Albert Camus: Der Fall (1956)

    «Wenn die Zuhälter und Diebe immer und überall verurteilt würden, hielten sich ja alle rechtschaffenen Leute ständig für unschuldig! Und meiner Meinung nach muss gerade das verhindert werden.»
    Albert Camus: Der Fall (1956)

In diesem 1957 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Roman Der Fall schildert Camus den Fall des Pariser Anwalts Johannes Clamans, der seine Karriere als erfolgreicher und beliebter Strafverteidiger der Pariser Hautevolee freiwillig aufgibt, um als um als Winkeladvokat und „Bußrichter“ unter den Asozialen im Amsterdamer Hafenviertel unterzutauchen. Clamans war aus seiner Selbstzufriedenheit und dem vermeintlichen Einklang mit der Welt gestürzt, als er eines Nachts an der Seine den Hilfeschrei einer Selbstmörderin gehört und nicht beachtet hatte. Damit beginnt sein Gewissenskonflikt; und in einer atemberaubenden Beichte voll eisiger Ironie und lateinischer Klarheit bekennt er, daß Selbstgefälligkeit und Opportunismus die Triebfelder seines Gerechtigkeitssinnes waren. (aus dem Klappentext)

Ich habe diesen gerade einmal 120 Seiten umfassenden Roman in folgender Ausgabe vorliegen: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg – 1044, 184.-193. Tausend Februar 1979 – aus dem Französischen übertragen von Guido G. Meister – Originalausgabe erschien unter dem Titel „La Chute“

Albert Camus: der Fall (1956)
Albert Camus: der Fall (1956)

Die Geschichte ist in Amsterdam angesiedelt und wird als Monolog vom selbsternannten „Bußrichter“ Jean-Baptiste Clamence erzählt, der einem Fremden seine Vergangenheit als erfolgreicher Anwalt offenbart. In seiner Lebensbeichte berichtet er von seiner Krise und seinem Fall, der als individuelle säkulare Version des Sündenfalls gesehen werden kann. Das Werk erkundet Themen wie Bewusstsein, Freiheit und die Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens.

Die Besonderheit dieses Romans liegt darin, dass der Protagonist, der die Beichte ablegt, im ganzen Werk als Einziger zu Wort kommt. Der Verzicht auf einen allwissenden Erzähler, der auch Camus’ 14 Jahre zuvor erschienenen Roman Der Fremde prägt, nimmt dem Leser die Möglichkeit, das Geschehen zu objektivieren.

Nebelverhangene Grachten, kleine Brücken und unzählige Fahrradfahrer bestimmen das Bild von Amsterdam. 1954 entdeckte Albert Camus die niederländische Hauptstadt und empfand sie als klassisch und frech, aber auch düster – der ideale Konterpart zu seiner Melancholie. In Amsterdam siedelte der zukünftige Literaturnobelpreisträger seinen Roman „Der Fall“ an: die poetische Irrfahrt eines Mannes, der von der Schuld zerfressen wird. (Quelle: arte.tv)


Der Fall: Albert Camus und Amsterdam

Hier einige kurze Textpassagen, die teilweise allein für sich sprechen:

„… gepflegter Stil und Seidenhemden haben miteinander gemein, daß sie nur allzu oft einen häßlichen Ausschlag verbergen.“ (S. 8)

    „Wer keinen Charakter hat, muß sich wohl oder übel eine Methode zulegen.“ (S. 12)

„Wenn einer nicht umhin kann, Sklaven zu halten, ist es dann nicht besser, er nennt sie freie Menschen?“ (S.- 40)

    „Sie wissen ja, was Charme ist: eine Art, ein Ja zur Antwort zu erhalten, ohne eine klare Frage gestellt zu haben.“ (S. 48f.)

„Ich habe keine Freunde mehr, ich habe nur noch Komplicen. Dafür hat ihre Zahl zugenommen, sie umfaßt das ganze Geschlecht der Menschen. Und unter den Menschen kommen Sie an erster Stelle. Der just Anwesende kommt immer an erster Stelle.“ (S. 62f.)

