Hier nun die Fortsetzung und auch bereits das Ende eines Kriminalromans, über dessen Einleitung ich nicht hinaus gekommen bin. Dies Stück Weltliteratur stammt aus meiner ‚weißen Phase‘ etwa im März 1993, also vor inzwischen vielen Jahren, als ich auch noch in Hamburg hauste und mir diese Stadt als Kulisse dieses gerade zu kafkaesken Romanfrakments diente. Am Ende verliert sich dieser poetische Erguss in einigen Randnotizen, die ich gut ein Jahr später (welche Hoffnung war in mir, diesen Roman vielleicht doch noch zu Ende zu schreiben) verfasste und die vielleicht Ausfluss Aufschluss (welcher ‚Freud‘ reitet mich hier) bieten, wie alles hätte enden sollen. Genug – viel Spaß auch hier beim Lesen:
Ahooga Nonsen heißt eigentlich nicht Ahooga. Wie er zu diesem Namen kam, weiß er wohl selbst nicht mehr genau. Ahooga klingt wie ein Ausruf – von Tarzan, der von Liane zu Liane springt, könnte dieses Ahooga stammen. Aber Ahooga Nonsen weiß es besser: Tarzan schreit: Ahaha! Wie Ahooga wirklich heißt, verrät er nicht. In seinem ureigenem Personalausweis könnte man seinen tatsächlichen Vornamen finden oder in seinem Führerschein. Aber beides hat er vor einiger Zeit eingebüßt, als er als zweiter Sieger aus einer tatkräftigen Auseinandersetzung hervorging mit blutendem Maul, zerrissenen Hosen und fehlender Brieftasche, in der noch die drei Hunderter steckten, die ihn zuvor ein Klient für verauslagte Kosten gegeben hatte – und seine Papiere. Das gigantische Schlüsselbund war ihm aber erhalten geblieben. Und obwohl sich in diesen kalten Wintertagen kein neuer Auftrag auftat, saß er lieber in seinem warmen Büro, als von Behörde zu Behörde zu rennen, den Verlust seiner Papiere zu melden und neue zu beantragen. Ahooga Nonsen heißt Ahooga Nonsen, wenn er im Dienst ist, wie er es nennt, wenn er im Büro sitzt. Sobald er aber sein Büro verläßt, nimmt er andere Namen an. Als Privatdetektiv muß man Vorsorge treffen. So hat er ein Arsenal an Visitenkarten, hat sich auch beizeiten gefälschte Papiere besorgt, um bei entsprechenden Eventualitäten versorgt zu sein. Als er in die Schlägerei geriet, da war er außer Dienst, wollte sich lediglich seine Zutaten für sein Abendessen besorgen und hatte seine Originalpapiere bei sich. Manchmal ist es wie verhext. Da benimmt man sich wie ein Amateur, läßt sich die Nase polieren, strauchelt und am Ende verliert man gewissermaßen seine wahre Identität. (01.03.94)
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Ahooga Nonsen für einen Privatdetektiven halten, darauf würden auf Anhieb nur die wenigsten kommen, wenn überhaupt einer. Nicht das er schmal und schmächtig, zart oder gar schwächlich gebaut ist. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ahooga ist klein und breit. Fast quadratisch. Und wenn er durch die Straßen geht, die Kneipen der Stadt abklappert in seinem verschlissenen Mantel und der dazu ziemlich unpassenden Schottenmütze, dann wirkt sein Gang behäbig, geradezu schwerfällig. Man sollte sich aber nicht täuschen lassen. Schon mancheiner hat ihn unterschätzt und dafür Lehrgeld kassiert. Vielleicht weil er so klein ist – und in seinem Mantel mit Mütze noch kleiner wirkt -, sind seine starken Arme schneller um die Ecke dank der kürzeren Hebel. Wenn er so durch die Kneipen geht, ob auf der Suche nach einem untreu gewordenen Ehegatten oder einem lustsüchtigen Töchterlein, mit dem Foto in der Hand, dann könnte man ihn eher für einen Hamburg-Touristen halten, der irgendwo vom Lande kommt und in Hamburg nichts Eiligeres zu finden hat als die Reeperbahn, wenn auch nicht nachts um halb eins. In einigen Kneipen kennt man ihn natürlich schon, besonders in den einschlägigen, in denen sich schon einige der Gesuchten auch tatsächlich aufgabeln ließen. Aber selbst dort nimmt man es ihm immer noch nicht so recht ab, daß der ein Schnüffler ist. Und das ist ihm auch ganz genehm.
