Musik von Jethro Tull. Ja, wer dieses Album hört, erkennt schnell, welch großen Anteil Martin Barres Gitarrenspiel bei Jethro Tull gehabt haben muss.

Fürs Anhören, dass sei gesagt, braucht es Ruhe. Nur wer ganz aufmerksam den Stücken lauscht, bekommt die vielen Feinheiten des Barre’schen Gitarrenspiels mit. Es muss nicht immer rocken und fetzen. Wer Jethro Tull mag (besonders die eher leisen Stücke), der wird auch an dieser Scheibe Gefallen finden. Aber auch wer klassische Gitarrenmusik liebt, wird vielleicht seinen musikalischen Horizont um diese aus der Populärmusik gereichte Klangwelt erweitern wollen.

Personnel:

Martin Barre: Acoustic/Classical/Electric Guitars, Bouzouki, Mandolin, Bass, Flute & Bass Clarinet
Dan Crisp: Vocals
Frank Mead: Blackwood Flute, Whistles, Bodhran, Blues Harp
Jonathan Noyce: Bass
George Lindsay: Drums & Percussion
James Bragg: Engineer

Recorded at The Garage Studio, Devon
Excerpt drums at Middle Farm Studio, Devon

Setlist:

1. At First Light (Barre)/Moths (Anderson) 3:10
2. Its My Round (Barre)/Requiem (Anderson) 6:04
3. One Brown Mouse (Anderson)/Fatcat (Barre) 3:15
4. Air: Lament Of The Spalpeen (Traditional)/Martin’s Jig (Barre)/Hymn 43 (Anderson) 6:11
5. All Bars Hold (Barre) 1:12
6. Pussy Willow (Anderson) 3:43
7. Snapshot (Barre)/Paparazzi (Barre/VetteseAnderson) 4:14
8. Long Ago (Barre)/Home (Anderson) 4:54
9. Fire At Midnight (Anderson)/From The Ashes (Barre) 4:05
10. Protect And Survive (Anderson) 3:05
11. Spare A Thought (Barre)/From A Dead Beat To An Old Greaser (Anderson) 4:03
12. Sundown (Barre) 4:03

Gitarrenzauber mit Martin Barre

Wow, was für ein Konzert. Am Freitag (25.10.2013) gastierte Martin Barre, von Ende 1968 bis Mitte 2011 Gitarrist der Gruppe Jethro Tull, mit seiner Band in der Empore zu Buchholz i.d. Nordheide. Und ich habe es nicht bereut, das Konzert zu besuchen. Es war ganz einfach phantastisch, was Martin und seine Mannen da boten. Auch meine beiden Söhne, die eigentlich keine Tull-Fans sind, waren begeistert.

Zuvor gab es aber noch einen gehörigen Schrecken in der Abendstunde: Mit meinem jüngeren Sohn fuhr ich mit dem Auto von Tostedt nach Buchholz und parkte dort am Bahnhof, um meinen älteren Sohn, der mit dem Zug aus Göttingen anreiste, abzuholen. Die Eintrittskarten hatte ich in die Innentasche meiner Jacke verstaut, da war ich mir zu 100 Prozent sicher. In Buchholz hatten wir noch reichlich Zeit bis zur Ankunft des Zuges. So gingen wir beide schon mal die Strecke zum Veranstaltungsort ab. Beim Aussteigen aus dem Auto müssen wohl die Eintrittskarten aus der Jackentasche geflutscht sein – und unterwegs entglitten sie mir dann wohl ganz. Als wir meinen älteren Sohn endlich abgeholt hatten (die Zug war fast pünktlich), stellte ich dann zu meinem Schrecken fest, dass die Karten futsch waren. Im Auto lagen sie nicht. Aber dann fanden wir sie doch noch auf dem Weg zur Empore. Erleichterung pur! (Scheiße, ich werde alt …!).

Dann aber das Konzert! Einzigster Wermutstropfen: die wenigen Zuschauer. Aus dem Kulturetat der Stadt Buchholz wird wohl einiges draufgelegt werden müssen, um die Gage für Martin Barre und Band begleichen zu können. Das hatte allerdings auch einen Vorteil: So ergab sich von Anfang an eine geradezu familiäre Atmosphäre. Die Bestuhlung der schon so eher kleinen Halle war entfernt worden. Dafür hatte man runde Tische aufgestellt, auf denen man seine Getränke abstellen konnte. So verteilte sich das Publikum gleichmäßig im Saale (Die bestuhlten Plätze auf dem Rangbalkon waren aber wohl fast alle belegt – ich pflanzte mich mit meinen Söhnen auf noch freie Plätze auf dem Seitenbalkon). Nach kurzer Einleitung legte dann Martin mit einem eigenen Stück los. Gut, ich habe (fast) alle Scheiben von ihm, aber manches instrumentale Stück kommt doch recht kraus daher. Mein ältester Sohn fand das aber ganz okay und nannte es „Spielwiese“ eines typischen Gitarristen. Stimmt wohl. Dann kam auch schon das erste Stück von Jethro Tull: „Minstrel in the Gallery“ (ohne Intro), denn der Abend stand ja unter dem Motto: Martin Barre & Band playing the classic music of Jethro Tull.

Erst einmal aber zum Line Up: Statt des ebenfalls ehemaligen Jethro-Tull Mitglieds Jonathan Noyce spielte Greg Harewood den Bass. Der klang ziemlich dezent, füllte aber ausreichend den Raum. Bei manchen Stücken linste er durch seine Brille schon mal aufs Notenblatt. Im zweiten Teil des Konzertes kam er dann aber doch ganz gut in die Puschen. An der Schießbude saß George Lindsay, dessen Spiel ich als solide bezeichnen möchte. Neben Martin Barre war es der Franzose Pat O’May, der sicherlich keinen Schönheitspreis gewinnen dürfte, der aber gekonnt die Klampfe krachen ließ. Sicherlich fehlt ihm der letzte Schliff, der das Gitarrenspiel von Martin ausmacht, aber oberaffengeil fand ich schon die Gitarrenduette, die Martin und Pat zweistimmig hinlegte (z.B. in „Fat Man“ und „Song for Jeffrey“). Und „To Cry You a Song“ mit Soli beider Gitarristen war der Hammer.

Martin Barre Band - Backstage

Dan Crisp mit akustischer Gitarre der Sänger der Gruppe (manchmal unterstützt von Pat O’May) hat zwar nicht die frühere Stimme Ian Andersons. Aber seine Stimme, etwas kratzig schon, meisterte die Höhen und Tiefen der Lieder in voller Bravour (kein Anderson’sches Gequäle). Besonders schön die beiden langsamen Stücke „Wond’ring Aloud“ und „Still Loving You Tonight“, bei denen Dan Crisp auf der akustischen Gitarre lediglich von Martin Barre mit E-Gitarre überstützt wurde. Auch hier gab es ein verdoppeltes Sologitarrenspiel. Klasse! Und was ist mit Flöte? Nichts ist damit. Ganz ehrlich: Ich habe es nicht vermisst. Frank Mead, der angekündigt und wohl anderweitig unterwegs war, hat mich nicht mit seinem Saxophon- und Flötenspiel überzeugen können (siehe Youtube-Videos). Stücke von Jethro Tull mit Flöte, die nicht von Ian Anderson gespielt wird, das geht irgendwie nicht. Und dank der Präsenz der Gitarrenpower hat wohl keiner wirklich die Flöte an diesem Abend vermisst.

