Kategorie-Archiv: Wiedergelesen

Wiedergelesen – wiederentdeckte Literatur

Leerizismus (1)

Nein, ihr braucht es erst gar nicht zu googeln: Leerizismus ist die Übersetzung eines Neologismus (voidancy, eine Wortschöpfung des Autors zu voidance = Entleerung), den Wole Soyinka, Träger des Nobelpreises für Literatur 1986, in einem seiner Romane prägte: Leerizismus zu leer wie inhaltslos (geistige Gegenstände), hohl, alle (Gefäße), nüchtern (Magen) – wohl zum englischen empty gebildet. Soyinka lässt einen nigerianischen Intellektuellen, den Journalisten Sagoe, in seinem 1965 erschienen Buch sprechen und verunsichert damit den Botenjungen Mathias, indem er gewissermaßen ‚ins Leere’ hinein philosophiert. Das Ganze geht dann sogar in späteren Kapiteln noch weiter …

    Leerizismus - leere Hände

Mathias grinste breit, und Sagoe räusperte sich.

„ … Mit diesem Tag grabsinge ich allen anderen –ismen, vom homöopathischen Marxismus bis zum Existentialismus. Wenn ich hier meine eigene Person einbringe, dann deshalb, weil die Übermittlung meiner Geschichte nicht mehr und nicht weniger ist als die Enthüllung des Wunders meiner philosophischen Entwicklung, handelt es sich hier doch um einen Ritualismus, für den ich keinem anderen Vorläufer zu dank verpflichtet bin als der gesamten Menschheit selbst, handelt es sich hier doch um eine Erkenntnis, für die ich keinen anderen Urgrund anerkennen kann als die unveränderlichen Gesetze der Natur. Wenn ich hier meine eigene Person einringe, dann deshalb, weil es sich hier um die innerlichste aller nach innen gekehrten Philosophien menschlicher Existenz handelt. Funktionell, spirituell, kreativ oder rituell, der Leerizismus bleibt die einzig wahre Philosophie des wahren Egoisten. Als Definition, meine Damen und Herren, genüge uns dies: Leeriszismus ist keine Protestbewegung, aber er protestiert; es ist unrevolutionär, aber er revoltiert. Leeriszismus, so möchten wir sagen, ist die unbekannte Größe. Leerizismus ist die letzte auf keiner Karte verzeichnete Fundgrube schöpferischer Kräfte, in seinem Paradoxon liegt der Kern der kreativen Liturgie – in der Freigabe liegt das Erzeugnis. Ich bin kein Messias und doch kann ich nicht umhin zu glauben, ich wurde geboren, diese Rolle zu übernehmen, denn die Natur meiner kongenialen Leiden barg in sich bereits die ersten Anzeichen meines späteren Martyriums und der unvermeidlichen Apotheose. Ich wurde mit einem emotionellen Magen geboren: war ich ärgerlich, revoltierte er; war ich hungrig, schlug er Krawall; wurde ich getadelt, reagierte er prompt; wurde ich enttäuscht, geriet er aus dem Häuschen; er drehte sich um bei Furcht, verkrampfte sich in Momenten der Spannung, er war misstrauisch in Examenssituationen und gänzlich unberechenbar während des Liebesaktes. Meine lieben Freunde, einem Propheten gebührt die Ehre … Oft verdächtigte man mich der Drückebergerei und war mit der Strafe rasch bei der Hand; doch gerade die Begleiterscheinungen des Stark ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühls ist ein Zeichen für die Feinfühligkeit des emotionellen Magens. Weiteren Einfluß auf die Entwicklung meiner Leerungsintroversion nahm die Tante einer Freundin aus Kindertagen, die manchmal zu uns zu Besuch kam. Sie furzte wie Beelzebub. Doch eine noch viel größere Erleuchtung war meine eigene Mutter, die, obschon Opfer des gleichen Leidens, doch zugleich eine tief religiöse Furzerin war. Sie prahlte damit – selbst als sie schon mit einem Fuß im Grabe stand -, daß Gottes Stimme ein Wind sei und daß Gott es keinen Tag verabsäume, nach dem Abendgebet zu ihr zu sprechen. Alle Haushaltsmitglieder trommelte sie als Zeugen zusammen, und alle sagten – Amen. Meine Vorstellung vom rechten Ort für das Gebet formte sich daher wohl in jenen Tagen, als ich erkannte, daß der Grund, die Toilette aufzusuchen, weniger in der physiologischen Notwendigkeit als vielmehr in einem psychologischen und religiösen Druck lag. Bereits in dieser Lebensperiode begann ich mich dem Problem zu widmen, dem ich später in systematischen, objektiven Forschungen weiter nachging, dem Problem des digestiven Behaviorismus beim sensiblen Kind. Ich sprach zwar auf die wohlbekannte Pose des Schnell-fertig-und-weg gut an, doch mitunter erfuhr ich eine Selbstbesinnung, eine Entschlossenheit, einen Glauben, einen inneren Frieden; ich entwickelte eine geistige Fühlungnahme mit einer Welt der Spannungen und Widersprüche …“

Sagoe hielt inne und blickte Mathias an, der mit offenem Mund dasaß. Erklappte das Manuskript zu und sagte: „Das war’s für heute, Mathias. Die erste Lektion ist vorbei.“

