Kategorie-Archiv: Ian und die (Musik-)Welt

Ian Anderson (Jethro Tull) & vieles mehr von dieser Welt

Ian und die (Musik-)Welt: Ian mit Kilt

Schotten, das weiß jeder, tragen Schottenröcke, auch die Männer, eigentlich nur die Männer. Kilt nennt man die – das weiß auch jeder. Und diese haben Karomuster („Schottenkaros“), Tartan genannt, die bei jedem der schottischen Clans anders aussehen. Bekanntlich ist Herr Ian Anderson Schotte. Nur trägt der keinen Kilt. Fast nie. Oder selten. Wenn, dann trägt er höchstens mal einen Umhang (Plaid oder so) oder eine Weste mit Anderson-Muster (oder hat getragen, z.B. 1978 beim Auftritt von Jethro Tull im Madison Square Garden, New York). So erstaunt es einen doch, ihn einmal tatsächlich in einem Kilt zu sehen. Auch richtig so mit Jacke, wie es sich gehört, und Sporran (Jethro Tull in Schottland 2005: Warm Sporran).

Ian Anderson im Kilt

Zu sehen ist diese Rarität in einem Interview des britischen Fernsehens aus dem Jahre 1982. Wenn die Bildqualität auch eher bescheiden ist: Hier also Herr Anderson im Kilt, die Beine sittsam übereinandergeschlagen:


Jethro Tull – Ian Anderson Interview in „Kilt“ – Aug. 1982

Siehe auch: Schottland 2005: Was trägt Herr Anderson unterm Schottenrock?

Happy Birthday, Mr. Anderson

Heute habe ich einmal daran gedacht (stimmt auch nicht – durch YouTube-Kommentare wurde ich darauf aufmerksam gemacht – an seinen 60. hatte ich damals allerdings gedacht): Ian Anderson von der Gruppe Jethro Tull hat heute Geburtstag und wird 63 Jahre alt. Na denn: Happy Birthday, Mr. Ian Anderson!

Ian Anderson (Jethro Tull) 2008
aus: jethrotull.com/press/pressphotos (2008 – 1 MB groß)

Anlässlich des 300. Geburtstages von Johann Sebastian Bach trat die Gruppe Jethro Tull mit Ian Anderson und Gaststar Eddie Jobson am 16. März 1985 im Internationalen Congress Centrum Berlin auf: Bach Rock (Dank an www.laufi.de für die Videos).


Jethro Tull: Wond’ring Aloud (Bach Rock 1985)

Brian Protheroe featuring Ian Anderson 1976

Unser Meister, Ian Anderson von der Gruppe Jethro Tull, war immer dann zur Stelle, wenn es galt, für ein Folk- oder Rockstück die Flöte zu bedienen – meist bei Plattenaufnahmen, in Ausnahmefällen sogar live mit auf der Bühne. In dem Jethro Tull Board @ www.laufi.de habe ich nun gesehen, dass unser Flötengnom (u.a. auch mit Barriemore Barlow am Schlagzeug) im Jahre 1976 auch unterstützend bei einer Aufnahme für die LP „I/YOU“ von Brian Protheroe, einem bei uns weitgehend unbekannten Schauspieler und Sänger/Songwriter aus UK, tätig war. Auf dem Stück ‚Under The Greenwood Tree’ spielt Mr. Anderson eine fein folkige Flöte. Der Text ist ein Poem von William Shakespeare:

William Shakespeare: Under the Greenwood Tree

[Amiens sings:] UNDER the greenwood tree,
Who loves to lie with me,
And turn his merry note
Unto the sweet bird’s throat,
Come hither, come hither, come hither:
Here shall he see
No enemy
But winter and rough weather.

Who doth ambition shun,
And loves to live i‘ the sun,
Seeking the food he eats,
And pleased with what he gets,
Come hither, come hither, come hither:
Here shall he see
No enemy
But winter and rough weather.

[Jaques replies:] If it do come to pass
That any man turn ass,
Leaving his wealth and ease
A stubborn will to please,
Ducdame, ducdamè, ducdamè:
Here shall he see
Gross fools as he,
An if he will come to me.


Brian Protheroe feat. Ian Anderson – Under the Greenwood Tree (1976)

Download @ www.laufi.de: Brian Protheroe – Under the Greenwood Tree

Neues aus Ians Werkstatt?

Wer fürs Weihnachtsfest sich oder seine Lieben mit Werken von Ian Anderson und dessen Gruppe Jethro Tull eindecken will, wird einiges alte „Neue“ auf dem Markt finden. Die eigentliche Frage bleibt: Gibt es in absehbarer Zeit wirklich einmal etwas Neues aus Ian Andersons Werkstatt?

Einiges deutet darauf hin, denn bei den letzten Konzerten spielte der Meister einige Titel, die bisher auf keinem Album zu finden sind. So geschehen am 13. Oktober d.J. im Beacon Theater in New York City. Mitstreiter waren dort neben dem deutschen Gitarristen Florian Ophale und den Bandmitgliedern John O’Hara und David Goodier der farbige Schlagzeuger Mark Mondesir und die Violinistin Meena Bhasin. Mondesir kommt eigentlich aus der Jazz-Szene und hat u.a. mit Größen wir Ian Carr, John McLaughlin und Larry Coryell zusammengespielt.

Es sind zwei Stücke, die neu sind: Tea with the Princess und Change of Horses.

Neues aus Ians Werkstatt?

Der instrumentale Part der Stücke überwiegt, was auch besser so ist – angesichts Ian Andersons Stimme. Alles klingt nicht schlecht, hat aber mit Jethro Tull nach meinem Geschmack nichts mehr zu tun. Es erinnert mich u.a. am die niederländische Gruppe Flairck, die schließlich auch mit Flöte, Geige und Akustikgitarre aufwartet – allerdings ohne E-Bass und Schlagzeug.

Einen großen Teil nimmt bei diesen beiden Stücken „the German Instrument of Hell“, wie Ian Anderson es einmal nannte, ein: The Squeezy Thing resp. die Quetschkommode, also das Akkordeon.

Es sind wohl noch einige neue Stücke mehr, die Ian Anderson, je nach Lust und Laune, bei Konzerten aufführt. Wann diese aber zusammen als ein neues Album auf den Markt kommen, steht weiterhin in den Sternen. Wie gesagt: Nach Jethro Tull klingen diese Lieder lange nicht mehr – sollte es also ein neues Ian Anderson-Soloalbum werden? Wenn überhaupt – und eben wann?

Übrigens: In dem neuen Stück „Change of Horses“ zitiert sich Anderson musikalisch selbst. Man hörte einmal in „In the Times of India (Bombay Valentine)“ von dem Soloalbum „Divinities“ hinein – so um die sechste Minute – das ist zwar etwas flotter dort und anders arrangiert – aber es ist das Gleiche.

Wenn der Ian nicht mehr singt

Zuletzt war ich 2005 in einem Konzert von Ian Anderson und seinen Jungs von Jethro Tull. Eigentlich hatte ich mir schon zuvor geschworen, kein Konzert mehr von dieser Gruppe zu besuchen. Es sollte bei dieser Ausnahme bleiben. Grund: Seit einigen Jahren ist die Singstimme von Ian Anderson buchstäblich im Arsch Eimer. Er krächzt und ächzt nur noch herum. Einige Lieder hat er bereits um einige Töne nach unten transponiert, um diese halbwegs singen zu können. Es ist zum Heulen. In Laufis Jethro Tull Board wird immer noch ausgiebig darüber diskutiert. Wer sich so etwas antun will, soll es machen. Ich nicht …

Nun stellt sich die Frage, wie es wäre, wenn der gute Ian darauf verzichten würde, seine Zuschauer mit dieser kaputten Stimme zu malträtieren, z.B. in dem ein anderer für ihn singt (oder eine andere). Zunächst kam mir da sein Sohnemann James Duncan in den Sinn, der ja auch schon öfter für seinen Herrn Papa die Schlagstöcke gerührt hat. Seine Stimme könnte vielleicht so ähnlich klingen, oder?

Denn das ist das Problem: Jethro Tull ohne die besonders geartete Stimme von Ian Anderson ist nicht wirklich Jethro Tull (Es ist aber auch nicht Jethro Tull, wenn Anderson heiser krächzt). Alte Videoaufnahmen belegen, dass der damalige Bassist John Glascock wohl eine ähnliche Stimme wie Ian Anderson hatte. Leider ist Glascock, der an einem Herzfehler litt, nach einer Operation vor inzwischen fast 30 Jahren gestorben.

Lange Rede, kurzer Sinn: in diesen Tagen sind mir zwei Videos über den Weg gehoppelt, die Jethro Tull in Konzerten zeigen, bei denen der Meister einmal die Schnauze hält und eine Frau singen lässt: die Italienerin Alessia D`Andrea. Es sind nicht die ersten Aufnahmen, die ich sehe, bei denen die ansehnliche Alessia dem Ian etwas vorsingt. Wäre die gute Alessia etwas weniger attraktiv und stimmlich dafür noch etwas besser disponiert, dann könnte man sich ausmalen, wie gut es Herrn Anderson und seinen Mannen ankäme, die Lieder von jemand anderem singen zu lassen. Hier zunächst die beiden Videos:


Jethro Tull & Alessia D’Andrea – Pistoia Blues Festival – 05.07.2008


Wond’ring Aloud – Alessia D’Andrea & Ian Anderson – Live In Rome ca. 2007

Und? Was denkt Ihr? Es gibt bestimmt arbeitslose Sänger oder Sängerinnen, die sich als Vertreter für Ian Anderson eignen. Aber dann würden sie dem Meister gewissermaßen die Show stehlen, denn welcher Sänger hielte sich diskret im Hintergrund. Das ist nämlich der Punkt: Musiker, die es wagten, eigene Bühnenpräsenz zu zeigen, wurden ausnahmslos gefeuert. Auf der Bühne regiert nur einer: Ian Anderson! Bis man ihn im Sarg von der Bühne holen muss … Das werde ich aber wohl verpassen!

„Listen to the song here in my heart…“

Kretakatze schrieb am 14.09.2008:

Meine lieben Freunde,

ich muss Euch ein Geständnis machen: Manchmal lese ich tagelang Eure Mails nicht, einfach, weil ich gerade mit einem bestimmten Thema beschäftigt bin und dabei nicht abgelenkt oder von außen beeinflußt werden möchte. So war es auch mit Wilfried’s Mails von letzter Woche – ich habe sie beide erst jetzt gerade angeschaut. Deshalb ist vielleicht nicht mehr alles so aktuell und passend, was ich weiter unten schreibe – sei’s drum.

Zuerst einmal war ich völlig überrascht von Wilfied’s Reaktion auf meine letzten beiden Mails. Mit Zustimmung oder Lob hatte ich bestimmt als letztes gerechnet. Auf jeden Fall: Vielen Dank für Deine lobenden und aufmunternden Worte und Deinen ausführlichen Kommentar betreffend meine musikalischen Darbietungen. Dieses „If I can play ist, everybody can“ meine ich übrigens durchaus ernst. Natürlich muss man üben, das musste ich auch. Aber nichts, was ich auf der Gitarre spiele, ist so schwierig, dass es nicht Jeder mit fünf Fingern nach ein bißchen Übung auch hinbekommen könnte. Wirklich nicht!

Dann hat mich natürlich auch besonders gefreut, dass die Musik des Herrn Pascalidis gefallen konnte. Nach meinen letztjährigen Erfahrungen mit dem Versuch Euch griechische Musik näher zu bringen, hatte ich damit eher nicht gerechnet. Viele seiner Lieder klingen zwar nicht direkt nach griechischer Musik, aber da bleibt immernoch die Sprache. Und mit der hatte ja zumindest Lockwood so seine Probleme. Es ist ja auch irgendwo ein Handikap, wenn man den Text nicht versteht und nicht mitsingen kann.

Dabei hat Herr Pascalidis wahrscheinlich so ziemlich das umfangreichste musikalische Spektrum, das ich bei einem Musiker kenne. Es reicht vom traditionellen kretischen Volkslied (z.B. Kantada – Übersetzung nicht nötig) bis zum amerikanischen Rock-Song – etwa Hotel California oder Losing My Religion. Und er schafft es noch Lieder dieser verschiedenen Stilrichtungen medley-artig nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Den Vergleich mit Hannes Wader konnte ich da nicht ganz nachvollziehen, unter anderem auch, weil ich Herrn Pascalidis für einen der besten Sänger überhaupt halte. Da spielt Herr Wader wohl doch in einer anderen Klasse. Aber mehr dazu eher ein andermal.

Deine Probleme mit dem 7/8 Takt kann ich gut nachvollziehen, lieber Wilfried, auch ich habe damit eine Weile gekämpft. Aber wenn man den Dreh mal raus hat, ist es ganz einfach, und „Paramithi…“ (hier eine live-Version, leider mit miserablem Sound) ist inzwischen eines meiner liebsten Lieder für „easy playing“ auf der Gitarre. Vielleicht schaffe ich es ja heute noch, meine Version davon auf YouTube hochzuladen (eigentlich wollte ich garnichts mehr auf YouTube stellen…). Ich hoffe damit kann ich dann alle Deine 7/8-Probleme zerstreuen.

So, genug dazu für den Moment, sonst werde ich heute überhaupt nicht mehr fertig… Und nun zu dem, was ich eigentlich schreiben wollte:

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Unser Gedankenaustausch zum Thema Musik scheint mir inzwischen zum Erliegen gekommen zu sein. Das ist auch irgendwie verständlich, es gibt wichtigere Dinge und der eine oder andere von uns hat zurzeit wohl auch einfach andere Probleme. Tatsache ist, dass mich dieses Thema immernoch umtreibt, und also habe ich einmal wieder ein paar Gedanken dazu aufgeschrieben. Und da ich nicht wüßte, wen ich sonst damit belästigen sollte, da schicke ich meine Aufschriebe eben an Euch. Macht damit was Ihr wollt…

Zuletzt ging es in unserer Diskussion um Qualität und Geschmack, besonders den „Geschmack der breiten Massen“ und den „Geschmack, den man haben sollte“. Soweit ich mich erinnere wurden diese beiden „Geschmäcker“ als Gegensätze gehandelt. Tatsächlich bin ich in letzter Zeit zu der Erkenntnis gelangt, dass der „Geschmack der breiten Massen“ sich in weiten Bereichen mit dem meinigen deckt – das ist sicher kein gutes Zeichen. Jedenfalls hat es mich dazu veranlasst, mich mit dem „Geschmack der breiten Massen“ etwas näher zu beschäftigen.

Um zu erkennen, ob eine bestimmte Musik oder ein bestimmter Musiker (vorzugsweise Sänger) den Geschmack der breiten Massen trifft, muss sie oder er den breiten Massen erst einmal bekannt werden. Diesbezügliche Vorhersagen von „Experten“ haben sich in der Vergangenheit immer wieder als Trugschluss erwiesen. Dazu einmal wieder eine Geschichte, und es ist – für mich nicht ganz untypisch – die Geschichte eines jungen Mannes. Ich höre Euch schon aufschreien „Nein, nicht schon wieder!“ – aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen.