    „… geben wir ihnen ja keinen Vorwand, […] uns zu richten!“ (S. 65)

„Glücklich und gerichtet oder freigesprochen und elend.“ (S. 67)

    „… und bliebt in einem Leben auch nur eine Lüge verborgen, verlieh der Tod ihr Endgültigkeit.“ (S. 75)

„… die Lobreden wurden mir je länger desto unerträglicher. Mir schien, die Lüge nehme damit immer mehr zu …“ (S. 76)

    „Um dem Lachen zuvorzukommen, verfiel ich also auf die Idee, mich der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben.“ (S. 76)

„… es genügt nicht, sich anzuklagen, um seine Unschuld zu beweisen …“ (S. 79)

    „… der Dreck verleiht uns Haltung.“ (S. 82)

„… die Wahrheit […] ist zum Sterben langweilig!“ (S. 85)

    „… daß die echte Ausschweifung befreit, weil sie keinerlei Verpflichtung schafft.“ (S. 86)

„Es ist kein Gott vonnöten, um Schuldhaftigkeit zu schaffen oder um zu strafen. Unsere von uns selbst wacker unterstützten Mitmenschen besorgen das zur Genüge.“ (S. 92)

    „… daß die einzige Nützlichkeit Gottes darin bestünde, die Unschuld zu verbürgen …“ (S. 92)

„Es fehlt nie an Gründen, einen Menschen umzubringen. Im Gegenteil, es ist unmöglich, sein Weiterleben zu rechtfertigen.“ (S. 93)

    „Keine Entschuldigung [,,,] Ich lasse nichts gelten, weder die wohlmeinende Absicht, noch den achtbaren Irrtum, den Fehltritt oder den mildernden Umstand.“ (S. 109)

„Die Anklagerede ist zu Ende. Im selben Augenblick wird das den Mitmenschen vorgehaltene Porträt zum Spiegel.“ (S. 115)

Willis Plaudereien (8): Die ‚große Freiheit‘

    Wie Hamburg habe ich meine „Große Freiheit‘. In allem. Ich halte mich nicht einmal an den Kalender. Wieso Neujahr feiern? An jedem Tag beginnt ein neues Jahr.
    Tomi Ungerer

Der Mann hatte gut reden. Natürlich kann jeder sich, anders als die anderen, an eigene Regeln halten, und übliche Gesetzmäßigkeiten außer Acht lassen. Irgendwann soll endlich die Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit entfallen. Da soll es aber schon heute Leute geben, die das gar nicht interessiert. Die haben immer Winterzeit (die Normalzeit übrigens). Bei denen ist es nicht 15, sondern erst 14 Uhr. Auf diese Art leben die Guten eine Stunde ‚länger‘.

Und ab einem bestimmten Alter wollen einige wiederum nicht mehr älter werden. Die bleiben 39 oder 49 oder 59 und eines Tages ‚vergessen‘ sie ganz einfach ihren Geburtstag (entsprechende Daten bei Facebook, Twitter usw. beizeiten löschen). Und wer mit Geschenken kommt, wird erschlagen.

Willi mit Helm - unscharf (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)
Willi mit Helm – unscharf (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)

Und für viele ist jeder neue Tag nicht nur der Beginn eines neuen Jahres (wie bei Herrn Ungerer), sondern sogar der Anfang eines neuen Lebens. Da wärst Du platt, lieber Tomi!