Was gab es noch so Schönes? TAAB in Ausschnitten als „Thin as a Brick“ vorgestellt zeigte Martin Barres Anteil an diesem sonst nur Ian Anderson zugeschriebenen Machwerk auf: eine Instrumentalpassage, die ebenfalls im Zusammenspiel mit Pat O’May den Zuhörern einiges auf die Ohren gab. Von Jethro Tull gab es dann noch „Home“ und „Hymn 43“, beides durch Martin umarrangiert und mit neuer Frische belegt. Ach ja, dann noch bei der Zugabe „Locomotive Breath“. Musste wohl sein. Neben weiteren Instrumentalstücken aus Martin Barres Feder gab es auch ein Stück von Pat O’May – sowie einige Bluesstandards (u.a. „Crossroad“). Hier kam dann auch der farbige Bassist Greg Harewood ins Rollen.

Alles in allem ein gelungenes Konzert (wie gut, dass ich die verloren geglaubten Karten wiedergefunden habe, aber ich hätte mir dann doch noch einen Kartensatz an der Abendkasse geordert). Nein, mehr noch: ein absolut geiles Konzert! Das lag natürlich auch an der guten Akustik der Halle. Der zweite Teil (nach einer Stunde Konzert gab es eine Pinkelpause von 20 Minuten, die wohl auch dem Alter der meisten Besucher geschuldet war, selbst meine beiden Söhne dürften das Durchschnittsalter kaum unter 60 Jahre gedrückt haben 😉 ) war dann sogar noch etwas besser vom Klang her, da am Mischpult erfolgreich nachjustiert wurde. – Früher habe ich Konzerte in großen Mehrzweckhallen besucht, die eigentlich klanglich völlig ungeeignet für Konzerte sind.

Natürlich könnte man sich fragen, warum Martin Barre immer noch in erster Linie Stücke von Jethro Tull spielt? Immerhin hat er über 40 Jahre „Stage left“ von Ian Anderson gestanden und maßgeblich den Stil der Gruppe mitgeprägt (Jethro Tull ist bzw. war eben nicht Ian Anderson allein). Und der leider einzigste Grammy-Gewinn der Band (für das Album Crest of a Knave) geht im hohen Maße auf die Kappe von Martin Barre.

Noch ein Wort zu der geringen Besucherzahl. Jethro Tull, soweit sie einer kennt, verbinden auch heute noch viele in erster Linie mit Ian Anderson. Martin Barre war immer ein ergebener Vasall des Flötenmeisters. So kennen zwar viele Ian Anderson, kaum einer (außer echte Jethro Tull-Fans) kennt Martin Barre. Dabei zählt er zu den größten Rockgitarristen und sein Gitarrensolo auf dem Stück „Aqualung“ (das übrigens beim Konzert in Buchholz nicht gespielt wurde) zählt auf Platz 25 (in anderen Umfragen auf Platz 20) zu den besten und größten der Rockmusik. Schade, dass nicht mehr Rock-Fans den Weg in die Empore nach Buchholz gefunden haben. Jungs und Mädels: Ihr habt wirklich etwas verpasst!

Und noch eines: Es tat Martin Barre sichtlich gut, nicht im Schatten von Ian Anderson stehen zu müssen. Er präsentierte sich in Buchholz zwar bescheiden, wie er nun einmal ist, aber auch sehr locker und entspannt. Und was er auf der Gitarre zauberte, war schon aller erste Sahne!

Lesenswert finde ich übrigens den Bericht von King Heath im Jethro Tull Board @ www.laufi.de (also ich habe nur 2 € 50 fürs Bier bezahlt) und das sich (fast) ganz mit meinen Eindrücken vom Konzert deckt.

Martin Barre hat im Laufe der Jahre neben den Alben von Jethro Tull auch eigene Scheiben veröffentlicht: Martin Barre. Die neueste Away With Words habe ich mir beim Konzert gekauft. Zu dieser später etwas mehr. Es ist ein – soviel kann ich verraten – ganz eigenartiges Album, dass nur wenige Bezüge zum Konzert hat. Im überwiegendem Teil ist es akustisch und ohne Gesang („weg mit Wörtern“) und verknüpft in fast jedem Stück ein Lied aus der Feder von Ian Anderson mit Kompositionen von Martin Barre (z.B. Jethro Tulls „One Brown Mouse“ mit Barres „Fatcat“).

Nachtrag: Inzwischen gibt es auch Videos von Martin Barres Konzert in Buchholz (und drei Tage zuvor aus Bamberg). Dank an die Jungs (und/oder Mädels), die das bei Youtube eingestellt haben.

Joan Armatrading: Sleight of Hand (1986)

Ein Jahr nach ihrem Album Secret Secrets (1985) erschien 1986 Sleight of Hand, das zehnte Studioalbum von Joan Armatrading.

Sleight of Hand war die erste Scheibe, die in ihrem eigenen, den Bumpkin Studios, einem Studio mit einem 24-Spur-Aufnahmegerät, aufgenommen wurde – und die sie nicht nur selbst komponierte, sondern auch produzierte. Lediglich das Abmischen der Tracks überließ sie dann Steve Lillywhite, dem Produzenten ihrer Alben Walk Under Ladders und The Key. Wie schon zuvor, so gab es auch jetzt wieder einigen Ärger mit ihrer Plattenfirma A & M Records, denen das Album nicht kommerziell genug erschien. Am Ende erreichte es aber Platz 34 der UK Album Charts und Platz 70 in den USA.

    Joan Armatrading: Sleight of Hand (1986)

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert, arrangiert und produziert)

1. “ Kind Words (And A Real Good Heart)“ – 3:46
2. „Killing Time“ – 3:54
3. „Reach Out“ – 4:15
4. „Angel Man“ – 3:41
5. „Laurel and the Rose“ – 3:46
6. „One More Chance“ – 5:14
7. „Russian Roulette“ – 4:33
8. „Jesse“ – 3:26
9. „Figure of Speech“ – 3:25
10. „Don Juan“ – 5:14

Auch dieses Album ist in meinen Augen (und Ohren) reichlich ‚überproduziert’. Weniger wäre mehr. Oft nervt ein eintöniger, zu sehr im Vordergrund stehender Bass. Und die Keyboards sind mir besonders in den ersten Stücken zu schrill. Aber das ist sicherlich Geschmackssache – und auch in diesem Fall der damaligen Zeit geschuldet.

