Léo Malet: Paris des Verbrechens (Nestor Burma-Krimis)

Bevor er Krimis schrieb, arbeitete Léo Malet als Büroangestellter, Filmstatist, Herausgeber einer Modezeitschrift und Ghostwriter eines analphabetischen Erpressers. In Frankreich gehören seine Krimis längst zum kulturellen Erbe. Dies sind die zehn klassischen Fälle von Nestor Burma, dem Inhaber der Detektiv-Agentur „Fiat Lux“. Jeder spielt in einem anderen Pariser Arrondissemont.

„Wenn Malet einen Krimi schreibt, schreibt er mehr als einen Krimi: Er ist der einzige Autor, der das poetische Universum des Surrealismus in Kriminalromane übersetzt. Seine Geschichten sind Action und Parodie des Genres zugleich.“
Neue Zürcher Zeitung

Nestor Burma steht in der Tradition amerikanischer Detektive wie Sam Spade und Philip Marlowe, hat aber deutlich mehr Humor und sein Erscheinungsbild, Maßanzüge und exzentrische Pfeife, weist eine eigene Note aus. Somit ist Léo Malet mit Autoren wie Dashiell Hammett (Sam Spade) und Raymond Chandler (Philip Marlowe) vergleichbar. Neben diesen beiden gilt auch noch Ross Macdonald als einer der wichtigsten Vertreter der harten Schule des Detektivromans.

Bis auf eben jenem Nestor Burma von Léo Malet habe ich bereits einige Kriminalromane der genannten Autoren gelesen. Hinzu kommen die weiteren Klassiker von Agatha Christie mit ihren der beiden bekanntesten Figuren, dem belgischen Detektiv Hercule Poirot und der altjüngferliche Miss Marple, die viele von uns allein schon aus dem Fernsehen kennen. Erwähnenswert sind außerdem Krimi-Helden neueren Datums wie z.B. Tom Ripley von Patricia Highsmith und Inspektor Jury von Martha Grimes. Nicht gegessen möchte ich natürlich auch Edgar Allan Poe, der gewissermaßen den Kriminalroman erfunden hat, und Arthur Conan Doyle und seinen Sherlock Holmes. Und Edgar Wallace kennen viele aus den kultigen deutschen Verfilmungen.

Neben dem Privatdetektiv Nestor Burma gibt es natürlich eine weitere bekannte Figur, die wie dieser in Paris tätig wurde: Kommissar Maigret von Georges Simenon.

Nun, Nestor Burma kenne ich aus der insgesamt 39-teiligen Serie des französischen Fernsehens, die auch bei uns gezeigt wurde – 1991 bis 2003 verfilmt und mit Guy Marchand in der Hauptrolle.

Guy Marchand als Nestor Burma

10 der klassischen Fälle von Nestor Burma sind jetzt für gerade einmal 9,95 € bei Zweitausendeins – in einem Band zusammengefügt – erhältlich. Knapp 1200 Seiten, die das Paris des Verbrechens beschreiben. Während meiner Grippe-Erkrankung hatte ich Zeit, vier dieser Kriminalromane zu lesen.

Die Detektiv-Agentur in der Rue des Petits-Champs heißt sinnigerweise «Fiat Lux» (‚Es werde Licht‘). Ihr Inhaber liebt solch hintergründige Scherze, obwohl er es gemeinhin nicht mit Bibelsprüchen hält. Eher schon mit dem anarchistischen Motto ‚Weder Herr noch Gott‘: Als der jugendliche Nestor Burma 1927 von Montpellier nach Paris kam, wurde er praktizierendes Mitglied einer Anarchistengruppe. So etwas prägt fürs Leben, auch wenn Monsieur Burma inzwischen Maßanzüge trägt, als Arbeitgeber einen dreiköpfigen Angestelltenstab befehligt und als Privat-«Flic» am Erhalt der bürgerlichen Ordnung mitwirkt. Doch sein ‚anarchistischer Individualismus‘ schlägt halt immer wieder durch, vor allem, wenn Nestor auf eine heiße Spur gestoßen ist und den parallel ermittelnden Kommissar Faroux selbstsüchtig auf falsche Fährten lockt.