Bauplanung ‚Am Bahnhof 9/9a‘ in Tostedt (14): ‚Stöckchen‘ statt Bäume

Es genügt nicht, von Montag bis Freitag ab 6 Uhr 30 vom Lärm auf dem Baugelände ‚Am Bahnhof 9/9a‘ seit Monaten belästigt zu werden (das Krähenkonzert gegen 5 Uhr 30 nicht vergessen), nein, an einem Samstag kamen noch zwei Arbeiter (immerhin erst um 9 Uhr 30), um das inzwischen in die Höhe geschossene Gras „an den angrenzenden Grundstücken der Morlaasstraße Ost“ (neben dem mehrere Meter hoch aufgeschütteten Erdhaufen) mit Motorsensen zu mähen, damit die im letzten April gepflanzten ‚Stöckchen‘ freigelegt wurden. Mein Gespräch am Frühstückstisch auf der Terrasse mit meiner Frau ging im Motorlärm unter.

Gelände ‚Am Bahnhof 9/9a‘ in Tostedt: der Mann mit der Motorsense
Gelände ‚Am Bahnhof 9/9a‘ in Tostedt: der Mann mit der Motorsense

Apropos ‚Stöckchen‘: Lt. 2. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 22 „Karlstraße“ vom 21.06.2017 (betrifft die Bauplanung ‚Am Bahnhof 9/9a‘ in Tostedt) heißt es unter Punkt 4.1.:

„Innerhalb der […] Fläche zum Erhalt und zum Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern ist der vorhandene Gehölzbestand dauerhaft zu erhalten und durch Anpflanzungen von Gehölzen zu ergänzen. […]“

Es wird eine Auswahl der zu verwendenden Arten getroffen, z.B. Bäume ( 2-j. Sandbirke, 3-j. Rotbuche) und Sträucher wie 3-j. Haselnuss , 3-j. eingriffeliger Weißdorn oder 2-j. Pfaffenhütchen.

Gelände ‚Am Bahnhof 9/9a‘ in Tostedt: 'Stöckchen' statt Bäume
Gelände ‚Am Bahnhof 9/9a‘ in Tostedt: ‚Stöckchen‘ statt Bäume

Die Umsetzung sollte eigentlich in der Pflanzperiode November 2017 bis April 2018 erfolgen. Gepflanzt wurde dann aber erst Ende April 2019 und auch erst, als die Verwaltung im Rathaus Tostedt auf das bisherige Versäumnis aufmerksam gemacht wurde.

Ich weiß nicht, wo groß zwei- bzw. dreijährige Bäume und Sträucher sein sollten, aber die gepflanzten ‚Stöckchen‘ geben wirklich nicht viel her. Uns soll es egal sein. Aber von dem „hohen Grünanteilen“ (lt. Begründung zur B-Planänderung) sehe ich weiterhin nicht viel – neben den Gebäuden vor allem Stellplätze und nochmals Stellplätze.

Russische Wochen (4) – Michael Bulgakow: Meister und Margarita

Komme ich zum vorerst letzten von mir gelesenem Buch meiner ‚russischen Wochen‘. Es ist ein Geschenk meines ältesten Sohnes und seiner Freundin, die russisch und vor allem weißrussisch als Muttersprache spricht, zum Vatertag. Der Autor, Michail Bulgakow, ist zwar in Kiew geboren, der heutigen Hauptstadt der Ukraine (bei seiner Geburt gehörte Kiew zum russischen Kaiserreich), er schrieb aber in russischer Sprache und gilt als einer der großen Satiriker der russischen Literatur. Seinen aberwitzigen Roman „Das hündische Herz“ habe ich bereits kurz vorgestellt. Heute geht es um sein Meisterwerk, an dem er zwölf Jahre (bis zu seinem Tode 1940 im Alter von 48 Jahren) schrieb: Meister und Margarita (dtv14301, vollständige Ausgabe 2014 – 7. Auflage 2019 – Мастер и Маргарита [Master i Margarita], 1966 – neu übersetzt und kommentiert von Alexander Nitzberg – mit einem Nachwort von Filicitas Hoppe).