Er war Sänger und Gitarrist einer Band mit Namen Axium. Diese veröffentlichte immerhin 2 Alben unter ihrem eigenen Label, irgendwo im amerikanischen Mittelwesten. Der Musikstil war traditioneller Rock bis Hard Rock, solide gemacht aber ohne irgendwelchen Hit- oder Ohrwurm-Charakter. Die Band blieb weitgehend unbekannt. Nach der College-Zeit brach sie auseinander – man musste Geld verdienen. Der junge Mann verdingte sich als Barkeeper und musizierte weiter, eine Solo-Scheibe wurde produziert. Der Durchbruch ließ auf sich warten…

Das Erste, was ich von ihm zu sehen und zu hören bekam war dieses Video. „Wow“, dachte ich, „das klingt aber gut! Das ist genau der Sound, den ich hören möchte, und genau so muss das gesungen werden! Da sitzt jeder Ton.“ Natürlich habt Ihr sofort erkannt: Das ist der alte Free-Klassiker „All Right Now“, und es handelt sich schon wieder um American Idol. Aber es ist einfach so, dass dieser Show-Wettbewerb dieser Tage die wohl wichtigste Plattform ist, auf der getestet wird, was bei den breiten Massen ankommt. Und da kann man immer noch so diese oder jene Überraschung erleben.

David Cook, so sein Name, hatte eigentlich garnicht vorgehabt sich bei American Idol zu bewerben. Er war der Meinung, er schafft das auch allein. Aber sein jüngerer Bruder wollte vorsingen, also hatte er ihn zur Audition begleitet. Und da er nun schon mal dort war, war es nahelegend, dann doch auch einmal vorzusingen. Seinen Bruder wollten sie nicht haben, aber er wurde zu Simon und Co. durchgewinkt. Sein Auftritt vor dieser Jury drängt nicht unbedingt die Vermutung auf, hier einen künftigen Star vor sich zu haben. Sein Pullover sieht aus als hätte er ihn von Clay Aiken geliehen – der war zu seiner ersten (erfolglosen) Audition im selben Design erschienen – und seine Punkrock Stehhaar-Frisur wirkt nicht direkt Millionen-tauglich. Aber auch Mr. Cook sollte sich noch als anpassungs- und lernfähig erweisen.

Meiner Meinung nach gibt es eine ganze Reihe sehens- und hörenswerter Auftritte des Mr. Cook bei American Idol, aber auf die möchte ich eher in einem anderen Zusammenhang zurückkommen. Das soll ja hier alles nur die Einleitung sein. Jetzt nur noch einmal sein Auftritt in der Runde der letzten 20 in voller Länge mit Vorfilm und Kommentaren der Jury: All Right Now. Ich denke den Song kann man gut auch zweimal hören. Bereits in dieser frühen Phase des Wettbewerbs wagt es Mr. Cook sich mit Mr. Cowell anzulegen: Er lässt ihn nicht ausreden und gibt Ihm zu verstehen, dass er dessen Meinung bezüglich seines „Word-Nerd“-Filmchens und seines mangelnden Charisma für nachrangig hält. Er hat den Applaus und die Lacher auf seiner Seite. Simon Cowell reagiert mimosenhaft empfindlich, und seine seltsam übertriebene und unpassende Gestik offenbart, dass er tatsächlich gekränkt und irritiert ist.

Außerdem muß Mr. Cowell hier wohl einmal wieder Tomaten auf den Augen und Kartoffeln in den Ohren gehabt haben. Es war im Übrigen das letzte Mal, dass er David Cook so abfällig kritisiert hat. Jedenfalls – trotz langweiliger Kreuzworträtsel und charismatischer Mängel kam Mr. Cook weiter und bewies im Verlauf des Wettbewerbs, dass er nicht nur rocken kann, er kann (wenn es sein muss) auch sülzen ohne kitschig zu wirken: First Time Ever I Saw Your Face. Dieses Lied hat mir noch nie besonders gefallen, und es gibt grauenvolle Versionen – selbst Elvis Presley und Johnny Cash haben sich daran versucht. Zuletzt haben Celine Dion und (praktisch als Kopie) Leona Lewis Covers produziert, die so langsam und quälend sind, dass ich bei jedem Ton auf die Uhr geschaut und mich gefragt habe, wie lange es wohl noch dauert bis der nächste kommt – mehr als drei Töne habe ich nicht ertragen. Die Version von David Cook ist die einzige, die mir gefällt.

Wie auch immer, schließlich kam es soweit, dass sich David Cook im Finale wiederfand, zusammen mit seinem hoch favorisierten Konkurrenten David Archuleta. Das Duell der beiden Davids, der „ungewaschen wirkende“, „arrogante“ (O-Ton einiger seiner Kritiker) Rocker gegen den herzigen 17-jährigen Jungen mit der schönen Stimme, der lauter nette Lieder gesungen hatte. Noch während die Telefonleitungen unter dem Ansturm der Anrufer heißliefen, prophezeite Mr. Cowell in einer Talkshow den Sieg von David Archuleta, denn „alle Teenies und alle Omis werden für ihn stimmen“. Das war eine Beleidigung der Teenies und erst recht der Omis (zu denen ich mich altersmäßig auch schon fast zähle), und das wollten die wohl nicht auf sich sitzen lassen. Zusammen mit den Opis und allen Altersgruppen dazwischen griffen sie zum Telefon und wählten sich die Finger wund – es gab einen neuen Rekord von über 97 Mio. Anrufen innerhalb von 4 Stunden. Der Gewinner mit 12 Mio. Stimmen Vorsprung wurde David Cook. Das bedeutet im Klartext: Für den Rocker wurden fast 56 Mio. Stimmen abgegeben. Soweit mein erstes Kapitel zum Thema „Geschmack der breiten Massen“.

Wie wir ja auch bereits wissen, ist American Idol nicht die einzige Talent-Show, es gibt zahlreiche „Konkurrenzprodukte“ anderer Fernsehsender, Talent-Shows sind zurzeit ein Renner auf dem Markt. Da ist z.B. noch „America’s got talent“, und in dieser Show erschien im Jahr 2006 ein 11-jähriges pausbäckiges Mädchen auf der Bühne und verkündete, sie singt jetzt And I am Telling You (I’m Not Going). Ich vermute ich habe mir schon bei den ersten paar Tönen ungläubig die Ohren gerieben – man kann sich einfach nicht vorstellen, dass diese Stimme aus diesem Kind kommt. Sie wirkt wie ein Medium für jemanden, der mindestens doppelt bis dreimal so alt ist.

Bianca Ryan hat diesen Wettbewerb gewonnen und war anschließend im Jahr 2006 in allen Fernsehshows und in aller Munde. Ihre erste Platte, Ende 2006 veröffentlicht, kam aber in den Charts nur bis auf Platz 57, und ich habe den Eindruck es ist ziemlich still um sie geworden. So ein Überraschungseffekt funktioniert halt nur einmal. Und auf der Platte hört man nur die Stimme, man sieht nicht das Kind dazu, und damit ist der größte Teil vom Witz weg. Meiner Meinung nach (soweit ich das anhand von Videos beurteilen kann) konnte Bianca auch bei Live-Auftritten nicht immer überzeugen, so gut wie bei ihrem ersten Auftritt war sie nie wieder, wenn sie auch bestimmt singen kann. Dazu kommt: Auch sie wird immer älter und damit weniger sensationell, andere Nachwuchstalente rücken nach und haben sie schon überholt, wie wir gleich sehen werden. Hier wurde eine Eintagsfliege produziert, die zumindest vorläufig keine eigenen musikalischen Akzente setzen kann und deshalb wieder in der Masse untergeht.

Neben den Talentshows wird aber auch zunehmend ein anders Medium zur Plattform für die Verbreitung von Musik: Das Internet und hier speziell YouTube. Die (soweit ich das beurteilen kann) erste Sängerin, die über das Internet weltweite Bekanntheit erlangte, stammt aus dem fernen Osten, genauer gesagt von den Philippinen. Auch sie begann ihre Karriere als Kind in Talentshows. Aber wie hätte vor World Wide Web und YouTube die Welt davon erfahren, wenn auf den Philippinen ein Kind singt? Übrigens, wenn auf den Philippinen ein Kind singt, dann klingt das so: To Love You More (nur ein kurzer Ausschnitt).

Ich muss zugeben, dass derartige Bilder ein ungutes Gefühl in mir hinterlassen. Ich halte nichts davon 9-Jährige aufzuputzen wie eine Prinzessin und sie singen zu lassen „I want to love you more…“. Was fängt ein Kind mit diesem Text an? Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Charice scheint es zum Glück nichts geschadet zu haben. Diese Talentshow hat sie jedenfalls gewonnen, aber damit war sie noch lange kein Star. Auf den Philippinen ist die Konkurrenz hart und der Markt für Kinderstars scheint begrenzt. Weitere Talentshows folgten, die letzte im Jahr 2006, bei der sie „nur“ Zweite wurde.

Oftmals gilt der Prophet eben nichts im eigenen Land. Aber ein Unbekannter wurde auf sie aufmerksam und stellte Videos von ihren Auftritten ins Internet. Darüber stolperte man wohl in Korea, im Frühjahr 2007 wurde sie als Gast in eine koreanische Talentshow eingeladen. Ein Video ihres atemberaubenden Auftritts dort wurde auf YouTube gestellt und sollte Karriere machen. Die inzwischen 14-Jährige singt das Lied für kleine Mädchen in kurzen Röckchen, das wir schon kennen: Charice – And I am Telling You (I’m Not Going).

Dieses Video fiel auch in Amerika auf. Im Dezember 2007 erhielt Charice eine Einladung in eine der populärsten amerikanischen Fernsehshows, danach ging alles ganz schnell. Sie wurde in den USA von Show zu Show herumgereicht, und auch auf den Philippinen war sie plötzlich ein vielgefragter „Internationaler Star“. Der bekannte und einflussreiche amerikanische Produzent David Foster kümmerte sich persönlich um ihr erstes Album, es wurde im Frühjahr veröffentlicht. Und einer der zahlreichen Höhepunkte ihrer kometenhaften Karriere der letzten Monate war ihr herzergreifender Auftritt bei Oprah Winfrey im Mai: Charice – I Have Nothing.

Jetzt ist man in den USA dabei eine neue Diva aus ihr zu machen, die nächste Whitney Houston, Mariah Carey und Celine Dion in einem. Zur Anschauung noch eine Version von I Have Nothing. Wie kann man nur dieses Kind, das beim Singen üblicherweise um sich schlägt und tritt, statisch hinter einen Mikrophonständer stellen? Wer braucht denn eine neue Diva, es gibt doch schon so viele? Und es ist eben gerade der Charme von Charice, dass sie keine Diva ist. Aber das werden die Show-Produzenten hoffentlich auch noch kapieren. Und Gott sei Dank lässt sich Charice auch durch Mikrophonständer, künstlich drapierte Frisuren und unpassende Kleidchen nicht vom Singen abhalten.

Jetzt liegt es natürlich nahe Charice mit Bianca Ryan zu vergleichen, und das ist auch bereits ausgiebig getan worden. Wird die Erfolgskurve von Charice genauso verlaufen wie die von Bianca, deren erstes und bislang einziges Album übrigens auch von David Foster produziert wurde? Ich sage nein, denn Charice hat ganz andere Voraussetzungen. Da ist zunächst die Tatsache, dass sie einfach konstant deutlich besser singt und Stimmakrobatik beherrscht, bei der Bianca nicht mithalten kann. Dazu kommt ihr spektakulärer Vortragsstil – sie explodiert förmlich auf der Bühne, da sitzt man nur noch mit offenem Mund da und staunt (ich jedenfalls). Und die Faszination, die davon ausgeht, hat nicht in erster Linie mit ihrem Alter zu tun.

Ein weiterer wichtiger Vorteil ist der exotische Charme ihres asiatischen Aussehens. Es gibt bislang keinen asiatischen oder asiatisch aussehenden Weltstar – gab es überhaupt schon einmal einen? Hier klafft eine riesige Marktlücke, und Charice kommt gerade recht sie auszufüllen, sie könnte die Stimme und das Gesicht Asiens werden. Eigentlich sieht sie nicht direkt philippinisch aus (eher überhaupt nicht), man könnte sie genauso gut für eine Chinesin, Japanerin, Koreanerin, Vietnamesin oder Thailänderin halten, selbst unter den amerikanischen Indianern und Indios gibt es Gesichter wie ihrs – bis hin zu den Eskimos. Eigentlich könnte sich bald die halbe Weltbevölkerung mit ihr identifizieren, vor allem die Hälfte der Welt, die bisher immer hinter den Amerikanern und Europäern zurückstehen musste. Ob diese das wirklich tun würden, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber zumindest könnte Charice für die Amerikaner (und vielleicht auch die Europäer) diese Hälfte der Weltbevölkerung (musikalisch) repräsentieren. (Wir können doch all diese Chinesen und Japaner sowieso nicht auseinander halten – oder?)

Nach all diesen geistigen Höhenflügen betreffend die rosigen Aussichten auf ihre glänzende Karriere, zurück auf den Boden der gegenwärtigen Tatsachen und zu meinem Lieblings-Video von Charice: Alone. Es zeigt ein Kind, das im Familienkreise vor dem Weihnachtsbaum mal gerade eben noch bei laufender Camera ein Lied ins Mikrophon singt, während ringsherum der Tisch gedeckt wird. Man hat den Eindruck, singen ist für sie bereits so selbstverständlich wie reden oder atmen, es ist ein inneres Bedürfnis und eine Freude, etwas, von dem sie sich durch nichts abbringen lassen würde. Dieses Video hat mich dazu veranlasst darüber nachzudenken, was eigentlich „Singen“ ist.

Musik ganz allgemein ist Ausdruck von Emotionen, das ist nichts Neues. Singen ist wohl die persönlichste Art und Weise, Musik zu machen, denn der Ton kommt direkt aus dem eigenen Innersten, hier werden Gefühle praktisch unmittelbar in Klänge umgesetzt. Dazu hat ein Lied üblicherweise einen Text, das heißt man kann den Klängen gleichzeitig durch Worte eine Bedeutung verleihen, oder auch umgekehrt, die Worte werden in ihrer Bedeutung durch den Ton unterstrichen.

Meist ist Singen ein Mittel, Gefühle oder Bedürfnisse auszudrücken, die man im „normalen“ Leben nicht oder nicht in ausreichendem Maße ausdrücken oder ausleben kann. Welche Freude für ein Kind, das mit dem Fuß aufstampfen und schreien (oder singen) kann „No, no, no, no, I’m not going…“, und das dafür nicht eins hinter die Ohren, sondern Beifall bekommt. Wenn Charice singt „Don’t you dare to walk away from me“ und dabei drohend die Faust schüttelt, könnte man fast Angst vor ihr bekommen. Kaum ist der letzte Ton des Lieds verklungen, ist sie einfach wieder ein liebes und sanftmütiges Mädchen, nie würde sie sich im „richtigen“ Leben so benehmen. Aber all diese Aggressivität steckt in ihr, und Singen ist ihre Weise, diese Seite ihrer Persönlichkeit auszuleben. Wir kennen das ja bereits von Meister Anderson.