Mathias würgte ein „Yessah. Dankschön, Sah“ hervor und ließ Sagoe mit seiner Dissertation allein. Beim Hinausgehen schwenkte er die Bierflasche übertrieben lässig, um zu kaschieren, wie froh er war, endlich wegzukommen.

aus: Wole Soyinka: Die Ausleger (S. 100 ff. – Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)

Klabund: Borgia

Heute Abend läuft der letzte Teil der insgesamt 6-teiligen Historienreihe Borgia (Gemeinschaftsproduktion Tschechien/Deutschland/USA 2011) im ZDF. In der ZDFmediathek sind alle (anderen) Teile zz. auch online zu sehen. Ich selbst habe mir die am Ende 600 Minuten dauernde TV-Reihe allein schon aus Zeitgründen nicht angeschaut. Dafür habe ich aber den gleichnamigen Roman von Klabund gelesen: Borgia

„‚Roman einer Familie’ nannte Klabund dieses fesselnde und brillant geschriebene Buch. Die ‚Familie’ ist das berühmt-berüchtigte Adelsgeschlecht der Borgia, das zeitweise ganz Italien und in der Person zweier Päpste das ganze Abendland unter seine Herrschaft zwang. Grausamkeit und Verschlagenheit, die absolute Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel halfen ihnen, ihre Macht zu festigen und auszuweiten.

Mord an den nächsten Verwandten, Liebe als Machtspiel, Blutschande zwischen Vater-Papst Alexander VI. und seinen Kindern bezeichnen die Maßlosigkeit im Leben der Borgia.

Giftkelch und Meucheldolch regieren unangefochten. Doch auf diesem Gipfel der Macht fallen die Borgia ihnen selber zum Opfer.“

„Klabund, eigentlich Alfred Henschke, wurde 1890 in Crossen a. d. Oder geboren. Nach dem Studium der Literatur und Philosophie in München und Lausanne lebte er als freier Schriftsteller in München, Berlin und in der Schweiz.

Er war ein ungestümer, aufsässiger Mensch, der sich in viele Skandale verwickelte, erotische Themen bevorzugte, wenig Freunde hatte – bis auf Gottfried Benn.
Der Roman Borgia erschien zum ersten Mal nach Klabunds Tod im Jahre 1928.“

Aus dem Klappentext zu Klabund – Borgia – Roman einer Familie – Fischer Taschenbuch Verlag – 16. – 20. Tausend: August 1980

Natürlich dürfte sich die TV-Serie kaum mit diesem kleinen Büchlein von gut 100 Seiten vergleichen lassen. Die Bezeichnung Roman ist sicherlich nicht ganz richtig, nicht ausreichend. Es ist eine Erzählung in Episoden verfasst, die gleichsam Dialoge wie in einem Theaterstück und Szenen wie in einem Film enthält. Schon allein daraus ergibt sich eine besondere Spannung. Im Mittelpunkt stehen natürlich die Borgias, vor allem Rodrigo Borgia, der als Papst Alexander VI. in die Geschichtsbücher einging, Cesare Borgia, der Niccolò Machiavelli als Vorbild für seinen Il Principe („Der Fürst“), den rücksichtslosen Machtpolitiker, diente, und Lucrezia Borgia, die oft als Instrument der Politik ihres Vaters herhalten musste. Daneben spielt Fra Girolamo Savonarola aus Ferrara in dem Roman eine größere Rolle, Savonarola, der von Florenz aus mit seiner Kritik am Lebenswandel des herrschenden Adels und Klerus, hier besonders an dem Papst, den er bezichtigte, der Antichrist zu sein, für Aufsehen sorgte – und nachdem er von Papst Alexander VI. als ‚Häretiker, Schismatiker und Verächter des Hl. Stuhles’ exkommuniziert wurde, vor einer riesigen Menschenmenge auf dem Scheitelhaufen landete. Aber auch der Florentiner Bildhauer und Maler Michel Angelo erscheint in einem Treffen mit Lucrezia Borgia und malt sie als „Leda vom Schwan geliebkost. [Als] Venus von Amor geliebkost.“ (S.74). Und der Christus in der römischen Pietà, „trägt er nicht die Züge jenes in Florenz verbrannten Fra Girolamo – jenes unseligen Ketzers –“? (S. 74). Natürlich treffen wir in dem Buch auch Cesare Borgia im Gespräch mit Niccolò Machiavelli.

Klabund („KLAbautermann und VagaBUND“) gelingt mit Borgia „ein grausiger Alptraum von Macht und Schicksal, Mord und Blutschande.“ „Marcel Reich-Ranicki nannte ihn – vielleicht mit Bedauern – vierzig Jahre nach Klabunds Tod »nur noch eine literarhistorische Erscheinung«. Inzwischen kann Klabund allerdings neu entdeckt werden, denn er wird in der ganzen Breite seines Schreibens wieder zugänglich gemacht: Im kleinen Heidelberger Eifenbein-Verlag liegt eine achtbändige Lese- und Studienedition der Werke Klabunds nach dem Text der Erstdrucke vor.“ (aus: KLABAUTERMANN UND VAGABUND: Eine Einführung von Christian von Zimmermann).

