- „Wenn man von etwas nicht auch das Gegenteil sagt, sagt man nur die Hälfte.“
Martin Walser: Verteidigung der Kindheit
- „Man kann Menschen besser beurteilen nach dem, was sie verschweigen, als nach dem, was sie sagen.“
Martin Walser: 1. Hauptsatz der ‚menschlichen Wärmelehre’
Jörg Magenaus Martin Walser-Biographie (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, rororo 24772 – aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Oktober 2008) gewährt einen tiefen Einblick in das Schaffen eines der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit und untersucht dabei Martin Walsers „spannungsvolles Verhältnis zur deutschen Geschichte und zur Öffentlichkeit. Sie erzählt von Wandlungen, Werk und Wirken, zeigt ihn als Gläubigen und Skeptiker, als heimatverbundenen Familienvater und als ewigen Reisenden, als Machtkritiker und als Freund der Mächtigen, als Lesenden und als Lobenden. Mit dem Porträt des widersprüchlichen Intellektuellen entsteht zugleich eine Kulturgeschichte der Bundesrepublik.“ So steht’s auf der Rückseite des Buchumschlags.
Diese lesenswerte Walser-Biografie war ja bereits Anlass für mich, Walser aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten: Zu Martin Walser (1): Ich bin nicht Walser — Zu Martin Walser (2): Links und DKP-nah — Zu Martin Walser (3): Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede — Zu Martin Walser (4): Tod eines Kritikers
Hier möchte ich auf das Schreiben von Martin Walser etwas näher eingehen. Walser ist inzwischen 86 Jahre alt und hat damit ein Alter erreicht, in dem viele schon keine Lust mehr haben, ihre Briefmarkensammlung oder was auch immer zu ordnen, sondern eher ihre letzten Tage zählen. Auch Walser ‚zählt’, denn das Schlimmste ist für ihn, „daß es aufhören könnte.“ Und das Schönste: „Daß einem etwas einfällt, was einem früher nicht hätte einfallen können.“ (S. 569 der Biografie). Oder: „Denn das Alter erlaubt eben auch, weniger Rücksicht nehmen zu müssen auf all das, ‚was sich ziemt.’ – Karl von Kahn (in ‚Angstblüte’): ‚Im Alter nimmt Verschiedenes ab. Auch die Kraft moralisch zu sein.’“ (S. 581)
So schreibt Walser bis zum Schluss: „Sein Interesse konzentrierte sich auf das eigene Bewußtsein. Hier spielt sich alles ab. Die ganze Welt ist Bewußtsein, ist Bewegung, ist Sprache, aber sie geht nicht in der Sprache auf. Deshalb entsteht Dichtung, deshalb muß man schreiben, so wie man auch atmen muß. Das Schreiben ist für Walser eine Lebensfunktion, Eine Schreibkrise kann es folglich nur im Todesfall gebe. Er schreibt einfach immer weiter.“ (S. 397 f.)
Das Schreiben, gerade auch im Alter, ist ein Abwägen: „Was kann man von sich verraten, ohne sich lächerlich zu machen? Was darf man sagen, ohne dafür gerügt zu werden? Und andererseits: Was muß unbedingt heraus, der eigenen Seelenhygiene zuliebe und ohne Rücksicht auf Verluste?“ (S. 591)
Walser, der so häufig in die Schusslinie der Kritiker geraten ist, „der weltgewandte Charmeur, der in Gesellschaft erblüht und erst im Disput über sich hinauswächst – und der Zweifler, der das Gefühl hat, was er zu sagen hätte, bliebe besser ungesagt, weil er sich damit doch nur Ärger einhandeln wird.“ (S. 443) – er weiß inzwischen, „Gegen … medialen Konjunkturen resistent zu sein und eine erfreuliche Gelassenheit entwickelt zu haben gehört zu den Vorzügen der späteren Jahre.“ (S. 573)
Schreiben ist für Walser auch Therapie, um nach Niederlagen noch Herr des Geschehens zu bleiben: „Er mußte den Verlauf […] immer wieder in Gedanken nachvollziehen und aufschreiben, was ihm widerfahren war. Es gelang ihm nicht, seinen Auftritt nachträglich mehr Glanz zu verleihen. Aber das Erzählen machte ihn zum Herrn des Geschehens, obwohl er auch auf dem Papier der Verlierer blieb.“ (S. 420) – Und es gibt die „Erkenntnis, daß es kein Scheitern gibt, sondern immer nur eine Gesellschaft, die einzelne für gescheitert erklärt.“ (S.130)
Wer wie Walser schreibt, der „… entsagt der äußeren Welt, so gut er kann, und ist damit beschäftigt, sie in seinen Romanen zu verschönern, um sie für sich erträglich zu machen. Einen ‚weißen Schatten’ soll sie werfen. Deshalb schreibt er.“ (S. 444) So „versucht [Walser] die Zumutungen des Daseins durch die Schönheit des Ausdrucks zu besiegen.“ (S. 451) – Es ist aber auch ein Schreiben gegen den Monotheismus, ein häufig benutzter „Kampfbegriff Walsers. Damit konnte er islamischen Fundamentalismus, christlich-abendländisches Missionarstum und marxismusfrommen Dogmatismus in einem Begriff zusammenfassen.“ (S. 438)
Wie aber schreibt Martin Walser? Fragen nach Zettelkästen und dergleichen beantwortet die Biografie zwar nicht, aber wir erfahren immerhin, dass es „ … ihm nicht [liegt], eine Handlung zu entwerfen und im Schreiben dann nur noch auszuführen. Die Sprache muß die Führung übernehmen. Er will sich überraschen lassen, wohin es ihn trägt, sonst wäre ihm das Schreiben langweilig. ‚Organisierte Spontaneität’.“ (S. 400)
Zuletzt die Frage nach den Themen, über die Martin Walser schreibt: „Es geht um Konkurrenzverhältnisse, um berufliche Deformationen, um Liebesversuche und Eheherausforderungen: Abhängigkeitsverhältnisse aller Art. Walser interessiert sich nach wie vor für die Anpassungsleistungen, die erforderlich sind, um den gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen. Er verlangt seinen Helden keinen Heroismus ab. Er liebt sie, weil sie sind wie er. Das macht seine Bücher zutiefst human.“ (S. 341)
Die Biografie endet damit, dass Martin Walser Goethe mit dem Satz zitiert: „‚Wer mich nicht liebt; der darf mich auch nicht beurteilen.’ Das klingt arrogant, dient aber durchaus der Wahrheitsfindung.“ (S. 600) Dem ist von meiner Seite nichts hinzuzufügen.
Und noch ein Allerletztes zur Biografie: Auf Magenaus Rückfrage behauptete Martin Walser: „Ihr Buch ist interessant zu lesen, aber ich bin das nicht!“