Unter diesem Gesichtspunkt habe ich eine kleine Auswahl Videos zusammengestellt zum Thema „Der singende Mensch“. Von welchen Emotionen sind die Sänger angetrieben? Zuerst noch einmal Charice – Listen. „Listen to the song here in my heart…“, die erste Zeile dieses Liedes könnte gut die Überschrift zu diesem Kapitel sein. Letztendlich möchte doch fast jeder, der singt, auch gehört werden, er möchte sich und seine Gefühle mitteilen. Und wenn man singt ist die Wahscheinlichkeit ziemlich hoch, dass tatsächlich jemand zuhört – höher jedenfalls, als wenn man nur sprechen würde.

Das nächste Video hatten wir schon einmal, aber es darf in dieser Sammlung nicht fehlen: k.d. lang – Helpless. Und noch eine Lady: Sarah McLachlan – Angel. Mrs. McLachlan ist im Gegensatz zu den anderen Damen durch das Instrument in der Gestik stark eingeschränkt. Sie gleicht das durch intensive Mimik und deutliche Akzentuierung im Gesang aus. Trotzdem bekommt sie jetzt von mir noch eine zweite Chance ohne Klavier Sarah McLachlan – Possession.

Jetzt zu den Herren: Ian Anderson – Whole Lotta Brick (ja, ich weiß, den kennt Ihr schon…). Ganz anders: Cat Stevens – Into White und Miltos Pascalidis – Sou tilefono (Übersetzung hier wohl überflüssig). Und wirklich nicht nur um Euch zu ärgern: Clay Aiken – Measure Of A Man.

Was mir an diesen Aufnahmen aufgefallen ist: Abgesehen von Herrn Anderson, der natürlich wie immer aus dem Rahmen fällt, haben die Herren beim Singen mindestens die halbe Zeit die Augen geschlossen, sie wirken mehr oder minder in sich selbst versunken, während die Damen gestenreich mit dem Publikum zu sprechen scheinen. Habe ich vielleicht nur einfach mal wieder die falschen Männer ausgesucht? (Das passiert mir ständig…). Aber wenn man bedenkt, dass beim Singen hauptsächlich die Emotionen artikuliert werden, die im alltäglichen Leben zu kurz kommen, dann kommt es ja vielleicht doch nicht von ungefähr, wenn – überspitzt ausgedrückt – die Frauen sich hier alle austoben während die Männer eher „in sich gehen“.

Zum krönenden Abschluss jetzt noch zwei Beispiele die zeigen, wie ein Lied auf den Sänger zurückwirken kann. Zuerst Melanie – Tuning My Guitar… nicht gerade ihr bekanntestes Stück und auch nicht das eingängigste, aber ein bemerkenswerter Text und eine bemerkenswerte Performance. Am Anfang lächelt sie noch in der Erinnerung bei den Worten „I still haven’t forgotten I did it just for fun“, aber am Ende des Liedes kommt die ganze Wut in ihr hoch auf die Leute, von denen sie da singt – „Who do you think you are?!“ – und als das Lied vorbei ist, da scheint sie immernoch wütend.

Ich beende meinen heutigen Vortrag so, wie ich ihn begonnen habe: Mit David Cook – The World I Know. Das Lied hatte er eigentlich von Anfang an singen wollen, es ist das Lied für seinen krebskranken Bruder, aber immer hat man ihm davon abgeraten – es ist zu schwach, das bringt keine Stimmen. Jetzt steht er im Finale und es ist das letzte Lied, das er zu singen hat, das Lied, das der Knaller sein muss, der alle davon überzeugt, dass er das nächste American Idol ist. Und jetzt singt er es, allen guten Ratschlägen zum Trotz. Zum Einen vielleicht, weil er sowieso keine Chance hat, alle Experten haben vorhergesagt, dass David Archuleta gewinnen wird, also ist es sowieso gleich, was er singt. Vor allem aber, weil er dieses Lied einfach noch singen MUSS. Bei seinem (vermeintlich) letzten Auftritt auf der Bühne von American Idol singt er dieses Lied nur für sich und seinen Bruder, und danach ist er von dem, was es für ihn bedeutet, so überwältigt, dass die vorletzte Textzeile des Lieds Wirklichkeit wird – „…the tears roll down…“.

Mr. Cowell lag natürlich einmal wieder völlig daneben, es war das exakt richtige Lied im exakt richtigen Moment. Tatsächlich ist die Reaktion von Paula Abdul meist der beste Indikator dafür, wie die „breiten Massen“ reagieren werden. Ich denke es war nicht zuletzt dieser Auftritt, der die letzten Unentschlossenen noch dazu bewegt hat zum Telefon zu greifen und für ihn zu stimmen.

Damit wäre ich für heute am Ende angelangt, ich hoffe ich habe Euch nicht zu sehr ermüdet. Vielleicht habt Ihr ja jetzt auch Lust bekommen ein bißchen zu singen…???

Viel Spaß und haltet die Ohren steif
Kretakatze

PS.: Nur noch ein kurzer Epilog zu David Cook und unseren „modernen (Musik-)Zeiten“: 2 Wochen nach seinem Gewinn von American Idol war er mit 11 Titeln gleichzeitig in den Billboard Hot 100 Charts vertreten – ein Rekord, der bislang nur von den Beatles überboten wurde (vermutlich irgendwann so vor ca. 40 Jahren). Es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass ein Musiker, von dem es noch nicht eine einzige Platte zu kaufen gibt, die Charts beherrscht. Aber heutzutage läuft das eben alles ein bißchen anders. Sofort nach seinem Titelgewinn muss man Mr. Cook ins Studio gezerrt haben, innerhalb weniger Tage wurden praktisch alle Songs, die er bei AI gespielt hatte, in voller Länge als Studio-Version aufgenommen und auf iTunes gestellt – wir leben in rasanten Zeiten.

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Wilfried schrieb am 18.09.2008:

Hallo, meine Freunde,

Kretakatze hat uns einmal wieder sehr ausführlich zum Thema Musik, zur Diskussion Qualität und Geschmack, berichtet und dabei den „Geschmack der breiten Massen“ unter die Lupe genommen. Fast zwangsläufig ist sie dabei wieder bei American Idol gelandet und bei einem Herrn David Cook, dem Gewinner dieses Contestes. Nebenbei, nebenbei ist gut, offeriert sie uns zwei junge Mädels, die für ihr Alter zweifellos über ungewöhnliche Stimmen verfügen.

Es ist nicht so, dass ich mich dem Geschmack der breiten Masse völlig verweigere. Aber weder die beiden jungen Mädchen noch Herr Cook können mich begeistern. Ich bezweifle nicht deren Gesangskunst, die ist wirklich beeindruckend. Aber das ist alles nicht mein DING.

Ob nun David Cooks Interpretation des Free-Titels „All Right Now“ besser ist als das Original, möchte ich bereits bezweifeln. David Cook mag besser singen, aber das Original ist für mich das, was ich an anderer Stelle bereits als authentisch bezeichnet habe, es ist also authentischer als das von Herrn Cook.

David Cook ist wie jene Biancas und Charices ein Interpret, ein Nachsänger, ein Sänger, der sich an Fremdtiteln wagt. Wenn er das tut und sich dabei möglichst am Original hält, dann erzeugt er lediglich eine Kopie, die nichts wirklich Neues bewirkt. Wagt er dagegen eine Eigeninterpretation, d.h. versucht er, einen allgemein bekannten Titel auf eigene Weise nachzusingen, dann schafft er auch etwas Neues. Genau hier frage ich mich dann, ist dieses Neue wirklich so neu, so viel anders und vielleicht außer- oder ungewöhnlicher als das Original. Bei Herrn Cook muss ich sagen: nein. Ich stelle hier nicht sein Können in Frage. Ich erwarte nur etwas wirklich Neues. Und genau das bietet er mir nicht. Wenn es dann auch noch Lieder sind (die er außerhalb des Wettbewerbs gar nicht singen würde), die mir nicht sonderlich gefallen, dann ist der Mann für mich abgehakt.

Das mit dem letzten Lied für seinen krebskranken Bruder, die vergossenen Tränen (ich will hier dem David Cook nichts unterstellen), das hat natürlich schon etwas ‚Werbewirksames’ und wird nach meiner Meinung das Zuschauervotum nicht unbeeinflusst gelassen haben. Aber hat das EIGENTLICH etwas mit der Musik zu tun?

Überhaupt die Frage nach der ‚Werbewirksamkeit’. Die beiden genannten jungen Mädchen sind sicherlich das, was man Wunderkinder zu nennen pflegt. Man hält so etwas nicht für möglich: solche Stimmen aus solchen kindlichen Körpern. Und damit rückt dieser optische Aspekt in den Vordergrund. Es geht nicht mehr allein um eine ungewöhnliche Stimme, sondern um diese wunderliche Mischung aus Stimme und Kindsein.

Von dem einen Mädchen schreibt Kretakatze: „ …all diese Aggressivität steckt in ihr, und Singen ist ihre Weise, diese Seite ihrer Persönlichkeit auszuleben.“ Zunächst muss ich sagen, dass mich dieses Fäusteschütteln und Fußgestapfe eher abschreckt. Und ich kann mich von dem Eindruck nicht frei machen, dass hier eine Zirkusnummer läuft. Das Mädel ist schon im Alter von vier Jahren öffentlich aufgetreten. Das wird förmlich gedrillt worden sein, wie ein dressierter Affe diese Show aufzuführen. Sicherlich fließt einiges aus dem Inneren des Mädchens an Emotionen nach außen. Aber auf mich wirkt das leider nicht authentisch, um noch einmal dieses Wort zu benutzen. Weitaus authentischer, also echter, wirkt der Auftritt von k.d. lang. Auch hier werden Emotionen nach außen getragen, Emotionen, die auch auf mich wirken. Und bei Herrn Anderson, na ja, da ist viel Augenzwickern dabei.

Weshalb mir die ganze Chose nicht gefällt: Da ist nichts wirklich Neues dabei. Die Lieder des philippinischen Mädchens klingen für mich fast alle gleich. Da höre ich mir lieber die Lieder von Tom Waits an (gestern habe ich mir eine Scheibe von ihm angetan, deshalb ihn als Beispiel). Das klingt so schön kaputt und übt auf mich wirklich einen ungewöhnlichen Reiz aus. Hier werden Lieder, die eigentlich ganz gewöhnlich sind, in einer Weise interpretiert, die nicht unbedingt innovativ ist, die aber für mich der Inbegriff des Persönlichen ist, glaubhaft und echt.

„Meist ist Singen ein Mittel, Gefühle oder Bedürfnisse auszudrücken, die man im ‚normalen’ Leben nicht oder nicht in ausreichendem Maße ausdrücken oder ausleben kann.“, schreibt Kretakatze. Dem stimme ich natürlich voll und ganz zu. Und es ist auch gut so. Wir alle sollten wieder mit dem Singen beginnen, wenn wir es nicht schon wie Kretakatze tun.

Ohne Gefühle ist Musik steril. Man erwartet förmlich vom Musiker, vom Sänger, dass er einen Teil seiner Seele freilegt. Aber im heutigen Showbiz verkommt das leider immer mehr zu einer Zirkusnummer, wie gesagt. Auch unser Meister Anderson weiß natürlich um solche publikumswirksame Effekte, sonst hätte er kaum den Bekanntheitsgrad erreicht, den er heute noch inne hat. Genug!

Vielleicht noch etwas zur grundsätzlichen Frage, was eigentlich die breite Masse ist. Ich denke, dass das nicht eindeutig definiert werden kann. Bestimmt man diese z.B. über Verkaufszahlen, so können Gruppen wie Jethro Tull (aufgrund der 40 Jahre Existenz) sicherlich auch als ‚Versorger’ der breiten Masse gezählt werden. Zig Millionen Alben sind von Anderson & Co. im Laufe dieser vielen Jahre über den Ladentisch gegangen. Da müssen selbst Sänger wie David Cook oder Clay Aiken zunächst einmal passen.

Ich denke, dass es eine ‚soziologische’ Frage ist. Die ‚breite Masse’ ist eine Bevölkerungsschicht, die sich dadurch auszeichnet, dass sie sich nicht auf Anhieb durch bestimmte Merkmale von anderen Gruppen unterscheidet. Ich habe erst kürzlich einen Bericht über die Gothics-Szene gelesen und gesehen. So gibt es viele Nischen in der Jugendkultur, die sich dadurch hervortut, dass ihre Mitglieder anders als die anderen sind und nicht dem Mainstream angehören. Besonders bei den Jugendlichen ist es geradezu verpönt, der breiten Masse anzugehören, sodass es hier eigentlich keine breite Masse mehr gibt. Und ich denke, dass es auch keine EINE breite Masse gibt, sondern die unterschiedlichsten Strömungen. Da gibt es die Volksmusikliga, dort die Schlagerheinis und anderswo eine ‚breite Masse’, die auf Pop u.ä. steht. Würde es nur EINE ‚breite Masse’ geben, dann hätten wir hier Verhältnisse wie in China vor 20, 30 Jahren (alle in Blauzeug). Addiert man alle Rockfans (von Jethro Tull über ich weiß nicht wen bis Zappa), was hätte man dann? Eine breite Masse, die breitet fast nicht sein konnte.

Also ist der ‚soziologische’ Ansatz auch Asche? Ja und nein. Vielleicht versuche ich es mit dem Individuellen. Wie schon gesagt, könnte man die breite Masse als Gruppe ohne besondere Merkmale, ohne bestimmte individuelle Ausrichtung, betrachten. Das sind dann die Vielen, die im Trüben dümpeln und nur darauf warten, dass sie herausgefischt werden. American Idols (stellvertretend für alle diese und ähnliche Formate) hilft hierbei. Man präsentiert die unterschiedlichsten Sänger/Sängerinnen, versorgt diese mit Musik, die möglichst vielen bekannt ist, und lässt dann den Zuschauer entscheiden, was gerade in sein soll. Als eingefleischter Angehöriger einer bestimmten Szene interessiere ich mich natürlich nicht für solche Sendungen. Wenn ich mich aber noch nicht wirklich festgelegt habe, dann horche ich auf – und siehe da, ganz demokratisch, wie das Ganze abläuft, finde ich meinen Liebling, stimme für ihn – und mir-nichts dir-nichts bin auch ich auf der richtigen Schiene. Mein Geschmack ist total IN, ich gehöre DAZU. Um das zu erreichen, müssen die auftretenden Sänger/Sängerinnen schon ihr Handwerk beherrschen. Man/frau stimmt doch nicht für einen musikalischen Versager. Und da es reichlich bisher unentdeckte Tatente gibt, ist dieser Markt vom Angebot her so schnell nicht zu sättigen.

Übrigens: die Begriffe „breite Masse“, Mainstream, wie auch immer … die werden wir in dieser, im Grunde eigenen Szene so schnell nicht hören. Und es ist eine eigene Szene, die DSDS-American Idol-Superstar-Szene. Abschließende Frage: gibt es eigentlich überhaupt eine ‚breite Masse’, wenn sich keiner wirklich dazugehörig fühlt?!