Hermann Hesse: Stufen

Hermann Hesse widmete sich in seinem Tun und literarischem Schaffen dem Individuum. Seine Romane, Erzählungen und Gedichte haben immer wieder die Selbstverwirklichung, die Selbstwerdung, die Autoreflexion des einzelnen zum Thema. Im Glasperlenspiel nun findet das individuelle Leben in eine überpersönlichen Gemeinschaft seine Einordnung. Obwohl es hier um eine streng hierarchisch geordnete Gesellschaft geht, so ist diese zutiefst human und lässt dem Einzelnen die Wahlmöglichkeit.

Aus diesem Roman stammt das wohl von Hesse bekannteste Gedicht: Stufen.

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and’re, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Hermann Hesse: Stufen

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Hermann Hesse)

Vergessene Stücke (12): Botho Strauß – Kalldewey, Farce

Botho Strauß (* 2. Dezember 1944 in Naumburg) ist ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker. Er gehört zu den erfolgreichsten und meistgespielten zeitgenössischen Dramatikern auf deutschen Bühnen. Sein Stück Kalldewey, eine Farce, wurde am 31.01.1982 in der Regie von Niels-Peter Rudolph am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt.

Das Stück von Botho Strauß selbst kenne ich aus einem Band mit verschiedenen Theaterstücken (suhrkamp taschenbuch 1190 – 1. Auflage 1985) Theater heute, dessen andere Stücke ich hier bereits alle vorgestellt habe.

Personen:
Der Mann (Hans)
Die Frau (Lynn)
K (Kattrin)
M (Meret)
Zweiter Mann (Kalldewey)
Kellner/Chef

M: … nur Lieb und Graus …

„Lynn und Hans wollen Abschied nehmen und kommen doch nicht voneinander los. Dann explodiert die Elegie, anfangs verbal und kurz darauf in einer Orgie der Gewalt, die Küsse auf Bisse reimt: Lynn hat zwei Lesben angeheuert, mit deren Hilfe sie ihren Mann zerfetzt und in die Waschmaschine stopft. Erneut abrupter Szenenwechsel: Alle sind wieder wohlbehalten auf der Bühne, bilden inzwischen eine Art Therapiegemeinschaft und feiern Lynns Geburtstag. Neben Hans erscheint ein zweiter Mann, den keiner kennt und keiner eingeladen hat. Er heiße Kalldewey, sagt er, gibt ein paar Obszönitäten von sich und bleibt ansonsten stumm. Zuerst ist er den anderen lästig, doch als er so plötzlich, wie er kam, verschwindet, fehlt er ihnen sehr. Ein zweites Mal sind Lynn und Hans mit sich allein, bis der letzte Akt sie auf den Korridor eines Bürogebäudes katapultiert. Der Chef, von dem man nur die Stimme hört, ist hier zugleich der Therapeut und lässt alle ohne allzu großes Zutun in turbulenten Rollenspielen ihre Konflikte mit sich, Gott und der Welt durchexerzieren …“ (Quelle: rowohlt-theaterverlag.de)

Der Mann: Da gab es einmal einen Rattenfänger, dem sind wir hinterher. Mit seiner Flöte zog er uns das Ungeziefer von der Seele und ertränkte es im Vergessensfluß.

Strauß‘ Persiflage auf das Heilsbegehren westlicher Wohlstandsmenschen wurde 1982 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet: „Kalldewey, Farce beschreibt die Zerstörtheit ehelicher und nicht-ehelicher Zweierbeziehungen, die Scharlatanerie der zur Routine gewordenen Seelen- und Gruppentherapie, das Versatzstückhafte einer sich anti-bürgerlich gebenden Sprache. Kalldewey, Farce ist gleichzeitig ein Beitrag zu einer zeitgenössischen Dramaturgie. Das Stück bekennt sich in jedem Augenblick dazu … nichts als Theater zu sein.“ (Aus der Begründung der Jury – Quelle: rowohlt-theaterverlag.de)

Der Mann: Es war dies nur ein Spiel mit tieferen Spielen
Nicht wirkliche Magie: nach Katalog bestellte Therapie
Ein Wühlen in der Krabbelkiste namens Seele
Restposten, alte Wünsche grün und blau
Spottbillig der Krempel, man wühlt sich
Durch Gelegenheiten, halb gierig, halb interesselos
Und bringt bestimmt was Überflüssiges nach Haus.
Dennoch hab ich viel dazugewonnen.
Die Kur war schlimm, die Regeln wirr
Doch hätt ich niemals bessere Partner finden können
Als ihr es wart, ihr drei, ihr wart fantastisch
Ich dank euch vielmals, große Könner!

K: Nun lassen wir noch etwas liegen hier,
nur zur Erinnerung – für Kalldewey.

Stücke, Prosa und mehr von Botho Strauß

Hermann Hesse: Welkes Blatt

Heute ist Herbstbeginn. Da passt ein einwenig melancholisches Gedicht von Hermann Hesse ganz gut. Ich liebe die Farben des Herbstes, dieses Gemisch aus Gelb, Braun und Rot mit verbliebenem Grün. Und wenn, wie hoffentlich an diesem Wochenende, die Sonne hinzukommt, dann wirkt alles golden.

Jede Blüte will zur Frucht,
jeder Morgen Abend werden,
Ewiges ist nicht auf Erden
als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will
einmal Herbst und Welke spüren.
Halte, Blatt, geduldig still,
wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
lass es still geschehen.
Lass vom Winde, der dich bricht,
dich nach Hause wehen.

