Archiv für den Monat: August 2013

Sieglos-Serie ‚gerissen’

Nach 14 Pflichtspielen ohne Sieg ist es gleich zum Saisonstart der Fußballbundesliga gelungen: Werder Bremen kann noch siegen und gewinnt 1:0 in Braunschweig gegen den Aufsteiger Eintracht. Nun, die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass das kein glorreicher Sieg war. Ein Unentschieden wäre vielleicht sogar gerechter. Nach dem Tor durch Junuzovic in der 82. Minute hatten die Braunschweiger eine gute Ausgleichsmöglichkeit in der 88. Spielminute durch Hochscheidt; die aber endete an Werder-Neuzugang Caldirola, der das Leder auf der Linie stoppte. Wie auch immer: Hauptsache gewonnen …

Dank an die Fans: Werder siegt 1:0 in Braunschweig

Ganz ehrlich: Eine Niederlage wäre nicht nur bitter, sondern hätte all die Schwarzseher bestätigt: Werder als absoluter Abstiegskandidat. So aber konnte man endlich wieder etwas Selbstvertrauen tanken. Das hat die Mannschaft auch nötig, denn am Samstag geht es zu Hause gegen den FC Augsburg, ebenfalls einen Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt. Da kann man nur hoffen, dass nicht nur die Abwehr gut aufgestellt ist, sondern auch die Offensive etwas beweglicher und effektiver agiert. Anschließend kommen dann gleich zwei hammerharte Auswärtsspiele in Dortmund und Mönchengladbach zum Ende des August. Sollte auch nur ein Punkt aus diesen beiden Spielen herausspringen, dann ist das schon ein Erfolg.

Erste große Überraschungen hatte dieser 1. Spieltag noch nicht parat, wenn man den hohen 6:1-Sieg des Aufsteigers Hertha BSC gegen die Eintracht aus Frankfurt, die in der letzten Saison immerhin den 6. Tabellenplatz belegte und in den Play-offs in der Europa League vertreten ist, außer Acht lässt. Man muss kein Prophet sein, um die Bayern als Meisterschaftsfavorit Nr. 1 anzusehen, gefolgt von Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen. Schalke hat erste Federn lassen müssen (zu Hause nur 3:3 gegen den HSV). Also alles beim Alten. Abstiegskandidaten gibt es natürlich auch schon: Nach dem 0:1 gegen Werder wird es erst einmal die Braunschweiger Eintracht schwer haben, Grund unten den Füßen zu bekommen. Und der FC Augsburg, der sich jetzt schon zweimal vor dem Abstieg retten konnte, muss weiterhin als Abstiegskandidat gehandelt werden.

Daher ist das Spiel gegen die Augsburger für Werder für die weitere Weichenstellung auch so wichtig: Nach zwei Unentschieden und zwei Niederlagen ist es an der Zeit, dass Werder gegen FC Augsburg seinen ersten Sieg einfährt. Lassen wir uns am Samstag überraschen …

Heute Ruhetag (39): Scholem Alejchem – Anatewka

Wer Kafka verstehen will, muss sich auch mit seinem Judentum auseinandersetzen. So wurde Kafka – aber nicht nur er allein – für mich zum Ausgangspunkt, mich mit jüdischer, speziell mit jiddischer Literatur zu beschäftigen. Als Einstieg boten sich da die Erzählungen und Romane von Isaac B. Singer an, der 1978 als erster und bisher einziger jiddischer Schriftsteller für sein Gesamtwerk den Literaturnobelpreis erhielt. Auch in Deutschland wurde besonders sein Roman „Feinde – die Geschichte einer Liebe“ aus dem Jahr 1966 (1974 in Deutschland erschienen) bekannt, der 1989 durch Paul Mazursky verfilmt wurde. 1983 wurde Singers Kurzgeschichte „Yentl, the Yeshiva Boy“ mit Barbra Streisand in der Hauptrolle als Yentl verfilmt; dem Film stand Singer allerdings sehr kritisch gegenüber. Isaac Bashevis Singer beschreibt u.a. das jüdisch-polnische Leben im Schtetl, später das Leben der Juden in den USA. Es ist eine wundersame Welt mit einem ganz eigenen Humor, die sich da dem Leser auftut. Singers Werk steht im Spannungsfeld zwischen Religion und Moderne, Mystizismus und rationaler Einsicht. Später einmal werde ich auf ihn noch ausführlicher zu sprechen kommen.

Siehe hierzu auch meine Beiträge:
Hob Ikh Mir A Mantl – Jiddisch für Anfänger
A Serious Man
Salcia Landmann: Jüdische Witze

Scholem Alejchem (* 1859 in Perejaslaw bei Kiew; † 13. Mai 1916 in New York) war einer der bedeutendsten jiddischsprachigen Schriftsteller und wurde auch der jüdische Mark Twain genannt.

Sein Name dürfte den meisten unbekannt sein. Anatevka bzw. „Der Fiedler auf dem Dach“ (im englischen Original: „Fiddler on the Roof“) werden aber viele kennen. Es ist ein Musical, das 1971 vom Regisseur Norman Jewison verfilmt wurde und auch bei uns in Deutschland bis heute noch sehr beliebt ist. Die Vorlage hierzu war eben der jiddische Roman „Tewje, der Milchmann“ (jiddisch: Tewje der Milchiger) von Scholem Alejchem, der zwischen 1894 und 1916 entstanden ist.

Die Geschichte spielt im Russischen Kaiserreich im ukrainischen Schtetl Anatevka in der vorrevolutionären Zeit um 1905. Im Dorf lebt eine jüdische Gemeinschaft, die großen Wert auf Tradition legt. Der Milchmann Tevje (jiddische Koseform des hebräischen Namens Tuvija) lebt mit seiner Frau Golde und seinen Töchtern in Armut. Trotz drohender Pogrome im zaristischen Russland bewahrt Tevje seinen Lebensmut und seinen Humor.

Es ist dieser ganz besondere jüdische Humor, der es mir angetan hat. Daher empfehle ich für heute einen Lesetag als Ruhetag.

Heute Ruhetag = Lesetag!

Er richtet den Geringen auf aus dem Staube
und erhöhet den Armen aus dem Kot.

Psalm 113,7

Wenn einem der Haupttreffer beschert ist, hört Ihr, Reb Scholem-Alejchem, so kommt er zu einem ganz von selbst ins Haus, wie es in den Psalmen heißt: ›Vorzusingen auf der Githith‹: – wenn man Glück hat, so kommt es von allen Seiten gelaufen; und es gehört gar kein Verstand und keine Tüchtigkeit dazu. Wenn man aber, Gott behüte, kein Glück hat, so kann man reden, bis man zerspringt, und es wird nützen wie der vorjährige Schnee. Wie sagt man doch: ›Es gibt keine Weisheit und keinen Rat gegen ein schlechtes Pferd.‹ Der Mensch arbeitet, der Mensch plagt sich ab, und ist nahe daran, auf alle Feinde Zions sei es gesagt, sich hinzulegen und zu sterben! Und plötzlich kommt, man weiß nicht woher, von allen Seiten lauter Glück und Erfolg, wie es im Buche Esther steht: ›Hilfe und Errettung kommen den Juden.‹ Ich brauche es Euch wohl nicht zu übersetzen, doch der Sinn dieser Stelle ist, daß der Mensch, solange seine Seele in ihm ist, Gottvertrauen haben muß. Das habe ich am eigenen Leibe erfahren, wie der Ewige mich geleitet hat und wie ich zu meinem jetzigen Beruf gekommen bin: denn wie komme ich dazu, Käse und Butter zu verkaufen, wo die Großmutter meiner Großmutter niemals mit Milchwaren gehandelt hat. Es lohnt sich wirklich, die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende anzuhören. Ich werde mich für eine Weile hier neben Euch ins Gras setzen, und mein Pferdchen soll inzwischen etwas kauen, wie wir es im Morgengebet sagen: ›Die Seele aller Lebenden preiset den Herrn.‹ Und das Pferdchen ist ja auch ein Geschöpf Gottes!