Michael Bulgakow: Meister und Margarita
Michael Bulgakow: Meister und Margarita

Michail Afanassjewitsch Bulgakow, geboren am 15. Mai 1891 in Kiew, studierte Medizin, war Autor, Dramatiker, Übersetzer und Theaterregisseur. Berühmt wurden seine Romane und Erzählungen sowie seine Theaterstücke. Ab 1930 wurden die Werke Bulgakows in der Sowjetunion nicht mehr veröffentlicht. Der Schriftsteller stellte mehrfach Ausreiseanträge, die ihm jedoch verwehrt wurden.

Moskau um 1930: Zusammen mit seinen Gehilfen geht der Teufel um und wirbelt die Stadt mächtig durcheinander. Im Varietétheater richten sie ein heilloses Chaos an und stellen das Publikum – Bürger der Stalinzeit – mit all ihren Schwächen bloß. Die Behörden scheitern kläglich mit rationalen Erklärungsversuchen. Nur zwei Personen entgehen Schreck und Unbill: Der Meister – ein Schriftsteller, der seine Tage in der Psychiatrie zubringt – und Margarita, seine Geliebte, die sich in ihrem gutbürgerlichen Leben nach ihm sehnt.
Bulgakows Meisterwerk in der frischen und poetischen Neuübersetzung von Alexander Nitzberg ist eine auch heute noch hochpolitische Gesellschaftssatire – grotesk, aberwitzig und skurril: einer der schönsten Klassiker der Moderne.
(aus dem Klappentext)

Der Roman schildert in einer allegorischen und witzigen, satirischen Weise das Leben in Moskau zu dieser Zeit. Viele Kritiker zählen den Roman zu den wichtigsten russischen Erzählungen des 20. Jahrhunderts und halten ihn für eine der besten Satiren der Zeit, gerichtet gegen die starre, von Willkür geprägte Bürokratie sowie die Überwachungspraktiken und die Versorgungsengpässe in der dogmatisch atheistischen Sowjetunion.

Das zweite Hauptthema des Romans ist mit den menschlichen Werten wie Gut und Böse, Gott und Teufel, Leben und Tod verbunden. Die Erlösung aller Beteiligten, deren freiwilliges Werkzeug auch der Teufel ist, steht hierbei im Mittelpunkt. Einige Kapitel enthalten eine auf historische Glaubwürdigkeit bedachte Erzählung über Pontius Pilatus während der letzten Tage Jesu Christi, der in der Erzählung mit seinem hebräischen Namen Jeschua genannt wird.

Aus beiden Handlungssträngen ergibt sich das dritte Hauptthema: Keine größere Sünde als die Feigheit. Keiner der Moskauer Beteiligten ist wirklich bereit, sich der höheren Macht – teils der Staatsmacht, teils der des Satans (in Gestalt des Zauberkünstlers Voland) – zu stellen. Auch Pontius Pilatus verzichtet angesichts der Konsequenzen auf die Freilassung Jeschuas.
Ein weiteres Thema des Romans ist das des Künstlers und der Kunst.

Die Figuren des Romans

Keine Frage: Es ist ein herrlich skurriles Buch, das auch heute noch Bestand hat und uns tief in die russische Seele blicken lässt – nicht nur der Stalinzeit, sondern auch der Putin-Ära. Nicht umsonst hat der Roman jede Menge Adaptionen erfahren, wurde verfilmt, kam als Hörspiele heraus oder wurde in diversen Theaterausführungen verarbeitet.

„Es ist an der Zeit, Bulgakows Werk als große epische Dichtung zu entdecken – dafür hat Nitzberg den Weg freigemacht … man muss sich Satz und Satz auf der Zunge zergehen lassen.“ ‚BuchMarkt‘

„Sensationell! Kongenial!“ Felicitas von Lovenberg in ‚Literatur im Foyer‘

Mit diesem Roman enden für mich erst einmal die ‚russischen Wochen‘. Ich kann Bulgakow, aber natürlich auch die Werke Dostojewskis (und der vielen anderen russischen Autoren) nur wärmstens empfehlen. Jetzt in der Urlaubszeit sollte genügend Muße zum Lesen vorhanden sein.