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Das Büro ist nicht gerade ein Schmuckkästchen. Neben dem Fenster, das in Richtung Norden weist und kaum Licht in das ohnehin kleine Zimmer läßt, steht ein großer Aktenschrank, schon altersschwach wie man ihn heute noch höchstens in Finanzämtern, und dort auch nur noch in staubigen Kellern, findet. Dieser Schrank ist zweigeteilt und durch Rolläden, die aber an allen Ecken und Kanten haken, verschließbar. Der obere Teil enthält jede Menge Aktenordner; der untere enthält die Zutaten für sein Mittagessen, daneben eine Unmenge an leeren und vollen Bierflaschen. Neben dem Kochtopf mit dem Tauchsieder steht eine Dose mit Tee und eine Tasse, deren Inneres zu leben scheint. Und eine Flasche besten Jamaica-Rums, mit dem Ahooga seinen Tee an kalten Tagen wie diesen zu würzen trachtet. Ahooga ist ein ausgesprochener Teetrinker. Wenn er nicht gerade seine Bierchen zischt. Und mit einen Schuß Rum ist der Tee für ihn das Getränk, für das er jedes andere Getränk dieser Welt stehen läßt. Ebenfalls im unteren Teil des Aktenschranks befindet sich weiteres Geschirr, Messer, Gabel und Löffel, die ein oder andere geöffnete oder noch verschlossene Dose mit irgendeinem Fertiggericht. Um sich zu waschen oder das Geschirr zu spülen, befindet sich zur anderen, der linken Seite des Fensters ein Waschbecken. In diesem Waschbecken wäscht er oft seine Socken, denn er hat das, was man qualmende Füße nennt. Wäsche, also auch frische Socken, ein Hemd und auch eine von ihm persönlich gebügelte Hose, befinden sich im unteren Teil eines ebenfalls antiken Schreibtisches, der mitten im Raum steht. Zwischen Schreibtisch und Fenster steht der Ledersessel mit den Armlehnen, über denen er von Zeit zu Zeit seine Beine baumeln läßt, wenn er den Rücken zur Tür gekehrt aus dem Fenster blickt. Links neben der Tür dem Aktenschrank gegenüber steht der Garderobenständer mit den Spiddelfingern. Auf der anderen gibt es dann noch eine Sitzmöglichkeit für Klienten. Wie anders sollte man dieses Möbelstück nennen, daß selbst für den Sperrmüll zu schade ist. Es handelt sich dabei um eine Art von Gestell auf meist vier Beinen. Sollte es einer der Klienten einmal wagen, sich auf diesen Sitz zu setzen, so stellt es sich bestimmt als dreibeinig heraus – das vierte Bein liegt dann wie der Klient am Boden. Aber auch das hat Vorteile. Der Klient ist gezwungen zu stehen, während ihn Ahooga von unten aus seinem Sessel heraus, das Fenster im Rücken, betrachten kann. Klienten, die stehen, halten sich meist kurz und nerven nicht mit langen Vorreden.