[…]

aus: I. Der Haupttreffer

Signatur: Scholem Alejchem

Scholem Alejchem: Anatewka – Die Geschichte von Tewje, dem Milchmann

7 Sätze der Gesellschaftsphysik

In seinem Roman Brief an Lord Liszt lässt Martin Walser seinen Helden Franz Horn eine Gesellschaftsphysik in sieben Sätzen entwickeln. Es ist ein ‚schräges’ Gesetz, dass Horns Erfahrungen mit der Berufswelt und damit auch mit der Gesellschaft widerspiegelt (gleich vornweg: ich komme nur auf sechs Sätze, denn der 6. Satz, zwischen fünften und siebten, also zwischen den Seiten 109 und 144, muss ich überlesen haben, oder ihn gibt es einfach nicht – kann mir einer von Euch weiterhelfen?).

Auf ironische Weise lässt hier sicherlich auch Martin Walser selbst seine Erfahrungen, die er mit Berufskollegen (Schriftsteller können sich durchaus auch als Konkurrenten empfinden) und Chefs (Verleger sind eben auch nur ‚Chefs’) gemacht hat, erkennbar werden. Und wer in einem Arbeitnehmer-, d.h. Abhängigkeitsverhältnis sein Leben fristet, wird sich hier, wenn er sich durch die eigene Blauäugigkeit nicht zu sehr blenden lässt, ohne Weiteres wiederfinden.

    Martin Walser: Brief an Lord Liszt

Martin Walser: Brief an Lord Liszt

Nun denn – hier die 7 (respektive 6) Sätze der Horn’schen Gesellschaftsphysik:

Was man über einen Menschen denkt, kann man allen sagen, nur ihm selbst nicht. Er verstünde es nicht. Ihm muß man sagen, was er will, daß man ihm über ihn sage. Nur das versteht er. […] Es ist das Gesetz Nummer Eins unserer Gesellschaftsphysik. (S. 41)

Wer jemanden unter sich erträgt, erträgt auch jemanden über sich. Der zweite Satz der Gesellschaftsphysik […] (S. 70)

Freundschaft zwischen Angestellten einer Firma ist nicht möglich. […] 3. Satz der […] erarbeiteten Gesellschaftsphysik: Zwischen Konkurrenten ist Freundschaft nicht möglich. Oder einfach: Konkurrenten sind Feinde. (S. 92)

4. Satz [.….]: Zwischen Chef und Abhängigen gibt es menschliche Beziehungen nur zum Schein. (S. 92)

5. Freunde hat man, solange man sich die Frage, ob man welche habe, noch nicht stellt. (S. 109)

6. […]

[… den] siebten und letzten Satz unserer siebensätzigen Physik […]: Der Mißerfolg seines Konkurrenten ist der Erfolg des Erfolglosen. (S. 144)

    ... die Horn’sche Gesellschaftsphysik a la Pythagoras

Die Sicht ist klar. Franz Horn ist auf dem absteigenden Ast in seiner Firma … Aber ganz ehrlich jetzt: Möchtet Ihr mit Eurem Chef ‚befreundet’ sein. Sicherlich kann man mit seinem Chef gut auskommen, aber Freundschaft?! Ohne die Horn’sche bzw. Walser’sche Gesellschaftsphysik gekannt zu haben, habe ich schon in frühen Jahren zu enge Bindungen an Kollegen gemieden (okay, während meiner Ausbildung gab es auch für mich freundschaftliche Beziehungen, die aber spätestens dann, als ich beruflich andere Wege ging, endeten).Und ….: An einen dieser halbprivat-halbberuflichen Betriebsausflüge habe ich bisher noch NIE teilgenommen (nicht, dass ich mir darauf etwas einbilde).

Worte mit Flügeln (1): Sommer

Sprüche, Redensarten oder Zitate – kein Wortschatz ohne diese. Was der Duden für das Wort, das ist der Büchmann für das „geflügelte Wort“. Gemeint sind alle Redewendung in Form von Aphorismen, Bonmots, Gnomen, Sentenzen, Sinnsprüchen und Sprichworten.

Zum Zitatensammler (a la Büchmann) tauge ich nur bedingt, was mich aber nicht davon abhalten soll, auch hier hin und wieder Zitate an den werten Leser zu bringen. Wer liest, stolpert zwangsläufig über Redensarten, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. Selbst Schriftsteller wie Thomas Mann (z.B. in seinem Zauberberg) kommen da nicht drum herum. Daher der Name Bratkartroffel.

    Worte mit Flügeln: So wühlt man sich durch den deutschen Wortschatz

Der Hochsommer hat sich zunächst verabschiedet. Die Temperaturen pendeln sich bei um die 20 ° C ein. Das ist angenehmer, lässt uns wieder durchatmen – und macht den Kopf auch wieder frei. Bekanntlich macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Aber das bezieht sich eher auf den Anfang eines heranziehenden Sommers. Die letzten Wochen dürften es der Schwalben genügend gewesen sein. Und wie immer solche Redensart sind, so sind diese viel allgemeiner anwendbar: Aufgrund einzelner Erscheinungen wie das Erscheinen einer Schwalbe sollte man nicht voreilig allgemeine Schlüsse ziehen, also: der Sommer ist da.

Wie ein Sommer auch ist, er erscheint uns außergewöhnlich. Gustave Flaubert konnte da nur den Kopf schütteln und in seinem Wörterbuch der Gemeinplätze festhalten: Ein Sommer ist immer „außergewöhnlich“, gleich, ob er kalt oder warm, trocken oder feucht war.

Hier noch weitere Sprichwörter und Redewendungen aus deutschen Landen den Sommer betreffend. Es ist viel Althergebrachtes dabei (aber das haben ‚geflügelte Worte’ so an sich). Manches mag man heute kaum noch verstehen, auch Sexistisches ist (natürlich) dabei. Also los:

Der Sommer gibt Korn, der Herbst
gibt Wein, der Winter verzehrt, was beide beschert.

Fliegen und Freunde kommen im Sommer.
Sommersaat und Weiberrat gerät alle sieben Jahre einmal.
Den Sommer schändet kein Donnerwetter.
Gesucht wie der Pelz im Sommer.
Wenn’s im Sommer warm ist, so ist’s im Winter kalt.
Gelb ist die Farbe des Sommers.
Glück ist der Freunde Sommer.

