Fortsetzung von: Der Witzableiter (3): Freud und etwas zum Stöhnen
Schüttelreime sind eine besondere Art von Witz. Denn witzig sind Schüttelreime (fast) immer. Es mag an ihrer „witzigen“ Technik liegen. Aber lasse ich weiter Eike Christian Hirsch in seiner 1984 im ZEITmagazin erschienenen Kolumne sprechen:
Buddha nach der netten Fabel / starrt auf seinen fetten Nabel. Keine Frage, es geht hier um Schüttelreime. Wie Sie wissen, werden da die Konsonanten am Anfang der Reimpaare vertauscht, eine Technik, die vor hundert Jahren von ein paar preußischen Studenten erfunden worden sein soll. Oft hängt bei einem forschen Mädchen / die Tugend nur am morschen Fädchen. Das stammt von dem großen Pianisten Artur Schnabel, der von sich selbst in gespielter Bescheidenheit gereimt hat: Am Anfang war auch Schnabel nur / das Ende einer Nabelschnur.
Sind das überhaupt Witze? Ich sehe, daß ich mich rechtfertigen muß. Friedrich Hollaender war dagegen („mit Witzen haben die Dinger glatterdings nichts zu tun“). Hans Weigel rechnet sie auch nicht dazu („eine uralte, sehr literarische Hochform des Blödeln“). Aber Sigmund Freud bescheinigte im Jahr 1905 den „neuerdings beliebt gewordenen Schüttelreimen“, daß unser Wohlgefallen an ihnen „das nämlich ist, an dem wir den Witz erkennen“. Als Beispiel wählte Freud übrigens: Und weil er Geld in Menge hatte / lag stets er in der Hängematte, was uns nun wiederum fragen läßt: Warum liebte Freud gerade diesen Vers? (War er doch in finanziellen Nöten? Zog er Lust aus Ersparung?)
Am Schüttelreim können wir wirklich etwas über Witze lernen. Auch Schüttelreime vergreifen sich im Ausdruck, was zynisch oder ungeschickt wirken kann. Die Boxer aus der Meisterklasse / die hauen sich zu Kleistermasse. Oder von den römischen Christenverfolgungen heißt es: Mit den Bekennern neuer Lehren / ließ Nero manchen Leu ernähren.
Wie bei allen Witzen ist auch beim Schüttelreim die Pointe kurz, überraschend und unausweichlich. Von der Kürze sagte schon der große Theoretiker des Witzes, Jean Paul, im Jahre 1804, Shakespeare zitierend, sie sei „der Körper und die Seele des Witzes“. Prüfen wir das gleich am Vierzeiler über die alte Sängerin: Krumme Beine / Mieder leer / brumme keine / Lieder mehr.
Die Verwandtschaft der Schüttelreime mit den Witzen mag nun wirklich am Tage liegen. Aber was ist das Besondere an den Schüttelreimen? Ich glaube, es ist diese starre Form, mit der sich die Pointe ankündigt (Da klagt unser Sängerlein / mein Auftritt sollte länger sein!). Unweigerlich schlägt der Schlußreim zu. Das ist die Mechanik der Mausefalle. Hier der Eunuch, der hodenlose / was trägt er in der Lodenhose?
Und noch etwas: Mit dieser Strenge der Form kontrastiert angenehm der oft alberne Sinn der Reime. Und dieser Gegensatz ist komisch. Zwecks Heirat lief die Nichte Schi / doch klappte die Geschichte nie. Immerhin: Mit der Pointe klappt es immer.
Auch in dem Schmähvers über Probleme beim Stillen: Nicht immer hat die feiste Mutter / fürs Baby auch das meiste Futter. Als der französische Philosoph Henri Bergson (wir kennen ihn schon) im Jahre 1900 sein Buch über das Lachen veröffentlichte, hat er den deutschen Schüttelreim gewiß nicht gekannt. Und doch paßt seine Theorie des Komischen besonders gut auf dies deutsche Produkt. Bergson hat sich nämlich zur Erklärung des Komischen auf Kinderspielzeug berufen, auf Hampelmann und Springteufelchen (das ist der Teufel, der aus dem Kasten sprint, sobald man den Deckel aufmacht). Nach Bergson ist es immer komisch, wenn eine Mechanik lebendig wirkt (oder etwas Lebendiges mechanisch). Gilt das nicht besonders vom Schüttelreim? Er folgt einem starren Schema und lebt doch. So manchem gilt die Treue nix / der sinnt auf immer neue Tricks.
Bergson schreibt: „Komisch ist jede Anordnung von ineinandergreifenden Handlungen und Geschehnissen, die uns die Illusion von wirklichem Leben und zugleich den deutlichen Eindruck von mechanischer Einwirkung vermittelt.“ Ich weiß nicht, ob das von aller Komik gilt – vom Schüttelreim bestimmt.
Da springt der Sinn lebendig aus der Mechanik. Auch bei dieser Berufsberatung für Journalisten: Bei wem sich Geist und Fresse paaren / wird gut stets bei der Presse fahren. Man kann auch sagen: Der lebendige Vers ist komisch, weil er wie mechanisch läuft. Zum Beispiel dieser, den sich Österreichs Juden gern erzählten: Gut jodeln kann der Steiermärker / im Jüdeln ist der Meyer stärker. So laufen Schüttelreime. Mechanisch und doch lebendig. Ich könnte auch sagen, unabänderlich und doch daneben. Das ist ihr Witz. Der Braten: schwarz, die Sauce: grau / die Köchin: eine große Sau.
Am liebsten würde ich Ihnen noch die ganz kurzen Schüttelreime vorführen (Altes Haus, halt es aus!) und dem Kampf um den kürzesten, den wohl dieser gewinnt: Du bist / Buddhist. Recht knapp sind auch „Latente Talente“ und „Weh diesen Devisen!“ Oder der, der besser nur mit einem Wort zitiert wird, seinem zweiten übrigens: „ … / Kosacken.“
Man kann mechanisch und unausweichlich auf unpassende Worte zurollen. Das tut auch der Zweizeiler, der von dem Cembalisten Fritz Neumeyer stammen soll, der morgens im Schwarzwald Skilaufen war und abends zur Orchesterprobe nach Freiburg hinunter mußte: Morgens der Berge schimmernde Weiße / abends der Geigen …“.
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 31/1984
[Fortsetzung folgt]