Archiv für den Monat: Januar 2014

Deutsch 3.0

Erst vor wenigen Tagen schrieb ich: Apropos Alien – auch eines dieser Wörter wie Handy oder Oldtimer, Happy End und Beamer (Public Viewing, Showmaster, Jogging – die Liste lässt sich beliebig erweitern), die es im Englischen gar nicht gibt oder dort eine andere Bedeutung haben. Wir Deutsche und unser Denglisch (Betrachtungen Tagebuch eines ‚Außerirdischen’ – Vorbetrachtung).

    Deutsch 3.0

Das Goethe-Institut hat eine mehrmonatige Veranstaltungsreihe namens „Deutsch 3.0“ gestartet, die sich mit der Entwicklung der deutschen Sprache beschäftigt. Welchen Einfluss haben SMS, Chats und Anglizismen auf das Deutsche? Findet Sprachverrohung oder nur ein Wandel statt? Diesen Fragen gehen Sprach-Fachleute nach. Besonders der Einfluss auf Deutsch als Wissenschaftssprache ist von Interesse. Veränderungen im Deutschen sind unstrittig. Allein in die aktuelle Ausgabe des Dudens fanden laut Duden-Chefin 5.000 neue Worte (z.B. Energiewende, Liebesschloss und QR-Code) Eingang. (Quelle: u.a. Kurznachrichten heute.de)

Zum Duden: Der Verein Deutsche Sprache (VDS) kritisiert die verstärkte Aufnahme von seiner Meinung nach in der deutschen Sprache nicht hinreichend etablierten Anglizismen in den Duden. Deren Verwendung würde dann durch diesen Eintrag gerechtfertigt. Der Duden wurde vor diesem Hintergrund vom VDS zum Sprachpanscher des Jahres 2013 gewählt. Die Duden-Redaktion wies die Kritik zurück und argumentierte, dass sie die Sprache nicht mache, sondern objektiv abbilde. (Quelle: de.wikipedia.org)

Sicherlich sollte man das Übermaß englischer Vokabeln in der deutsche Sprache eindämmen. Das gilt besonders für solche Begriffe (siehe oben), „die es im Englischen gar nicht gibt oder dort eine andere Bedeutung haben“, denn die sind aufgeblasener Schwachsinn, der oft von Werbeagenturen lanciert wird. Nicht immer ist etwas schick, was sich als chic präsentiert.

Sprache ist etwas Lebendiges. Sie entwickelt sich und in ihr spiegelt sich der Wandel der Zeit. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde festgestellt, dass die amtliche Rechtschreibung – bis zur Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 galt der Duden als maßgeblich für die amtliche deutsche Rechtschreibung, danach wurde ihm der Sonderstatus entzogen – nur für begrenzte Teile der Schriftproduktion bindend ist, während im Übrigen ein jeder nach eigenem Gutdünken schreiben darf, auch nach frei erfundenen oder veralteten Regeln. Dem ist natürlich Tür und Tor geöffnet. Und Sprachwahrer schlagen so die Hände über dem Kopf zusammen.

Ich denke, dass man eindeutig unterscheiden muss, nämlich zwischen einer amtlichen Rechtschreibung, die z.B. für Behörden, Gerichte, natürlich auch für Schulen gültig ist, und einer ‚nichtamtlichen’, bei der dann allerdings „jeder nach eigenem Gutdünken schreiben darf“. Letztere sollte man positiv sehen: Es gab und gibt genügend Schriftsteller, die sich bewusst nicht an die amtliche Rechtschreibung halten und sei es nur, um ungewöhnliche Wortneuschöpfungen zu kreieren. Sprache hat auch etwas mit Phantasie zu tun – und der sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt, auch keine amtlich reglementierten.

„Neues“ von Kafka

Okay, ich weiß, dass sich hier keiner für Kafka interessiert, so stehe ich wieder allein mit ihm da, oder? Bekanntlich gilt der Prophet nichts (oder nur wenig) in seinem Land (nicht geographisch, sondern sprachlich gesehen); dafür umso mehr in fremden.

Um eines gleich vorweg zu sagen: Franz Kafka war nicht so ‚krank’, wie ihn viele gern darstellen. Was bei Kafka ‚krank’ ist, dass sind wir und unsere Gesellschaft, die er in seinem Werk auf unnachahmliche Weise beschrieben hat. Was viele nicht ahnen, dass ist der Humor bei Kafka, der sicherlich eigentümlich ist, man muss ihn geradezu ‚schwarz’ nennen. Daher wohl auch die Vorliebe der Angelsachsen für Kafka. Die verstehen ihn besser als wir.