Ich wünsche Euch ein geruhsames Wochenende.
Bis bald
Wilfried

Porträt von Ian Anderson

Am 25. August erreichte mich über mein youtube-Konto eine Nachricht mit der Hilfe um Unterstützung:

Hi, me and a few friends are TRYING to get Ian Anderson voted for the above celeb portrait competition…however, we have a few serious competitors trying to knock Ian off the throne.

A text comment is worth one vote and a video response is worth 50 votes. I wondered…could you possibly add some of your Tull videos as a response please? I have made so many, I am shattered lol.

Thanks

Es ging also um einen Wettbewerb, bei dem der- oder diejenige, die am meisten Stimmen erhält, in einem Porträt dargestellt werden soll, das dann als Video bei youtube eingestellt wird. Die bisherige Mehrheit hatte sich für Che Guevara entschieden, Ian Anderson lag auf Platz zwei.

Da Videoantworten (also vorhandene Videos, die wie ein Kommentar gepostet werden) glatt 50 Mal pro Video gezählt werden, war die Bitte natürlich verständlich. Immerhin habe ich rund 100 Videos mit Ian Anderson und seinen Jungs bei youtube im Angebot. Also nichts wie ran an den Speck. Videoantworten und Kommentare mussten beim zuletzt eingestellten Video gepostet werden: Michael Hutchence of INXS ~ Portrait

Am 26. August meldete mir dann der Porträtist himself:

Ian Anderson takes the win for the next celeb portrait with 12772 votes!!!

So durfte ich also meinen Beitrag dazu leisten, dass zwei Tage später tatsächlich das Porträt von Ian Anderson bei youtube veröffentlicht wurde:


Ian Anderson of Jethro Tull ~ Portrait

Am Rande bemerkt: Ich finde es schon erstaunlich, wie sich im Internet Leute präsentieren, mit welchen Ideen (ich muss fast sagen: Geschäftsideen) diese aufwarten, da muss ich mir vielleicht auch einmal etwas Kurioses einfallen lassen (mir fällt bloß nichts ein, das Geld bringen könnte – also muss ich weiter zur Arbeit fahren, um für mich und meine Lieben die Brötchen zu verdienen – sei es drum).

Griechischer Barde und rockende Katze

Kretakatze schrieb am 18.08.2008:

Meine lieben Freunde,

nach längerer Zeit möchte ich wenigstens einmal ein kurzes Lebenszeichen von mir geben. Ich habe Euch nicht etwa vergessen, tatsächlich denke ich täglich an Euch, und täglich wird mein schlechtes Gewissen größer (was Euch allerdings kaum etwas nützen wird). Ich habe Euch unvorbereitet mit dem Sinn des Leben konfrontiert und dann mit Euren Fragen, Zweifeln und Unklarheiten allein gelassen. Das war äußerst rücksichtslos von mir. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich von einem neuerlichen Anfall manisch-musikalischer Kreativität heimgesucht wurde (er ist noch immer nicht vorbei…). Täglich traktiere ich stundenlang Gitarre und Stimmbänder und übe neue Lieder bis die Finger so schmerzen, dass ich keine Saite mehr herunterdrücken kann. Dann schaue ich mir auf Youtube Musikvideos an. Für den Sinn des Lebens finde ich da einfach keine Zeit mehr… Wie Ihr seht, mein Leben ist zurzeit ziemlich sinnfrei aber trotzdem restlos ausgefüllt.

Aber ich bin mir sicher, liebe Freunde, dass ich früher oder später zur Philosophie zurückkehren werde und den Diskussionsfaden wieder aufnehme. Tatsächlich habe ich auch in letzter Zeit hin und wieder ein bißchen was geschrieben, es ist nur nichts fertig und vieles ruht noch in meinen Kopfe. Auch das Thema Musik und Qualität beschäftigt mich noch, aber ich weiß nicht, ob ich es noch einmal aufgreifen sollte, da liegen unsere Ansichten wohl doch zu weit auseinander.

Wie Ihr wisst, lasse ich Euch immer gerne an meinem chaotischen Lebenswandel teilhaben, und daher folgt nun noch ein (nicht einmal sehr kurzer) Einblick in die musikalischen Pfade, auf denen ich gerade wandle. Ich fürchte zwar, dass es wieder nicht Eurem Geschmack entsprechen wird, aber ich habe gerade erst durch Eure Listen der Lieblings-Songs gelernt, dass es garnichts schadet, wenn man einmal ein paar Videos anschaut, die man sonst nie angeklickt hätte – es erweitert den Horizont.

Neben Klassikern wie REM’s Losing My Religion oder Melanie’s Ring The Living Bell (beide mit einem schönen, einfachen Rhythmus und leicht zu spielen) habe ich mich vor allem auf einen neuen Musiker gestürzt, der so neu eigentlich auch nicht mehr ist. Ich bin schon vor über einem Jahr erstmals auf ihn gestoßen und hatte hier auch bereits einmal ein Video von ihm verlinkt. Seine Musik fand ich damals ganz gut, aber die Zeit war wohl noch nicht reif für die intensivere Beschäftigung – ich weilte musikalisch noch in anderen Gefilden. Woran es liegt, dass man zu manchen Zeiten eine bestimmte Musik aufsaugt wie ein Schwamm, die zu anderen Zeiten längst nicht die gleiche Wirkung auf einen hat – ich weiß es nicht.

Wenn ich diesen Musiker jetzt hier vorstelle, werde ich mich vermutlich bei Euch damit nicht beliebter machen, denn er ist Grieche und er singt auch noch auf griechisch – wenn nicht gar in noch exotischeren Sprachen. Sein Name ist Miltiadis (kurz auch Miltos) Pascalidis, und da taucht schon das erste Problem auf. Es ist nicht möglich seinen Namen in lateinischen Buchstaben so zu schreiben, dass ein Deutscher ihn richtig aussprechen würde. Eigentlich müsste ich „Paschalidis“ schreiben, aber das würde wohl jeder als „sch“ interpretieren. Die richtige Aussprache ist aber „s-ch“, wobei das „ch“ hart klingt wie in „ach“. Im Internet findet man ihn üblicherweise unter der Schreibweise „Pasxalidis“ (manchmal auch Pashalidis oder auch Pasxalidhs etc. es gibt da zahlreiche Variationsmöglichkeiten), da die Griechen auch nicht wissen, wie sie ihr „ch“ in lateinische Buchstaben umsetzen sollen – im Englischen gibt es den Laut nicht. Also behalten sie einfach ihr griechisches „x“ = chi bei. Soweit mein kurzer Lehrgang zur griechischen Phonetik.

Herr Pascalidis ist von Hause aus Diplom-Mathematiker und hat wohl auch ein paar Semester Philosophie studiert. Er wirkt nicht direkt so, wie man sich üblicherweise einen Musiker vorstellt, schon garnicht einen griechischen. Eigentlich sieht er aus wie das, was er ist: Ein Diplom-Mathematiker mit Hang zur Philosophie, Typ „ewiger Student“ – allerdings vielleicht eher ein schwedischer. Er hat mich an einen Ausspruch Lockwoods erinnert, der vor kurzem meinte, Philosophen wären wohl meist ernste Menschen. Ich weiß nicht ob Herr Pascalidis direkt ein Philosoph ist, aber ich kann mich nicht erinnern je ein Photo oder Video von ihm gesehen zu haben, auf dem er gelächelt oder gar gelacht hätte – oft schaut er geradezu grimmig. Musik scheint für ihn eine todernste Sache zu sein und ein Auftritt vor Publikum kein Vergnügen (wenn doch, dann lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken). Ich finde es immer wieder faszinierend, welch unterschiedliche Charaktere sich musikalisch betätigen. Noch erstaunlicher ist, dass die Musik nicht so unterschiedlich zu sein scheint wie die Menschen, die sie produzieren.

Aber halten wir uns nicht länger mit dem unromantischen Erscheinungsbild des Herrn Pascalidis auf, hören wir uns lieber ein romantisches Lied von ihm an. Und ab hier ist jetzt Schluss mit den einfachen Rhythmen, denn Paramithi Me Lipimeno Telos (Märchen mit traurigem Ende) kommt im typisch griechischen 7/8 Takt. In dem Lied geht es darum, immer etwas sein zu wollen, was man nicht ist: Ich kannte einmal einen See, der ein Meer sein wollte…und immer, wenn der Tag anbricht, verzehrt ihn die Sehnsucht…ich liebte einmal ein Mädchen, das jeden Jungen fragte, wann sie eine Frau sein würde… zehn Jahre sind vergangen, aus dem Mädchen ist eine Frau geworden, aber ich bin immer noch ein Junge…und immer, wenn der Tag anbricht…

Von der Romantik zur Melancholie – O,Ti Ki‘ An Sisis (Was Du auch (er)lebst): Was Du auch erlebst, es ist nicht genug, es reicht nicht, dass Du lernst. Sooft Du denkst, Du bist ihm entgangen, wird es Dir wieder passieren… – und schließlich zur Depression – In Im‘ Ena Pevko Stin Akrojalia (Ich bin eine Kiefer am Strand) verarbeitet Herr Pascalidis einen Alptraum, der ihn lange Zeit verfolgt hat. Er muss zusehen, wie ein Kind ertrinkt und kann nicht helfen, denn er ist eine Kiefer am Strand.

Wer nun denkt Herr Pascalidis hätte nur langsame, schwermütige Lieder auf Lager, der wird jetzt gleich eines besseren belehrt. Herr Pascalidis kann auch schnelle, schwermütige Lieder: Pinelopi (Penelope). Eine Anspielung auf die Odysee: Du sagst, Du hast es satt zu warten und zwanzig Jahre am selben Kleid zu weben…ich werde immer zu Dir zurückkehren, und wenn Dir das nicht reicht, dann werde Du ein Schiff und ich werde ein Hafen…Alle auf hoher See werden vom Kummer verzehrt, wer auf Reisen war, sehnt sich nach Ithaka.

Was zu einem Intellektuellen immer gut passt, ist der kämpferische Prostestsong. Da ist auch Herr Pascalidis in seinem Element. Bei Ajiristo Kefali (Unbeugsamer Kopf) hört man schon am Rhythmus, worum es hier gehen muss. Wenn die Beschreibung des Videos stimmt, dann war das ein Auftritt im letzten Sommer auf dem Syntagma-Platz, dem Platz der Verfassung vor dem Parlamentsgebäude (viel sehen tut man ja gerade nicht) aus Anlass eines „Protestkonzerts für den Umweltschutz“, vermutlich eine Art griechischer „Earth Day“. Der Text des Liedes mutet geradezu apokalyptisch an (stammt allerdings ausnahmsweise nicht von ihm selbst): Es weht ein Wind, der alte und gehütete Wünsche hinwegfegt, die Helden machen sich aus dem Staub…blinde Vögel picken an meine Fensterscheibe…durch die Straßen galoppieren Reiter und jagen die herrenlosen Hunde, und die verängstigten Hausbesitzer treiben mit Weihwasser den Teufel aus, aber hier ist nicht der Balkan, sage ich Dir, hier darfst Du spielen, lachen und den Mund halten (das ist die Textstelle, bei der der Szenenapplaus aufkommt)…in Eure Hände lege ich das Steuer, damit nach der längsten Nacht der Tag anbricht.

Jetzt zur Aufheiterung ein kleines Tänzchen – ich würde einen Sonaradikos darauf tanzen (ich hatte hier schon einmal einen aus Glasgow verlinkt). Aber so ganz die unbeschwerte Lebensfreude ist das Lied dann doch auch wieder nicht. O Trelos (Der Verrückte) scheint eher ein Tanz für Verrückte zu sein: Die Welt tanzt außer Rand und Band, jeder nach seinem eigenen Rhythmus – damit ein Verrückter einen Tanzpartner findet, verkauft er sich selbst – Wenn Du nichts glaubst, dann frag nicht, und wenn Du mir nicht zuhörst, dann schau mich nicht an – wenn Du kein Feuer willst, dann spiele nicht mit Kohlen… usw. – jede Menge Verhaltensregeln – für Verrückte? Wie auch immer, ich mag dieses Lied ganz besonders, wahrscheinlich bin ich ja auch verrückt.

Zum Schluss noch ein Liebeslied (und außerdem mein Lieblingslied): Fotia mou (Mein Feuer): Mein Feuer und meine Luft, an der Grenze dieses Tages, gib mir Deine Flamme und werde mein Licht, mein Goldenes Vlies…usw.. Bei Herrn Pascalidis klingt das alles sehr leidend.

So, nun hoffe ich, Ihr habt nicht etwa auch sehr leiden müssen, und verabschiede mich für heute.

Liebe Grüße und bis demnächst
Kretakatze

PS.: Zur guten Nacht gibt’s jetzt noch ein Nanourisma (Wiegenlied) – natürlich von Herrn Pascalidis. Ich fand auch das Photo so passend, es erinnert mich irgendwie an meine Gitarre und daran, dass ich das vielleicht auch noch auf ihr spielen sollte…

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Kretakatze schrieb am 07.09.2008:

Hallo meine Lieben,

ich wollte mich nur kurz bei Euch melden um Euch auf ein aufsehenerregendes Video aufmerksam zu machen, über das ich soeben gestolpert bin, und das keinen anderen betrifft als unseren Meister Anderson. Vielleicht habt Ihr es ja noch nicht entdeckt, es wurde auch erst vor reichlich einer Woche auf YouTube gestellt. In der kurzen Zeit wurde es über 900 Mal kommentiert und mit mehr als 280 „video responses“ beantwortet, damit konnte es in den Statistik-Kategorieren „Most commented“ und „Most responded“ vordere Plätze belegen. Mr. Anderson kommt zwar nicht direkt selbst darin vor, er wird nur portraitiert – das allerdings auf vieltausendfachen Wunsch und recht gelungen: Ian Anderson of Jethro Tull – Portrait.

Um auch noch kurz von mir zu berichten: Seit etwa einer Woche bin ich stolze Besitzerin einer Videocamera, das hat die Philosophie auf meiner Prioritätenrangliste wieder etwas nach hinten rutschen lassen. Wozu braucht das Leben einen Sinn, wenn man sich die Zeit mit Filmen vertreiben kann?

Hauptsächlich habe ich die Camera gekauft um abzufilmen, was ich auf der Gitarre spiele. Ich habe das Problem, dass ich nichts „vom Blatt“ spielen kann, und mit Tabulator-Notationen komme ich auch nicht zurecht. Tatsächlich habe ich eigene handschriftliche Tabulator-Aufzeichnungen aus den 70ern gefunden, bei denen ich nicht einmal mehr rekonstruieren konnte um welches Lied es sich handelt – leider hatte ich damals wohl nicht für nötig befunden das dazu zu schreiben. Derartige Aufzeichnungen machen für mich also wenig Sinn.

Eigentlich kann ich nur nachsingen oder nachspielen, was ich irgendwo gesehen oder gehört habe. Da mein Repertoire inzwischen einen Umfang angenommen hat, der es unmöglich macht täglich alles zu üben, und mein Gedächtnis auch immer schlechter wird, habe ich also nach einer Möglichkeit gesucht meine „Cover-Versionen“ so aufzuzeichnen, dass ich hoffentlich auch in späteren Jahrzehnten noch schlau daraus werde. Und aus diesem Grund wird jetzt alles gefilmt.