Das Album beginnt mit einem eigentlich ganz guten Stück, das aber für mich zu disco-mäßig vorgetragen wird. Es erschien auch als Single und erreichte Platz 81 in den UK Singles Chart bzw. sogar Platz 37 in den US Billboard Mainstream Rock Chart:


Joan Armatrading – Kind Words (And A Real Good Heart)

„Killing Time“ nervt mich auch ziemlich durch das Keybord-Gedröhne und einen Bass aus der ‚Retorte’:


Joan Armatrading – Killing Time

„Reach Out“ wurde ebenfalls als Single veröffentlicht. Das Lied verweist nach Aussage von Joan Armatrading auf die Motown-Hitsingle „Reach Out I’ll Be There“ der Four Tops aus dem Jahr 1967. Das Lied von Joan swingt durch das knackige Gitarrenspiel und einem schönen Saxophon-Solo. Hier eine sehr seltene Aufnahme, die anlässlich einer Rock Gala zugunsten des The Prince’s Trust von Prinz Charles 1986 aufgenommen wurde, bei der 1982 bereits Jethro Tull aufgetreten war (mehr dazu in meinem Beitrag Illustre musikalische Gesellschaft). Hier präsentiert sich Joan u.a. mit Rockgrößen wie Eric Clapton, Mark Knopfler, Elton John und Phil Collins. Das ganze Konzert gibt es in leider minderer Qualität bei Youtube zu sehen und zu hören:


Joan Armatrading: Reach Out (1986)

Die Idee zum vierte Lied „Angelman“ kam ihr durch ein Drehbuch, das Joan zugesandt wurde und durch die Tatsache, dass ihr jüngerer Bruder, der Schauspieler Tony, in der TV-Serie „Angels“ mitspielte (Tony ist auch in einer Nebenrole als Security-Mann in dem Spielfilm Notting Hill zu sehen). Ich finde das Lied etwas sehr theatralisch. Es klingt mir irgendwie sehr nach Jennifer Rush und ist eine Mischung aus Disco und New Wave. Auch hier stört mich der etwas ‚stumpfe’ Bass.

    Tony Armatrading (geboren 1961), Schauspieler, Bruder von Joan

Es folgt ein langsames Stück: „Laurel and the Rose“, das ganz okay ist. Hörenswert ist der kurze Mundharmonika-Part (gespielt von Joan). Äußerst dramatisch geht es dann weiter mit „One More Chance“, das mich im mittleren Teil an den Obertongesang eines Michael Jackson oder gar Prince erinnert. Hörenswert sind hier auf jeden Fall das Saxophonsolo in der Mitte und das Gitarrensolo am Ende des Liedes.

Bei „Russian Roulette“ passt der Bass. Auch das Schlagzeug klingt, wie es nach meinem Geschmack sein soll: Ein hörenswert rockiges Stück. Und die gesanglichen ‚Triller’ erinnern mich etwas an Nina Hagen.

„Jesse“ ist ein langsames Stück mit Chor-Geträller, nichts wirklich Aufregendes. Joan Armatrading mochte das Lied wohl nicht besonders. Es erschien ebenfalls als Single mit „The River’s on Fire“ auf der B-Seite, ein Lied das nicht auf diesem Album erschien (und das ich bis heute noch nicht gehört habe).


Joan Armatrading – Jesse (You can do magic)

In „Figure of Speech” wird der Walgesang nachempfunden. Auch dieses Lied hat ein wenig zuviel Dramatik, kommt dabei aber nicht so richtig in die Gänge.

Und wieder ist auch auf diesem Album das letzte Lied ein langsames: „Don Juan“. So ganz war wohl selbst Joan Armatrading mit diesem Album nicht zufrieden. Dieses letzte Lied war dann auch ihr Lieblingslied von dieser Scheibe, wohl weil es romantisch, ein schönes,
sentimentales Liebeslied ist („romantic … a nice, soppy love song … and I like that“). Ja, etwas schnulzig ist es schon …

Mit “Sleight of Hand” endet für mich Joan Armatradings zweite musikalische Schaffensphase (zu der Übersicht der vier ‚Perioden’ siehe meinen Beitrag Joan Armatrading: If Women Ruled The World), die mit Me Myself I im Jahr 1980 begann, also im Wesentlichen die 80-er Jahre umfasste. Joan hatte mit A & M Records eine Plattenfirma gefunden, die sicherlich ihr Können früh erkannte, die aber auch auf kommerziellen Erfolg aus war. So waren Konflikte vorprogrammiert. Ohne Zweifel erzielte Joan Armatrading Erfolge mit ihren Alben und Singles in dieser Zeit. Aber der ganz große Durchbruch blieb aus. Dafür war und ist sie musikalisch einfach zu individuell, um im Mainstream mitschwimmen zu wollen.

Die 80-er Jahre waren geprägt vom Stil des New Wave, der zwischen Synthie-Pop- und Electro-Wave einerseits und der New-Romantic-Bewegung andererseits hin- und herschwappte. Analog entwickelte sich in Deutschland in dieser Zeit die Neue Deutsche Welle. Um Erfolg zu haben, musste man also auf dieser ‚Welle’ mitschwimmen. Jethro Tull und voran ihr Masterhead Ian Anderson beschäftigte sich zu dieser Zeit auch mit Elektronik, siehe hierzu z.B. Andersons Soloalbum Walk into Light (1983). Und irgendwie war es geradezu zwangsläufig, dass sich auch Joan Armatrading dem Zeitgeist ergab.

Ich muss gestehen, dass die 80-er Jahre an mir mehr oder weniger vorbeigerauscht sind. Es gab für mich nichts Neues zu entdecken. Punk und New Wave ließen sich zwar hören, interessierte mich aber nicht weiter. Außerdem hatte ich anderes genug um die Ohren (sic!). Ich kaufte mir fast schon aus reiner Gewohnheit die Platten meiner Lieblinge (dazu gehörte nun einmal neben Jethro Tull auch Joan Armatrading), hörte in die Scheiben hinein, um sie bald wieder wegzulegen. Erst viel später (und jetzt wieder in den letzten Wochen) habe ich mich ausführlicher mit der damaligen Musik beschäftigt. Weggelegt habe ich die Platten damals, weil sie mich enttäuschten. Und diese Enttäuschung ist nicht gewichen.

Joan Armatradings zweite musikalische Schaffensphase ist für mich bis heute also enttäuschend. Mit Beginn der 80-er Jahre verlor sie zum großen Teil ihre Ursprünglichkeit. Natürlich blieb immer noch ein ‚Rest’. Immer noch gab es zwei, drei Lieder, die weniger dem Zeitgeist als ihrer ureigenen Kreativität geschuldet waren. So kann man die fünf Alben der 2. Phase auf maximal zwei Scheiben reduzieren und hat dann noch etwas übrig, was sich dann mit dem 11. Album gottlob fortsetzte: Die Rückkehr zu ihren Wurzeln. Aber dazu später mehr. Ich habe in den letzten Wochen, gar Monaten genügend Joan Armatrading gehört. All die Scheiben mehrmals und immer wieder. Jetzt wird es Zeit, einmal etwas anderem zu lauschen. Nein, Jethro Tull wird das bestimmt NICHT sein.

Joan Armatrading: Secret Secrets (1985)

Nach dem Album The Key (1983) erschien Anfang 1985 Secret Secrets, das letzte Album, das Joan Armatrading nicht selbst produzierte. Diesmal war Mike Howlett der Produzent (1950 auf einer der Fidschi-Inseln geboren), der hauptsächlich für Gruppen der Genres Progressive Rock und New Wave arbeitete, musikalische Einflüsse, die meiner Meinung nach auch auf diesem Album zu hören sind.