Kafka-Kurier

Ja wir, typisch deutsch ist die immer wieder trocken wissenschaftliche Aufarbeitung von Kafka und seinem Werk. Vorangekündigt ist da jetzt der Kafka-Kurier: „Der Kafka-Kurier ist kein Mitteilungsblatt, kein news-letter, er transportiert keine schnell verderbliche Ware. Für die Publikation der Beiträge die einzig angemessene Form ist daher der Druck. Er dient der Konzentration von Autoren und Lesern, unterstreicht die Sorgfalt der aufgewandten Arbeit, verleiht ihr Dauer und Haltbarkeit, bringt ihr Achtung und Aufmerksamkeit entgegen und bietet darüber hinaus – im direkten Gegensatz zur digitalen Massenvorhaltung und der Diffusion in anonymen Datenwolken – die Möglichkeit, den Kafka-Kurier im Laufe der Zeit als ein bequem zugängliches Archiv zu gebrauchen.“ Immerhin auch im Internet demnächst erhältlich bei amazon.de: Kafka-Kurier

Also eigentlich steckt in dieser Vorankündigung viel ‚eigener’ Witz: „… transportiert keine schnell verderbliche Ware … im direkten Gegensatz zur digitalen Massenvorhaltung und der Diffusion in anonymen Datenwolken …“ – das hat doch was, oder? Auch wenn das einiges Geld für so wenig Seiten sein wird, ich bin dabei (trotz wissenschaftlicher Strenge).

Kafka goes Gaming

Ganz gelöst geht es dagegen hier zu. Und ich denke, Franz Kafka hätte daran seinen Spaß gehabt. Ebenfalls vorangekündigt ist ein Videospiel, das sich um Kafkas Figuren rangt. So wird Gregor Samsa, der in ein Ungeziefer Verwandelte, in einem Indie-Adventure zum Leben erweckt.

    Screenshot aus: The Franz Kafka Videogame © Denis Galanin

Denis Galanin (mif2000) liest gerne Klassiker der Literatur, er spielt Computerspiele und verbindet beides beim Programmieren. Nachdem er 2011 schon Hamlet in einem Game zum Leben erweckte, arbeitet er gerade an einem Spiel über einen weiteren großen Emo der Literaturgeschichte: Franz Kafka.

2014 kommt sein Indie-Adventure über Kafkas Werk und Leben auf den Markt. Über Windows-PC, Mac-OS, Linux, iOS und Android darf dann in Gregor Samsas Haut geschlüpft werden. (Quelle: dradiowissen.de)


The Franz Kafka Videogame – First Trailer

Das Indie-Adventure des russischen Entwicklers Denis Galanin soll auf dem Leben von Kafka, vor allem aber auf dessen Werken beruhen. Neben ‚Der Verwandlung’ sollen auch Elemente aus ‚Das Schloss’ und ‚Amerika’ vorkommen. Spielerisch soll es eine Mischung aus klassischen Point-and-Click-Adventure-Elementen geben, allerdings mit etwas schrägeren Rätseln als sonst. (Quelle: golem.de)

Nun ich bin alles andere als ein Spiele-Freak. Aber als Kafka-Fan werde ich mir dieses Spiel dann wohl zulegen. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was sich da der Entwickler ausgedacht hat.

Kafka goes Hollywood oder: Es weihnachtet sehr im Hause Kafka

Prag kurz vor Weihnachten 1912: Verzweifelt bastelt Franz Kafka am ersten Satz seiner neuen Erzählung ‚Die Verwandlung’. Während er versucht zu entscheiden, als welche Lebensform seine Figur Gregor Samsa erwachen soll, wird er ständig von einem fremden Messer-Verkäufer, lauten Partygeräuschen, Mädchen, traumhaften Visionen und anderen Fremden unterbrochen (Quelle u.a. filmstarts.de)

Weihnachten haben wir zwar schon etwas länger hinter uns gelassen. Trotzdem möchte ich Euch den folgenden, etwa 23-minütigen Kurzfilm nicht vorenthalten, auf den ich wie so oft rein durch Zufall gestoßen bin. Es handelt sich dabei um eine Produktion von BBC Scotland, einen komödiantischen britischen Kurzfilm aus dem Jahr 1993 in der Regie von Peter Capaldi: Franz Kafka’s It’s a Wonderful Life. Dieses Filmchen erhielt 1995 (mit dem Kurzfilm Trevor) den Oscar als bester Kurzfilm. Zudem gewann er zuvor schon 1993 den British Film Academy Award, außerdem den Publikumspreis des ‚Angers European First Film Festival’.

Franz Kafka's It's a Wonderful Life (Franz Kafkas Weihnachtserzählung)

In diesem Film weiß Franz Kafka „noch nicht so ganz, wie die Geschichte eigentlich aussehen soll. Er weiß, dass Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachen soll, er weiß, dass er verwandelt werden soll, er weiß bloß einfach nicht, in was. (In der englischen Sprache hat dieses Problem noch eine etwas andere Nuance; hier wird Gregor Samsa nämlich nicht in das undefinierte ‚Ungeziefer’, sondern in ein wesentlich konkreteres ‚insect’ verwandelt – und dieses ‚insect’ ist durch die englische Grammatik nicht das vorletzte, sondern das letzte Wort des entscheidenden Satzes.)