Joan Armatrading: Show some Emotion (1977)

1977 erschien das vierte Album von Joan Armatrading: Show some Emotion. Damit knüpfte sie an ihr ein Jahr zuvor erschienenes Album nahtlos an. Auch dieses Album wurde von Glyn Johns produziert, der wiederum viele namhafte Musiker ins Studio gelockt hatte, z.B. John „Rabbit“ Bundrick, den wir u.a. von der Gruppe Mallard her kennen (aus dem Umfeld von Captain Beefheart), Mel Collins, Jerry Donahue, Georgie Fame oder Henry Spinetti, der u.a. später mit Chris Spedding live aufgetreten ist.

    Joan Armatrading - Show some Emotion (1977)

Wieder mischt Joan Armatrading auf diesem Album viele musikalische Stile, das Titelstück, das neben „Willow“ zu den Highlights der Scheibe gehört, kommt ziemlich jazzig daher. Obwohl es für mich nicht ganz die Klasse wie das Vorgänger- (und dann auch das folgende) Album hat, so war es mit Platz 6 in den UK Albums Charts eines ihrer erfolgreichstes Album überhaupt. In der US Billboard 200 Albums Chart erreichte es Platz 52. Show some Emotion ist nicht so ganz mein Album. Einige Lieder fallen für mich doch etwas ab, auch wenn sie dazu beitragen, den stilistischen Umfang des Albums zu erweitern. Sie sind wohl schon dem Mainstream geschuldet.

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)

1. „Woncha Come on Home“ — 2:40
2. „Show Some Emotion“ — 3:31
3. „Warm Love“ — 3:04
4. „Never Is Too Late“ — 5:32
5. „Peace in Mind“ — 3:19
6. „Opportunity“ — 3:25
7. „Mama Mercy“ — 2:47
8. „Get in the Sun“ — 3:19
9. „Willow“ — 3:53
10. „Kissin‘ and a Huggin'“ — 4:42

Einen wesentlich Reiz der Lieder von Joan Armatrading macht ohne Zweifel ihre Stimme aus. Es ist die Mischung aus Zerbrechlichkeit einerseits und kraftvoller Intonation andererseits. Mir gefällt besonders die dunkle (tiefe) Färbung ihrer Stimme, obwohl sie auch hohe Töne anstimmen kann (z.B. in dem Lied Get in the Sun, das mir dann auch nicht allzu gut gefällt). Anders als z.B. bei Aimee Mann fehlt bei Joan Armatrading das Vibrato am Ende einer Zeile. Sie hält den Ton nicht aus, sondern lässt ihre Stimme ‚kippen’, es ist eine Art ‚Kiekser’ ähnlich wie beim Jodeln (na ja?!). Das hat durchaus seinen besonderen Charme.

Das Album beginnt mit einem langsamen Stück, allein auf der akustischen Gitarre begleitet und mit Kalimba, einem traditionellen afrikanischen Musikinstrument (‚Zungenklavier’), ergänzt (es klingt ähnlich einem Glockenspiel).


Joan Armatrading – Woncha Come On Home

Es folgt das Titellied: ‚Show some Emotion’. Das etwas sehr junge Publikum bei dem folgenden Live-Mitschnitt war durch die Ansprache von Joan sichtlich leicht überfordert (1979 in Köln aufgenommen):


Joan Armatrading – Show Some Emotion

Ebenfalls für den Rockpalast in Köln aufgezeichnet, aber 30 Jahre später – Willow, wohl eines der schönsten langsamen Stücke von Joan, das sie bis heute (meist) noch am Ende ihrer Konzerte vorträgt. Bei Kerzen- bzw. Feuerzeuglicht gibt’s die garantierte Gänsehaut gratis dazu:


Joan Armatrading – Willow (2009 @ Rockpalast Köln)

Nochmals eine Aufnahme von den Rockpalast-Aufnahmen von 1979 (am 15. Februar 1979 im kleinen Studio L zu Köln vor gerade einmal 80 jungen Zuhörern aufgezeichnet) vom letzten Stück des Albums: ‚Kissin‘ and a Huggin’’, das Joan Armatrading bis in die 80er Jahre auch sehr häufig live aufführte. Hier geht noch einmal so richtig die Post ab (obwohl auf vielen Alben von Joan am Schluss ein langsames Stück kommt):


Joan Armatrading – Kissin‘ and a Huggin‘ (1976 @ Rockpalast Köln)

Hier zuletzt ein Link zu einer Playlist bei Youtube mit allen 10 Stücken zu dem Album: Show some Emotion (1977)

Martin Walser: Brief an Lord Liszt

    Oh, Lord, wo steht Ihnen eigentlich das Wasser?
    (S. 81)

„Am Freitag vor Pfingsten, kurz vor Arbeitsschluß, rief Arthur Thiele die Abteilungsleiter der Firmen Chemnitzer Zähne und Fin Star zu sich: Benedikt Stierle, der Konkurrent, hatte aufgegeben, er hatte seine Firma und sich in Brand gesteckt. Die Abteilungsleiter erhoben sich, Thiele dankte, die Sitzung war beendet, frohe Pfingsten. Franz Horn war als erster an der Tür.
Die Zeiten, als Thiele nach einem solchen Ereignis unbedingt noch ein paar Sätze mit Franz Horn wechseln mußte, waren vollkommen vorbei. Auch Dr. Liszt, der Kollege und Freund, war nicht mehr an einem Gespräch mit Horn interessiert, das sah er deutlich, denn Liszt eilte, wie alle anderen, auf Thiele zu.
Vor ein paar Jahren hatte Franz Horn einen Selbstmord versucht. Da er nicht gelang, wurde er zu Horns Mißerfolgen gezählt: Horns Zeit war vorüber, er gehörte zu den rapid Älterwerdenden; eine junge Mannschaft rückte heran, eine Fusion mit der Weltfirma Bayer stand bevor. Die Tatsache, daß auch Liszt, der von seiner Familie Verlassene und dem Alkohol Ergebene, in diesen neuen Zeiten keine Chance mehr hatte, war ohne Trost für ihn; Liszt weigerte sich, sein Verbündeter zu sein. Ja, es hatte den Anschein, als sei er ein Feind geworden, zumindest aber einer, mit dem er in Feindseligkeit leben mußte.
Warum nicht einen Brief schreiben, einen richtigen Brief, einen langsam geschriebenen Brief, in dem er Liszt den historischen Anteil an der Krise ihrer Beziehung oder Freundschaft zuweisen konnte? Damit endlich einmal alles richtig ausgesprochen wäre. Damit man wieder atmen, die Freundschaft neu oder endgültig begründen könnte. Lieber Lord Liszt! (Die Anrede war da, als Horn nach dem Schreiber griff.) Und Franz Horn begann zu schreiben., Seite um Seite. Und beendete den Brief. Und nahm ihn mit einem PS wieder auf. Und dem ersten PS folgte ein zweites, ein drittes, ein viertes; am Ende waren es neunzehn Fortsetzungen.
Was aber enthält der Brief, der in der Art der Lawinenentstehung ins Nichtgeheuere oder Ungeheuere anschwillt und – wie Lawinen es tun – alles, was im Weg liegt, mitreißt, aus den Höhen in die Tiefe oder aus den Tiefen in die Höhe, das Unausgesprochene, Nur-Empfundene? Was er Liszt vorzuwerfen hat, sind keine strafbaren Delikte, die sich trefflich in Szene setzen ließen. Es geht um Kränkungen, Verletzungen, Niederlagen, Unrecht menschlicher Art. Zwischen Liszt und Horn, Horn und Liszt, zwischen Thiele und Horn und Liszt. Es geht um Konkurrenz, um Anerkennungs-, Freundschafts- und Liebesentzug, um das gefahrvolle Leben, wenn genommen wird, was stark und widerstandsfähig macht; es geht um die Überwindung eines Zustands permanenten Verschweigens, um das plötzliche Aufbrechen eines Schmerzes, der artikuliert werden will, ohne Rücksicht auf die anderen und auf sich selbst.
Das Schreiben wird ein Ersatz für alles: ‚Sprechen wir doch endlich aus, soviel wir können, anstatt zu leiden wie die Hummeln. Oder leiden Sie gar nicht? Leidet, wer recht hat, nicht?’
Nicht in den einzelnen Fällen minutiöser und gröblicher Verletzung durch den anderen wird der Leser sich und seine Erfahrungen wiederfinden. Vielmehr wird sich der Leser im Faktum des Verletztwerdens erkennen, im wahnwitzigen Wunsch, sich all dessen zu erledigen, was ihn der zu sein zwingt, der er nicht ist. Der Leser wird sich an die von anderen eigens für ihn erdachte weise Erkenntnis erinnern: ‚Jeder sieht ein, daß er einsehen muß: ihm steht nur zu, was ihm zusteht.’ Und er wird sich endlich entledigen wollen, ‚nicht mehr der Vernunft anderer zu Kreuze zu kriechen’.
Das Buch ist ein Abrechnungsfest, ein Befreiungsunternehmen, eine Trennungsorgie, eine Wahrheitsmaschine, eine Einsamkeitsprüfung, kurzum: der Bericht von der schweren Erträglichkeit des wirklichen Lebens. Also eine Schmerzensgeschichte und ein Heilungsprozeß. Dieser rücksichtslos leidenschaftliche Brief ist nicht weniger als ein Lehrbuch: Es zeigt uns einen Weg, um (wieder) in den Besitz der eigenen Vernunft zu kommen.“