Secret Secrets wurde in den Battery Studios (früher bekannt als Morgan Studios), in Willesden, London aufgenommen und abgemischt. Hier wurden auch Alben wie Stand up (1969), Benefit (1970), Thick as a Brick (1972), A Passion Play (1973), War Child (1974) und Songs from the Wood (1977) von Jethro Tull – aber auch schon Joans 2. Album Back to the Night (fast zeitgleich 1974 mit Jethro Tulls War Child – vielleicht sind sich Joan und Ian Anderson öfter über den Weg gelaufen) aufgenommen. Die Lieder wurden von Joan Armatrading alle nicht nur komponiert, sondern auch arrangiert (z.B. auch die Streicher- und Bläsersätze), sodass Mike Howlett erkannte, dass Joan eigentlich keinen Produzenten brauche. Ab dem nächsten Album sollte sie dann auch selbst die Produktion übernehmen. Beim Erscheinen des Albums hatte Joan Armatrading bereits ihr eigenes Studio eingerichtet, das sie Bumpkin Studio nannte.

Wieder scharte Joan Armatrading eine Reihe bekannter Studiomusiker um sich, die zuvor von ihr und dem Produzenten ausgesucht wurden. Namhaftes Beispiel: Joe Jackson, der auf „Love by You“, ein sehr schönes, langsames Stück, das Klavier spielt. Das Foto von Joan auf dem Cover wurde vom bekannten New Yorker Fotografen Robert Mapplethorpe aufgenommen. Die Scheibe erreichte Platz 14 in den UK Album Charts und Platz 73 in den USA.

    Joan Armatrading: Secret Secrets (1985)

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)

Seite 1:
1. „Persona Grata“ – 4:44
2. „Temptation“ – 4:03
3. „Moves“ – 4:12
4. „Talking To The Wall“ – 4:31
5. „Love By You“ – 3:13

Seite 2:
1. „Thinking Man“ – 4:05
2. „Friends Not Lovers“ – 4:00
3. „One Night“ – 4:59
4. „Secret Secrets“ – 3:28
5. “Strange“ – 3:52

Ohne Zweifel gelang Joan Armatrading wieder ein deutlich besseres Album als z.B. „The Key“. Dazu trug auch eine ausgewogenere digitale Aufnahmetechnik bei. Natürlich mischt Joan auch hier wieder die verschiedensten musikalische Stile. Aber trotzdem hat sie sich für mich zu weit von der Spontaneität und vor allem Originalität ihrer früheren Alben entfernt. Vielfalt, gar Vielfältigkeit zeigte sie (man möge mir verzeihen) mehr in ihren Outfits als in ihrer Musik. Produzent Howlett wollte ursprünglich mehr Blues und Folk, ähnlich wie auf Joans 3. Studioalbum Joan Armatrading, das er zu seinen Favoriten zählte.

Das Album hat im Wesentlichen fehlgeschlagene oder problematische Beziehungen zum Thema. Die ersten drei Lieder handeln davon, wie sich jemand in der Macht eines anderen befindet.

Wie schon kurz erwähnt, ist der Einfluss z.B. von Progressive Rock (durch den Produzenten) unverkennbar, besonders beim ersten Stück „Persona Grata“. Das erinnert an Rock-Epen der 70-er Jahre – und im Mittelstück klingt es für mich teilweise wie die Gruppe Yes mit ihrem Sänger Jon Anderson. Ja, Joan klingt fast wie Jon – ihre Stimme kommt bei diesem Lied gut zur Geltung.


Joan Armatrading – Persona Grata (Miami Vice)

Dann kommt eine Single-Auskopplung, die zwar mit Bläsern aufwartet, mich aber irgendwie an ABBA erinnert. Hier eine Aufzeichnung des Liedes aus dem deutschen Fernsehen (und noch ein anderes Video).


Joan Armatrading – Temptation – P.I.T. – Peter Illmanns Treff – 1985

Hierzu gibt es dann auch den Mitte der 80-er Jahre üblichen Videoclip:


Joan Armatrading – Temptation (Videoclip)

„Moves”, das dritte Stück, erscheint mir nur ziemlich aufgemotzt und glänzt dann immerhin durch eine Mundharmonika, die Joan eingespielt hat. – „Talking to the Walls“ gefällt mir dann doch wieder um einiges besser. Anfangs und im Mittelteil (und auch später noch einmal), also in den etwas langsameren Passagen, klingt es besonders durch die Bläsersätze jazzig angehaucht, um in den schnelleren Passagen durch südamerikanische Rhythmen kräftig zu swingen. Hier eine Videoaufnahme eines bassspielenden Freaks (Fan des Bassisten Pino Palladino):


Tribute to Pino Palladino – Joan Armatrading – Talking to the Walls

Die erste Seite (damals LP) endet wohl mit dem schönsten Lied dieses Albums: “Love by You”. Das Lied ist sehr einfach arrangiert: nur mit Klavier, wie bereits erwähnt gespielt von Joe Jackson, und dem Gesang von Joan Armatrading. Joan hatte auf diesem Album darauf verzichtet, selbst in die Tasten zu hauen.


Joan Armatrading – Love By You

Die zweite Seite beginnt dann mit „Thinking Man“, wieder mit Bläsersätzen und im Stile von New Wave. Im Mittelstück klingt es für mich etwas schräg durch einen etwas ‚seltsamen’ Melodiebogen. – Es folgt „Friends not Lovers“ – für mich ist das ziemlich disco-mäßig angehaucht, hat aber ein hörenswertes Saxophon-Solo. Überhaupt spielt das Saxophon bei Joan Armatrading eine bis heute nicht unwesentliche Rolle. Ziemlich neu sind dagegen die Bläsersätze – und der Griff von Joan zu einer blues-mäßig gestimmten Mundharmonika.

Weiter geht’s mit „One Night“, einem langsamen ‚Engtanz’-Stück, das ich besonders durch die Stimme von Joan (‚wie in alten Zeiten’) hörenswert finde. Was vielleicht etwas nervt, sind die ‚mystisch’ klingen Keyboards:


Joan Armatrading – One Night [Great guitar solo by Les Davidson]

Dann kommt der Titelsong, der inhaltlich von Joan selbst handeln soll. Es geht hier Richtung Punk, was ich aber dann doch eher für New Wave halte (die musikalischen Wurzeln sind aber fast die gleichen). Auch hier nervt (noch einmal) das Keyboard und der Bass (Popping).


??? Joan Armatrading – Secret Secrets ???

Und wieder endet auch diese Scheibe mit einem langsamen Lied „Strange“ (leider kein Video im Internet verfügbar) und bildet damit den akzeptablen Abschluss einer leider wieder nicht immer gelungenen Scheibe. Es sticht kein Stück wirklich heraus, außer „Love by You“. Und zurecht wurde es als ziemlich ‚überproduziert’ kritisiert, d.h. es ist mit vielen Effekten zu sehr aufgemotzt. Ein Kritikpunkt, der auch für spätere Alben noch gelten soll. Erst mit ihren letzten Alben (die sie dann ja auch – fast – im Alleingang aufgenommen hat) sind die Arrangement in ihrer Instrumentenfülle abgespeckt, laden dafür in ihrem Raffinement zum Hören ein.