siehe auch:
Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche
Russische Wochen (2) – Michael Bulgakow: Das hündische Herz
Russische Wochen (3) – Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Urlaub

Bekanntlich ist der Urlaub Ausgangspunkt vieler ehelicher resp. familiärer Auseinandersetzungen, die dann zu Scheidung, in einigen Fällen auch zu Mord und Totschlag führen. Selbst wenn es nicht dazu kommt, so kann ein Urlaub zu einer bis zu drei Wochen dauernden Lebenskrise führen. Jetzt in Coronazeiten dürfte das kaum besser sein. – Und bekanntlich obsiegt bei allen Urlaubsheimkehrern nach solch strapaziösen Tagen in der Ferne die Einsicht, dass es zu Hause doch am schönsten ist.

    Vom Alltagsleben, wo man sich immerhin alles einigermaßen eingerichtet und zurechtgelegt hat, unterscheidet sich dieser selbstquälerische Ausnahmezustand vor allem durch die den ganzen Tag in Anspruch nehmende Sorge um Ernährung und sonstige Notdurft. Und: werde ich heil zurückkehren?
    Eugen Egner über Urlaub

Notdurft: Willi muss mal für kleine Antons
Notdurft: Willi muss mal für kleine Antons

Okay, es liegt an uns selbst, was wir aus einem Urlaub machen. Meine Familie und ich haben die Urlaubstage eigentlich immer genossen. In diesem Jahr werden wir zwar nicht für einen längeren Zeitraum verreisen (mit meinen beiden Söhnen werde ich demnächst auf Radtour gehen; das ist ja auch Urlaub; und meine Frau darf sich auf ihre Art von mir erholen), aber die Abkehr von den eigenen vier Wänden hat schon sein Gutes. Wie gesagt: Anschließend wird einem das Daheim wieder besonders lieb.

Zuletzt zur allgemeinen Erheiterung noch etwas von Heinz Erhardt, der da wohl einen Begriff unterschiedlich zu interpretieren sucht:


Heinz Erhardt- Da kommt doch noch was – Der Urwald

Willi läuft wieder …

Lange ist es her, dass ich meine Laufschuhe schnürte, um an der frischen Luft etwas für meine Gesundheit zu tun. Nun ganz so optimal, wie ich es mir wünschte, war das vielleicht doch nicht. Meinen Knie tat es wohl nicht ganz so gut, da sie schon ‚vorgeschädigt‘ waren. Zuletzt vor über vier Jahren war ich ‚auf der Piste‘, dann ging es erst einmal nicht mehr. Das rechte Knie knirschte und schmerzte zunehmend. Nach Diagnose und OP, nach einer Reha, Krankengymnastik und Rehasport vor nun zwei Jahren dauerte es zwei weitere Jahre, bis ich es jetzt zum ersten Male wieder wagte, die Laufschuhe hervorzukramen und vorsichtig im Laufschritt die ersten Kilometer abzuspulen.

2500 km mit diesen Tretern
2500 km mit diesen Tretern

Eigentlich habe ich nicht mehr damit gerechnet, wieder einmal eine größere Runde zu drehen. Meinen Außensport betreibe ich auf dem Fahrrad. Das geht ganz gut. Und demnächst ist sogar eine längere Radtour mit meinen beiden Söhnen angesagt. Aber laufen …? Sicherlich liegt es am vermehrten Radfahren, dass sich mein rechtes Knie dadurch gestärkt auch wieder zum Laufen ‚eignet‘.

Natürlich werde ich mich schonen müssen. Ich werde es nicht übertreiben. Aber es grenzt doch fast an ein Wunder, dass ich nach so langer Zeit neben dem Bloggen auch wieder joggen kann.

Siehe auch: Bloggen und Joggen
und Laufen und saufen statt joggen und bloggen?