(aus dem Klappentext)

Der Roman Brief an Lord Liszt von Martin Walser (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1. Auflage 1982) ist die Fortsetzung des ebenso kleinen Romans Jenseits der Liebe aus dem Jahr 1976.

    Martin Walser: Brief an Lord Liszt

Im Mittelpunkt des Romans von Martin Walser steht wieder Franz Horn, der sich diesmal entschließt, seinem Konkurrenten in der Firma, Dr. Horst Liszt, Leiter der Verwaltung, einen Brief zu schreiben. Zuvor hatte er sich um eine Anstellung bei Benedikt Stierle bemüht. Dieser hatte nun sich und seine Firma in Brand gesteckt. Das bedeutete für Horn, weiter in der Firma ‚Chemnitzer Zähne’ des Arthur Thiele zu verharren. Doch auch Lord Liszt, wie ihn Franz Horn in seinem Brief nennt, ist inzwischen in seiner Rolle als rechte Hand des Chefs verdrängt, hat doch Thiele, längst nicht mehr an der Produktion von Zahntechnikerbedarf interessiert, sondern von dem Wunsch getrieben, Surfbretter und Yachten zu bauen, den jungen „Austro-Finnen“ Rudolf Ryynänen angeheuert.

„Hat Liszt zu Zeiten, als seine Stellung noch durch keinen Ryynänen bedroht war, über Thiele samt Familie gelästert – was Horn damals entsetzt hat -, so gibt er sich nun als Anhänger und Bewunderer, vor allem aber als enger Vertrauter der Thieles. Horn dagegen sieht Thieles Abstieg als Basis, endlich mit dem Kollegen auf einen freundschaftlichen Fuß zu kommen, sich sozusagen zu verbünden: ‚[…] hätten Sie gesagt: Franz Horn, ich bin jetzt auch so weit! wir gehören zusammen! dann wäre ich Ihnen entgegengesunken. Aber einfach so tun, als kämen Sie mir als Unbeschädigter entgegen, als wollten Sie mich endlich erheben oder zulassen auf Ihrem Niveau… nein, nein! nicht mit mir.’“

Franz Horn schreibt sich in seinem Brief an Liszt gewissermaßen seinen Frust von der Seele. Es ist der Frust eines vom alltägliche Krieg des Angestellten zermürbten Lebens, in dessen Büro sich inzwischen das Kauderwelsch der Rationalisierung ausbreitet. Der Brief ist wie eine Therapie:

Es kann sich keiner identifizieren mit dem, der er in den Augen der anderen ist. Aber bevor man sich nicht mit dem, der man für andere ist, identisch erklärt, hat man keinen ruhigen Augenblick. Das ist mein Fall. (S. 142)

Mit der befreienden Erkenntnis, ‚nicht mehr der Vernunft anderer zu Kreuze zu kriechen’, ebnet er sich einen Weg, um wieder in den Besitz der eigenen Vernunft zu kommen., wie im Klappentext heißt. Fast natürlich ist es, dass Horn am Ende den Brief nicht abschickt:

Der Brief an Lord Liszt hatte ihn nicht geschwächt! Auch das Nichtabschicken nicht! In Zukunft würde er jedem, von dem er irrtümlicherweise glaubte, er brauche ihn, einen solchen Nachtbrief schreiben, den man nicht abschicken konnte. Was Besseres gibt es nicht! (S. 153)

Es ist nicht nur ein zweiter Franz Horn-Roman, sondern er weist weitere Verbindungen zu anderen Werken Walsers auf. So finden zwei Vettern Franz Horns in dem Buch Erwähnung, einmal Dr. Gottlieb Zürn, Immobilienmakler und Vermieter eines Feriendomizil bei Überlingen (an Helmut Halm aus Ein fliehendes Pferd (1978)), dem die Romane Das Schwanenhaus (1980), Jagd (1988) und Der Augenblick der Liebe (2004) gewidmet sind – und Xaver Zürn, dem Chauffeur aus Seelenarbeit (1979) – siehe Übersicht Hauptpersonen Romane Martin Walser als PDF.

Nun die beiden Franz Horn-Romane sind aber noch etwas mehr, beide verweisen auf reale Personen. Während Franz Horn in bestimmter Hinsicht das Alter Ego des Autors ist, lassen sich Züge des Dr. Horst Liszt in dem Schriftstellerkollegen und langjährigen Freund Walsers, Uwe Johnson, erkennen. Beide hatten wie Horn und Liszt ein zwiespältiges Verhältnis und sind dann im Streit auseinandergegangen (nachzulesen in der Walser-Biografie von Jörg Magenau). Und in Arthur Thiele wollen viele Literaturwissenschaftler Züge des langjährigen Verlegers des Suhrkamp-Verlags, Siegfried Unseld, erkennen. Soweit ich das beurteilen kann, lassen sich diese Bezüge nachvollziehen.

So oder so hat der ‚Brief an Lord Liszt’ meinen Appetit auf die Gottlieb Zürn-Trilogie angeregt. Den erste Teil (Das Schwanenhaus aus 1980) kenne ich übrigens noch nicht.