Hermann Hesse: Welkes Blatt

Hintergrundbild „Herbstwald in Deutschland“ von Martin.Heiss

Ernst Deutsch Theater: Friedrich Dürrenmatt – Die Physiker

Es ist schon eine finstere Komödie des finstersten Komödienschreibers (Dürrenmatt über sich selbst): Die Physiker. Eine Komödie in zwei Akten, die noch bis zum 24.09. am Ernst Deutsch Theater läuft.

Ensemble des Ernst Deutsch Theaters (aus dem Programmheft)
Ensemble des Ernst Deutsch Theaters (aus dem Programmheft)

Möbius: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“
(s. 85 – Diogenes – Neufassung 1980 – Copyright 1998)

Das ist wohl die Kernaussage aus Friedrich Dürrenmatts Komödie Die Physiker, die ich am letzten Freitag mit dem älteren meiner Söhne und seinem Freund in Hamburg angeschaut habe (siehe auch meinen Beitrag: Wiederaufgeführte Stücke: Friedrich Dürrenmatt – Die Physiker). Das, was wir wissen, lässt sich nicht mehr aus dieser Welt räumen. Das Wissen um die Atomkraft, das Know-how um den Bau einer Atombombe ist dokumentiert und unwiderrufbar. Gerade durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima ist Dürrenmatts Stück wieder aktueller als je zuvor. Neuester ‚Zwischenfall’: Die Explosion eines Ofens für radioaktive Abfälle in der französischen Atomanlage in Marcoule.

Eintrittskarte Ernst Deutsch Theater
Eintrittskarte Ernst Deutsch Theater

Personen (mit den Darstellern vom Ernst Deutsch Theater):

Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd – Irrenärztin (Cornelia Kempers)
Marta Boll – Oberschwester (Karen Friesicke)
Monika Stettler – Krankenschwester (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki)
Uwe Sievers – Oberpfleger (Ralph Sporleder)
McArthur – Pfleger (—)
Murillo – Pfleger (Oliver Warsitz)
Herbert Georg Beutler, genannt Newton – Patient (Günter Schaupp)
Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein – Patient (Konstantin Graudus)
Johann Wilhelm Möbius – Patient (Christoph Tomanek)
Missionar Oskar Rose (Oliver Warsitz)
Frau Missionar Lina Rose (Jessica Kosmalla)
Adolf-Friedrich – Kind von Lina Rose bzw. J. W. Möbius (Ben Münchow)
Wilfried- Kaspar – Kind von Lina Rose bzw. J. W. Möbius (Mischa Warken/Niclas Löwendorf)
Jörg-Lukas – Kind von Lina Rose bzw. J. W. Möbius (Jesko Kosmalla/Simon Friesicke)
Richard Voß – Kriminalinspektor (Hartmut Schories)
Guhl – Polizist (—)
Blocher – Polizist (Pascal Pawlowski)
Gerichtsmediziner (—)

Regie: Wolf-Dietrich Sprenger
Ausstattung: Achim Römer
Musik: Christoph Iacono

Ort: Salon einer bequemen, wenn auch etwas verlotterten Villa des privaten Sanatoriums ‚Les Cerisiers’. – Nähere Umgebung: Zuerst natürliches, dann verbautes Seeufer, später eine mittlere, beinahe kleine Stadt.

aus dem Klappentext zum Buch:
„Dürrenmatt hat versucht, die paradoxe Situation darzustellen, in die das fortgeschrittenste Wissen, das der Kernphysik, geraten ist. Es gilt uns als Gipfel menschlicher Erkenntnis. Seine Formulierung hat auch die Hinrichtung der Welt möglich gemacht. Was machen die Entdecker, wenn sie Verantwortung für die Welt spüren? Gibt es Bewahrung der Welt vor dem Wissen? Bewahrung des Wissens vor dem Zugriff der Macht? Die Lösung der Frage führt – auf das Theater. Zum Versteckspiel, zur Maskerade.

Dürrenmatts Kernphysiker Möbius, der Entdecker der furchtbaren Formel, flüchtet, seine Familie preisgebend, ins Irrenhaus. Er spielt Irrsinn, er fingiert die Heimsuchung durch den Geist Salomos, um das, was er entdeckte, als Produkt des Irrsinns zu diffamieren. Maskerade wird da zu einem moralischen Akt.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Dürrenmatt führt seine Geschichte mit unerbittlicher Konsequenz zu einem Ende, welches die Türen dieses Irrenhauses aufsprengt, tödlich gefährdenden Explosionsstoff aus den eben noch schützenden Mauern entläßt in eine schutzlos preisgegebene Welt, und kein Zuschauer entzieht sich tiefster Betroffenheit. Was Dürrenmatt hier aus den Maskierungen gewinnt, wie er etwa das Geigenspiel Einsteins einsetzt, wie er die Positionen fortlaufend vertauscht: das ist nicht nur virtuos, es ist einzigartig. Dürrenmatts Komödie ‚Die Physiker’ wird im Theaterleben der Gegenwart Epoche machen.“ Irma Voser / Neue Züricher Zeitung

Die Aufführung der Komödie hat uns übrigens allen drei sehr gut gefallen. In der theatralischen Überspitzung überzeugt das Stück – live auf die Bühne gestellt – mehr als der reine Lesestoff zu Hause.