Franz sitzt jedenfalls in seinem Zimmer, und überlegt sich allerhand albernes Zeug; verschiedene Verwandlungsmöglichkeiten, die sicherlich ausreichend absurd wären (Gregor Samsa, zu einer ungeheuren Banane verwandelt, wäre möglicherweise auch in die Literaturgeschichte eingegangen – zumal in einer Geschichte aus Prag, 1912), aber irgendwie eben nicht kafkaesk (Obwohl: In einer solchen alternativen Realität wäre Kafka vielleicht erfolgreicher Slapstick-Autor geworden; und vielleicht bedeutete “kafkaesk” nun etwas gänzlich anderes.). Franz sitzt also in seinem Zimmer, und es mangelt ihm nicht nur an Inspiration, er wird auch andauernd gestört, von professionellen Messerwetzern, tanzenden Großfamilien und verwirrten Scherzartikelvertretern, aber letztendlich findet doch alles zu einem happy weihnachtlichen Ende. Und das ist umso schöner, da Franz hier vom wunderbaren Richard E. Grant gespielt wird und man sich einfach von Anfang an wünscht, ihn das volle Emotionsspektrum darstellen zu sehen.

Wie man sich denken kann, ist der Film selbstverständlich nicht besonders kafkaesk (so wie wir es verstehen) – dafür aber wirklich ausgesprochen komisch. ‚You are an artist, Mr. K.’ – ‚Oh, please, call me F.!’” (Quelle: stubenhockerei.com)

Hier also im englischen Original (dank 3sat) mit deutschen Untertiteln:


Franz Kafka’s It’s a Wonderful Life (Franz Kafkas Weihnachtserzählung)

… siehe auch den aufschlussreichen Beitrag zum Film bei findecinema.wordpress.com

Vielleicht habe ich der einen oder den anderen von Euch Appetit auf Kafka gemacht, wäre schön. Vielleicht gilt ein Prophet im eigenen Land doch mehr als bisher angenommen. Kafka ist und bleibt aktuell, denn irgendwie ist er für alles gut … Zum Lesen übrigens auch.

… und zuletzt ein Artikel aus der Berliner Woche, der berichtet, wie Kafka vor 90 Jahren (kurz vor seinem Tode) glücklich in Steglitz das Vorstadtidyll genoss …

Online-Petitionen-Inflation

Die einen protestieren gegen den Bildungsplan der Stuttgarter Landesregierung, andere wollen den Talkmaster Markus Lanz nicht mehr im Fernsehen sehen. Jeden Monat werden Hunderte Petitionen auf verschiedenen Online-Plattformen ins Leben gerufen. Alle sammeln Unterschriften. Nicht mühselig auf der Straße, sondern bequem im Internet. (Quelle u.a. heute.de).

Auch ich habe mich hier bereits öfter zu solchen Plattformen geäußert, allen voran zu AVAAZ, einer international tätigen Bürgerbewegung, die sich vor allem mit globalen Themen auseinandersetzt. Zudem habe ich mich an Kampagnen der globalisierungskritischen Organisation Attac beteiligt (siehe u.a.: Respekt, Herr Geißler bzw. de.wikipedia.org). Außerdem beteilige ich mich seit mehreren Jahren schon an Aktionen von campact.deDemokratie in Aktion! – ein Netzwerk, das inzwischen bereits über eine Million Menschen in Deutschland verbindet. Hier wie dort geht es um politische und gesellschaftliche Themen, die mich betreffen und für die ich einstehe.

    Globales Räderwerk

Bereits vor nun fast schon sechs Jahren schrieb ich hier: „[Man] kann … sich ganz einfach übers Internet an Aktionen und Kampagnen für mehr Gerechtigkeit beteiligen, z.B. avaaz.org. Die Globalisierung ist nicht zu stoppen. Nutzen wir daher die Instrumente, um selbst global mitzusprechen.“ (in: Globales Räderwerk)

Natürlich war es absehbar, dass das Instrument der Online-Petitionen auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens Anwendung findet – und darüber hinaus. Heute erleben wir eine Inflation an Online-Petitionen. Das führt dazu, dass jeder mit wenigen Mausklicks seine eigene Petition starten kann (z.B. über openPetition), ob sie nun Sinn macht oder nicht.

Und: Online-Petitionen sind ein Geschäft. Einnahmen gibt es unter anderem, wenn Nutzer eigene Initiativen bewerben wollen. Paula Hannemann, Leiterin der Online-Plattform change.org in Deutschland (auch hier beteilige ich mich öfter an Aktionen, die mir sinnvoll erscheinen, spricht von „Social Business“. Change.org beschäftigt 180 Mitarbeiter in aller Welt, Hannemann sagt, die Plattform arbeite kostendeckend. Monatlich werden in Deutschland bei change.org 390 neue Petitionen eingestellt, etwa viermal so viele wie ein Jahr zuvor. Weltweit sind es 25.000 pro Monat.

Die Berlinerin sieht in Online-Petitionen „eine Machtverschiebung hin zu Bürgern, Zuschauern und Verbrauchern“, einen Gewinn für die Demokratie gerade in einer Zeit der Großen Koalition. Dass die Online-Petitionen jetzt selbst zum Thema geworden sind, findet Hannemann gut. Sie sieht darin einen Lernprozess. (Quelle: heute.de)

    Online-Petition gegen Broccoli

Ins Gespräch gekommen sind Online-Petitionen in diesen Tagen durch den Kabarettisten Dieter Nuhr und seinen Aufruf „Gegen digitales Mobbing, binäre Erregung und Onlinepetitionswahn“. Nuhr setzte seine Petition als humorige Antwort auf die Lanz-Debatte auf. Die Plattform openPetition fand das nicht lustig, erkannte eine Missachtung von Nutzungsbedingungen und löschte den Eintrag. Prompt startete Nuhr eine neue Initiative: „Für den Erhalt von Dieter Nuhrs Petition“. OpenPetition hat die Nutzungsbedingungen inzwischen geändert – Petitionen, die sich gegen Personen richten, werden nicht mehr zugelassen.

Durch diese Unzahl an Petitionen gesteht die Gefahr, dass wirklich wichtige Kampagnen nicht mehr den Erfolg erzielen, den sie selbst für mich unerwartet oft in der Vergangenheit erreichten. Online-Petitionen drohen, nicht mehr ernst genommen zu werden. Daher unterstützen bzw. initiieren Plattformen wie AVAAZ u.a. auch Demonstrationen oder helfen vor Ort, wenn es Not tut, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Ich schreibe das heute hier nicht, weil ich im Instrument der Online-Petitionen keine Zukunft mehr sehe. Nur dürfen Online-Petitionen nicht zum reinen Klick-Tribunal verkommen. Dem ist gegen zu wirken, möglichst von den Betreibern entsprechender Plattformen selbst. Schon früher habe ich längst nicht jede Online-Petition unterschrieben, ein Mindestmaß an politischer wie gesellschaftliche Relevanz sollte vorliegen.

Ich habe von Anfang an die Möglichkeit als irritierend empfunden, selbst schnell eigene Online-Petitionen auf den Weg zu bringen. Das muss ein Ende haben, auf jeden Fall anders gelöst werden.

Online-Petitionen müssen glaubwürdig die Ansichten einer hohen Anzahl von politisch interessierten Menschen spiegeln, ihre Absichten, unhaltbare Zustände schnellstmöglich zu ändern. Ansonsten verliert die „Machtverschiebung hin zu Bürgern, Zuschauern und Verbrauchern“ schnell an Wirkung.

Natürlich ist die Wirkung von Online-Petitionen wie auch herkömmlicher Petitionen nur begrenzt. Man wird mit ihnen sicherlich nicht die Welt verändern. Aber manchmal hilft es vielleicht dann doch, wenn man die Finger in die Wunde legt …

Ein Tick anders

Ein Tick anders ist eine deutsche Filmkomödie von Regisseur Andi Rogenhagen aus dem Jahr 2011 mit Jasna Fritzi Bauer in der Hauptrolle.

    Ein Tick anders (2011)

Die siebzehnjährige Eva (Jasna Fritzi Bauer) leidet unter Tourette. Manchmal treiben ihre Ticks sie in den Wahnsinn, doch eigentlich ist Eva glücklich. Denn im Kreise ihrer schrägen, aber liebevollen Familie akzeptiert jeder sie, wie sie ist. Erst als ihr Vater (Waldemar Kobus) seinen Job verliert, gerät die familiäre Balance aus dem Lot: Gemeinsam mit ihrer kauzigen Oma (Renate Delfs) und ihrem durchgeknallten Onkel (Stefan Kurt) versucht Eva bei der Existenzsicherung zu helfen, was zusehends ins Chaos führt – bis Eva schließlich über sich und ihre Krankheit hinauswächst und merkt, dass es Zeit wird, ihr eigenes Leben zu führen…

aus: filmstarts.de

In seinem Spielfilm Ein Tick anders, der an letzten Freitag um 20.15 Uhr auf Arte lief, erzählt der Grimmepreisträger Andi Rogenhagen („The Final Kick“) keine düstere Krankengeschichte, sondern bereitet das Thema Tourette-Syndrom in einer märchenhaft anmutenden Komödie auf. Dabei überzeugen weniger die eher konfuse Handlung als vielmehr die Schauspieler, allen voran die starke Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer („Scherbenpark“, „Barbara“).

Zunächst beginnt der Film eher anekdotenhaft ohne größere Handlung. Wir lernen die liebeswerten, wenn auch skurrilen Protagonisten nach und nach kennen. In der zweiten Hälfte sorgt eine eher arg konstruierte und leicht hanebüchen wirkende Abenteuergeschichte um einen Banküberfall für etwas mehr Leben und wendet sich damit vielleicht eher an die jüngeren Zuschauer. Das tut dem Film trotzdem keinen Abbruch, denn den eigentlichen Charme bekommt Ein Tick anders durch die durchweg liebevoll gezeichneten und lustvoll gespielten Figuren.


Ein Tick anders (2011)

… weitere Filmausschnitte:


Ein Tick anders: Evas Familie / Oma sprengt den Staubsauger


Ein Tick anders: Das bin ich / Der Molch / Vorstellungsgespräch


Ein Tick anders: Eva und das Casting

Dieser Film wurde übrigens fast zeitgleich mit dem Film Vincent will meer, ebenfalls eine Komödie um einen am Tourette-Syndrom Leidenden, gedreht. Beide Filme sind durch öffentliche Gelder gefördert worden.

Heute soll es nun einem Teil der deutschen Filmförderung an den Kragen gehen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute über die Verfassungsmäßigkeit des Filmförderungsgesetz (FFG), das Grundlage für die Förderung deutsches Filme durch die Filmförderungsanstalt ist. Ihre Mittel erlangt die Filmförderungsanstalt gemäß §§ 66 ff. FFG durch Erhebung der Filmabgabe von Filmtheaterbetreibern, von Vermietern oder Verkäufern von Videos sowie – seit dem Sechsten Änderungsgesetz – von den öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehveranstaltern; letztere leisteten zuvor auf Basis freiwilliger Abkommen (sog. Film-Fernseh-Abkommen) Zahlungen an die FFA.

Einige große Kinobetreiber wollen das Fördersystem jetzt kippen. Sie wehren sich in Karlsruhe dagegen, dass sie zur Zahlung einer Filmabgabe verpflichtet sind – ebenso wie Fernsehsender und DVD-Verleiher. Nach dem 1968 erlassenen und inzwischen mehrfach geänderten Gesetz müssen Kinos bis zu drei Prozent ihres Umsatzes an die Filmförderungsanstalt (FFA) in Berlin abliefern.

„Warum sollen die Kinos mit einer Zwangsabgabe jede Menge Filme mitfinanzieren, die ihnen keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen?“, sagte UCI-Kinowelt-Geschäftsführer Ralf Schilling als einer der Kläger. „Mehr als zwei Drittel der geförderten Projekte erreichen weniger als 55 000 Besucher im Kino. Hier wird im großen Stil am Geschmack des Publikums vorbeiproduziert.“ (Quelle: stern.de)

„Eine Abschaffung wäre für den deutschen Film desaströs“, sagt Regisseur und Filmpreisträger Adolf Winkelmann im heute.de-Interview. Im Vergleich zu US-Kinoproduktionen sei man ohnehin schon sparsam. „Filmförderung garantiert Vielfalt und Kontinuität“, sagt die Präsidentin der Deutschen Filmakademie Iris Berben. Die 63-jährige Schauspielerin will auch in Karlsruhe Flagge für den Erhalt der Filmförderung zeigen. Sie betont die Bedeutung der Förderung für unabhängige Filme. „Vielfalt, Kontinuität und Unabhängigkeit wären gefährdet – schlechte Voraussetzung für gutes, spannendes, überraschendes und unterhaltsames Kino.“

Es geht um den deutschen Film, der den Betreibern der großen Kinos nicht viel gedeutet. Denen geht es in erster Linie ums Geld, weniger um Qualität. Ein Ende der deutschen Filmförderung wäre auch das Ende des deutschen Films.

Übrigens: Wie werden Filme in Deutschland üblicherweise finanziert? Hierzu Adolf Winkelmann im genannten Interview: „Mit Hilfe von im Vorfeld verkauften Lizenzen an eine Fernsehanstalt, mit Hilfe bedingt rückzahlbarer Darlehen der verschiedenen Länder-Förderungen; aber natürlich auch mit Mitteln der Filmförderungs-Anstalt und des neu geschaffenen Deutschen Filmförderfonds des Bundes, der sich mit ca. 20 Prozent der Produktionskosten im Inland an dem Film beteiligt. Den Rest, den es immer gibt, muss man als Produzent dann versuchen selbst aufzubringen.“

Nachtrag: Die deutsche Filmförderung ist verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Filmabgabe bestätigt. Die Karlsruher Richter wiesen damit vier Verfassungsbeschwerden von Betreibern großer Kinoketten ab. Diese hatten sich dagegen gewehrt, dass sie kulturelle Aufgaben finanzieren sollen, die eigentlich die Länder bezahlen müssten. „Dem Bund ist es nicht verwehrt, in der Wahrnehmung aller seiner Kompetenzen auch auf Schonung, Schutz und Förderung der Kultur Bedacht zu nehmen“, entschied der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Die Abgaben, die an die Filmförderungsanstalt (FFA) gehen, machen fast ein Drittel der deutschen Filmförderung von 340 Millionen Euro aus. Das restliche Geld kommt von Bund und Ländern. (Quelle: heute.de)

Meine herzallerliebsten Kollegen

Wer wie ich werktäglich mit dem Zug fährt, kennt die freundlichen Durchsagen des Bahnpersonals: Es wird einem als Fahrgast eine gute Reise gewünscht. Und an fast jeder Haltestelle werden den aussteigenden Mitfahrern aufs Freundlichste ein schöner Tag ggf. eine gute Weiterfahrt gewünscht. Superzuvorkommend reagiert auch die Dame an der Kasse des Discounters. Ich weiß schon gar nicht wohin mit so viel Freundlichkeit.

Wie man sich denken kann, so ist diese Arschfreundlichkeit aufgesetzt. Die Sprüchlein sind vorgekaut und sollen dem Kunden die Illusion vermitteln, hier nicht nur zahlungskräftiger Kunde, sondern auch immer herzlich willkommener Gast zu sein. –

Arbeitskollegen kann man sich nicht unbedingt aussuchen. Man muss mit denen auskommen, die man hat. Nein, ich will nicht klagen. Ich komme mit meinen Arbeitskollegen durchaus zurecht. Nun habe ich da Berufsgenossen in Berlin, in unserer Hauptstelle. Mit denen verkehre ich fast nur per E-Mail. Während sich im schriftlichen Verkehr in unserem Haus in Hamburg ein eher unverbindliches und doch gut gemeintes „Hallo, Herr …“/„Hallo, Frau …“ als Anrede durchgesetzt hat, so beginnen unsere Kollegen in Berlin ihre Schreiben mit einem „Lieber Herr“/„Liebe Frau…“. Und zwar alle Kollegen. Ich denke, dass das nicht von ungefähr kommt. Wahrscheinlich sind sie Opfer eines Kommunikationskurses geworden oder gar einer Arbeitsanweisung. Danach sind sie also angehalten, die Mitarbeiter ganz allgemein als „liebe“ Kollegen anzusprechen. Und das steigert sich in seiner Freundlichkeit mit eigentlich unverbindlichen Formulierungen wie „es wäre nett von Ihnen, wenn …“ oder „vielleicht können wir das am … besprechen“ usw.

    Ach, lieber Herr ..., wie geht es Ihnen?!

Wenn denn tatsächlich einmal eine oder einer unserer Kolleg(inn)en uns in Hamburg ‚heimsucht’, dann kommt diese Person immer mit ausgestreckter Hand und einem „Ach, lieber Herr …“ auf einen zugestürmt, um diese Anrede mit einem „wie geht es Ihnen!“ zu beenden. Da fällt mir eigentlich nichts zu ein. Sicherlich erkundigt man sich auch nach dem Befinden der Kollegen, aber nicht so formelhaft und immer wieder gleich. Das erinnert mich etwas an die Grußformel aus dem Angelsächsischen. Das dortige „How do you do?!“ erwartet eigentlich keine Antwort, sondern wird in gleicher Weise mit einem „How do you do?!“ beantwortet. Also eigentlich eine leere Floskel.

Ich habe überlegt, wie ich auf soviel Freundlichkeit antworten soll. Was die Anrede in Schreiben betrifft, dachte ich schon daran, zur absoluten Förmlichkeit zurückzukehren: „Sehr geehrte(r) Frau/Herr …“. Dann habe ich daran gedacht, das „lieb“ mit dem Komparativ „lieber“ zu steigern, also „Lieberer Herr/Frau ….“. Das ließe sich nach mindestens drei weiteren Schreiben mit dem Superlativ „Liebster Herr/Frau …“ intensivieren. Dem folgte dann nach mindestens fünf weiteren Mails ein „Allerliebste(r)“, dann sogar ein „Herzallerliebste(r)“ und zuletzt in Verbindung mit dem besitzanzeigendes Fürwort „mein“ ein „Mein(e) herzallerliebste(r)“. Dann täte allerdings auch der Austausch von Küsschen bei persönlichen Begegnungen Not.

Soweit will ich es dann doch nicht kommen lassen. Also bleibe ich beim „Hallo“ und antworte auf die Frage nach meinem Befinden weiterhin mit „Gut, und Ihnen?!“ oder „Gut, Sie wissen doch, schlechten Menschen geht es immer gut …?!“ oder „Es geht. Und was nicht geht, das wird geschoben …!“

Auf zur Rückrunde …

Mit dem Spiel der Münchner Bayern bei Borussia Mönchengladbach beginnt heute die Rückrunde in der Fußball-Bundesliga. Werder ist erst am Sonntag dran – mit dem Spiel zu Hause gegen die Eintracht aus Braunschweig, dem Aufsteiger und zz. Tabellenletzten.

Was die Meisterschaft betrifft, dürfte es kaum Spannung geben: die Bayern sind dermaßen souverän an der Tabellenspitze (bisher nur mit zwei Unentschieden und keiner Niederlage), dass selbst ein Punkteverlust in Gladbach kaum zu Buche schlägt. Dass übrigens auch dank des SV Werder, der im letzten Vorrundenspiel den Tabellenzweiten, Bayer Leverkusen, besiegen konnte und damit Bayerns Vorsprung vergrößerte. Immerhin …

Für die weiteren Plätze, die für eine Teilnahme an der Champions League bzw. Europa League berechtigen, kommen wieder einmal die ‚üblich Verdächtigen’ in Frage: neben Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund jetzt auch die Borussia aus Mönchengladbach und nach der Neuverpflichtung von Kevin de Bruyne der durch diesen weiter verstärkte VfL Wolfsburg. Schalke 04 ist schon leicht abgeschlagen und Hertha BSC dürfte noch nicht ganz so weit sein und sich höchstens um einen Europa League-Platz streiten. Abstiegskandidaten sind neben Braunschweig und Nürnberg sicherlich der FC Freiburg und weitere Nordvereine wie Hannover, der HSV … und leider auch Werder Bremen.

Werder Bremen: ein sinkendes Schiff?

Womit wir beim Thema wären: Nach dem Trainingslager in Jerez de la Frontera und zwei nicht gerade erfolgreichen Testspielen, geht es jetzt wieder ans Eingemachte. Da kein Geld in den Kassen ist, bleibt den Bremern nichts anderes übrig, als auf Nachwuchsspieler zu setzen. Trainer Robin Dutt hat da schon einigen Mut bewiesen und immer wieder junge Spieler auflaufen lassen. Jetzt haben Martin Kobylanski und Julian van Haacke einen Profivertrag bekommen. Der letzte noch verbliebene Spieler, der von den Fleischtöpfen früherer Jahre in Form von für jetzige Verhältnisse überhöhter Gehaltszahlungen zehrt, ist Aaron Hunt. Und da er zz. Werders Beste ist, sein Vertrag aber zur Jahresmitte ausläuft, will man ihn natürlich halten. Manager Eichin ist bereit, dafür sogar bis zur Schmerzgrenze zu gehen. Nur liegt die eben sehr niedrig und es ist zu befürchten, dass er ablösefrei Werder zum Saisonende verlässt, es sei denn: Man einigt sich …

Dann ist da die Torwartfrage gewesen, die rechtzeitig, wenn auch zu Lasten von Sebastian Mielitz entschieden wurde: Raphael Wolf ist die neue Nummer eins. Für Mielitz könnte das vielleicht schon das frühzeitige Karriereende bedeuten (auch sein Vertrag läuft zur Jahresmitte aus).

Während der noch laufenden Wintertransferphase hatte sich Werder zunächst um den Juventus-Rechtsverteidiger Marco Motta bemüht. Eine Leihe des Spielers soll aber inzwischen vom Tisch sein. Werder-Trainer Robin Dutt hat sich endgültig gegen den 27-Jährigen ausgesprochen.

Apropos Juventus Turin: Da war eine Kooperation zwischen dem Tabellenführer der Serie A und dem Bundesliga-Elften im Gespräch, die jetzt offiziell erst zum 1. Juli aufgenommen wird. Eichin: „Es waren angenehme Gespräche, die strategisch wichtig sind. Es geht um eine langfristige Planung.“ Werder Bremen möchte im Rahmen seiner Kooperation mit Juventus Turin angeblich die Juventus-Rohdiamanten Domenico Berardi und Luca Marrone ausleihen. Das Duo ist bislang an Sassuolo Calcio ausgeliehen und könnte ab dem Sommer in Bremen weitere Erfahrung sammeln. Besonders Torjäger Berardi soll es den Grün-Weißen angetan haben (Quelle: sportal.de).

Inwieweit Berardi passt, vermag ich nicht zu sagen. Immerhin hat Werder in der Sturmspitze einen Nils Petersen, der bei bisher 13 Einsätzen immerhin 5 Tore schoss und 2 Assists ablieferte und damit erfolgreichster Bremer Spieler der Hinrunde ist. Natürlich hat man sich von Petersen insgeheim mehr erhofft. Robin Dutt setzt wohl auch hier auf Konkurrenz, die bekanntlich das Geschäft belebt …

Viel Spielraum bleibt den Bremern also weiterhin nicht. Und die schon erwähnten Fleischtöpfe (Europapokale) sind in weite Ferne gerückt. Es kann so nur erst einmal gelten, die Klasse zu halten – und mittelfristig mit einem festangestellten Personal an die Tabellenspitze heranzurücken. Leihgeschäfte helfen da nur kurzfristig (siehe Kevin de Bruyne). Für lange Fristen, so denke ich, ist im Fußballgeschäft wenig Raum, außer man hat das nötige Geld, um gute Spieler länger (eben langfristig) zu halten. So kann man nur auf den Nachwuchs setzen. Den Scouts, die über die Grenzen Bremens hinaus nach jungen Talenten Ausschau halten, kommt da vermehrt Bedeutung zu. Aber selbst hier dürfte sich der SV Werder schwer tun, gegen die zahlungskräftigere Konkurrenz anderer Vereine zu bestehen. Und wahre Talente findet man leider auch nicht an jeder Straßenkreuzung …

