Im ersten Teil ließ Wole Soyinka, Träger des Nobelpreises für Literatur 1986, seinen Romanhelden Sagoe „allen anderen –ismen, vom homöopathischen Marxismus bis zum Existentialismus“ grabsingen und pries den Leerizismus, einem von Soyinka kreierten, ins Deutsche übersetzten Neologismus (voidancy zu voidance = Entleerung). Und im zweiten Teil pries Sagoe das Schweigen dabei. Zuletzt will dieser Sagoe getröstet sein und lässt sich von seiner Freundin aus seinem Pamphlet zitieren: dem Buch der Erleuchtung, über die Philosophie des Leerizismus:
Und er war erst zu beruhigen, als sie sich bereit erklärte, sein Buch der Erleuchtung auszugraben und ihm von einer beliebigen Seite vorzulesen.
„… Aus dieser Periode meiner Kindheit, und die Tür zu unserer riesig ausgedehnten Wohnanlage gewährte immer Unterschlupf, entsinne ich mich der Farbporträts zweier übermenschlicher Wesen, ätherisch, unweltlich, mit Kronen und Juwelen, breiten Pelzkragen, Gold, Samt und Hermelin, mit Reichsäpfeln und Zeptern und hinter ihnen goldene Throne. In meinen Kinderaugen waren diese Abbilder – und damit der Plazierung dieser Porträts keine besondere ideologische Bedeutung zugemessen werden konnte, hingen die Porträts auch im Wohnzimmer und in den Schlafzimmern, denn meine Leute waren überzeugte, treue Royalisten -, in meinen Kinderaugen waren diese Figuren nichts geringeres als Engel oder Gott und seine Frau. Es war eine kritische Phase meiner Introspektionsentwicklung, und hätte ich in diesem Lande hier gelebt, in dem alle Möglichkeiten offen stehen, ich hätte zweifellos die Laufbahn eines hauptberuflichen Schizophrenen eingeschlagen. Die Beschränkungen dieses grazilen, unwirklichen Paares wurden zur Zwangsvorstellung. Machten sie, oder machten sie nicht? Wie in einer Séance offenbarte sich die Lösung mit blendender Klarheit. Während einer Sitzung rein leerizierender Natur, erkannte ich die Verhaltensgrenze innerhalb dieser menschlichen Verrichtung. Sie waren Leeriker; doch Jesuschristus, niemals das andere! Scheißen ist menschlich; sich entleeren göttlich.
Dies war die Geburtsstunde der konkreten Formulierung des Leerizismus …“
(Seite 227 f.)
Der Leerizismus begegnet den Lesern noch einige Male – als Andeutung. Zuletzt, in einem Gespräch mit seinen Freunden, Kola, den Maler, und Egbo, den Angestellten des Auswärtigen Amtes, beteuert er: „ […] eines trunkenen Tages habe ich diesem Weib da blödsinnigerweise versprochen, daß ich mein Buch der Erleuchtung verbrenne, wenn wir heiraten.“ (S. 351) Dieses Weib ist Dehinwa, mit der Sagoe schon lange zusammenlebt. Und wenn wir auch nur Ausschnitte aus dem Buch der Erleuchtung erfahren, so sollte das genügen, um den Leeriszismus zu verinnerlichen, ähem, eher im Gegenteil, DAS zu veräußerlichen, oder?!
aus: Wole Soyinka: Die Ausleger (Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)