Wilfried hat hier erst vor kurzem in der Rubrik Jethro Tull einen Gitarrenlehrer vorgestellt, der auf YouTube per Video unterrichtet. Seine „Lektion“ zu Jethro Tull’s Wond’ring Aloud ist wirklich sehr interessant und aufschlussreich, aber an so komplizierten Dingen versuche ich mich garnicht erst, das bekomme ich doch nicht hin. Bei Kretakatze gibt’s nur „easy guitar“. Zum Glück gibt es hin und wieder Lieder, die man auch mit kurzen, krummen, ungeschickten Fingern spielen kann und die trotzdem noch ganz gut klingen. Solche versuche ich zu finden und in mein Repertoire aufzunehmen. Und natürlich bleibt Euch jetzt eine Kostprobe nicht erspart. Ich habe zwei Titel ausgewählt, die Euch bekannt vorkommen müssten, da ich sie in früheren Beiträgen bereits erwähnt habe: Kretakatze reitet über den River und Kretakatze rockt on the Road. Ich bitte um Nachsicht, wenn meine Finger nicht immer die richtigen Saiten treffen. Ach ja, und haltet Euch fest, damit Ihr nicht vom Stuhl fallt, wenn meine liebreizende Stimme erklingt.

Irgendwo ist es mir ja fast peinlich solche Videos in die Öffentlichkeit zu stellen, wo es auf YouTube soviele Covers gibt von Leuten, die wirklich Gitarre und singen spielen können. Andererseits gibt es auf YouTube auch eine Menge Videos von Leuten, die nicht besonders gut Gitarre spielen oder singen können. Und es ist für mich immer wieder beruhigend zu sehen, dass ich in dieser Beziehung nicht die Einzige bin. Außerdem habe ich mir auch aus solchen Videos schon die eine oder andere Anregung geholt. Vielleicht geht es Anderen ja genauso. Also was soll’s…

So, das war‘ für heute. Seid herzlich gegrüßt bis zum nächsten Mal
Kretakatze

PS.: So ganz ohne „gescheites“ Musikvideo möchte ich mich dann doch nicht von Euch verabschieden. Hier jetzt zur Abwechslung eine Lady, die wirklich singen und Gitarre spielen kann (und die ich Euch eigentlich schon seit längerem einmal vorstellen wollte): Sarah McLachlan – Building A Mystery.

PPS.: Eine Frage an Dich, lieber Wilfried, Du müsstest auf diesem Gebiet Experte sein: Eigentlich wollte ich Euch diese Mail schon gestern schicken, ich wollte nur noch kurz vorher die beiden Videos auf YouTube hochladen… Kurz? Es hat ca. 10 Stunden gedauert und zwischendurch zu drei Abbrüchen wegen Timeout geführt. Ist das eigentlich normal???

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Wilfried schrieb am 11.09.2008:

Hallo Ihr alle,

Kretakatze hat den Sinn des Lebens ‚verloren’ („Für den Sinn des Lebens finde ich … einfach keine Zeit mehr“), lebt sinnfrei und trotzdem restlos ausgefüllt, also ein ausgefülltes, wenn auch sinnloses Leben. Wer kann das schon von sich behaupten.

Im Ernst: Das Ergebnis von Kretakatzes täglichem Traktieren der Gitarre und Stimmbänder trägt erste Früchte, wie bei youtube zu sehen ist. Da entschuldigen wir es doch gern, mit unseren Fragen und Zweifeln alleingelassen zu sein. Es gibt eben mehr als nur die Frage nach dem Sinn des Lebens. Aber dazu (zu Kretakatzes Traktieren) am Ende mehr.

Die Videos vom griechischen Diplom-Mathematiker (Pascalidis oder doch eher Paschalidis) hatte ich mir bereits vor meinem PC-Crash angeschaut und Kretakatzes Befürchtungen, die könnten nicht unserem bzw. meinem Geschmack entsprechen, konnte ich bereits da nicht verstehen. Jetzt, nach wiederholtem Hören, bleibe ich gern bei meinem Urteil: die Lieder gefallen mir. Okay, das erste gezeigte Lied „Paramithi Me Lipimeno Telos“ (Märchen mit traurigem Ende) ist eben doch typisch griechisch (ich habe es zz. mit dem Typischen). Ich versuchte, mich in diesen doch ungewöhnlichen 7/8-Takt ‚hineinzuwurschteln’ (auf der Tischkante fingerklopfenderweise), aber so ganz geht mir das nicht ins Blut über. Musiktheoretisch ist ein solcher Takt ja eigentlich aus 4/8 und 3/8 zusammengesetzt. Aber Theorie und Praxis sind eben zwei beschiedene Paar Schuh.

Nun die weiteren Lieder nähernd sich dann schon mehr unseren mitteleuropäischen Hörgewohnheiten. „O,Ti Ki‘ An Sisis“ (Was Du auch (er)lebst) ist wahrlich melancholisch, aber eben auch sehr schön. „Im‘ Ena Pevko Stin Akrojalia“ (Ich bin eine Kiefer am Strand) ist mir etwas zu dramatisch und auch etwas zu schleppend – aber dank Kretakatzes Anmerkungen weiß ich, dass es eben auch ein Lied mit dramatischem Inhalt ist. „Pinelopi“ (Penelope) kommt recht rockig daher. Ähnlich griechisch-rockig wie manches Anderson-Stück schottisch-rockig ist. An „Nanourisma“ (Wiegenlied) gefällt mir z.B. auch das Saxophon-Solo am Ende. Vieles erinnert mich an Angelo Branduardi, den wir an anderer Stelle in diesem Blog öfter erwähnt haben (u.a. in seiner Interpretation des Liedes vom Apfelwein). Stimmlich denke ich da an Hannes Wader.

Also, was soll ich sagen? Vielen Dank an Kretakatze, dass Du uns diesen griechischen Diplom-Mathematiker mit Hang zur Philosophie und seine langsamen, schwermütigen bzw. schnellen, schwermütigen Lieder vorgestellt hast. Respekt an dieser Stelle für Deine Kenntnisse der griechischen Sprache (und nicht nur der).

Kretakatze ist nun also bei youtube zu bewundern. Ich meine das wirklich nicht ironisch (von wegen bewundern). Zunächst möchte ich dem „if I can do, everybody can” widersprechen. Schön wäre es, wenn dem so wäre. Vielleicht mit viel Fleiß und Übung annähernd machbar. Und doch: Nein, ohne ein Mindestmaß an Musikalität kann everybody das eben nicht.

Klar, zunächst stellt jeder erst einmal sein Licht unter den Scheffel (aber so bescheiden sind Deine Fähigkeiten eben nicht, Kretakatze) – bis der Scheffel brennt. Nein, ich finde es einfach mutig, sich nicht nur eine Videokamera zu kaufen und dann die Aufnahmen zu machen, sondern die Aufnahmen dann auch noch ins Netz zu stellen. Ja, ich weiß, notfalls kann man die Lieder schnell auch wieder löschen (oder die ätzendsten Kommentare löschen – oder gleich die Möglichkeit, Kommentare abzugeben, ausschalten). Aber als ‚Künstler’ lebt man bekanntlich von der Resonanz des Publikums (die sollte möglichst positiv sein, ist klar).

Also hier meine Resonanz: Zunächst hatte ich das Dire Straits-Cover gehört. Als nach dem längerem Vorspiel der Gesang einsetzte, war ich erst einmal ziemlich verblüfft. Bisher kannte ich Deine Stimme ja nicht, Kretakatze. Ich rechnete während des Fortdauerns des Vorspiels wohl nicht mehr damit, dass du jetzt auch noch singst. Dann also Dein Gesang. Diese Alt-Stimme.

In einem Buch, das ich dieser Tage erneut gelesen hatte (Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein) – ja ich weiß, ich mache es spannend -, in dem es im Wesentlichen um Missverständnisse in der menschlichen Kommunikation geht, erzählt der Autor von einem Ehepaar. Die Frau kocht ihrem Mann etwas völlig Neues und fragt ihn dann, wie es ihm schmeckt. Obwohl es ihm überhaupt nicht mundete, er aber seine Frau auch nicht kränken wollte, sagte er nur: Es schmeckt interessant! Das Wort interessant wird, weil es so vielsagend ist (von anregend über beachtenswert bis hin zu markant und aufschlussreich), meist nichtssagend benutzt.

Nein, interessant ist Dein Gesang, Deine Stimme ‚nicht’. Wenigstens nicht, wie es der Ehemann von den Kochkünsten seiner Frau meinte. Eher im Sinne von außergewöhnlich (fast hätte ich gewöhnungsbedürftig geschrieben). Dann diese leichten Schwankungen, Tremolos zwischendurch, mögen diese von Unsicherheiten (innerer Anspannung) oder Ungeübtheit herstammen, sie geben deiner Stimme einen ‚interessanten’ Reiz, d.h. besonderen Reiz.

Wärest Du einige Jahre jünger, dann könnte ich mir gut vorstellen, falls Du Deine Stimme ausbilden ließest, dass Du mit ihr Erfolg haben könntest. Sie ist keine Tralala-Stimme wie viele, die uns heute immer wieder zu beglücken suchen. Ja, ich finde deine Stimme wirklich außergewöhnlich (nach dem genannten Tralala, den man täglich hört, wie gesagt: fast gewöhnungsbedürftig). Das soll ein Kompliment sein!

Was soll ich sonst noch dazu sagen? Ich bin gespannt auf weitere Interpretationen von Dir bei youtube. Und ich will ganz ehrlich sein: Ich würde das so nicht können. Aber wer weiß. Vielleicht packt mich ja doch noch der Ehrgeiz, es dir nach zu tun. Das ist aber kein Versprechen (höchstens ein Versprecher).

Aber genug gelobt. Überhaupt genug für heute.
Bleibt alle gesund und munter, lasst Euch nicht zu sehr von den Schicksalsschlägen niedermachen (schlagt zurück).

Horrido
Euer Wilfried

P.S. Zu dem erwähnten Ian Anderson-Portrait bei youtube später etwas mehr (wahrscheinlich in einem eigenen Beitrag):


Ian Anderson Portrait

P.P.S. Ja mit dem Hochladen der Videos zu youtube ist das schon so eine Sache. Bei mir klappte das eigentlich fast immer ohne Abbrüche, die kamen aber durchaus schon vor. Bei mir dauert es meisten sogar noch etwas länger, kommt aber auf die Größe der Dateien an – und auf den Zeitpunkt, also wann ich das mache (wochentags gegen Mittag geht das schneller als abends oder gar nachts, wenn halb Amerika seine Videos bei youtube einstellt).

English Translation for Ian Anderson

Musik und Qualität

Im Beitrag Kumpelschaften (Noddy & Ian) fragte Lockwood zuletzt: „Wann ist Musik “gut” ?“ und deutete an, ein Problem zu haben, wenn „Michael Jackson und Diedä Bohlen bedeutende zeitgenössische Musiker“ wären. Ob wir Lockwood von seinem Problem erlösen können? Hier geht es weiter …

Kretakatze schrieb am 16.06.2008:

Hallo meine Lieben,

Lockwood hat das Thema „erfolgreiche Musiker“ und „Chartplatzierungen“ angesprochen, und darauf möchte ich doch noch etwas differenzierter eingehen (ziemlich differenziert sogar).

Zunächst einmal stammt von ihm der Satz „Die Hitliste, auf deren 2. Stelle Slade zu finden ist, basiert wohl auf Chartplatzierungen, also auf Verkaufszahlen“. Charts basieren durchaus nicht immer und ausschließlich auf Verkaufszahlen, sondern wie wir in diesem Wikipedia-Artikel nachlesen können, evt. auch auf Publikumswahlen oder auf Sendehäufigkeiten im Radio. In Zeiten sinkender Plattenverkäufe und zunehmender illegaler Downloads aus dem Internet sind Verkaufszahlen allein auch kein ausreichendes Kriterium für die Beliebtheit einer Musik mehr. Der Billboard Hot 100, der aktuell wichtigste amerikanische Musik-Chart, basiert daher bereits seit Jahren auf einer Kombination aus Endverbraucher-Verkäufen und „Airplay“, also Sendehäufigkeit und -Reichweite (d.h. erreichte Hörer) im Radio. Hier wurde also bereits versucht, den „Erfolg“ einer Musik in beiden Kategorien durch einen gemeinsamen Index gegeneinander aufzurechnen und vergleichbar zu machen.

Dazu als Beispiel einmal wieder Clay Aiken – sorry, Jungs, aber er eignet sich so gut. Wie wir bereits wissen besteht die Fangemeinde von Mr. Aiken hauptsächlich aus anständigen, wohlsituierten Damen über 40. Dieses Publikum ist noch von alters her gewohnt, dass man Musik im Laden kauft und dafür bezahlt. Außerdem wollen sie ihr Idol unterstützen und auf den Verkaufscharts vorne sehen, und sie haben die finanziellen Mittel dazu. Veröffentlicht Mr. Aiken also ein neues Album, wie erst letzten Monat geschehen, dann stürmen die Claymates bereits am Tage der Veröffentlichung die Läden und kaufen nicht nur ein Exemplar, sondern gleich 3 oder 5 oder 10. Antwort einer Dame mittleren Alters, die interviewt wurde als sie mit einem ganzen Packen „Clay Aiken – On My Way Here“ in der Hand den Laden verließ, auf die Frage was sie mit all den CDs machen wolle: „Eine ist für daheim, eine fürs Auto, eine fürs Büro, und den Rest verschenke ich“.

So kommt es, dass Clay Aiken’s CD in der Woche ihres Erscheinens auf Platz 2 der Verkaufscharts lag (Dummerweise brachte er sein neues Album am gleichen Tag heraus wie Josh Groban und Neil Diamond – an Josh Groban kam er vorbei, an Mr. Diamond nicht. Das zeigt auch von welchen „Zufälligkeiten“ Chart-Platzierungen abhängen können. Hätte Mr. Diamond sein Album eine Woche später veröffentlicht…). Gleichzeitig führte der Titelsong seines Albums die Download-Charts an – ich möchte wetten, dass jede Menge Ladies, die das Album schon fünfmal erstanden hatten, sich zusätzlich auch den Song noch fünfmal heruntergeladen haben – Mr. Aiken lässt man sich gerne etwas kosten.Irgendeine Band, deren Fans hauptsächlich aus Teenies bestehen, hat dagegen keine Chance. Da kauft sich vielleicht Einer in der Clique die CD und die anderen 10 kopieren sie oder laden sie sich aus dem Web runter – natürlich ohne zu zahlen. Ein Auto und ein Büro hat da auch Keiner und Geld für 10 CDs auch nicht.