Joan Armatrading: The Key (1983)

Ein ‚Markenzeichen’ von Joan Armatrading war ein an einer Kette um ihren Hals baumelnder Schlüssel. Es soll sich dabei um den Schlüssel zu ihrer Wohnung gehandelt haben. Wenn sie auf Tour war, fürchtete Joan, diesen Schlüssel irgendwo zu verlegen oder gar zu verlieren. So trug sie ihn um den Hals. Dieses Markenzeichen gab dann dem achten Studioalbum von ihr, das 1983 erschien, den Namen: The Key.

Nun The Key war wieder sehr erfolgreich – kam in Großbritannien auf Platz 10 der Album Charts und auf Platz 32 in den USA. Die ausgekoppelte Single Drop the Pilot erreichte Platz 11 der UK Single Charts und hielt sich dort 10 Wochen unter den Top 40. Außerdem war Joan Armatrading 1984 für den Grammy als beste weibliche Rock Vocal Performance nominiert – bzw. das Album für den Grammy Best Album Package. Immerhin!

    Joan Armatrading: The Key (1983)

Aufgenommen wurde das Album in den Townhouse Studios in Shepherd’s Bush, London, in den Polar Studios in Stockholm und zwei Lieder in New York. Wie beim Album Walk Under Ladders (1981) war wieder Steve Lillywhite der Produzent. Da die Plattenfirma meinte, dass Album wäre nicht kommerziell genug, wurde Joan Armatrading angehalten, zusätzliches Material zu schreiben. So komponierte sie die Lieder „Drop The Pilot“ und „What Do Boys Dream“, welche dann auch separat in New York von Val Garay produziert wurden. Hierfür wurden dann auch völlig andere Musiker ins Studio geholt.

Es war wieder unverkennbar ein Album seiner Zeit. Joan Armatrading hatte sich erneut dem Musikgeschmack der 80er Jahre angepasst oder anpassen müssen, denn unverkennbar wurde sie von ihrer Plattenfirma zu einer kommerzielleren Ausrichtung gezwungen. Ich denke, sie versuchte ihr damals Bestes zu geben und bediente sich wieder unterschiedlichster Musikstile, die damals mehr oder weniger populär waren – bis hin zum Punk, mehr aber nach meinem Dazuhalten war es New Wave. Um es gleich zu sagen: Trotz (und eher gerade wegen) des kommerziellen Erfolges der Platte ist sie nach meinem Geschmack neben Me Myself I (1980) eine der schlechtesten Scheiben von Joan Armatrading.

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)

Seite 1:
1. „(I Love It When You) Call Me Names“ 4:23
2. „Foolish Pride” 3:16
3. „Drop The Pilot“ 3:41
4. „The Key“ 4:01
5. „Everybody Gotta Know“ 3:48

Seite 2:
1. „Tell Tale“ 2:31
2. „What Do Boys Dream“ 2:55
3. „The Game Of Love“ 3:34
4. „The Dealer“ 3:19
5. „Bad Habits“ 3:43
6. „I Love My Baby“ 3:29

Das Album beginnt mit einem für mich reichlich nervigen Bass. Und die Keyboards piepsen wie wir es auch von Lieder der neuen deutschen Welle her kennen. Ich hab das Lied ‚gewogen’ und für zu leicht befunden (‚seicht’ wäre fast noch richtiger). Das Gitarrensolo am Schluss spielt Adrian Belew, der u.a. durch die Progressive-Rock-Band King Crimson bekannt wurde, u.a. auch schon einmal bei Frank Zappa gespielt hatte. Bei King Crimson spielte u.a. auch der Bassist Tony Levin. Auch hier kann ich nur mein Empfinden beim Hören wiedergeben: Das Solo klingt wie quietschende Reifen. Aber hört selbst:


Joan Armatrading – (I Love It When You) Call Me Names

Das zweite Stück wird gestimmt durch Bläsersätze, echten Bläsern, also nicht aus dem Keyboard gequetscht. Man kann das Lied mögen oder nicht. Fatal finde ich hier das auf dünn getrimmte Stimmchen von Joan Armatrading, wie überhaupt auf einigen Stücken dieser Scheibe ihre eigentlich dunkle (tiefe) Stimme ohne die kleinen Brüche und Kiekser auskommt und dafür fast mädchenhaft hell, aber eben auch ausdruckslos klingt.


Joan Armatrading – Foolish Pride (Original)

Das dritte Lied „Drop the Pilot“ war auch als Single erfolgreich. Man hört schnell, warum: Es ist eingängig und von den ersten vier Liedern der Scheibe das, was mir noch am besten gefällt (was nicht ungedingt für dieses Lied spricht, eher gegen die drei anderen):


Joan Armatrading – Drop the Pilot (live)

Mit den 80-er Jahren kamen auch die Videoclips … So entstand auch für “Drop the Pilot” ein Videoclip:

Drop The Pilot from Joan Armatrading on Vimeo.

Joan Armatrading – Drop the Pilot (Videoclip)

Es folgt der Titelsong: Viel fällt mir dazu nicht ein. Hier verwurstelt Joan Armatrading Reggae mit New Wave-Elementen, es klingt teilweise wie ein Kinderlied (beschränkt auf eine pentatonische Tonleiter). Und wieder nervt ein piepsiges Keyboard (in früheren Zeiten sprachen wir da nicht mehr von Organisten, sondern Onanisten, die sich gewissermaßen an ihrem Instrument selbst befriedigten). Oh, Joan …


Joan Armatrading – The Key

Es kann nur besser werden – und wird es dann auch mit dem letzten Lied der ersten Seite (damals gab es bei LPs ja noch zwei Seiten): Ein langsames Stück, das wirklich nach Joan Armatrading klingt, wenigstens so, wie ich sie mag …:


Joan Armatrading – Everybody Gotta Know

Die zweite Seite beginnt mit einem Lied, in dem wieder Bläser zum Einsatz kommen. Ansonsten reißt es mich nicht vom Hocker.


Joan Armatrading – Tell Tale

Was Jungs träumen interessiert mich nur am Rande. Immerhin gibt uns Joan keine direkte Antwort, sondern kommt mit Fragestellungen daher (Do boys dream about …?). Das Lied ist in New York aufgenommen worden, noch etwas kommerzieller ausgerichtet als die anderen Stücke. Und so wurde dazu auch ein Videoclip gedreht … Immerhin lässt sie Joans Stimme hier hören:


Joan Armatrading – What Do Boys Dream

Die restlichen vier Lieder sind leider nicht bei Youtube etc. zu haben. „The Game of Love“ (unnötig aufgepeppt und eigentlich eher langweilig) und „The Dealer“ (im Endeffekt auch nur leichte Kost) kann man vergessen. „Bad Habits“ ist dann eher schon ein Höhepunkt der Scheibe, denn das Stück rockt richtig und klingt für mich stilistisch etwas wie Little Village, der von Ry Cooder mit John Hiatt (Gesang, Gitarre, Klavier), Nick Lowe (Bass) und Jim Keltner (Schlagzeug) gegründeten Gruppe. Hörenswert ist auf jeden Fall das Saxophonsolo und zuletzt das witzige Gitarrensolo.