Was schrieb Dürrenmatt in seinen 21 Punkten zu diesem Stück?
(16) Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkungen alle Menschen.
(17) Was alle angeht, können nur alle lösen.

Wiederaufgeführte Stücke: Friedrich Dürrenmatt – Die Physiker

Das Ernst Deutsch Theater in Hamburg ist mit 744 Sitzplätzen. Deutschlands größtes privatgeführtes Theater. Die Spielstätte befindet sich am Friedrich-Schütter-Platz im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst, Bezirk Hamburg-Nord, im ehemaligen, 1962 geschlossenen UFA-Palast-Kino an der Mundsburg.

Bis zum 24. September d.J. wird nun am Ernst Deutsch Theater in der Regie von Wolf-Dietrich Sprenger das Stück Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt aufgeführt. Diese Komödie entstand 1961, ist also fast 50 Jahre alt, und wurde am 21. Februar 1962 unter der Regie von Kurt Horwitz im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. 1980 überarbeitete Dürrenmatt das Theaterstück zu einer Endfassung für seine Werkausgabe. Diese Fassung Die Physiker. Eine Komödie in zwei Akten habe ich mir jetzt zugelegt, um das Stück zu lesen, bevor ich es mir dann voraussichtlich am nächsten Wochenende mit meinen Söhnen anschauen werde.

Zum Inhalt:

In einem Privatsanatorium leben unter Aufsicht von Frau Dr. von Zahnd drei verrückte Physiker: Ernst Heinrich Ernesti, der sich für Einstein hält, Georg Beutler, der meint, Newton zu sein, und Johann Wilhelm Möbius, dem regelmäßig König Salomon erscheint. Bereits zum zweiten Mal ist hier eine Krankenschwester erdrosselt aufgefunden worden. Die mysteriösen Morde soll Inspektor Voss aufklären …

Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali

Als wir vor einigen Jahren unseren Reise in die Wüste Südtunesiens planten, fiel mir beim Buchhändler ein Roman in die Hand, der im Wesentlichen in der größten Sandwüste unserer Erde, der Rub’ Al-Khali, spielt: Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali – Invention über das Spiel (1. Auflage btb Taschenbuch im Goldmann Verlag – 1996).

Die Kritiken sprechen für sich:
„Besessen wie Reinald Goetz, belesen wie ein Gelehrter alten Schlages, dazu furchtlos wie der junge Clint Eastwood.“, schrieb damals DIE ZEIT über Michael Roes bzw. „Das ist Literatur pur!“ (Die Zeit). – „Eine kühne Gratwanderung zwischen den Gattungen: Abenteuerroman, Ethnographie, phantastische Legende und autobiographisches Fragment.“ (Die Woche)

Und nicht umsonst habe ich dieses 800 Seiten umfassende Buch bereits mehrmals in diesem Blog zur Sprache gebracht (Lob der KinderarbeitDas Leben als SpielDer heilige KriegKamelliste). Heute komme ich nun zum Buch selbst, das u.a. auch Ergebnis von ethnologischen Studien des Autors ist, als dieser im Rahmen eines ethnologischen Forschungsprojektes 1994 /1995 ein Jahr im Jemen verbrachte.


Sana’a/Jemen

„Zwei deutsche Forschungsreisende machen sich auf in jenes Wüstengebiet Südarabiens, das Rub’ Al-Khali, Leeres Viertel, genannt wird. Beide führen ein Tagebuch. Nur reiste der eine am Ende des 18. Jahrhunderts und war auf der Suche nach den mosaischen Gesetzestafeln. Der andere folgt 200 Jahre später den Spuren seines Vorgängers, um eine Theorie über archaische Formen des Spielens zu entwickeln. Für beide wird es eine Reise ins Ich und in die Fremde …“
(Klappentext)

Oder wie es auf der Innentext zum Buch heißt:
„Ein junger deutscher Völkerkundler unternimmt eine Forschungsreise nach Südarabien. Ziel seines großangelegten Projektes ist das Sammeln der Spiele der arabischen Welt, mit deren Hilfe er eine übergreifende Theorie über den Zusammenhang zwischen Spiel und menschlicher Kultur entwickeln will. Während der Anreise liest er die Abschrift eines alten Berichts über eine Expedition in den Orient, auf die er in der Herzogin-Anna-Bibliothek zu Weimar gestoßen ist. Der Verfasser des Berichts, Alois Schnittke, macht sich am Ausgang des 18. Jahrhunderts auf den Weg von Weimar in die größte Sandwüste der Welt, die Rub’ Al-Khali. Er und seine Reisegefährten brechen auf, das Geheimnis der mosaischen Gesetzestafeln zu ergründen. Das Reisetagebuch berichtet von stürmischen Seefahrten, singendem Sand, der Pest, Beduinenüberfällen, der Königin von Saba und Amazonen, Scheichs und Narren, einem geheimnisvollen Reverend Fox, der die Christianisierung der Heiden im Sinn führt, einer verborgenen Bibliothek, Stammesbrüdern, die sich als die Wächter der Gesetzestafeln herausstellen, nächtlichen Leichenraub und schließlich dem Tod der Reisegefährten …“ Schnittke ist der einzige Überlebende des Unternehmens.