Schaut man sich dagegen die Radio-Charts an, dann sieht das ganz anders aus. In den Airplay-Charts der Top 40 amerikanischen Radiostationen taucht der Name Clay Aiken nicht auf. Hier bestimmen die Disc-Jockeys, was auf den Teller kommt, und die wählen das aus, was ihrer Meinung nach ihr Publikum hören will. Dieses Publikum ist vermutlich überwiegend jugendlich, und die DJs scheinen überwiegend der Meinung zu sein, dass man denen Clay Aiken nicht zumuten kann (worin ihnen Wilfried sicher lebhaft zustimmen wird). Hier haben jetzt die Favoriten der Teenies eine echte Chance – was allerdings die Qualität der Musik auch nicht unbedingt erhöht, wie wir gleich erleben werden.

Dazu noch einmal ein Beispiel, mit dem ich mich bei Wilfried wieder unbeliebt machen werde. Im letzten Sommer hatte sich Clay Aiken für seine Bühnenshow ein Medley aus 12 Titeln zusammengestellt, die alle zu dieser Zeit vordere Plätze in den Airplay-Charts der Top-40-Radiostations belegten – er wollte auch einmal etwas cooles singen, was im Radio gespielt wird. Ich habe dieses Medley erst vor ein paar Tagen Wilfried in einem Kommentar untergejubelt, aber für die, die es noch nicht kennen, hier das Gleiche noch einmal in einer anderen Version: The Classics Medley (wer nicht will, muss es ja nicht anklicken – also ich finde es herrlich albern).

Was mir daran auffiel: Abgesehen von jeder Menge Sex und Schwachsinn tauchen hier Titel auf wie Beat It (Michael Jackson), Like a Virgin (Madonna), Oops, I Did it Again (Britney Spears), 1999 (Prince) oder Bills, Bills, Bills (Destiny’s Child), die teilweise wahrscheinlich schon fast 10 Jahre alt sind. Aus den Verkaufs-Charts sind sie längst verschwunden, aber im Radio belegen sie immer noch erste Plätze. Wie vergleicht man den Erfolg von einem Titel, der eine Woche lang die Download-Charts angeführt hat (und an den sich in zwei Jahren vermutlich kaum noch ein Mensch erinnert) mit einem Song, der vielleicht nie einen ersten Platz belegt hat, der aber nach 10 Jahren immer noch regelmäßig im Radio gespielt wird?

Kommen wir vom Vergleich des Erfolgs von Musiktiteln zum Vergleich des Erfolgs von Musikern, und dafür werde ich 3 Absolventen von American Idol anführen. Nach offizieller Auffassung – nachzulesen in Wikipedia – sind die bislang erfolgreichsten Teilnehmer an American Idol Carrie Underwood (Gewinnerin AI4), Kelly Clarkson (Gewinnerin AI1) und Clay Aiken (Zweiter AI2) – in dieser Reihenfolge. Sie basiert allein auf der Anzahl verkaufter Tonträger. Bei einer Abstimmung im Jahr 2006, in der es darum ging das „beliebteste Idol“ zu küren, gewann Mr. Aiken. Geht es um die offizielle Anerkennung des „Musikschaffens“, dann konnten sich beide Damen bereits Grammies in die Vitrine stellen, bei Mr. Aiken war es bislang „nur“ ein Music Award Fanpreis aus dem Jahr 2003 und eine Music Award Nominierung. Beim „Airplay“ liegen die Ladies deutlich vorne, was die Präsenz im Fernsehen betrifft ist Mr. Aiken klarer Gewinner. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass er bereits in mehreren Fernsehserien Gastauftritte hatte, in Fernsehshows als Co-Host agierte oder in seiner Funktion als UNICEF-Botschafter gefilmt bzw. interviewt wurde – hat also nicht direkt etwas mit Musik zu tun. Ein ganz wichtiger Aspekt sind aber meiner Meinung nach die Konzerte. In Zeiten sinkender Verkaufszahlen von Tonträgern werden für Musiker die Konzerte als Einnahmequelle immer wichtiger. Bislang gibt es noch keinen Chart, der Konzerte irgendwie berücksichtigen würde, z.B. in Form von Anzahl verkaufter Tickets. Da Mr. Aiken in diesem Bereich sehr aktiv ist und meist zwei Tourneen im Jahr absolviert, würde ich vermuten, dass er in diesem Punkt die Nase vorn hat.

So, wer ist jetzt von den Dreien der oder die Erfolgreichste? Ich denke, das kann man so nicht sagen, das einzige halbwegs objektive Kriterium könnten hier noch die jährlichen Einnahmen sein. Und über die wird man wohl kaum zuverlässige Informationen bekommen. Ansonsten sollte man besser nicht global von „Erfolg“ sprechen, sondern konkret das Kriterium nennen, das man gerade vergleichen möchte.

Der langen Rede kurzer Sinn: Zurück zu Slade und ihrem Titel als „2. erfolgreichste Band“. Diese Aussage kann sich eigentlich nur auf ein ganz bestimmtes Kriterium beziehen (vermutlich eben Plattenverkäufe) in einem ganz bestimmten Jahr, und das vermutlich auch noch in einem ganz bestimmten Land. In der Liste der erfolgreichsten Musiker aller Zeiten (die natürlich sehr mit Vorsicht zu genießen ist) tauchen Slade nämlich garnicht erst auf. Allerdings tauchen z.B. Creedence Clearwater Revival auch nicht (mehr) auf, ich bin mir sicher sie in dieser Liste schon einmal gesehen zu haben. Vermutlich sind sie gelöscht worden, weil die Quelle als zu zweifelhaft galt. Ich habe eine Zahl von 125 Mio. Tonträgern in Erinnerung. Stattdessen sind jetzt auch Jethro Tull hier zu finden, die ich das letzte Mal noch vermisst hatte.

Aber Lockwood war in seiner letzten Mail schnell weitergeeilt, von der Frage des Erfolgs zur Frage der Qualität. Und das ist nun ein noch viel schwammigeres Gebiet. Qualität und Erfolg sind wohl schon irgendwie positiv miteinander korreliert, aber nach meinem Gefühl nicht besonders stark. Und was „gute Musik“ ist beruht auf rein subjektivem Empfinden, dafür kann es keine objektiv messbare Maßeinheit geben. Seinerzeit hatte ich auch in meinem Beitrag mit dem Titel Musik und Intelligenz schon einige Worte zu diesem Thema verloren. „Musik und Intelligenz“ oder „Musik und Qualität“- das läuft mehr oder minder auf’s Gleiche hinaus. Allein wir Drei bis Vier, die wir ja tendentiell musikalisch ähnlich veranlagt sind, können uns in diesem Punkt schon nicht einig werden – unsere teilweise weit auseinanderliegende Auswahl der „besten Songs aller Zeiten“ spricht da Bände. Und über Geschmack sollte man sich nicht streiten, das führt zu nichts.

So genug für heute, und ab morgen wird wieder philosophiert…

Seid herzlichst gegrüßt
Kretakatze

PS.: Entfällt heute wegen akuter Erschöpfungszustände

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WilliZ schrieb am 16.06.2008:

Ja, meine Lieben,

Sympathie und Erfolg … Wann ist Musik „gut“?! Ihr habt Probleme. Wenn ich eine bestimmte Musik gut finde, dann werde ich in der Regel auch den Interpreten gut und damit mehr oder weniger sympathisch finden. Ungeachtet all dessen, was wir inzwischen Negatives von Herrn Anderson wissen, wird er uns (auf jeden Fall mir) sympathisch bleiben. Das hat eben viel mit seiner Musik zu tun. Wenn wir seine Musik nicht mögen sollten, dann gäbe es kein Interesse an seiner Person – und die Frage nach Sympathie oder Aversion würde sich erst gar nicht stellen. Das gilt in meinem Fall bei Wolfgang Petry. Auch ich kenne ihn eigentlich nur dem Namen nach. Vielleicht habe ich schon das eine oder andere Lied von ihm gehört. Aber ich wüsste jetzt nicht, welches. Und so finde ich ihn weder sympathisch noch unsympathisch. Ich kenne ihn einfach nicht. Wahrscheinlich möchte ich ihn auch gar nicht kennen lernen, weil er musikalisch aus einer Ecke kommt, in der ich mich nicht aufhalte.

Bei Noddy Holder mag das etwas anders sein. An die Musik von Slade erinnere ich mich noch, sie entsprach zwar nicht meinen Geschmack, aber ich bin auf jeden Fall nicht zusammengebrochen, als auf früheren Parties das eine oder andere Lied von denen gespielt wurde.

Und Erfolg? Dazu hat sich Kretakatze ausführlich ausgelassen und ich kann ihr nur zustimmen. Erfolg ist nur messbar, wenn die benutzten Variablen die gleichen sind. Erfolg ist zudem eine quantitative Größe, die nur wenig mit Qualität zu tun hat. Mögen die Beatles auch mit „guter“ Musik Erfolge erzielt haben. Viele andere „erfolgreiche“ Musiker boten diese Qualität nicht. Erfolg hat heute auch viel mit Marketing zu tun. Daher auch der Erfolg von TV-Sendungen wie DSDS, American Idol und wie immer diese heißen. Aber das Thema hatten wir ja bereits.

Was ist nun „gute Musik“? Hierfür gibt es mindestens zwei Sichtweisen. Für viele ist Musik dann gut, wenn sie gefällt. Da spielt der individuelle Geschmack die Hauptrolle. Nicht jeder mag Currywurst mit Pommes. Aber es gibt durchaus einige, die sowohl Kaviar mögen als auch Currywurst (und einzelne, die Currywurst mit Kaviar mögen). Damit kommen wir zur 2. Sichtweise: Was macht die Qualität von Musik aus? Wolfgang Petry ist wie Currywurst von der Pommesbude nebenan: zu fett und ungesund. Noddy Holden und seine Slade sind vielleicht Fish and Chips, aber in einem Mittelklasserestaurant serviert. Die Zutaten sind frisch, der Fisch in Butter gedünstet statt in ranzigem Frittenfett. Und auch die Fritten kommen nicht aus dem Tiefkühlfach.

Nun Kaviar ist auch nicht unbedingt gesund. Nehmen wir eine Mahlzeit, die ausgewogen, also gesund ist. Es kommt zunächst auf die Zutaten an. Schon allein die Tatsache, das Ganze mit frischem Pfeffer (aus der Pfeffermühle) zu würzen, kann graduelle Unterschiede bewirken. Manchmal tut es ein einfacher Salat, aber eben raffiniert gewürzt. Das ist wie ein schlichtes Lied, das trotzdem qualitativ als gut bewertet werden kann. Und je aufwändiger ein Mahl zubereitet wird, um so mehr Geschick (Kompositionsgabe) muss der Koch besitzen. Dazu gehört Talent, meist aber auch eine gründliche Ausbildung.

Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks. Aber zunächst sollte man auch Geschmack haben, um ein Qualitätsurteil bilden zu können. Wer Tag für Tag Fastfood in sich hineinstopft, schmeckt im Grunde nichts mehr. Hauptsache es macht satt. Wer bewusst isst (hört), wird auch eher ein richtiges Urteil fällen können.

Gehabt Euch wohl
Euer Wilfried

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Lockwood schrieb am 17.06.2008:

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Wilfried zieht das Fazit „Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks.“

Dieses Ergebnis beruhigt mich; daraus folgt, dass eine gut verkaufte Platte nicht unbedingt eine qualitativ hochwertige Platte sein muss. Damit bin ich einverstanden.

Aber Euren Ausführungen entnehme ich, dass es kein objektives Kriterium für musikalische Qualität gibt. Einfach zu wertende Ingredienzien wie altes Fett oder frische Butter – um in Wilfrieds Bild zu bleiben – gibt es in der Musik nicht.

Die Beurteilung eines Liedes wird immer von den eigenen Vorlieben gefärbt. Das wiederum bedeutet, dass man nicht mit Fug und Recht behaupten kann, G.G. Anderson mache schlechte und Ian Anderson mache gute Musik.

Habe ich damit Eure Ausführungen korrekt zusammengefasst ?

Mein Ergebnis gefällt mir überhaupt nicht. Ich bitte um Widerspruch.

So long
Lockwood

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Kretakatze schrieb am 18.06.2008:

Hallo meine Lieben,

da habe ich ja nicht schlecht gestaunt – Wilfried entpuppt sich als Meisterkoch und Experte für kulinarische Genüsse. „Butter bei die Fische“ und frischen Pfeffer an den Salat, hier gibt’s jetzt kostenlose Tipps für den Hobby-Koch! Und dass es nicht nur schmeckt sondern auch gesund ist, ist das Merkmal für Qualität. Habe ich das so richtig verstanden?

Also meiner Meinung nach ist Essen dazu da, Bedürfnisse zu befriedigen, genauso wie im Übrigen auch Musik. Da sind zunächst die Grundbedürfnisse: Es sollte nahrhaft sein und sättigen. Dann die Sekundärbedürfnisse: Es sollte schmecken. Und zuletzt der Luxus: Es ist schön, wenn es auch noch gesund ist. Wobei der „Gesundheitsaspekt“ schwer zu messen ist (außer es handelt sich um Diät). Butter und Pfeffer sind vielleicht nicht unbedingt dazu angetan, den Gesundheitseffekt zu erhöhen. Fisch und Salat schon eher, aber auch nur, solange sie nicht zu einseitig genossen werden.

Schluss jetzt bevor ich beginne Euch die Strukturformeln essentieller Aminosäuren aufzuzeichnen (wer schon einmal einen Blick auf meine Homepage geworfen hat weiß, dass ich ein verhinderter Ernährungswissenschaftler bin). Die Frage ist: Was hat das alles mit Musik zu tun, bzw. wo sind die Parallelen. Ich muss zugeben, lieber Wilfried, dass mir das aus Deinen Ausführungen nicht klar geworden ist. Deine Schlussfolgerung „Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks“ kann ich so nicht nachvollziehen. Woran genau erkennst Du nun Qualität in einer Musik? Was ist denn nun „Geschmack“, vor allem derjenige, „den man haben sollte“? Hat nicht in unseren Augen immer derjenige „Geschmack“, der die gleichen Vorlieben hat wie man selbst? Gibt es überhaupt etwas Subjektiveres als „Geschmack“?

Schon vor Jahren (ich glaube es waren sogar Jahrzehnte) hatte ich mir einmal Gedanken gemacht zu der Frage: Was ist eigentlich Qualität? Ich kam damals zu folgender Definition: Qualität ist ein Maßstab für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Oft wird der neutrale Ausdruck „Qualität“ gleichgesetzt mit dem Ausdruck „hohe Qualität“, d.h. ein hoher Grad der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.

Ich würde heute, aus einer anderen Perspektive betrachtet, noch eins obendrauf setzen: „Gute Musik“ ist Musik, die dem Sinn des Lebens dient, oder simpler ausgedrückt, die die Welt besser macht.

Weltverbesserische Grüße
Kretakatze

PS: Simples Lied, das die Welt verbessert (keine Angst, das könnt Ihr ruhig anklicken, es kommt ausnahmsweise kein Clay Aiken darin vor)

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WilliZ schrieb am 18.06.2008:

Seid gegrüßt,

also den Hobbykoch mache ich hier nicht. „Was hat das alles mit Musik zu tun, bzw. wo sind die Parallelen“, fragt Kretakatze an. Nun es geht bei der Frage nach „guter Musik“ auch um Geschmack. Ursprünglich bezieht sich das Wort auf etwas, was eng mit der Nahrungsaufnahme zu tun hat. Vielleicht von daher die Parallele. Aber lassen wir die Currywurst in der Pfanne.

Natürlich ist Geschmack etwas sehr Subjektives. Das habe ich nie bestritten. Daneben gibt es aber begrifflich etwas, nämlich den „guten Geschmack“, den ich bei „Geschmack haben“ zugeordnet sehen wollte. Es geht also darum, einen „guten Geschmack zu haben“ (so wie wir eigentlich von guter Qualität sprechen müssen, wenn wir Qualität meinen). Natürlich haftet auch diesem Begriff etwas Subjektives an. So wie ich es sehe, hat „guter Geschmack“ etwas mit der bewussten Auseinandersetzung mit etwas zu tun, z.B. Musik hören. Ich setze mich damit auseinander, ich werde davon berührt. „Guter Geschmack“ wird entwickelt, indem über einen langen Zeitraum geschmeckt wird. Erst nach und nach werden mir viele Details bewusst, die ich als Kriterium für weiteres Schmecken benutzen kann. Und nur mit der Zeit kann ich (muss aber nicht) ein gewisses Gespür für Qualität entwickeln.

„Qualität ist ein Maßstab für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse“. Das deckt sich durchaus mit dem von mir eben Gesagtem. Sind meine Bedürfnisse nicht besonders hoch, dann gebe ich mich auch mit Einheitskost zufrieden. Je mehr ich aber meinen Geschmack kultiviere (bewusst schmecke), desto anspruchsvoller werde ich und damit mein Geschmack.

„Gute Musik“ ist Musik, die dem Sinn des Lebens dient, oder simpler ausgedrückt, die die Welt besser macht, schreibt Kretakatze. Dem stimme ich gern zu. Aber gut = Güte = Qualität definiert diese Aussage nur zum Teil (die Frage nach dem Sinn des Lebens lasse ich hier außer Acht, das Thema diskutieren wir ja an anderer Stelle).

Ich will mich hier nicht mit Musiktheorie beschäftigen (Harmonielehre usw.). Aber es gibt Lehrsätze, die sich über viele Jahrhunderte gebildet haben und die zu Kriterien auch über die Bestimmung, was gute Musik ist, entscheiden können. Auch dies ist nur ein Punkt, der uns hilft, gute von schlechter Musik zu trennen. Die Herkunft spielt natürlich auch eine Rolle. Arabische Musik werden wir als disharmonisches Gejaule empfinden (und umgekehrt).

Wenn wir versuchen, „gute Musik“ zu definieren, dann meinen wir sicherlich auch die Texte (z.B. eines Liedes). Ohne jetzt auch noch „gute Literatur“ definieren zu wollen, aber bestimmte Schlagertexte wird jedes Kind (natürlich nicht wirklich jedes) als bescheiden einstufen können. „Ich bin verliebt in die Liebe“, „Tränen sind nicht nur zum Weinen“ (um Herrn G.G. Anderson zu zitieren), „Der Colt steckt immer im Pyjama“. Das könnte ich endlich fortsetzen. Aber lasse ich das. Auch der andere Herrn Anderson hat sicherlich manch krauses Zeug getextet. Ich selbst schließe mich da gar nicht aus.

Um es kurz zu machen (ich erhebe in meinen Erläuterungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es gibt auch noch etwas anderes, als hier seitenlang über die Güte von Musik zu diskutieren, z.B. gute Musik zu hören): Was ‚gut’ ist, hängt von vielen Faktoren ab. Daher bleibe ich bei meiner Aussage: Qualität ist nicht allein ein Kriterium des Geschmacks!

Zuletzt: Da wir alle gern unser bescheidenes Wissen bei Wikipedia erweitern, hier die Definition für Qualität gemäß DIN EN ISO 9000:2005, der gültigen Norm zum Qualitätsmanagement: Danach ist Qualität der „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“. Es geht also um Anforderungen, die bei jedem Menschen unterschiedlich sein können. Aber da wäre ich wieder bei dem, was ich oben schon geschrieben habe.

Ich wünsch Euch ’was
Euer Willi

P.S. Vielleicht lässt sich Lockwoods Frage am besten beantworten, wenn man sich selbst fragt, warum man das eine oder andere Lied für gut befindet (natürlich ist die Antwort eine rein subjektive).

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Lockwood schrieb am 19.06.2008:

Meine Lieben,

wenn ich Wilfrieds Ausführungen über die Bewertung musikalischer Qulität zusammenfasse, besteht diese Bewertung in der Hauptsache aus zwei Faktoren:

1. persönlicher Geschmack
2. objektive Kriterien aus der Musiktheorie (Harmonielehre etc.)

Das bedeutet: Wenn Musikwissenschaftler mit akademischen Methoden ein Lied analysieren und für schlecht befinden, so kann es mir immer noch gefallen. Es kann Freude in meinem Kopf auslösen und damit hat dieses Lied seine Daseinsberechtigung.

Ich gestehe an dieser Stelle, dass mir der subjektive Eindruck eines Liedes wichtiger ist als das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen.

Es wäre interessant zu erfahren, wieviel gute Musik es auf diesem Globus gibt, die ich einfach noch nicht gehört habe, weil sie in den Medien nicht so repräsentiert wird wie z.B. aktuelle Popmusik.

Vielleicht wäre ich ein Fan von Brahms oder Mahler, wenn ich mich mit ihrer Musik auseinander setzen würde.

In mir klingt ein Lied
Lockwood

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Alex schrieb am 19.06.2008:

Hallo Leute,

Ich stimme mit Wilfried überein. Ein Lied muss schon Kunst in sich haben (Harmonie, Struktur, eine nette Melodie…), aber es kann erst dann gut sein, wenn es etwas im Inneren bewegt. Da spielt die Leidenschaft des Künstlers eine wichtige Rolle. Nicht nur die Virtuosität mit der das Stück interpretiert wird.

„Yesterday“, zum Beispiel, ist ein schönes Lied, aber es gibt eben Musiker, die sich (und hauptsätzlich uns, dem Publikum) die Cover-Version sparen könnten.

Ein interessantes Beispiel sehe ich in diesem Sinne bei dem Lied „All your love“ (W. Dixon & O. Rush), das schon beide, Eric Clapton (damals noch mit John Mayall) und Gary Moore oft gespielt haben. Beide sind zwar technisch außerordentlich gut, allerdings fehlt es bei der Fassung von Herrn Moore – meiner Meinung nach – an Seele.

Noch ein wichtiger Faktor ist nach meiner Meinung, wie oft ein Lied gespielt wird. Manchmal braucht es an Zeit, bis man ein Lied mag. Ab und zu findet man dies oder jenes Lied nichts Besonderes, aber wenn man es noch ein Paar mal hört, gefällt es einem allmählich (z.B. klassische Werke). Oder auch umgekehrt, wenn man satt ist andauernd dasselbe Lied im Radio zu hören (z.B. einfache Pop-Lieder).

Liebe Grüsse an Wilfried, Kretakatze und Lockwood!
-Alex-

Kretakatzes Top 12 (Musiker/Bands) & Mark Knopfer live

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,
und jetzt wohl auch Hallo Alex,

Wilfried hatte uns schon vor längerer Zeit Hausaufgaben aufgegeben – jeder sollte seine 10 Lieblingstitel vorstellen – und ich bin nun wohl die Einzige, die sie noch nicht abgeliefert hat. Wie ich allerdings schon angedeutet hatte – bei 10 Titeln wird es kaum bleiben. Sehen wir mal wieviele am Ende herauskommen werden.

Da fange ich am besten mit Cat Stevens an. Seine Musik hat meine Jugend geprägt und mit seiner „Philosophie“ hat er mein Denken bis zum heutigen Tag vielleicht mehr beeinflusst als irgendein Anderer. Einen Lieblingstitel zu bestimmen ist unmöglich. In den 70ern hätte ich wohl Moonshadow an die erste Stelle gestellt, heute würde ich vielleicht eher zu The Wind tendieren. Aber z.B. auch Changes IV und Sitting sind Songs, denen ein erster Platz gebühren würde. Und es gibt da noch so viele andere…

Auch bei Al Stewart ist es für mich unmöglich einen Lieblingssong zu bestimmen, bestenfalls würde ich eine Top-10-Liste zusammenbekommen. Deshalb hier nur als Beispiel der Titel Life In Dark Water von seinem 1977er Album „Time Passages“, der wohl auf diese Liste kommen würde. Was mir allerdings heute im Vergleich zu den 70ern immer deutlicher wird – auch dieser Song müsste ganz anders gesungen werden, hier könnten eine andere Stimme und ein rockiger Gesangsstil noch Wunder wirken.

Von Uriah Heep habe ich 3 „favorites“, und ich werde mir erlauben sie alle zu verlinken: July Morning, The Wizard und Stealing. Und da gibt es noch zahlreiche andere Top-Titel, in jüngster Zeit ist Sunrise in die Führungsgruppe aufgestiegen (wenn ich auch den Sänger optisch furchtbar finde – da fühle ich mich an einen Ausspruch erinnert, den Simon Cowell wohl erstmals bei Clay Aiken zur Anwendung brachte: „I prefer you with my eyes shut!“).

Warum sind eigentlich Deep Purple fast in Vergessenheit geraten. Anfang der 70er waren sie die Größten. Nachdem CCR den Bach runter gegangen waren, wurden sie von den Bravo-Lesern zur beliebstesten Band gekürt, das muss wohl 1972 gewesen sein. Hier fällt mir die Wahl des Lieblingstitels nicht schwer: Child In Time.

Dann komme natürlich auch ich nicht an Led Zeppelin vorbei: Stairway To Heaven ist für mich unverzichtbar.

Und auch Janis Joplin ist für mich noch nicht vergessen – Piece Of My Heart hat auch in meinem Herzen seinen Platz.

Creedence Clearwater Revival dürfen nicht fehlen. Obwohl der Titel nicht original von CCR stammt sondern ein Cover ist, würde ich doch I Heard It Through The Grapevine an die erste Stelle setzen. In diesem Zusammenhang darf ich sicher auch einmal wieder John Fogerty erwähnen (den ich übrigens erst am 6.Juni in Stuttgart gesehen und gehört habe – dazu vielleicht noch ein andermal mehr). Seit ein paar Monaten habe ich von ihm einen neuen Lieblingssong (der eigentlich schon aus dem Jahre 1976 stammt – ist damals völlig an mir vorbeigegangen…): You’ve Got The Magic (leider miserable Sound-Qualität).

Auch Elton John gehört zu den Musikern, von denen ich ein paar Platten besitze. Da gibt es eine ganze Reihe Titel, die ich hier nennen könnte – ich entscheide mich jetzt einfach einmal für Rocket Man.

Zwei Klassiker aus dem Jahre 1967 höre ich immer wieder gerne: Procol Harum – A Whiter Shade Of Pale (Version, an der auch ein uns bekannter Flötist beteiligt ist) und The Moody Blues – Nights In White Satin (auch hier betätigt sich ein Flötist – da war unser Meister wohl doch nicht der „Allererste“…).

Nun wird es Zeit, dass ich zu den Dire Straits komme. Hier fällt mir die Wahl des Lieblingstitels wieder wirklich schwer. Nach Abwägen aller für und wider habe ich mich für Brothers In Arms entschieden.

Last but not Least – Jethro Tull. Unmöglich, hier einen einzelnen Song herauszugreifen. Da es die Songs From The Wood waren, die mich zu Jethro Tull gebracht haben, darf dieser Titel in der Liste nicht fehlen. Aber auch Locomotive Breath reisst mich noch heute aus dem Sessel (Danke, lieber Wilfried, für dieses süße Video, das inzwischen ein Plätzchen in meinen Favorites gefunden hat). Auch die weiße Ente (One White Duck) hat einen Dauerplatz in meinem Herzen. Genauso wie Velvet Green, The Whistler, Weathercock, Moths, Black Satin Dancer, Slipstream … Ich könnte noch eine Weile so weitermachen. Aber ich denke das reicht.

Jetzt sind es doch nicht so sehr viel mehr als 10 Songs oder zumindest nicht viel mehr als 10 Musiker geworden – 12 um es genau zu nehmen. Ich denke das ist genug Stoff. Ich habe mich durch Eure Hitlisten auch noch nicht vollständig durchgearbeitet, von Lockwood’s Liste fehlen mir noch ein paar Songs. Dann werde ich auch noch einen Kommentar dazu abliefern. Aber lassen wir es erst einmal gut sein für heute.

Hochmusikalische Grüße von Eurer
Kretakatze

PS.: Heute fällt mein Nachtrag etwas umfangreicher aus, denn ich möchte Euch doch einen kurzen Stimmungsbericht vom Mark Knopfler Konzert am 07.05.2008 in Stuttgart nicht vorenthalten:

Der Abend war für mich leider eher eine Enttäuschung. Ich hatte Mark Knopfler das erste und letzte Mal 1979 in irgendeiner alten Fabrikhalle in Sindelfingen gesehen, damals natürlich noch als Dire Straits – Stehplätze, proppenvoll und Mordstimmung. Das war diesmal alles ein bißchen anders.

Das lag weniger an Mark Knopfler, als an dem „Drumherum“. Da ist erst einmal die unübersichtliche, schlecht ausgeschilderte Halle. Ich irrte treppauf-treppab durch zahlreiche Gänge, bis ich endlich meinen Block und Platz gefunden hatte, und da schien ich nicht die Einzige zu sein. Dazu erklang eine grauenhafte, jazzig-primitivrockige Vormusik. Trotzdem wirkte es verfrüht als 10 nach 8 Uhr Mr. Knopfler auf der Bühne erschien, denn noch immer suchte zahlreiches desorientiertes Publikum verzweifelt nach den richtigen Sitzen. Und so musste auch ich zu den Klängen von Why Aye Man – das war bereits der zweite Song – mit irgendwelchen Leuten darüber diskutieren, wer auf diesem Platz sitzen darf. So etwas nervt!

Ich saß schräg neben der Bühne in ca. 10 m Abstand vom Bühnenrand – das ist für eine Halle mit 100 m Länge nicht viel. Trotzdem hatte ich das Gefühl zu weit vom Geschehen entfernt zu sein, und der Blick auf das unruhige Publikum, in dem ständig irgendwelche Leute hin- und herliefen, sorgte für weitere Ablenkung. Auf eine Videoleinwand, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mehr Nähe zu den Akteuren auf der Bühne hätte vermitteln können, war leider verzichtet worden.

Obwohl ich praktisch schräg unter riesigen Lautsprecherboxen saß, hatte ich von Anfang an das Gefühl der Sound ist zu leise, und ich gehöre wirklich nicht zu denen, die sich beim Musikgenuss gerne eine Gehirnerschütterung holen. Mark Knopfler spielte zahlreiche ruhigere, langsame (ich möchte fast sagen „langweilige“) Titel, die ich nicht kannte, vermutlich von seinem letzten Album, und bei manchen der akustischen Intrumentalpassagen musste ich schon die Ohren spitzen um noch etwas mitzubekommen. Wenn nur Einer der um die 10.000 Zuschauer meinte, er muss jetzt pfeifen oder kreischen, dann war das teilweise lauter als die Musik.

Das heißt nicht, dass es nicht auch rockige Passagen mit sattem Sound gegeben hätte, wie etwa bei Sultans Of Swing, einem Highlight des Abends. Aber wenn Mr. Knopfler so richtig in die Saiten seiner Stratocaster griff, dann klang der Ton für meine Begriffe wieder zu schrill. Der weiche, singende Klang seiner Gitarre, den ich so liebe, kam an meinem Sitzplatz jedenfalls nicht wirklich so an.

Und so kam es, dass ich es kaum glauben konnte, als Herr Knopfler nach Telegraph Road die Bühne verließ – war der Auftritt etwa schon zu Ende? Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass bereits mehr als anderthalb Stunden vergangen waren, ich hatte das Gefühl das Konzert hat noch garnicht richtig begonnen – jedenfalls war noch keine entsprechende Stimmung bei mir aufgekommen. Meine Lieblingsstücke aus alten Zeiten – Tunnel Of Love, Once Upon A Time In The West, Ride Across The River, Water Of Love (um nur ein paar zu nennen) – hatte ich nicht zu hören bekommen, auch Walk Of Life und Money For Nothing waren nicht erklungen.

Die Zugaben konnten den insgesamt enttäuschenden Gesamteindruck ein wenig mildern. Inzwischen war das Publikum zum Bühnenrand geströmt, unten im Saal stand nun alles, und zu den Klängen von Brothers In Arms schien die steril wirkende Stahlträger-Halle doch noch lebendig zu werden. Die Jungs auf der Bühne ließen sich auch nicht lumpen, hängten an die ersten zwei Zugaben auf Publikumswunsch noch zwei weitere dran und spielten gutgelaunt und flott noch einmal über 20 Minuten. Hätten sie nur mal schon eine Stunde früher damit begonnen…

Fazit: Mark Knopfler und seine Band bekommen trotz der für meinen Geschmack nicht sehr geglückten Songauswahl noch ein „gut“, für Halle, Organisation, Technik und Sound gibt’s „mangelhaft“. Ich werde versuchen diese Location in Zukunft zu meiden.

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Hierzu schrieb Lockwood am 18.06.2008:

Meine lieben Freunde der Vielfalt,
zunächst vielen Dank an Kretakatze für ihre Favoritenliste !

Diese Liste kommt sehr rockig daher; das ist nicht unbedingt das, was ich vom schönen Geschlecht erwartet hätte.

Cat Stevens und Al Stewart hier zu finden stellt keine Überraschung dar. Wohl aber Namen wie Uriah Heep, Deep Purple und Led Zeppelin. Über Kretakatzes Faible für CCR und Jethro Tull war ich bereits informiert.

Ganz im Ernst: Bisher war ich der Meinung, dass sich die Fans der Rockbands vorwiegend aus Männern rekrutieren.

Ich habe heute dazu gelernt; anscheinend denke ich zu sehr in Schubladen.
Also, liebe Kretakatze, noch einmal vielen Dank für die Liste !

Rock on !
Lockwood

Kumpelschaften (Noddy & Ian)

Liebe Freunde,

zum Thema Musiker muss ich noch einen Gedanken loswerden, sonst wären meine bisherigen Ausführungen nicht komplett.

Das Schwergewicht unserer Betrachtungen der letzten Monate und Jahre lag eindeutig bei Mr. Ian Anderson und seinem Schaffen. Und das völlig zu Recht; was seine Kompositionen, seine Bühnenshows betrifft, ist er für mich einfach der Größte. Von allen Musikern, die ich in den letzten 30 Jahren wahrgenommen habe, ist er der Beste. Punkt.

Der Beste. Aber nicht der Sympathischste. Er ist zwar kein unsympathischer Mensch, aber ein König der Herzen ist er für mich nie gewesen. Dazu wirkt er oft zu unnahbar, blasiert und arrogant. Innerhalb des Rock-Circus ist er etwas Besseres und dafür hält er sich auch. Mr. Anderson ist kein Kumpeltyp.

Es gibt Kumpeltypen in der Rockwelt. Oder zumindest solche, die dieses Image pflegen. Die Rede ist von Noddy Holder von Slade, wir kennen ihn alle. Ich will an dieser Stelle gar nicht auf sein musikalisches Wirken eingehen, so viel Aufwand möchte ich im Moment nicht betreiben. Die Musik von Slade ist für mich okay, manche Songs sind nett, es sind einige Ohrwürmer dabei.

Mehr möchte ich dazu im Moment nicht sagen.

In diesen Zeilen soll nur die Rede davon sein, wie Mr. Holder auf mich wirkt. Nämlich bodenständig, handfest, britisch, kameradschaftlich, ein Typ zum Pferdestehlen. Lt. Wikipedia ist Slade nach den Beatles die erfolgreichste englische Band. Trotzdem habe ich von Frontmann Holder nie irgendwelche beifallheischende oder selbstgefällige Kommentare gehört. Die Mannen von Slade wurden nie müde, auf ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse und aus einer Malocherstadt hinzuweisen. Während andere Größen der Rockmusik in ihren Texten ihre Bildung und literarische Brillanz unterstreichen, bringen Slade in ihren Titeln oft ihren heimatlichen Dialekt ins Spiel („Coz I Luv You“). Dieses Selbstverständnis manifestierte sich auch – von einigen Auswüchsen während des Glitter-Rocks abgesehen – im Bühnenoutfit des Mr. Holder. Und damit wirkt er absolut glaubwürdig: Niemand trägt die Hosenträger mit soviel Stolz wie er, bei niemand anderem scheint die Ballonmütze derart mit dem Schädel verwachsen wie bei ihm. Und seit den 70er Jahren trägt Mr. Holder seine Haare, wie man es von einem Engländer erwartet: rotblonde Mähne, gigantische Koteletten. Als stolzer Brite, der er ist, gehörte auch ein Outfit aus der Dickens-Aera zu seinem Fundus. Nie sah ich jemanden, der einen Zylinder mit mehr Würde tragen kann als Mr. Holder (na ja, vielleicht Abraham Lincoln, aber der spielt hier nicht mit).

Noddy Holder ist nicht unbedingt das, was ich einen schönen Mann nennen würde. Sein Gesicht, seine Augen liegen irgendwo zwischen Michael Caine und Marty Feldman. Aber stets strahlt dieses Gesicht Offenheit und Freude aus. Ich habe mir etliche Sladevideos auf youtube angesehen; es ist kaum eines dabei, wo Mr. Holder nicht lächelt.

Er ist der Kumpeltyp, der dem Rockbusiness etwas von seiner Verbissenheit genommen hat. Ich kann mir nicht helfen, ich mag ihn.

So, das musste gesagt werden.

Gehabt Euch wohl und auf bald
Lockwood

07.06.2008

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Hi Ihr Lieben,

Lockwood hat uns mit Noddy Holder beglückt. Ich muss gestehen, dass ich Slade zwar aus alten TV-Sendungen her kenne, aber musikalisch nicht allzu berauschend fand. Darum geht es Lockwood ja auch nicht. Es geht um das Kumpelhafte, das typisch Britische des Mannes, der sich als musikalischer Vertreter der Arbeiterklasse ausweist. Zum ziemlich stark ausgeprägten Klassenbewusstsein der Briten haben wir uns ja bereits an anderen Stellen unterhalten. Die Arbeiterklasse (lower class) findet in Noddy Holder gewissermaßen ein Aushängeschild: optisch durch seine Kleidung, sprachlich durch seinen Akzent und auch musikalisch. Irgendwie erinnere ich mich auch an Reggae-Einflüsse der Musik von Slade (und eine Zeitlang kleideten sich die Slade-Mannen ja als Skinheads).

Ich stimme Lockwood zu: Mr. Holder wirkt sehr sympathisch und ist es mit Sicherheit auch. Ein Typ mit dem man durchaus einmal ein Bierchen zusammen trinken gehen könnte. Und da ich mich dieser Tage durchaus auch über Fußball unterhalte, hätten wir ein für einen Engländer wohl weniger erfreuliches Thema, da England sich ja nicht für die EM 2008 qualifiziert hat.

Wenn ich das richtig sehe, so waren Slade in den USA nicht allzu erfolgreich. In Deutschland allerdings kannte man sie damals ganz gut. Vielleicht, weil viele Deutsche ein Faible für alles Britische haben. So ist ja auch Jethro Tull mit Herrn Anderson gerade in Deutschland immer sehr beliebt gewesen.

Nun Herrn Anderson haben wir tiefenpsychologisch bereits in seine Einzelteile zerlegt. Ein Freund (oder Arbeitskollege oder beides) meines Bruders hat in frühen Jahren während einer Deutschland-Tournee für Jethro Tull als Roadie gearbeitet. Dieser bezeichnete Herrn Anderson als arroganten „Kotzbrocken“. Muss also schon etwas dran sein, wenn viele den Flötenkobold nicht allzu sehr mögen.

Nun kann man das sehen wie man will. Sicherlich ist Ian Anderson kein kumpelhafter Typ. Aber er hat wenigstens keinen Hehl daraus gemacht, eine Abneigung dagegen zu haben, sich von jedem die Schulter klopfen zu lassen. Ich bin auch eher unnahbar. Bin ich deshalb arrogant? Kommt eben auf die Sichtweite drauf an.

So wie ich mir vorstellen könnte, mit Mr. Holder ein Bier zu trinken, könnte es auch sein, mit Mr. Anderson etwas Frischgezapftes zu mir zu nehmen. Über Fußball würden wir uns aber sicherlich nicht unterhalten wollen.

Man hört (bzw. liest) weiterhin voneinander.

Viele Grüße und bis bald
Euer Wilfried

12.06.2008

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Seid gegrüßt, Kretakatze und Wilfried,

nachdem ich Wilfrieds Antwort auf mein Empfehlungsschreiben für Mr. Holder gelesen hatte, war ich darüber erfreut, dass er mit mir einer Meinung ist.

Wirklich ein netter Kerl, dieser Noddy.

Aber in meine Freude mischte sich bald ein Wermutstropfen. Es tat sich nämlich eine Frage auf: Warum ist uns Mr. Holder sympathisch ? Wegen seiner plakativen Herkunft aus der Arbeiterklasse ? Seinem Akzent ? Seinem kumpelhaften Auftreten ? Diese Attribute treffen auch alle auf Wolfgang Petry zu. Und der ist mir überhaupt nicht sympathisch. Freiwillige Hausaufgabe: Was unterscheidet Noddy Holder von Wolfgang Petry ?

Ist doch klasse, wenn man die eigenen Ansichten in Frage stellt. Das bringt uns menschlich rasant weiter.

Tschüss
Lockwood

12.06.2008

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Hallo Leute,

über Herrn Holder muss ich mich noch erkundigen, um mir eine Meinung bilden zu können. Im Übrigen stimme ich mit Lockwood absolut überein: der Petry ist furchtbar. Musikalisch grauenvoll, und vom Charakter her kann ich ihn auch nicht leiden. Die längst verfärbten und zerrupften Armbänder die er Jahrzehnte lang trägt… Pfui! Das sieht aus, als würde er nicht gerne unter die Dusche stehen.

Viele Grüsse!
Alex

13.06.2008

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Meine lieben Freunde,

wieviele Mails verschickt Ihr eigentlich so am Tag? Heute sind 7 Stück bei mir eingetrudelt, da komme ich doch nicht mehr mit!

Jetzt nur kurz zu Noddy Holder von Slade, den uns Lockwood vorgestellt hatte. Ich muss zugeben, dass ich Slade im Laufe der Jahrzehnte völlig verdrängt hatte, mir war kein Name und kein Gesicht mehr in Erinnerung. Titel wie „Mama, Weer All Crazy Now“ und „Coz I Luv You“ kamen mir allerdings durchaus noch bekannt vor.

Tatsächlich hat mich Mr. Holder vom Äußeren her sofort an Mr. Anderson erinnert, für mich besteht da eine frappierende Ähnlichkeit. Unbelastet von jeglicher weitergehenden Kenntnis seiner Person habe ich ihn wohl auch deshalb intuitiv in die gleiche Sympathie-Klasse eingeordnet. Mr. Anderson ist mir ja auch nicht unsympathisch. In seinen jungen Jahren so ungefähr bis Mitte der 80er ist mir seine – wenn auch immer unterschwellig vorhandene – Arroganz nie negativ aufgefallen. Die eine oder andere leicht größenwahnsinnige Äußerung seinerseits aus dieser Zeit kann man problemlos in die Rubrik „jugendlicher Überschwang“ einordnen. Und ein strahlendes Lächeln hatte er bei seinen Auftritten auch immer auf den Lippen. Zu Wolfgang Petry kann ich dagegen nichts sagen, ich kenne ihn nur dem Namen nach.

Eine Bemerkung möchte ich aber doch noch loswerden zu Lockwood’s Ausdruck von der „erfolgreichsten Band“. Wie wird eigentlich Erfolg gemessen, um ihn vergleichbar zu machen? Wie rechnet man verkaufte Singles und Alben, Chartplatzierungen in den verschiedensten Ländern, verkaufte Konzert-Tickets, Anzahl Fernseh- und Filmauftritte, gewonnene Preise oder Titel etc. gegeneinander auf, um einen „Erfolgsindex“ zu ermitteln? Was genau ist überhaupt Erfolg? Ich denke ein derart schwammiger Titel – vermutlich von einem Fan erfunden – hat keinerlei Aussagekraft.

Soviel für heute – zu den anderen 6 Mails dann ein andermal…

Liebe Grüße
Kretakatze

13.06.2008

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Hallo erstmal,

die Hitliste, auf deren 2. Stelle Slade zu finden ist, basiert wohl auf Chartplatzierungen, also auf Verkaufszahlen.

Wenn eine Band das Ziel hat, ein möglichst großes Publikum anzusprechen (welche Band hat das nicht ?), so eignen sich die Verkaufszahlen in meinen Augen doch als Erfolgs-Indikator. Aber, liebe Kretakatze, hier gebe ich Dir Recht, so 100% korrekt ist diese Maßeinheit für Erfolg nicht.
Warum z.B. haben die Beatles mehr Platten verkauft als Slade ? War ihre Musik besser ? War ihr Publikum zahlungskräftiger ?

Keine Ahnung.

Wann ist Musik „gut“ ? Wenn sie vom Zuhörer als „gut“ empfunden wird.

Wenn viele Zuhörer eine bestimmte Musik als „gut“ empfinden und in den Plattenläden entsprechend nachfragen, ist diese Musik dann besser als andere ?

Falls dem so wäre, würde das bedeuten, dass Michael Jackson und Diedä Bohlen bedeutende zeitgenössische Musiker sind.

Und mit dieser Aussage habe ich ein Problem.

Neben unseren philosophischen Baustellen ergibt sich hier eine zusätzliche Fragestellung: Wann ist Musik „gut“ ?

In freudiger Erwartung Eurer Antworten grüßt Euch
Lockwood

13.06.2008