Nein, so doch nicht … (11): Neid

Das N-Wort sticht immer. Selbst unter den sieben Todsünden ist Neid die mit Abstand unpopulärste. Und anders als Wollust, Faulheit und Völlerei macht es auch nicht den geringsten Spaß, neidisch zu sein.
Jürgen Ziemer

Nein, so doch nicht ... Oder doch?!
Nein, so doch nicht … Oder doch?!

… und da Neid dermaßen unpopulär ist, versucht der Neider seine Missgunst möglichst für sich zu behalten. Innerlich kocht er, weil er es nicht soweit gebracht hat wie irgendwelche Dahergelaufenen. Wie können die nur und ich nicht … – Gern benutzt er ein Mäntelchen, um seinen Neid zu verstecken: Gerade die so genannte Flüchtlingskrise offenbart den Neid vieler, die sich gegenüber den ins Land gekommenen Flüchtlingen benachteiligt fühlen: Denen wird alles in den Hintern geschoben. Und ich …?! – Vielleicht rühre ich einmal meinen Arsch, dann bekomme ich das, was ich mir wünsche und muss gegenüber anderen nicht neidisch sein.

Natürlich eignet sich der Vorwurf, neidisch zu sein, anderen übelzuwollen als K.O.-Kriterium. Einer, der bestimmte Missstände anprangert, die vielleicht mit der Vergeudung von Geld zu tun haben, wird mundtot gemacht, wenn er als Neidhammel bezeichnet wird. In soweit sticht das N-Wort (fast) immer.

Wird das genauer betrachtet, so ist zu sehen, dass wir in einen Circulus vitiosus, einen Teufelskreis geraten sind. Der Neid als Vorwurf oder der Vorwurf als Zeichen des Neides?!

Ach, Jungs und Mädels, das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Leider ist der Neid heute zu einer politischen Waffe geworden, der sich besonders die Rechten gern bedienen. Und dabei, ich unterstreiche es geradezu, macht Neid wirklich keinen Spaß!

Russische Wochen (3) – Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Komme ich heute zum 3. Buch meiner ‚russischen Wochen‘. Es ist der 1873 veröffentlichte Roman Die Dämonen von Fjodor M. Dostojewski, den ich in folgender Ausgabe vorliegen habe: Deutscher Taschenbuch Verlag, München – 5. Auflage Juni 1982 – 31. – 36. Tausend – dtv weltliteratur – Dünndruck-Ausgabe – Vollständige Ausgabe. Aus dem Russischen übertragen von Marianne Kegel [Marianne Kegel: Die Teufel – Leipzig: Hesse & Becker 1924]. – Titel der Originalausgabe: Бесы ‚Besy‘ (Petersburg 1971/72)

Über dieses Buch:
Der Roman >Die Dämonen< ist eine der machtvollsten, beziehungsreichsten Schöpfungen Dostojewskijs. Seine Romantechnik erreicht hier in der Verbindung von packender Handlung mit tiefster philosophisch-religiöser Thematik ihren Höhepunkt. Ein >Buch des großen Zorns< hat ein russischer Kritiker >Die Dämonen< genannt. Das ist der Roman zweifellos in dem heftigen Angriff Dostojewskijs auf die „nihilistische“ Generation der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts.
Wie in Turgenjews >Väter und Söhne< steht sich die Welt der Väter und der Söhne gegenüber. Der Vater Stepan Trofimowitsch Werchowenskij ficht Dostojewskijs Kampf gegen den Utilitarismus der jungen Genaration aus. Vor seinem Tod läßt er sich aus dem Lukas-Evangelium die Geschichte von der Austreibung der Teufel vorlesen, die dem Roman den Titel und seine religiöse Entschlüsselung gibt. Die Teufel, die Dämonen Russlands, sind die Handlanger der Zerstörung um der Zerstörung willen, vertreten durch den Sohn und Mörder aus politischen Motiven, Pjotr Stepanowitsch, durch die Hauptfigur Nikolaj Stawrogin und seinen Kreis der Nihilisten. Stawrogin ist ein von Machtgier und Zerstörungslust Besessener, der ein Leben voller Ausschweifungen und Grausamkeiten führt und sich schließlich, innerlich gescheitert, erhängt.