Zunächst: Die Geschichten beider Forschungsreisenden werden parallel erzählt, und es gibt Entsprechungen zwischen ihren Geschichten, denn auch Schnittke interessiert sich für Spiele wie der Tagebuchautor heutigen Tags. Und beide werden durch einheimische Stämme im Jemen verschleppt. Unterschieden werden die Berichte durch die Orthographie, die Schnittkes kommt altertümlich daher, die andere in gemäßigter Kleinschreibung (und das ß wird zu sz).

„Baron Ernst Eugen le da Motte, Poet, Diplomat, Mäzen, Financier und Führer der Expedition, Doctor Tertulio Liebetrud Schotenbauer, Altphilologe, Historiker und tragischer Abklatscher, und zweyfellos auch der Geist unseres immer theilnahmsvollen Gefährten, des Arztes und Botanikers Hans-Jakob Schlichter, […] meine Wenigkeit, Acteur und Publicum zugleich, Prospectmaler, Marionettenspieler, Theaterdirector und Principal Alois Ferdinand Schnittke, gegenwärthig persönlicher Secretaire des edlen Chef de Mission und, in aller Bescheidenhait, selbsternannter Chronist der Sitten und Gebräuche der orientalischen Völker nebst besonderer Berücksichtigung ihrer lustigen Compagnien und schrecklichen Sprachkriege, und sein stummer Bruder, ja, Schatten Frere Jacque d’Afrique […].“ (S. 294)

Das geheime Ziel besteht in der Wiederfindung der mosaischen Gesetzestafeln, die bekanntlich König Salomo einst fahrlässig der im Jemen residierenden Königin von Saba anvertraute. Schnittke findet sie am Ende tatsächlich, doch seine drei Gefährten verlieren bei dem Wüstenabenteuer ihr Leben. Natürlich sind die Tafeln leer, und auch die Spuren ihres Entdeckers verlieren sich irgendwann im „Leeren Viertel“.

Diese Tagebuchaufzeichnungen sind übrigens fiktiv und zum Teil eine Montage aus alten Reiseberichten verschiedenster Autoren.

Kommen wir in das Jahr 1994 und damit in die Wirren des jemenitischen Bürgerkriegs. Der junge Ethnologe fliegt nach Sana’a, der Hauptstadt des Jemens, um dort und in der Umgebung die Spiele der arabischen Welt, besonders der Kinder, zu erforschen. Sicherlich ist die Beschreibung der vielen Spiele manchmal ermüdend. Aber ich mag solche Bücher, die Momentaufnahmen einer Welt sind, die vielleicht schon bald in dieser Form nicht mehr existieren wird (Stichwort: arabischer ‚Frühling’, der mit vielen Veränderungen daherkommen wird). Bemerkenswert dabei ist die Feststellung, dass viele der hier genannten Spielen auch bei uns bekannt sind. Die Ergebnis seiner Forschungen versucht nun der Autor in eine „Invention über das Spiel“, einer Art Theorie, zusammenzufassen. Wesentliche Impulse für diese Arbeit gewinnt er dabei aus Ludwig Wittgensteins Konzept vom „Sprachspiel“, das in dessen „Philosophischen Untersuchungen“ zu finden ist.

Das ist natürlich schon Stoff genug für ein eigenes Buch, bleibt leider im Ansatz stecken und geht so in einem 800 Seiten fassenden Buch eher unter. Aber das Buch will ja mehr sein als ein Exposé über das Spiel (neben dem Reisetagebuch Schnittkes): Roman will es sein!

So binden sich die Abhandlungen über das Spiel in ein Tagebuch ein. Wir erfahren einiges vom arabischen Alltag, besonders von der Männerwelt, die sich fast nur auf sich selbst beschränkt und so in homoerotischen Bekundungen zeigt. Als Leser fühle ich mich plötzlich aufs Glatteis geführt. So ist zaghaft von kleinen sexuellen Erlebnissen die Rede, homosexuellen Abenteuern, die in der arabischen Welt höchst verpönt sind. Es bleibt bei vagen Anspielungen, so als getraue sich der Autor nicht zu einem Bekenntnis seiner Homosexualität. Auch das wäre eigentlich Stoff genug für ein eigenständiges Buch. Dann wäre es Roman oder zumindest Reisetagebuch.

Sicherlich ist dieser ‚Roman’ spannend erzählt und hat mich durch seine Vielschichtigkeit zu allerlei Gedanken angeregt. So bekam er 1997 durchaus verdient den Bremer Literaturpreis zugesprochen. Ich kann mich aber eines Eindrucks nicht erwähren, nämlich dessen, dass der Autor zu viel gewollt hat und dann in vielem halbherzig stecken geblieben ist. Das Buch ist des Guten zuviel. So wundert mich die harsche Kritik Sprachlos in der Wüste von Volker Hage nicht, der dem Autor Michael Roes manche Banalität zum Vorwurf macht.

Der heilige Krieg

In diesen Tagen läuft im Fernsehen beim ZDF eine Dokumentationsreihe in fünf Teilen mit dem Titel „Der Heilige Krieg – Unter Kreuz und Halbmond“ (Video 5 Teile „Heiliger Krieg“ in 5 Minuten). Hierzu gibt es auf der ZDF-Website auch eine Interaktive Reise in die Geschichte von Islam und Christentum.