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Rue des Petits-Champs (Richtung Avenue de l’Opéra) – Detektei Fiat Lux

Erstaunlich darum, daß Nestor Burma bei dem schnauzbärtigen Kripo-Chef einen so großen Stein im Brett hat, zumal der leidgeprüfte Florimond Faroux stets die schlimmsten Verwicklungen zu fürchten hat, wenn der Privatkollege mit der exzentrischen Stierkopf-Pfeife scheinbar zufällig am Schauplatz eines vermeintlichen Routine-Verbrechens aufkreuzt. Doch der Kommissar profitiert eben nicht nur gern von den ‚bistrokratischen‘ Kenntnissen Burmas, sondern auch von dessen detektivischem Gespür. Darum schanzt er ihm sogar schon einmal einen verdeckten Polizeiauftrag zu, wenn der Fall für eine offizielle Recherche zu heikel ist.


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Quai des Orfèvres (Sitz der Kriminalpolizei von Paris)

Die Staatsknete nimmt Nestor Burma auch ganz gerne mit, denn bei flauer Kriminalkonjunktur kommt es öfter vor, daß er seinen beiden Außendienst-Agenten, dem quirligen Roger Zavatter und Réboul-dem-Einarmigen, gleich mehrere Monatsgehälter schuldet. Seine weltkluge Sekretärin Hélène Chatelain pflegt er in solchen Ebbezeiten sogar anzupumpen. Aber Goldschatz Hélène hat für Vieles Verständnis. Nur wenn ihr Chef das dienstliche Beschatten attraktiver Damen allzusehr ausdehnt, reagiert Hélène spürbar unfroh. Doch ihre wache Eifersucht hat ihm bereits mehrfach das Leben gerettet.

Trotzdem: Die gefährlichsten Wege geht Nestor allein. Unterstützung braucht er allenfalls zur Vorbereitung seiner Schachzüge. Dann muß beispielsweise Marc Covet, der versoffene Klatschvetter und Reporter des «Crépuscule», mal wieder einen gezielten Basisartikel schreiben, um die verborgenen Drahtzieher eines Verbrechens aus dem Käfig zu locken. Die abschließenden Protokolle seiner Fälle verfaßt Nestor Burma allerdings selber: Betont lässig, schnoddrig, in cooler Kurzsatz-Methode, garniert mit effektstarken Klopfern – ‚ihr Büstenhalter hatte alle Hände voll zu tun‘.

Der Autor hinter diesem ‚Autor‘ ist Léo Malet. Genau wie sein Held im Jahre 1909 in Montpellier geboren und als Halbwüchsiger nach Paris entwichen, begann er in den vierziger Jahren mit dem Krimi-Schreiben. Den größten Ruhm erlangte er dann ein Jahrzehnt später mit dem Zyklus ‚Die neuen Geheimnisse von Paris‘: Jeder Fall spielt in einem anderen Arrondissement der Metropole. Im Schatten des Louvre klärt Nestor Burma einen mörderischen Kunstraub auf, im kleinbürgerlichen Marais den Mord an einem Pfandleiher (dessen Dienste er selber gerade in Anspruch nehmen wollte bzw. mußte …).


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Tour de Barbette (Überrest des Stadthauses von Isabeau von Bayern) – Ecke Rue des Francs Bourgeois / Rue Vieille du Temple (Schauplatz eines perfiden Mordes im Fall „Marais Fieber“ – 3. Arrondissement von Paris)

Und einmal wird der liebe ‚Genosse Burma‘ auch brieflich ins 13. Arrondissement bestellt, wo er seiner eigenen anarchistischen Vergangenheit begegnet. Jenseits des Pont Tolbiac, in der Gegend der Salpérière und des Gare d’Austerlitz trifft er aber nicht nur seine ehemaligen Gefährten wieder, er lernt auch seine große Liebe kennen, die junge Zigeunerin Bélita. Den Fall, dessentwegen er gerufen wurde, klärt er auf. Doch Bélitas Ermordung kann er nicht verhindern. So wandert Nestor Burma weiterhin allein durch das meist verregnete Paris. Manchmal fühlt er sich ganz deprimiert, wenn er ans Altwerden denkt.

aus: revonnah.de

Wie bereits in den vielen anderen klassischen Kriminalromane wird auch bei Léo Malet notfalls ein neuer Handlungsstrang kurz vor Ende eingefügt, um mit dieser ‚Wende’ nicht nur den Fall in eine andere Richtung, sondern auch der Lösung entgegen zu bringen, auch wenn das die Logik auf den Kopf zu stellen droht. Was Nestor Burma aber zu etwas Besonderem macht – und alle Schwächen vergessen lässt -, sind sein Humor und seine trockene Art der Weltsicht, leider oft auch trotz des völligen Verzichts auf psychologische Stringenz.

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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