Siehe auch die folgenden interessanten Rezensionen:
Hellmuth Karasek über Martin Walser: Brief an Lord Liszt
Schattenwelt der Angestellten

Der alltägliche Krieg – von Rolf Michaelis
Martin Walsers grotesker, trauriger Roman „Brief an Lord Liszt“

Doping in Deutschland

Einst schrieb ich hier: Sport und Doping – fast wäre ich geneigt zu sagen: das gehört zusammen wie Brot und Butter (und wer mag schon Trockenbrot). Das Problem Doping, also die Einnahme von unerlaubten Substanzen oder die Nutzung von unerlaubten Methoden zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, war, ist und bleibt unmittelbar verbunden mit dem Sport. Da ich mich für Sport interessiere, so bin auch ich nie um dieses Thema herumgekommen.

Noch bevor die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2013, die vom 10. bis 18. August 2013 in Moskau stattfinden, begonnen haben, sind diese durch diverse Doping-Skandale überschattet. So hat erst jetzt der türkische Leichtathletik-Verband (TAF) Konsequenzen aus seinem Dopingskandal gezogen und 31 Sportler für zwei Jahre gesperrt. Aber allem voran sind es Jamaikas Sprint-Star Asafa Powell, der US-Amerikaner Tyson Gay und noch einige mehr, die in diesen Tagen des Dopings überführt wurden. Allein Usain Bolt (Jamaika), der Weltrekordinhaber über die 100 Meter in 9,58 Sek. (2009 aufgestellt) scheint ‚clean’ zu sein.

    Höher, schneller, weiter – mit Hilfe von Doping?

Der Radsport, hier besonders die Tour de France, steht bereits unter Generalverdacht. In der Leichtathletik, im Skilanglauf samt Biathlon, ja, selbst im Reitsport (die Pferde) werden immer wieder Dopingfälle aufgedeckt. Und dass auch im Fußball gedopt wird, sollte angenommen werden.

Studien belegen, dass besonders in den ehemaligen Ostblock-Ländern, allen voran in der DDR, was durch Stasi-Akten hinreichend dokumentiert ist, systematisch gedopt wurde. So durften bei der Olympia 1972 in München Schwimmerinnen aus der DDR grundsätzlich keine Interviews mit westlichen Journalisten geben – durch die Einnahme u.a. von Testosteron hatten sie etwas sehr tiefe Stimmen.

Nun ist endlich eine Studie in Auftrag gegeben worden, die aufzeigt, dass auch in Westdeutschland Doping durch Wissenschaft und Politik gefördert wurde. Die Studie mit dem Titel „Doping in Deutschland 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ ist nach langem Hin und Her nun endlich veröffentlicht worden. Allerdings ist die Studie anonymisiert worden, es fehlen z.B. die Namen von einflussreichen Politikern.

Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), forderte inzwischen, die Namen der Betroffenen bekanntzugeben. Im Wege der Aufarbeitung und Transparenz müssten „auch im Westen die Namen veröffentlicht werden, insbesondere von Personen, die noch einen Posten im Sport bekleiden“.

Die Studie war vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) 2008 initiiert und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das dem Bundesinnenministerium (BMI) untersteht, mit rund 525.000 Euro bezuschusst. Genau dieses BISp hatte „vor den Olympischen Spielen 1972 in München Versuche zur leistungsfördernden Wirkung von Anabolika in Freiburg bezuschusst […]. Zudem habe es auch mit Steuergeldern unterstützte Forschungen mit 15 Versuchspersonen zur Wirkung von Insulin und Wachstumshormonen gegeben. Dies sei aus Akten im Koblenzer Bundesarchiv hervorgegangen. Das Besondere dabei: Die Belege wären die ersten offiziellen Dokumente zur staatlichen Dopingförderung in den 70er-Jahren. Dass es in der alten Bundesrepublik systematisches Doping gab – wenn auch nicht so ausgeklügelt wie in der DDR -, hatte auch die Projektgruppe der Studie ‚Doping in Deutschland’ schon vor zwei Jahren festgestellt. Damals hatten die Wissenschaftler unter Leitung von Professor Giselher Spitzer von ‚staatlich subventionierten Anabolika-Forschungen’ gesprochen, die in Freiburg ‚konzentriert’ waren.“

„Gemäß des Namens und des Studien-Auftrages hätte sich in den Bericht der Historiker auch eine dritte Phase, von 1990 bis heute, wiederfinden sollen. ‚In der letzten Phase des Projektes wurde die Finanzierung eingestellt vom Auftraggeber, so dass diese Phase nicht abgeschlossen werden konnte’, sagte Spitzer im ZDF-Interview. Ob die Forscher denn überhaupt Dokumente für die Zeit bis zur Gegenwart gefunden hätten? Im Bundesinstitut für Sportwissenschaft wohl nicht. ‚Im Vorfeld der Erteilung dieses Forschungsauftrages sind offensichtlich alle Doping-bezogenen Unterlagen im Bundesinstitut für Sportwissenschaft vernichtet worden. Das ist für mich ein Skandal’, berichtete Spitzer.“ (Quelle: sportschau.de)

Finanzierung für die dritte Phase (1990 bis heute) eingestellt, Unterlagen verschwunden? Allem Anschein nach sitzen da heute noch Funktionäre und Beamte in Gremium und Behörden, die ihre Finger beim Doping im Spiel haben und versucht sind, ihre Spuren zu beseitigen. Ines Geipel, Vorsitzende des Dopingopfer Hilfevereins DOH, hinterfragte auch die Rolle des IOC-Präsidentschaftskandidaten Bach und jetzigen Chefs des Deutschen Olympischen Sportbunds: „Inwieweit ist zum Beispiel auch Thomas Bach involviert? Wenn keine Namen genannt werden, bleibt alles anonym.“ (Quelle: zdfsport.de)

Sport und Doping gehören zusammen wie Brot und Butter. Auch in Westdeutschland. Es ist wirklich Zeit geworden, dass die deutsche Sportgeschichte neu geschrieben wird. Da wird noch so manch heikles Detail ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Doping selbst, da bin ich mir sicher, lässt sich auch weiterhin nicht verhindern. Da hilft auch kein Anti-Doping-Gesetz. So lange die olympische Devise „Höher, schneller, weiter“ gilt und wir in einer Gesellschaft leben, die ohne Spektakel nicht auskommt, wird es Sportler geben, die versuchen werden, auch mit unerlaubten Mitteln und Methoden ihre Leistung zu steigern.

The same Procedure …

Déjà-vuTäglich grüßt das MurmeltierThe same procedure as every year: Man kann es nennen, wie man will … Wieder spielte der SV Werder Bremen im DFB-Pokal in der ersten Runde gegen einen Drittligisten – und wieder verloren die Bremer und schieden damit aus diesem Wettbewerb aus – und das zum 3. Mal in Folge. Erst 2011 gegen den 1. FC Heidenheim (2:1), letztes Jahr gegen Preußen Münster (4:2 n.V.), gestern nun gegen den 1. FC Saarbrücken 3:1 n.V.