Eigentlich schmuddelig ist es nicht in Ahoogas Büro. Dafür ist Ahooga in seinem Sinne ordnungsliebend. Das muß allerdings näher erläutert werden. Ahooga hat nämlich seine ureigenste Auffassung von Ordnung. Diese entspricht nicht ganz dem Motto: „Wer Ordnung schafft, ist nur zu faul zum Suchen!“, kommt dieser aber sehr nahe. Sein Hirn hat Ähnlichkeit mit einem Computer. Er speichert vieles im Kopf, das dem normalen Menschen nicht einfiele zu speichern. So merkt er sich gewissermaßen seine Unordnung, was im Bezug auf seine Akten heißen kann: Die für den Normalmenschen chaotische Unordnung in seinen Aktenordnern ist für Ahooga Nonsen ein selbstgeschaffenes Ordnungssystem. Fragte man ihn, wo z.B. ein bestimmter Artikel aus einer bestimmten Zeitung eines bestimmten Datums zu finden ist, so wird er es auf Anhieb finden, während Otto Normalverbraucher, der den gesuchten Artikel mit Sicherheit nach einem allgemeingültigen System (je Zeitung ein Ordner und dort nach Datum abgeheftet oder nach Thema usw.) suchen wird, den Artikel wahrscheinlich nie finden wird. Und so ist Ahooga Nonsen in allen Dingen. Benötigen wir z.B. ein bestimmtes Paar Socken, so werden wir diese in einer Schublade suchen, in der alle Socken, die wir haben (bis auf die, die wir tragen bzw. die sich in der Wäsche befinden), befinden. Ahooga Nonsen wird die benötigten Socken allerdings – und das schneller als wir in der Sockenschublade – irgendwo in einem Haufen zwischen Hemden und Hosen finden. (02.03.94)
Antik wäre aber auch nicht das richtige Wort.
(01.03.94)
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[Verhältnis zu Frauen eher gestört – er hatte eine Liebhaberin, ein eher ältliches Fräulein, das ihm aber die Liebhaberei aufgekündigt hat, weil es mit seinem Lebenswandel und seiner Arbeit „nicht klarkam“. Irgendwie schwebte ihr ein im deutschen Sinne „gemütliches“ Eheleben vor – der Mann als arbeitsamer Arbeitnehmer, der morgens sich, von der Ehefrau verköstigt, zu seinem Büro aufmacht, um abends zu gewohnter Stunde heimzukehren zu Herd und Frauchen … – Jetzt läßt er sich sein ohnehin eher sporadisch aufflammendes Liebesbedürfnis von den handgreiflichen Fesselungskünsten einer Prostituierten befriedigen.]
[Ahooga haßt Gewalt. So trägt er keine Waffe bei sich, weder Pistole, noch Messer, noch sonstiges Schlag-, Stich- oder Schießinstrumentarium. Ahooga leicht grün angehaucht …] (24.03.94) [… höchstens einen Zahnstocher, den er immer bei sich trägt, um eventuelle Reste der Imbißnahrung (Frikadellen, Currywurst u.ä.) zwischen den Zähnen hervorzuholen. Dieser diente ihm allerdings einmal als Waffe, als er – wie so oft – unversehends in eine Keilerei geriet. Viel hatte ihm der Zahnstocher aber nicht geholfen … Er brach unvermittelt ab …] 04.05.94)
[Was er haßt, Zeit zu verschwenden. Für was er sich liebensgern Zeit läßt, ist zu schlafen…] (24.03.94) [Der Schlaf als „kleiner Bruder des Todes“ … Dabei ist Ahooga nicht todessehnsüchtig – nur, so meint er wenigstens, macht ihm der Tod, d.h. der eigene Tod, nichts aus. Wie sollte er auch – wenn es tot ist, so ist er tot. Und im Leben Furcht vor dem Tode zu haben, hält er für absurd. Anders ist es mit Schmerzen! Sollte sein Tod mit großen Schmerzen verbunden sein, so wünscht er sich natürlich einen leichten Tod. Notfalls würde er auf Sterbehilfe zurückgreifen. – Solche Gedanken macht er sich, wenn er kurz vor dem Schlafen dahindöst. …] (4.5.94)
Der Hund als Widersacher -> Chiquisnaque (vergl. Cervantes – „Rinconete und Cortadillo“)
Der Typ, der Kafka liest und zitiert (aber in anderen Sprachen – z.B. Isländisch) (1.8.94)