Am Schluss dann wieder wie bei all ihren letzten Scheiben ein langsames Lied: „I Love my Baby“ – das wäre okay, wäre nicht schon wieder das quiekende Keyboard. Ich denke, dass das eine oder andere Lied sich retten ließe, wenn man diese anders arrangieren würde. Aber wie gesagt: dies Album ist ein Zeugnis seiner Zeit, den 80-er Jahren.

Jetzt werden sich viele fragen, warum ich eigentlich bei diesem Fast-Verriss ein Joan Armatrading-Fan bin?! Ich habe mir am letzten Wochenende die Rockpalast-DVD von Joan mit dem Konzert aus dem Jahr 1979 angehört/angesehen. Das war damals die Joan, die mich begeistert hat. Die 80-er Jahre, und das gilt nicht nur für Joan Armatrading, auch Jethro Tull produzierten nach meinen Geschmack viel Unerträgliches in dieser Zeit, waren nicht meine Jahre. Das konnte mit dem dann folgenden Jahrzehnt nur besser werden (aber soweit sind wir bei der Betrachtung und Belauschung von Joan Armatradings Diskografie noch nicht).

Melissa Etheridge: Message to Myself

Rosa Schleife - Symbol der Solidarität mit an Brustkrebs erkrankten Frauen

In Deutschland ist das Mammakarzinom mit einem Anteil von 32 % aller Krebsneuerkrankungen die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Jede achte bis zehnte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Und von diesen Frauen sind es wiederum etwa zehn Prozent, die erneut an Brustkrebs erkranken (Rezidiv).

Im Oktober 2004 gab die Sängerin Melissa Etheridge bekannt, dass sie an Brustkrebs erkrankt sei. Sie unterzog sich erfolgreich mehreren Operationen und einer Chemotherapie und teilte im Frühjahr 2005 mit, dass sie die Krankheit überstanden habe. 2007 verarbeitete sie ihre Krebserkrankung im Song „Message to Myself“.

Ich widme dieses Lied den Frauen, die die Tortur von Operation, Chemo- und Strahlentherapie durchmachen müssen … Und ich widme es meiner Frau, die ein zweites Mal an Brustkrebs, einer anderen Variante als beim ersten Mal, erkrankt ist. Du sollst wissen, dass du geliebt wirst. Und auch dieses Mal wirst du es durchstehen, wir sind an deiner Seite!

Message to Myself

I’m sending out a message to myself
So that when i hear it on the radio
I will know that I am fine
I will know that I am love

I warned myself of the blackness in my chest
The razors in my heart would never rest

It’s funny how you find just what you seek
Love is what you get,
When love is what you speak

I’m sending out a message to myself
So that when I hear it on the radio
I will know that I am fine
I will know that I am love

I made every choice along the way
Each day I spent in hell, I chose to stay

It’s funny what you fear can make you weak
Truth is what you get,
When truth is what you speak

I’m sending out a message to myself
So that when i hear it on the radio
I will know that I am fine
I will know that I am love

So if you are listening
I am just passing thru
You can take some for yourself
Cuz it works that way too

Sha, la, la, la, la, la, la, la, la, la
Sha, la, la, la, la, la, la, la, la, la
I will know that I am fine
I will know that i am love

I’m sending out a message to myself
So that when i hear it on the radio
I will know that I am fine
I will know that i am love

dt. Übersetzung

Ich schicke mir selbst eine Nachricht, damit ich,
wenn ich sie dann im Radio höre, weiß,
dass es mir gut geht und dass ich geliebt werde.

Ich warne mich selbst vor der Dunkelheit in meiner Brust,
denn die Rasiermesser in meinem Herzen machen niemals Pause.
Es ist schon komisch, dass man genau das findet, was man sucht.
Wenn du Liebe gibst, wirst du auch Liebe bekommen.

Ich schicke mir selbst eine Nachricht, damit ich,
wenn ich sie dann im Radio höre, weiß,
dass es mir gut geht und dass ich geliebt werde.

Ich habe alle meine Entscheidungen bisher selbst getroffen.
An jedem Tag, den ich in der Hölle verbracht habe, habe ich entschieden zu bleiben.
Es ist schon komisch, dass einem das, was man fürchtet, krank machen kann.
Wenn du die Wahrheit sagst, wirst du auch die Wahrheit erfahren.

Ich schicke mir selbst eine Nachricht, damit ich,
wenn ich sie dann im Radio höre, weiß,
dass es mir gut geht und dass ich geliebt werde.

Wenn du gerade hörst, was ich im Moment durchmache,
kannst du auch etwas für dich selbst rausziehen,
denn dafür eignet sich diese Nachricht genauso gut.

Sha la la la la la la la la la
Sha la la la la la la la la la
Ich weiß, dass es mir gut geht.
Ich weiß, ich werde geliebt.


Sean Mayes: Joan Armatrading – A Biography – Introduction

Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ist ein Buch … – in Abwandlung von Gertrude Steins Rosen-Sentenz aus dem Sacred Emily-Poem. „Things are what they are” – Dinge sind, was sie sind. Und so ist ein eBook eben kein wirkliches Buch, nichts Handfestes, Greifbares, notfalls sogar etwas jemand an den Kopf Werfbares (man müsste schon den eBook-Reader oder das Tablet werfen). Nein, ein Buch, ein wirkliches Buch, ist ein Buch. Notfalls kann man es auch für andere Zwecke als zu denen des Lesens benutzen (wenn der Tisch wackelt zum Unterstellen – auch wenn’s eher ein Heft als ein Buch sein müsste).

Aber ich schweife gehörig ab und sollte zum eigentlichen Thema kommen. Wenn schon einmal abgeschweift, bleibe ich es noch EINEN Augenblick. Die Rosen, die Rosen, die Rosen, die Rosen sind (um es einmal anders auszudrücken) inspirierten Umberto Eco zu seinem Mittelalter-Roman Der Name der Rose, den ich mir gerade zu Gemüte führe (dazu später mehr …). Aber jetzt ist genug.

Es geht (wieder einmal, ich weiß) um Joan Armatrading. Erwähnt habe ich es bereits mehrmals. Schon 1990, da war Joan Armatrading noch keine 40 Jahre alt, erschien über sie eine Biografie, auf die sich besonders die Verfasser der englischsprachigen Wikipedia-Artikel über Joan und ihre Alben beziehen: Joan Armatrading – A Biography von Sean Mayes.

Ich habe das Buch für gerade einmal 4 € 49 (davon entfielen allein 3 € auf Versandkosten) in diesen Tagen gekauft. Es ist gut erhalten und ich habe natürlich auch schon einen ersten (und zweiten) Blick hineingeworfen. Allein die Fotos sind das Geld wert.

Sean Mayes: Joan Armatrading - A Biography (1990)

Sean Mayes: Joan Armatrading - A Biography (1990)

Sean Mayes: Joan Armatrading – A Biography (1990)

… und das Buch stammt, wie man sieht, aus einer Bibliothek in Schottland, genauer aus dem East Lothian District, das ist östlich von Edinburgh. Nun ‚geklaut’ wurde das Buch nicht, sondern ist ‚withdrawn’, also nach sieben Ausleihen ausrangiert worden – und über diverse Umwege, so vermute ich einmal, jetzt in meinem Bücherschrank gelandet (‚neu’ ist das Buch wohl schon lange nicht mehr erhältlich).