Es ist nur ein schwacher Trost, dass sich Borussia Dortmund, 1. FSV Mainz 05, Hertha BSC, Eintracht Frankfurt und der FC Freiburg sehr schwer taten, um die nächste Runde zu erreichen, neben Werder auch Bundesligisten wie Borussia Mönchengladbach, Eintracht Braunschweig und der 1. FC Nürnberg gegen unterklassige Vereine ausschieden. Der DBF-Pokal hat nun einmal eigene Gesetze. Aber spätestens nach dem verbru(z)zzelter Saisonauftakt des letzten Jahres hätte man damit rechen müssen, dass sich die Bremer voll und ganz auf dieses erste Pflichtspiel der Saison konzentrieren. Fehlanzeige!

    SV Werder Bremen: Umbruch oder Schiffbruch?

Natürlich sitzt dieser Schock erst einmal tief! Geschäftsführer Thomas Eichin sprach deutliche Worte nach der Partie: „Wir müssen nichts schönreden, in der ersten Runde gegen einen Drittligisten auszuscheiden ist eine Blamage. Zum dritten Mal nacheinander ist eine noch größere Blamage.“ Und damit ist wieder einmal eine wichtige Geldquelle versiegt.

3000 mitgereiste Werder-Fans erlebten eine Woche vor dem Bundesliga-Start eklatante Schwächen in allen Mannschaftsteilen. Vieles deutet daraufhin, dass die Mannschaft mit dem neuformierten 4-3-3 Spielsystem (teilweise auch als 4-4-2, wobei Aaron Hunt zwischen Mittelfeld und Angriff rochierte) noch nicht klarkommen. Spieler und Trainer mussten die sicherlich zurecht aufgebrachten Fans beruhigen. Für Werders Bundesligastart am Samstag um 18 Uhr 30 in Braunschweig gegen den Aufsteiger Eintracht schwant vielen nichts Gutes. Verlieren die Bremer das Spiel, dann ist der Kurs erst einmal klar: Es geht wieder einmal nur gegen den Abstieg!

Hier die Aufstellung der Gurkentruppe von gestern in Saarbrücken:

Mielitz – Fritz, Prödl, Caldirola, Gebre Selassie (107. Hartherz), Makiadi, Ekici (82. Yildirim), Junuzovic, Hunt, Füllkrug (46. Arnautovic), Petersen

In der Schlacht: Geborgen trotz Not und Gefahr

Es sind Shakespeare’sche Geister, mit denen uns Javier Marías zu kämpfen aufgibt, die uns ‚ermahnen’, an sie zu denken in der alltägliche Schlacht: Morgen in der Schlacht denk an mich

    Javier Marías: Morgen in der Schlacht denk an mich

Aber dann sind es auch wieder nur alltägliche Geister, die uns bedrücken, die uns diffuse Gefühle eingeben, irgendetwas zwischen Unsicherheit und Scham: ein seelisches Unwohlsein. Die Ursache liegt in der Situation. Es ist Nacht oder es stürmt. Es überkommt uns eine Ängstlichkeit, die begründet scheint – und es vielleicht ist oder auch nicht. „… und ich kann nicht einmal etwas dagegen tun“. Javier Marías beschreibt es wie folgt:

Das ist es, was panische Angst bewirkt und jene ins Verderben führt, die sie erleiden: Sie macht sie glauben, daß sie inmitten von Not und Gefahr trotz allem in ihr geborgen sind. Der Soldat, der fast ohne zu atmen und ganz still in seinem Schützengraben bleibt, obwohl er weiß, daß dieser schon bald angegriffen wird; der Passant, der nicht wegrennen will, als er spätnachts in einer dunklen, verlassenen Straße hinter sich Schritte hört; die Hure, die nicht um Hilfe ruft, nachdem sie in ein Auto gestiegen ist, dessen Türverriegelung sich automatisch schließt, und der klar wird, daß sie niemals zu diesem Kerl mit so großen Händen hätte einsteigen dürfen (vielleicht ruft sie nicht um Hilfe, weil sie meint, daß sie kein Anrecht darauf hat); der Fremde, der den vom Blitz gespaltenen Baum auf seinen Kopf niedergehen sieht und nicht ausweicht, sondern zuschaut, wie er langsam auf die große Allee fällt; der Mann, der einen anderen mit einem Messer auf seinen Tisch zukommen sieht und sich weder rührt noch verteidigt, weil er glaubt, daß ihm so etwas eigentlich nicht passieren kann und daß dieses Messer sich nicht in seinen Bauch bohren wird, das Messer kann nicht seine Haut und Eingeweide zum Ziel haben; oder der Pilot, der gesehen hat, wie das feindliche Jagdflugzeug es geschafft hat, hinter ihn zu gelangen, und der keinen letzten Versuch mehr unternommen hat, durch ein akrobatisches Manöver aus der Schußlinie zu kommen, in der Gewißheit, daß der andere, obwohl er alle Trümpfe in der Hand hielt, das Ziel verfehlen würde, weil diesmal er das Ziel war. ‚Morgen in der Schlacht denk an mich, und falle dein Schwert ohne Schneide.’

[…] es geht also alles weiter, und ich kann nicht einmal etwas dagegen tun […]

dieser Mann mit so großen Händen streichelt mir den Hals und drückt noch nicht zu: er streichelt mich zwar grob und tut mir ein bißchen weh, aber ich spüre weiter seine plumpen, harten Finger auf meinen Wangenknochen und Schläfen, meinen armen Schläfen – seine Finger sind wie Tasten; und ich höre noch die Schritte dieses Menschen, der mich im Dunkeln ausrauben will, oder womöglich täusche ich mich und es sind die eines harmlosen Menschen, der nicht schneller gehen und mich überholen kann, vielleicht sollte ich ihm die Gelegenheit dazu geben, indem ich meine Brille herausziehe und stehenbleibe, um eine Auslage zu betrachten, aber es kann sein, daß ich sie dann nicht mehr höre, und was mich rettet, ist, daß ich sie weiterhin höre; und immer noch bin ich hier in meinem Schützengraben mit gefälltem Bajonett, von dem ich bald werde Gebrauch machen müssen, wenn ich nicht von dem meines Feindes durchbohrt werden will: aber noch nicht, noch nicht, und solange dieses Noch-nicht gilt, verbirgt und bewahrt mich der Schützengraben, obwohl wir auf offenem Feld sind und ich die Kälte an den Ohren spüre, die der Helm nicht bedeckt; und das Messer dort, das in einer Faust näher kommt, hat sein Ziel noch nicht erreicht, und ich sitze weiter an meinem Tisch, und nichts wird aufgeschlitzt, und trotzdem werde ich noch einen Schluck von meinem Bier trinken, und noch einen und noch einen; so wie der Baum da drüben noch nicht umgestützt ist und nicht umstützen wird, obwohl er abgebrochen ist und kippt, aber nicht auf mich, und seine Äste mir nicht den Kopf abtrennen werden, das ist nicht möglich, denn ich bin nur auf Durchreise in dieser Stadt und in dieser Allee, und ebensogut könnte ich nicht hier sein; und ich sehe die Welt weiter aus der Höhe, von meiner Supermarine Spitfire aus, und noch habe ich nicht das Gefühl von Sinken und Schwere und Schwindel, von Stürzen und Schwerkraft und Gewicht, das ich haben werde, sobald die Messerschmitt, die mir im Genick sitzt und mich im Visier hat, das Feuer eröffnet und mich trifft: aber noch nicht, noch nicht, und solange dieses Noch-nicht gilt, kann ich weiter an die Schlacht denken und die Landschaft betrachten und Zukunftspläne schmieden; … (S. 37 ff.)