ZDF: Der heilige Krieg

Christentum und Islam haben sich in der Geschichte immer wieder berührt. 711 überschritten die Mauren die Meeresenge von Gibraltar und eroberten binnen weniger Jahre die christlichen Reiche der Westgoten im Süden Spaniens, dem sie den Namen Al-Andalus gaben: Andalusien. Die Herrschaft der Mauren in Spanien wurde durch die Reconquista, der Rückeroberung, 1492 in Granada beendet, aber die Einflüsse der Muslime sind auch heute noch vor allem in der Architektur zu sehen, u.a. die Alhambra in Granada mit den Gartenanlagen des Generalife. Das Spanien der Mauren war ein multikulturelles Zentrum von Wissenschaft und Kunst.

„Er erzählt uns die geschichte der arabischen Völker, angefangen bei Noah, mit erstaunlicher detailkenntnis, doch ohne zwischen mythischen und historischen ereignissen zu unterscheiden. Für ihn gibt es nur eine geschichte: heilsgeschichte.
Sein bericht führt bis zur rückeroberung der iberischen halbinsel durch die ‚christlichen’ könige Fernando und Isabella. Der verlust von Andalus scheint die gröszte wunde im christlich-islamischen verhältnis, aber auch eine zäsur innerhalb der ‚umma, der ‚gemeinschaft der gläubigen’ darzustellen. – Scheich Dschallal bricht an dieser stelle ab und überläszt es seinen zuhörern, die phantastische geschichte einer vereinten mediterranen welt, eines islamischen Sevilla und Triest, weiterzuspinnen.“

Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali – Invention über das Spiel (1. Auflage btb Taschenbuch im Goldmann Verlag – 1996 – S. 536)

Natürlich waren die Interessen der Christen und der Muslime immer auch politischer und wirtschaftlicher Art – bis zum heutigen Tag. Nicht umsonst sind deshalb die ‚Anschauungen’ der einen über die anderen mit unzähligen Vorurteilen gespickt. Um den anderen verstehen zu können, braucht es zuerst des Wissens: Denn was wissen wir Genaues über den Islam? Das Buch von Michael Roes ist z.B. eine Hilfe, sich in die Mentalität der Menschen im Süden der Arabischen Halbinsel hineinzuversetzen. Und die ZDF-TV-Reihe verschafft uns sicherlich die nötigen Einblicke in die gemeinsame Geschichte der Christen und Muslime.

Das Leben als Spiel

Ist es nicht so, dass wir im Leben vieles viel zu Ernst nehmen? Wäre es nicht besser, wir begriffen das Leben als Spiel?

Ich habe mir Zeit gelassen für die über 800 Seiten des Buchs von Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali – Invention über das Spiel , das ich bereits hier in zwei Beiträgen (KamellisteLob der Kinderarbeit) erwähnt habe. Es ist ein außergewöhnliches Buch und hat mich durch seine Themenvielzahl wahrlich über so manches ins Grübeln gebracht. Michael Roes hat im Jemen nach Kinderspielen geforscht. Es ging ihn dabei um eine allgemein gültige Theorie über das Spiel.

Dabei stellt sich vor allem die Frage, inwieweit das Spiel der Kinder Auseinandersetzung mit dem Leben der Erwachsenen ist. Im Spiel der Kleinen wird das Tun der Großen nachvollzogen. Spielen Erwachsene, dann geschieht das unter dem Diktat der strikten Trennung zwischen Spiel und ‚Wirklichkeit’ (dem Ernst des Lebens). Wer Spiel und ‚Wirklichkeit’ miteinander vermischt, gilt evtl. als psychisch krank. Aber warum eigentlich? Michael Roes schreibt im genannten Buch:

„Eine spielerische haltung der welt gegenüber besitzt eine ebenso grosze macht wie eine religiöse, wissenschaftliche oder ökonomische einstellung. Dasz es eine welt auszerhalb unseres bewusztseins gibt, bedeutet noch nicht, dasz es nur eine wirklichkeit auszerhalb unseres bewusztseins gibt. Wirklichkeit beruht auf anschauungen, auseinandersetzungen, beschreibungen.
Mit bestimmten dingen zu spielen heiszt, ihr wesen und ihre bedeutung zu verändern, sie in eine andere wirklichkeit zu transformieren.“

(1. Auflage btb Taschenbuch im Goldmann Verlag – 1996 – S. 299)

Mit einer spielerischen Haltung gegenüber der Welt verändern wir ihr Wesen, ihre Bedeutung für uns. Den ‚Ernst des Lebens’ geben wir eine spielerische Note. Bekanntlich wird nichts ‚so heiß gegessen, wie es gekocht wird’. Der Volksmund weiß um das Leben im Spiel. Spiel ist etwas Leichtes. Warum übertragen wir das nicht in unser gesamtes Leben? Ist es unser Gewissen, unser Verantwortungsbewusstsein, das uns das Leben so schwer werden lässt?

Spiele haben wie das reale Leben ihre Spielregeln. Auch ein Leben im Spiel kann ohne solche Regeln nicht auskommen. Somit muss unser Gewissen nicht belastet werden, wenn wir das Leben auch einmal ‚auf die leichte Schulter nehmen’. Verantwortlichkeiten bleiben unberührt. Warum also etwas schwerer nehmen als es sein muss? Üben wir uns doch einmal in ‚der Leichtigkeit des Seins’.