Sean Mayes: Joan Armatrading - A Biography (1990)

So können Bücher in ihrer ‘analogen’ Ausprägung neben ihrem eigentlichen Inhalt auch noch weitere Geschichten erzählen. Manche Schmauchspur verrät etwas von vorherigen Lesern (es muss nicht gerade eine ‚Speisekarte’ sein – vielleicht ein Rotweinfleck oder die Sabberspur eines Pfeifenrauchers). Und wer wie ich ohne Randmerkungen per Bleistift selten auskommt, ergänzt ein Buch gewissermaßen auch in literarischer Hinsicht. Es lohnt sich oft schon, in den Antiquariaten dieser Welt zu schauen. Da findet sich mancher Schatz (manche Erstausgabe). Und wenn der Preis stimmt, dann greife ich schon einmal zu (außer das Buch ist allein aus hygienischen Gründen, siehe ‚Speisekarte’, nicht mehr zu gebrauchen).

Sean Mayes: Joan Armatrading - A Biography (1990) - Introduction

Aber nun doch schon etwas zum Inhaltlichen (sehr weit bin ich noch nicht gekommen). In einer Einleitung (Introduction) steht Folgendes (natürlich auf Englisch, eine deutsche Ausgabe der Biografie hat es nie gegeben):

„Over the years Joan Armatrading has producted albums of never-failing inspriration and quality. Her LPs go gold, her concerts sell out and her songs – such as ‘Love And Affection’, ‘Willow’ and ‘Drop The Pilot’ – have become lasting anthems.

There is courage in Joan’s writing and courage in the way she has changed from shy, nervous performer into the confident star with a radiant smile who inspired love and affection from seventy thousand people at the Nelson Mandela concert. She is a guitarist of breathtaking originality, and a singer whose voice goes straight for the heart. Her songs show both vulnerability and great personal strength, intimate yet universal. Short on ‘he’ and ‘she’ but long on ‘you’ and ‘me’, they appeal to both sexes equally, saying the things we should like to be able to say, but with greater perception, sensitivity and poetry than most of us can ever hope to command.

What is the source of this understanding? Were these songs wrought from intense personal experience? Here the smile fades, the shutters come down. Joan is simple not telling.

This is the first biography of the enigmatic and fascinating star. Joan Armatrading is not, it must be said, the easiest subject. ‘Joan Armourplating’ – ‘the Greta Garbo of pop’ – Joan is the most reclusive and secretive of individuals. The book was nearly called “A Very Private Person’. […]”

Also Joan Armourplating, die Panzerplattenbewehrte … Um es gleich zu sagen (und damit zu wiederholen): Diese Biografie ist von Joan Armatrading nicht ‚abgesegnet’ worden. Auf Fragen über ihr Privatleben sagte Joan fast stereotyp am Ende von Interviews: „You kept asking me questions about myself – you should have asked about my music.“ Sean Mayes, selbst Musiker, hat so versucht, seine Begeisterung für Joan möglichst auf die Sicht eines Musikers zu beschränken. Allein das ruft Begeisterung genug hervor. Und da Joan, die sich von einer schüchtern, nervösen Darstellerin zum selbstbewussten Star mauserte, ansonsten verschlossen (panzerplattenbewehrt) ist, sich als eine sehr private Person ausgibt, musste der Autor andere fragen, Mitmusiker, für die ersten Jahre ihre damalige Freundin Pam Nestor.

Ich unterstelle dem Autor genügend eigene Wahrnehmungsfähigkeit, Sensibilität und poetischen Geist, um das aufschlussreiche Porträt einer gegnadeten Künstlerin zu zeichnen und freue mich auf die weitere Lektüre. Dazu dann später mehr …

Joan Armatrading: Walk Under Ladders (1981)

Bereits ein Jahr nach Me Myself I erschien 1981 das Album Walk Under Ladders von Joan Armatrading. Diesmal war der Produzent Steve Lillywhite, ein englischer Musikproduzenten, der für viele bedeutende Musiker wie Peter Gabriel, U2 bis hin zu den Rolling Stones tätig wurde. Das hört man dem Album auch durchaus an. Und wieder versammelten sich viele großartige Musiker um Joan. Allerdings ist Walk Under Ladders auch wieder ein Produkt seiner Zeit. Die 80-er Jahre mit New Wave grüßen auch hier wieder. In Großbritannien erreichte das Album die Top Ten (Platz 6); in den USA dagegen erzielte es nur Platz 88.

    Joan Armatrading: Walk Under Ladders (1981)

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)

1. „I’m Lucky“ 3:05
2. „When I Get It Right“ 3:03
3. „Romancers“ 3:48
4. „I Wanna Hold You“ 3:46
5. „The Weakness in Me“ 3:33
6. „No Love“ 3:58
7. „At the Hop“ 3:26
8. „I Can’t Lie to Myself“ 3:23
9. „Eating the Bear“ 2:59
10. „Only One“ 4:15

Bonustracks:
Shine
Dollars
Crying

Das Album beginnt flott, aber in einem Stil, der mir nicht ganz so liegt. Es ist dann auch quasi der Titelsong: I’m Lucky – I can walk under ladders – Yes I’m so lucky …


Joan Armatrading – I’m Lucky

Es folgen zwei Lieder, die z.B. durch Offbeats (Nachschlag der Gitarre) vom Reggae beeinflusst sind (später etwas mehr dazu).

Als fünftes Lied folgt wohl das bekannteste und sicherlich auch schönste des Albums. Hier ist Joan wieder ganz Joan, wieder die Joan, wie ich sie mag. Auch heute noch bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich das Lied höre. Über die Instrumentalisierung könnte man sich streiten. Aber z.B. die langgezogenen Basslinien finde ich passend. Überhaupt ist es nicht wie vielleicht andere Stücke dieser Scheibe überarrangiert, sondern findet den richtigen ‚Ton’, ist begleitend und doch auch immer wieder akzentsetzend. Hier das Original:


Joan Armatrading – The Weakness in Me (mit Text)

Und hier eine jüngere Aufnahme mit einer älteren Joan:


Joan Armatrading – The Weakness in Me (jüngere Aufnahme)

Es gibt einige Lieder von Joan Armatrading, die von anderen Sängerinnen gecovert wurde. ‚The Weakness in Me’ dürfte dabei eines der häufigsten gecoverten Lieder sein. Hier eine Interpretation von Melissa Etheridge.


Melissa Etheridge- Weakness in me

Nach diesem Lied kann es natürlich kaum brachial weitergehen. Joan Armatrading hat mit ‚No Love’ die Kurve gekriegt.


Joan Armatrading – No Love

Inzwischen habe ich mir für wenige Euro die Biografie über Joan Armatrading von Sean Mayes (1990) zugelegt und schon einmal darin geblättert (dazu später mehr). Danach wurde Reggae in Joans Elternhaus nicht gespielt. Erst später, durch einen jüngeren Bruder, hörte sie Reggae, der dann auch in einige eigene Lieder verwoben wurde. Auf „Walk Under Ladders“ sind es gleich drei, sogar vier Stücke, in denen Reggae verarbeitet ist. Und z.B. für das Stück ‚I Can’t Lie to Myself’ wurde sogar die ‚Jamaican rhythm section’ schlechthin engagiert: Sly Dunbar am Schlagzeug und Robbie Shakespeare am Bass. Wer diese beiden Namen nicht kennt, kennt auch den Reggae nicht.