War der Ausgangspunkt Dostojewskijs zunächst weltanschaulicher Natur – der Konflikt zwischen den atheistischen, westlich orientierten Revolutionären und seiner nationalen, christlich-orthodoxen Überzeugung -, so wird immer mehr zum eigentlichen Thema, was der Dichter in einem Brief über den Romanplan schrieb: „Die Hauptprobleme, durch alle Teile des Romans hin, werden die gleichen sein, von denen ich bewußt und unbewußt während meines ganzen Lebens gequält worden bin – die Existenz Gottes.“

Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen
Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Das ist kein Buch, das man liest, das ist ein Abgrund, in den man hineinstürzt. Mir schien damals, ich habe durch diese Lektüre endgültig erfahren, was Leben wirklich ist: sich hilf- und heillos verstricken und schuldlos schuldig werden. Verzweifelt wie alle Personen des Romans bot sich mir als Ausweg jener an, den Kirillow und Stawrogin wählten: Selbstmord. So ein Buch ist das. Ein gefährliches Buch, wenn man es nicht ganz zu Ende liest.
[…]
Bei der Sitzung eine[s diese]r „Fünferkomitees“ legt ein Mitglied, Schigaljow, sein Buch vor, in dem er das Bild der künftigen sozialistischen Gesellschaft entwirft, ein Bild, gegen das, so sagt er, alle Gedanken früherer Reformer nichts als törichte Träume seien. Jedoch: er bekennt, sich selbst in seinen Ideen verirrt zu haben, und er müsse sehen, daß seine Propagierung der unbeschränkten Freiheit des einzelnen geradewegs in den unbeschränkten Despotismus führen. Es gebe keinen andern Weg als die Teilung des Volks in zwei Gruppen: ein Zehntel erhalte die unbeschränkte Freiheit und damit die absolute Macht, der Rest müsse entmündigt und damit in den „ursprünglichen Zustand der Lämmerunschuld zurückgeführt werden“. Das Ideal der totalen Diktatur, die Vorwegnahme des Faschismus und Stalinismus. (Quelle: zeit.de)

Aber damit endet Dostojewskis Hellsicht noch nicht. Es ist Pjotr Werchowenski, dem das Charisma eines Stawrogin abgeht, der diesen daher als ’neuen Zaren‘ auserkoren hat. Warum erinnert mich das so sehr an Putin, der mit seiner Scheindemokratie eine neue Form des Zarentums begründet hat. Stawrogin wollte nicht und nahm sich das Leben, Putin will dafür um so mehr …

Personenverzeichnis als PDF-Datei

siehe auch:
Heute Ruhetag (16): Fjodor Michailowitsch Dostojewski – Die Dämonen (nachzulesen bei zeno.org)

sowie:
Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche
Russische Wochen (2) – Michael Bulgakow: Das hündische Herz

Sommerfrische

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil`s wohltut, weil`s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.

Und lass deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.

Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz

Tun wir es dem Dichter gleich und denken nicht weiter als einen Grashüpferhupf. Mit einer Eistüte auf dem Gewissen und Sonne im Kopf frönen wir dem Sommer und Joachim Ringelnatz. Und mit seinen Gedichten. Wenn nicht jetzt, wann dann …

Große Film-Sammlung zum 75. Geburtstag von Wim Wenders

Er ist als Vorreiter des Neuen Deutschen Films international bekannt geworden und gilt als einer der renommiertesten Vertreter des Deutschen Kinos der Gegenwart: Der Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Fotograf Wim Wenders, der in seinem kreativen Leben zahlreiche Filmpreise und Auszeichnungen erhielt. Anlässlich seines 75. Geburtstags sind ab 14. Juli 28 seiner Filme für 3 Monate exklusiv in der ARD Mediathek zu sehen, darunter die Klassiker „Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“, „Buena Vista Social Club“, „Pina“ und „Palermo Shooting“.