Ich kenne das Beispiel vom Verfolgtem in einer bitterkalten Winternacht, der durchfroren Unterschlupf in einem warmen Heim in verlassener Gegend findet. Und dort vor dem wärmenden Ofen bleibt er hocken, obwohl er weiß, dass die Häscher ihm so nahe sind.

Aber solange es ‚weitergeht’, solange wir noch spüren, noch hören, noch sitzen und trinken, die Landschaft betrachten und Zukunftspläne schmieden, solange mag die Angst bestehen, aber solange leben wir auch noch.

Joan Armatrading: Joan Armatrading (1976)

Nach ihren ersten beiden Alben Whatever’s for us (1972) mit Pam Nestor und Back to the Night (1975) veröffentlichte Joan Armatrading 1976 ein Album nur unter ihren Namen: Joan Armatrading.

Produzent des Albums war Glyn Johns, der zuvor und dann auch später mit vielen Größen der Rockmusik gearbeitet hat, von den Beatles über die Rolling Stones bis hin zu Joe Satriani und Fairport Convention. Es sollte nicht die letzte Zusammenarbeit zwischen ihm und Joan Armatrading sein.

Bei dem Aufnahmen zu dem Album im September 1976 im Olympic Studios in London kam Joan Armatrading auch mit einigen Musikern aus dem Jethro Tull-Umfeld wie Dave Mattacks (Live-Album A Little Light Music, 1992) und Jerry Donahue (Fairport Convention) zusammen – sowie mit Dave Markee, der u.a. von diversen Alben von Eric Clapton bekannt wurde.

    Joan Armatrading - Joan Armatrading (1976)

Die Arbeit von Glyn Johns hinterließ deutliche Spuren. Sicherlich würde man das Album heute etwas anders arrangieren. Mehr noch als seine Vorgänger war es wie aus einem Guß. Dabei glänzte das Album Joan Armatrading besonders auch durch seine stilistische Vielfalt. Für mich ist es der erste große Wurf der Joan Armatrading. Ein Album mit zehn schönen Lieder, die einmal besonders melodiös, dann eher rhythmisch hervorgehoben sind. Und es wurde für eine Musikerin wie Joan Armatrading zu einem durchaus respektablen Erfolg: Platz 12 in den UK Album Charts, Platz 67 immerhin schon in den fernen USA:

Das Album beginnt mit Down to Zero, ein Lied, das sie dann auch als Opener längere Zeit bei ihren Konzerten benutzte. Zu ihrer Live-Band gehörten damals Red Young (Keyboards), Rick(ie) Hirsch (Guitar), Richie Hayward bzw. Art Rodriguez (Drums), Bill Bodine (Bass) und Lon Price (Saxophone). Das Lied wurde dann auch später öfter gecovert, u.a. von der amerikanischen Sängerin Melissa Etheridge, die das Lied in den 80er Jahren bei Konzerten in Musikclubs von Kalifornien vortrug – übrigens nur eines von vielen Joan Armatrading-Liedern.


Joan Armatrading: Down to Zero

Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)

1. „Down to Zero“ – 3:51
2. „Help Yourself“ – 4:04
3. „Water With the Wine“ – 2:48
4. „Love and Affection“ – 4:28
5. „Save Me“ – 3:35
6. „Join the Boys“ – 4:48
7. „People“ – 3:30
8. „Somebody Who Loves You“ – 3:33
9. „Like Fire“ – 5:12
10. „Tall in the Saddle“ – 5:43


Joan Armatrading: Help yourself

Zu ihrem Gitarrenstil äußerte sich Joan Armatrading einmal im Magazin Guitar Player und nannte sich eine ‚Hitterin’, also eine, die kräftig in die Saiten schlägt. Dabei spielt sie Bass, Harmonie und Melodie quasi synchron. Das war dann auch der Grund, weshalb sie die elektrisch verstärkte Akustikgitarre der Marke Ovation bevorzugte, die gut an ihren gewölbte Korpus zu erkennen ist. Besonders eindrucksvoll präsentiert sie diesen Stil auf dem Stück Like Fire.

Eines ihrer bekanntesten Lieder ist ohne Zweifel Love and Affection, nicht nur, weil es oft gecovert wurde, sondern es war Joan Armatradings erster Chart-Erfolg und erreichte im November 1976 Platz 10 der britischen Singles-Chart. Background-Sänger (mit tiefem Bass) ist Clarke Peters.


Joan Armatrading: Love and Affection (The Old Grey Whistle Test 1976)

Den Abschluss des Albums bildet ein Lied, das mir immer noch besonders gefällt: Tall in the Saddle. Besonders der Gitarrist Rick Hirsch ist mir mit seinem einzigartigen Gitarrensolo von den damaligen Live-Auftritten in bester Erinnerung geblieben.


Joan Armatrading: Tall in the Saddle

Javier Marías: Morgen in der Schlacht denk an mich

    Meine jetzt so unübersehbare Präsenz wird schon morgen durch eine Kopfbewegung und einen aufgedrehten Wasserhahn geleugnet werden, und für sie wird es sein, als wäre ich nicht gekommen, und ich werde nicht gekommen sein, denn sogar die Zeit, die sich zu verrinnen sträubt, verrinnt schließlich und entschwindet durch den Abfluß, und ich brauche mir nur den Tagesanbruch auszumalen, um mich bereits außerhalb dieses Hauses zu sehen, vielleicht werde ich schon sehr bald draußen sein, noch in dieser Nacht … (S. 29)

Von Javier Marías habe ich vor über zwei Jahren an dieser Stelle den Roman Mein Herz so weiß (dazu auch noch den Beitrag I have done the deed) vorgestellt. Jetzt habe ich den darauf folgenden Roman Morgen in der Schlacht denk an mich (Klett-Cotta – Deutscher Taschenbuch Verlag, München – dtv 12637 – Juni 1999) erneut gelesen – Original: “Mañana en la batalla piensa en mi”, Editorial Anagrama S. A., Barcelona, 1994 – Deutsch von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn.

    Javier Marías: Morgen in der Schlacht denk an mich

Wie schon vom Roman ‚Mein Herz so weiß’ so geht auch von diesem Roman eine ungewöhnliche Suggestion aus. Dabei ist der Anfang lapidar und trocken:

„Niemand denkt je daran, daß er irgendwann eine Tote in den Armen halten könnte und daß er nicht mehr ihr Gesicht sehen wird, an dessen Namen er sich erinnert. Niemand denkt je daran, daß jemand im unpassendsten Augenblick sterben könnte, obwohl dies die ganze Zeit passiert, und wir glauben, dass niemand, dem dies nicht bestimmt ist, in unserem Beisein wird sterben müssen.“

Aber bekanntlich kommt der Schrecken oft auf leisen Füßen.