Joan Armatrading – I Can’t Lie to Myself

Das Album endet zunächst mit dem (auch reggae-beeinflussten) ‚Eating the Bear’, einem etwas zu peppigen Lied, in dem sich ein hungriger Bär auf unsere gute Joan zu stürzen droht, dann quasi selbst verspeist wird – und wieder einem langsamen Stück: ‚Only You’. Aus heutiger Sicht ist das Arrangement der Instrumente zu diesem zarten Liebeslied vielleicht etwas ungewöhnlich: Über einem brummigen Bass (leicht unterstützt vom Schlagzeug) schweben dabei sphärische Keyboard-Klänge und Joans zerbrechlich wirkender Gesang.

Fritz Rau gestorben

Am Montag ist der langjährige Konzert- und Tourneeveranstalter Fritz Rau im Alter von 83 Jahren gestorben. Mit Horst Lippmann gründete Rau 1963 die Konzertagentur Lippmann + Rau, die zunächst die Jazz- und später die großen Blues- und Rockstars nach Deutschland brachte. Ohne ihn und Lippmann wären all diese großen Hallenkonzerttourneen durch Deutschland nicht denkbar gewesen.

Außerdem war er bis 2005 langjähriger Organisator von Jethro Tull und mit deren Bandleader Ian Anderson eng befreundet. Auf der CD/DVD Ian Anderson Plays the Orchestral Jethro Tull (2005) ist neben einem Interview mit Ian Anderson auch Fritz Rau zu hören.

Hier zwei Eintrittskarten zu Konzerten von Jethro Tull (1972 und 1977), die Lippmann + Rau als Veranstalter bzw. Tourneeleiter durchgeführt haben:

Jethro Tull 1972 Hannover - Veranstalter: Lippmann & Rau

Jethro Tull 1977 Bremen - Tourneeleitung: Lippmann + Rau

Joan Armatrading: Me Myself I (1980)

Als 1980 das bisher sechste Album von Joan Armatrading erschien, war ich enttäuscht: Mit Me Myself I begann die zweite Phase im musikalischen Schaffen von Joan Armatrading „und brachte einen Wandel, der mir bis heute nicht gefällt. Joan orientierte sich mehr am Mainstream und damit an härterer Pop-Musik, die ihr dann allerdings auch eindeutig mehr Erfolg brachte. Der ‚amerikanische’ Einfluss ist dabei unverkennbar (z.B. ‚Me Myself I’ wurde in den USA, im Studio Record Plant in New York City im März 1980 aufgenommen). Vieles klingt eher nach New Wave als nach Joan Armatrading. Manches Stück ist ‚überarrangiert’, mit für meinen Geschmack zu sehr schepperndem Schlagzeug und zu aufdringlicheren Keyboardpassagen belegt. Nur wenige Lieder hören sich noch nach ihr selbst an.“ (siehe meinen Beitrag Joan Armatrading: If Women Ruled The World)

    Joan Armatrading: Me Myself I (1980)

Es sollten bis 1986 immerhin fünf Alben werden (1980: Me Myself I · 1982: Walk Under Ladders · 1983: The Key · 1985: Secret Secrets · 1986: Sleight of Hand), die in diese, wie soll ich sagen, eher kommerziell ausgerichtete Phase fielen. Denn mit Me Myself I, das lässt sich nicht leugnen, gewann sie neue Fans. Das Album erreichte Platz 5 in Großbritannien und Platz 28 in den USA und war damit ihre erfolgreichstes Scheibe. Produziert wurde das Album vom US-Amerikaner Richard Gottehrer, der den Engländer Glyn Johns ‚ablöste’. Und es fanden sich wieder viele Studiomusiker um Joan ein. Der mir bekannteste dürfte Chris Spedding sein, außerdem der Gitarrist Rick ‚Ricky’ Hirsch, den ich von Joans damaligen Live-Auftritten her kenne.

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)

1. „Me Myself I“ *
2. „Ma-Me-O Beach“
3. „Friends“
4. „Is It Tomorrow Yet“
5. „Turn out the Light“
6. „When You Kisses Me“
7. „All the Way from America“ *
8. „Feeling in My Heart (for You)“
9. „Simon“
10. „I Need You“
(* auch als Single erschienen)

Das Album beginnt gleich mit dem Titelsong, der auch als Single erschien und gewissermaßen die neue Richtung vorgibt und auf mich damals wie heute eher abschreckend wirkt(e). Halbwegs akzeptabel finde ich noch das kurze, etwas schräge Gitarrensolo gegen Ende des Liedes von Chris Spedding. Aber dieses Lied wie überhaupt das ganze Album muss ja Fans gefunden haben, sonst wäre es nicht so erfolgreich.


Joan Armatrading – Me Myself I

Das nächste Lied ‚Ma-Me-O Beach’ bezieht sich auf einen Urlaubsort in Alberta, Kanada. Joan sah wohl bei einer Fahrt durch die dortige Gegend das Straßenschild mit dem Namen des Ortes und fand den Namen so witzig, um diesen für dieses Lied zu benutzen. Man mag es mögen oder nicht: Mir geht das Popping beim Bass, das Anreißen der Saiten, etwas auf den Nerv und ist auch auf mindestens zwei anderen Liedern des Albums zu hören.

Aber kein Album aus dieser 80-er Jahre-Phase ohne mindestens zwei, drei Stücke, die mir dann doch gefallen und die ‚alte’ Joan Armatrading hören lassen. ‚Turn Out the Light’ ließ ähnlich wie das Lied ‚Willow’ die Zuschauer bei Konzerten die Feuerzeuge zücken.


Joan Armatrading – Turn Out the Light

‘When You Kisses Me’ spielte sie bereits bei ihrem Auftritt im Rockpalast 1980. Die Live-Aufnahme gefällt mir dabei um einiges besser als die Studioaufnahme. Das liegt ohne Zweifel an den Musikern, die dann aber schon bald gegen dem Aussehen nach jüngere ausgetauscht wurden.


Joan Armatrading – When You Kisses Me

Hier noch ein Stück, das sich für mich irgendwo zwischen der ‚alten’ und der damals ‚neuen’ Joan ansiedeln ließe. Das Lied brachte sie dann auch später immer wieder auf die Bühne.


Joan Armatrading – All the Way from America (2010)

‚Feeling in My Heart (for You)’ und ‚Simon’ – beides sind Reggae-Stücke. Bedenkt man, dass Joan Armatrading in der Karibik auf der Insel St. Kitts geboren ist, dann würde man meinen, mehr Einflüsse karibischer Klänge in ihrer Musik anzutreffen.

Das Album endet mit dem Lied ‚I Need You’, wie so oft ein langsames Stück am Schluss einer CD von Joan, und fällt durch die ‚Streicher’-Begleitung aus dem Rahmen. Immerhin noch ein Stück, was für mich den Kauf der Scheibe rechtfertigte.