Gullivers Reisen

Gullivers Reisen (engl.: Gulliver’s Travels) ist das bekannteste Werk des irischen Schriftstellers, anglikanischen Priesters und Politikers Jonathan Swift. In der Originalfassung besteht das Buch aus vier Teilen und wurde 1726 unter dem Titel „Travels into Several Remote Nations of the World in Four Parts By Lemuel Gulliver, first a Surgeon, and then a Captain of Several Ships“ veröffentlicht; der Titel der deutschen Ausgabe Gullivers Reisen (insel taschenbuch) 58 (ich habe es in 4. Auflage von 1981 vorliegen) in einer Übersetzung von Franz Kottenkamp lautet: „Reisen zu mehreren entlegenen Völkern der Erde in vier Teilen von Lemuel Gulliver erst Wundarzt später Kapitän mehrerer Schiffe“. Das Buch ist besonders auch wegen der Illustrationen von Grandville lesens- und sehenswert.

Jonathan Swift: Gullivers Reisen

Das Buch ereilte ein ähnliches Schicksal wie Daniel Defoes ‚Robinson’ – es wurde in einer Kinderbuchausgabe bekannt, in welcher Gulliver erst das Land der Zwerge (Lilliput) entdeckt und dann im Land der Riesen (Brobdingnag) landet. In ihr fehlen die sozialkritischen und satirischen Positionen – besonders aber die Reisen nach Laputa, Balnibarbi, Luggnagg, Glubbdubdrib und Japan (3. Teil) sowie in das Land der Houyhnhmms (spricht sich etwa: Huinem) und den Yahoos (4. Teil), dem Land in dem die Pferde und die Menschen gewissermaßen ihre Rollen getauscht haben. Aber ich will auf dieses wirklich empfehlenswerte Buch, das in seiner Zeitlosigkeit und Menschlichkeit, besonders in seiner Kritik und Satire auch heute noch aktuell ist, an dieser Stelle nicht näher eingeben. Dafür soll später einmal mehr Zeit sein.

In diesen Tagen habe ich mit meinen Lieben den US-amerikanischen Fantasyfilm Gullivers Reisen – Da kommt was Großes auf uns zu gesehen. Er basiert auf dem angesprochenen Roman Gullivers Reisen von Jonathan Swift, spielt aber in moderner Zeit. In der Hauptrolle des Lemuel Gulliver ist Jack Black zu sehen. Der Film ist als DVD Gullivers Reisen (inkl. Digital Copy) und als Blu-ray: Gullivers Reisen (inkl. DVD & Digital Copy) seit einigen Tagen erhältlich.


Gullivers Reisen

„Schon seit Jahren trottet Gulliver (Jack Black) durch einen lauwarmen Alltag, ohne bei den Frauen oder im Job auf der Poststelle eines Reiseverlags irgendetwas von Wert aufbauen zu können. Von der großen Liebe und einer steilen Karriere kann der Totalversager bloß sehnsüchtig tagträumen. Deswegen forciert er seine Chance einfach selbst und sorgt dafür, dass er zu quasi-journalistischen Zwecken ins ferne Bermuda-Dreieck reisen darf. Ehe er am Ziel ankommt, findet er sich in Gefangenschaft wieder: das winzig kleine Volk der Insel Liliput hat den gestrandeten Riesen doch tatsächlich mit Tauen festgezurrt. Gulliver tut, was er eben kann – er reißt seine Klappe auf und nimmt die kleinen Leute mit himmelschreienden Lügengeschichten ein, die er aus der Geschichte und der jüngeren Popkultur zusammenklaut. Die Winzlinge sind begeistert und nehmen ihren neuen Freund mit auf einen abenteuerlichen Trip quer über die mysteriöse Insel…“

aus: filmstarts.de

Bevor man den Film sieht, sollte man die satirische Romanvorlage schleunigst vergessen. Zum einen ist Jack Black kein Mann der leisen Töne. Zum anderen bedient er uns, besonders aber die jungen Zuschauer, an die sich der Film wohl vorrangig wendet, mit einigem Klamauk. Natürlich beschränkt sich der Film im wesentlichen auf dem Aufenthalt in Lilliput. Vielleicht dient der Film aber als Ansporn, sich einmal der Swift’schen Romanvorlage zu bedienen. Spätestens dann hat der Film mehr erreicht als er wollte. Ansonsten ist es unterhaltsames Popcorn-Kino – auch für die eigenen vier Wände. Übrigens die Szene, in der Gulliver einen Brand im Palast mit dem Inhalt seiner Blase löscht, kommt natürlich auch bei Swift vor: „… dieser prächtige Palast wäre unfehlbar bis auf den Grund niedergebrannt, wäre mir nicht plötzlich mit einer für mich außergewöhnlichen Geistesgegenwart ein Ausweg eingefallen. Am Abend zuvor hatte ich ausgiebig von einem köstlichen Wein mit Namen Glimigrim getrunken […], der sehr harntreibend wirkt. Zum größten Glück hatte ich mich nun noch keines Tropfens davon entledigt. Da mir heiß geworden war, weil ich den Flammen sehr nahe kam und weil ich mich abmühte, sie zu löschen, fing der Wein an, in Form von Urin wirksam zu werden; ich entledigte mich dessen in einer solchen Menge und lenkte ihn so geschickt an die rechten Stellen, dass das Feuer in drei Minuten gänzlich gelöscht war …“ (S. 74 der Buchausgabe).