„In ‚Mein Herz so weiß’ brauchte Javier Marías noch eine Seite, bis er uns hatte. Dieses Mal reicht ihm ein Satz, der rätselhafte erste seines neuen Romans: ‚Niemand denkt je daran, daß er irgendwann eine Tote in den Armen halten könnte …’“ (Andreas Isenschmid im ‚Tages-Anzeiger’, Zürich)

„Sie ist noch nicht dreiunddreißig, hat sowohl Mann als auch zweijährigen Sohn sowie ein außereheliches Verhältnis. Als Marta Téllez’ Mann Eduardo Deán für ein paar Tage in London ist, lädt Marta Víctor Francés, unseren Ich-Erzähler, in ihre Wohnung ein. Noch bevor sie beide vollständig entkleidet sind, stirbt Marta unvermittelt in Víctors Armen. Das Zögern, den Ehemann zu benachrichtigen, die Furcht, die Tote und den kleinen Jungen einfach so in der Wohnung zu lassen, die Scham, Martas Ruf durch seine Existenz zu beschädigen – Víctor ist überfordert und flüchtet. Bewußt kann er sich der Sache nicht stellen, unbewußt aber schafft er Verhältnisse, die ihn letztlich zwingen, alles aufzuklären …“
(aus dem Klappentext)

Zurück zur angesprochenen Suggestion. Es ist so, dass man sich als Leser vom Geschriebenen beeinflusst fühlt, als wolle es einem etwas einflüstern. Es ist ein diffuses Gefühl, ein seelisches Unwohlsein. Marías spielt förmlich mit Wörtern wie Angst, Verdacht und Erwartung – und schmiedet Sätze, die sich wie Nebel auf die Seele legen:

„Das Zutagetreten von Angst bringt den, der angst macht oder dazu imstande ist, auf bestimmte Gedanken, Vorbeugung gegen das, was noch nicht geschehen ist, ruft das Ereignis auf den Plan, Verdacht entscheidet über das, was noch nicht feststand, und setzt es in Gang, bange Vorahnung und Erwartung zwingen dazu, die Hohlräume auszufüllen, die sie entstehen lassen und vertiefen, etwas muß geschehen, wenn wir wollen, daß sich die Angst verflüchtigt, und das beste ist es, dafür zu sorgen, daß sie sich erfüllt.“ (S. 19 f.)

Zum Inhaltlichen verweise ich auf eine Rezension von dieterwunderlich.de. Es ist ein merkwürdiger Stoff, und der Roman endet anders als man es je erwarten konnte (auch hier spielt Marías, diesmal mit der Erhaltungswartung des Lesers), als Víctor, der Erzähler, sich mit Eduardo, dem Mann der verstorbenen Frau, zu einem Gespräch trifft.

„Morgen in der Schlacht denk an mich, und es falle dein Schwert ohne Schneide. Morgen in der Schlacht denk an mich, als ich sterblich war, und es falle rostig deine Lanze. Möge ich morgen auf deiner Seele lasten, möge ich Blei sein in deiner Brust, und mögen deine Tage enden in blutiger Schlacht. Morgen in der Schlacht denk an mich, verzag und stirb.“ (S. 210)

Es sind die Geister, die König Richard III. in Shakespeares Drama heimsuchen. Genauso wird Víctor vom ‚Geist’ der toten Marta heimgesucht. Die Erinnerung nistet sich bei ihm ein: „Ewig herumspuken, nie ganz verschwinden, nie ganz vergehen und uns nie ganz verlassen, sondern in unserem Kopf hausen.“ Die Liebe als Spuk: Er muß seine Schuld begleichen und seine Erzählung vor der Welt abladen. Nur so kann er den Geist der Toten bannen und den bösen Zauber brechen, unter dem er steht und der ihn selber verhext zu einer Art Spukgestalt.

„… aus dem Halbdunkel herauszutreten und nicht länger ein Geheimnis bewahren oder von einem Mysterium umgeben sein zu müssen, vielleicht sehne ich mich manchmal genauso nach Klarheit und wahrscheinlich sogar nach Harmonie. Ich erzählte und erzählte. Und beim Erzählen hatte ich zwar nicht das Gefühl, mich von meinem bösen Zauber zu befreien, von dem ich mich noch nicht befreit hatte und mich vielleicht nie befreien würde, aber mir kam es so vor, als würde ich ihn mit einem anderen, weniger hartnäckigen und gutwilligeren vermischen. Wer erzählt, weiß die Dinge gewöhnlich gut zu erklären, und er weiß sich selber zu erklären, erzählen ist dasselbe wie überzeugen oder sich verständlich oder etwas sichtbar machen, und so kann alles verstanden werden, sogar das Infamste, kann alles verziehen werden, wenn es etwas zu verzeihen gibt, kann über etwas hinweggegangen oder etwas verarbeitet und sogar mit durchlitten werden, eben dies ist geschehen, und sobald wir erst wissen, daß es so war, müssen wir damit leben, in unserem Bewußtsein und unserem Gedächtnis einen Platz dafür suchen, der uns nicht am Weiterleben hindert, weil es passiert ist und wir es wissen. Das Geschehene ist daher immer weit weniger schlimm als die Ängste und Annahmen, die Mutmaßungen und bildhaften Vorstellungen und bösen Träume, die wir in Wahrheit nicht in unser Wissen eingliedern, sondern die wir verwerfen, nachdem wir sie über uns haben ergehen lassen oder sie zeitweilig in Betracht gezogen haben, und darum erfüllen sie uns weiterhin mit Schrecken, im Gegensatz zu den Ereignissen, die allein schon wegen ihrer Natur, also weil sie Tatsachen sind, geringeres Gewicht haben: Da es nun mal passiert ist und ich es weiß und es nicht rückgängig zu machen ist, sagen wir uns dann, muß ich es mir erklären und es mir zu eigen machen oder dafür sorgen, daß jemand anderer es mir erklärt, und am besten wäre, wenn es mir genau derjenige erzählt, der es übernommen hat, es zu tun, weil er es ist, der Bescheid weiß. Aber beim Erzählen kann man sogar Gnade finden, das ist die Gefahr. Die Eindringlichkeit der Darstellung, nehme ich an: Deshalb gibt es Angeklagte, deshalb gibt es Feinde, die man umbringt oder hinrichtet oder lyncht, ohne sie ein Wort sagen zu lassen – deshalb gibt es Freunde, die man mit den Worten verstößt: ‚Ich kenne dich nicht’ oder deren Briefe man nicht beantwortet -, damit sie sich nicht erklären und unversehens Gnade finden können, und da sie reden, verleumden sie mich, und es ist besser, wenn sie nicht reden, obwohl sie mich nicht verteidigen, wenn sie schweigen.“ (S. 309 f.)

Beide Romane, ‚Mein Herz so weiß’ wie auch dieser hier – man müsste sie Shakespeare-Romane nennen, gehören zusammen wie zwei Tafeln eines Diptychons – korrespondierend, doch einander nicht imitierend. Beide beginnen mit dem unerklärlichen Tod einer jungen Frau und enden mit dem vorsätzlichen Mord an einer andern. Beide spielen mit den gleichen Motiven und operieren mit den gleichen Strukturprinzipien. Beide sind Ehe- und Familienromane und handeln von den leisen Fiaskos und den blutigen Debakeln in den Beziehungen zwischen Mann und Frau, den Täuschungen und Selbsttäuschungen in der Liebe, den Mühseligkeiten, Ungewißheiten und komplexen Waghalsigkeiten beim heutigen Versuch, eine Ehe zu führen. Beide erzählen von Verdacht, Betrug und Verrat in bürgerlichen Verhältnissen.