Action: Wim Wenders wird am 14. August 75 Jahre alt
Action: Wim Wenders wird am 14. August 75 Jahre alt

Online-Downloads der Wim Wenders-Filme über MediathekView möglich (bis zu FullHD)

Russische Wochen (2) – Michael Bulgakow: Das hündische Herz

Zum Vatertag bekam ich von dem älteren meiner beiden Söhne und seiner Freundin ein Buch geschenkt, das ich inzwischen gelesen habe. Es ist der Roman Meister und Margarita von Michail Bulgakow. Dazu später mehr. Inzwischen hat mir mein Sohn zwei weitere Bücher dieses Autoren ausgeliehen und ich habe mir das deutlich kleinere Buch, den Roman Das hündische Herz: Eine fürchterliche Geschichte [Собачье сердце, 1925], aus dem Russischen übertagen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Alexander Nitzberg – dtv, München – vollständige Ausgabe 2014 – 3. Auflage 2017, zu Gemüte geführt.

Michael Bulgakow: Das hündische Herz
Michael Bulgakow: Das hündische Herz

Hundeherz, in der neuen Übersetzung: Ein hündisches Herz (Originaltitel russisch Собачье сердце, transkribiert Sobatschje serdze) ist eine Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Sie ist eine zynische Satire auf den von der Sowjetunion propagierten „neuen sowjetischen Menschen“ und handelt von einem durch ein Experiment entstandenen grobschlächtig-ruchlosen „Hundemenschen“, der sich zum Alptraum für seinen Schöpfer entwickelt.

Verfasst wurde das Werk 1925, zur Zeit der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), als in der Sowjetunion kapitalistische Wirtschaftsmechanismen teilweise wieder eingeführt wurden, was heftige politische Auseinandersetzungen und Kämpfe mit sich zog und auch einen grundlegenden Wandel in der Partei selbst zur Folge hatte: Der kommunistische Idealist trat in den Hintergrund zugunsten des kommunistischen Bürokraten. Obschon die NÖP zu einer relativ gemäßigten Haltung gegenüber Schriftstellern und Künstlern führte, wurde Hundeherz, mit seinen unverkennbaren allegorischen Anspielungen auf Widersprüche zwischen ursprünglichen revolutionären Hoffnungen, offizieller Propaganda und den Realitäten der NÖP-Zeit, verboten. Erst 1987, 47 Jahre nach dem Tode des Autors, konnte die Erzählung in der Sowjetunion erscheinen.

Um 1925. Der renommierte Moskauer Chirurg Professor Preobraschenski nimmt einen Straßenköter mit nach Hause – nicht aus Mitleid, sondern um seiner Experimente willen: Sein Ziel ist der >neue Mensch< ... Bugakows bissiger Klassiker, erstmals nach der letzten Fassung des Autors neu übersetzt, ist nicht nur eine moderne Mixtur aus russischem Faust, Frankenstein und Pygmalion, sondern auch eine aberwitzige Parabel auf die neue Sowjetgesellschaft, auf die Grenzen der Wissenschaft sowie die menschliche Natur im Allgemeinen. (aus dem Klappentext)

Moskau um 1925: Der hoch angesehene Chirurg Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski ist auf berjüngende Eingriffe spezialisiert. Aber heimlich experimentiert er – mit Hunden. Bei Lumpi, dem Straßenköter, scheint das Experiment endlich erfolgreich …

„Ich bin vom Stuhl gefallen. Ein Buch, das auf abgründige Weise das Bild des biotechnisch hergestellten Neuen Menschen so vernichtend darstellt – das ist ungeheuerlich.“ Rüdiger Safranski im >Literaturclub< (Schweizer Radio und Fernsehen) „Es ist die erste Übersetzung ins Deutsche, die Geist und Gestus des radikal modernen Werkes wirklich erfasst …“ Eckhard Stuff in rbb kulturradio

siehe auch:
Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche