Ausgepfiffen und gefeiert

Für Mesut Özil war das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2012 gegen die Türkei am Freitagabend in Berlin sicherlich ein denkwürdiges Spiel. Gegen das Land seiner Väter wurde er von den türkischen Zuschauern ausgepfiffen, sobald er am Ball war. Als er aber besonders in der zweiten Halbzeit ein sehr gutes Spiel ablieferte und auch noch ein Tor für die deutsche Mannschaft schoss, feierten ihn auch die türkischen Fußballfans und klatschten den verdienten Beifall.

Mesut Özil, Nachkomme türkischer Gastarbeiter und in Gelsenkirchen geboren, hatte 2007 seinen türkischen Pass zurückgegeben und sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden. Das wird ihm von vielen Türken bis zum heutigen Tag krumm genommen. Daher auch die Pfeifkonzerte gegen ihn. Insgeheim sind sie aber über diesen außerordentlichen Fußballspieler doch stolz, zumal er den Wechsel zu einen der ganz großen Fußballvereine, Real Madrid, geschafft hat.

Der deutsche Fußballbund (DFB) feiert Mesut Özil als gelungenes Beispiel für die Integration türkisch-stämmiger Migranten. Allerdings muss gesehen werden, dass sich viele in Deutschland geborene Türken für die Türkei entschieden haben, nicht für Deutschland. Und so sieht u.a. der ebenfalls in Gelsenkirchen geborene Hamit Altintop, Spieler des FC Bayern und Spieler der türkischen Nationalmannschaft, die Entscheidung der Spieler mit Migrationshintergrund pro Deutschland nicht so sehr als Herzensangelegenheit, sondern mehr als Business. „Das hat auch nichts mit Integration zu tun.“

Zum Beispiel Özil erklärt Altintop: „Hätte er sich für die Türkei entschieden, hätte er keine WM gespielt und wäre nicht bei Real Madrid.“ – Zunächst ist das nicht von der Hand zu weisen. Altintop fühlt sich weiterhin als Türke, auch wenn er in Deutschland geboren ist. So geht es vielen. Das gilt besonders aber für die, die sich durch die deutsche Gesellschaft abgelehnt fühlen, die keinen Schulabschluss schaffen – und die Deutschland immer noch als eine Art Provisorium ansehen.

Özil hat aufgrund seiner außerordentlichen Begabung sein Glück in Deutschland gefunden. Sicherlich schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Wer wie er in einem von türkischen Traditionen geprägten Umfeld aufgewachsen ist, kann nicht von heute auf morgen seine Herkunft verleugnen. Das will und soll er auch nicht. Und wenn er sich für Deutschland entschieden hat, so haben sicherlich auch finanzielle Gründe dabei eine Rolle gespielt.

Mesut Özil als Integrationsfigur zu feiern, ist zu hoch gegriffen. Das gilt auch für all die anderen deutschen Nationalspieler, die von Einwanderern oder Spätaussiedlern abstammen. Wahre Integration ist auf niedriger Ebene anzusiedeln. An der ‚Basis’ muss etwas getan werden, um Integration zu fördern. Das gilt beim Sport auf Vereinsebene im Breitensport (Beispiel BV Altenessen 06 oder aus meiner Nachbarschaft beim Todtglüsinger SV), besonders aber vor Ort im Stadtteil oder Dorf. Junge Menschen wie Mesut Özil können dabei natürlich als Beispiel, als eine Art Leitfigur dienen. Mehr aber auch nicht.

Was für deutsche Jugendliche gilt, die keine Arbeit finden und sich von rechten Rattenfängern einfangen lassen, gilt für junge Türken und junge Araber erst recht: wenn sie in Deutschland keine Perspektiven sehen, werden sie sich kaum integrieren lassen. Das kann sogar zu einer Deutschenfeindlichkeit führen, zu einem Rassismus andersherum!

Statt ‚schlaue’ Bücher zu schreiben (Sarrazin) oder ‚schlaue’ Reden zu halten (Seehofer), muss von allen Seiten etwas getan werden. Man macht es sich reichlich leicht, wenn man Integration nur ‚fordern’. Man sollte vor allem nicht das Unmögliche fordern. Es macht keinen Sinn, ältere Menschen, die mit ihren Traditionen stark verwurzelt sind, zu ‚brave Deutsche’ umerziehen zu wollen. Integration braucht seine Zeit – über Generationen hinaus. Die Förderung dazu, lang genug verschlampt oder nur halbherzig betrieben, muss aber endlich heute angesetzt werden.

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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