Wer sich für die Rückrunde die große Aufholjagd des SVW erhofft, hofft vergebens. Die Brötchen, die Werder backt, sind deutlich kleiner geworden. Aber kleine Brötchen schmecken manchmal besser als die großen. Vielleicht erleben wir ja doch noch in absehbarer Zeit (kurz-, mittel-, eher langfristig) ein „grün-weißes“ Wunder …

Puderzucker

Wintereinbruch in Norddeutschland: Die vergangene Nacht ließ wenige Schneeflocken, die wie Puderzucker Schokoladenkuchen bestäuben, auf die Erde rieseln. Nach einem längeren Frühling im Winter sieht ’s nun wirklich so aus, als wollte sich der Winter jetzt endlich und vielleicht auch etwas länger bei uns niederlassen. Seit Montag haben wir bereits leichten Dauerfrost. Heute soll ’s noch grau in grau bleiben, um morgen den ganzen Tag (mehr oder weniger) zu schneien:

    Wettervorhersage für 23.01.2014 : leichter Schneefall

Und zum Wochenende hin ist bei uns starker Frost, aber auch reichlich Sonnenschein angesagt:

    Wettervorhersage für 26.01.2014 : Sonne & starker Frost

Wenn genügend Schnee fallen sollte (man weiß ja nie …), dann dürfte es sich lohnen, einmal wieder die eingestaubten Schlitten hervorzuholen. Eine Rodelpartie hat doch was, oder …?!

Martin Walser: Das Schwanenhaus (1980)

Ende der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts: Der Diskontsatz steigt gerade auf 7 %. Damit werden auch die Hypothekenzinsen steigen. Eine schlechte Ausgangslage für den Immobilienmarkt und damit für Makler, die ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Grundstücken, Häusern oder Wohnungen bestreiten. Wir befinden uns am Bodensee, genauer in Überlingen am Bodensee. Und noch etwas genauer in Nußdorf, heute ein Stadtteil von Überlingen. Hier wohnt kein Geringerer als Martin Walser. Und hier wohnt auch Dr. Gottlieb Zürn, Romanheld von Martin Walser.

    Das Leben kam ihr als etwas vor, was sie nie schaffen werde. Das war ihm vertraut.
    Martin Walser: Das Schwanenhaus (S. 209 – suhrkamp taschenbuch 800 – 7. Aufl. 2011)

Sie, das ist Magda, die zweitälteste Tochter von Gottlieb Zürn, dem Er (oder ihm). Ja, Dr. Gottlieb Zürn, zwei Semester hat er Kirchenarchitektur studiert, bevor er sein Jura-Studium aufnahm und nach Studium und Promotion als Makler tätig wurde. In Nußdorf. Erst als Kompagnon, dann selbständig zusammen mit seiner Frau Anna.

    Martin Walser: Das Schwanenhaus (1980)

Mit Gottlieb Zürn schuf Martin Walser, eine Romanfigur, die ihn so schnell nicht wieder loslassen sollte. Nach diesem ersten Zürn-Roman, Schwanenhaus, 1980 veröffentlicht, kam noch Jagd 1988 und 2004 „Der Lebenslauf der Liebe“ als weitere Gottlieb Zürn-Romane auf dem Markt.

„Erzählt wird der Kampf um etwas Wunderschönes, und wie die Kämpfer ausgerüstet sind. Das Schöne ist ein Haus, ein inniges Gehäuse am See, von Wänden und Fenstern leuchten Sehnsuchtsmotive. Die Kämpfer sind Händler. Das Haus steht leer. Die Besitzerin hat es verspielt. Der schöne Gegenstand wird Objekt des Konkurrenzkampfes. Wer wird es kriegen? Am meisten Aussicht hat Dr. Gottlieb Zürn. Glaubt er.

Das Buch macht Gottlieb Zürn zum Helden der Helden. Er ist in der weltlichen Zählung nicht der Heldenhafteste, nicht der Erfolgreichste, der Männlichste. Dem Roman aber ist er der Rühmenswerteste. Was die Gesellschaft als Nachteil bewertet und mit dem Makel der Erfolglosigkeit ahndet, rühmt der Roman: die Liebesfähigkeit des Liebenden, die Feinheit des Empfindlichen, den Charme des Kindlichen. Inmitten dieses Konkurrenz-Kampfes leistet sich dieser Held Poesie. Der Roman ist erzählt gegen das, was üblich ist. Er wirbt nicht, wie die Religion, für das Gute, er vertritt nicht, wie die Politik, das Richtige, sondern er erzählt den Sinn des Vorgangs: solange das Gute, das Richtige nicht Wirklichkeit wird, wird es Literatur.“
(aus dem Klappentext)

Martin Walsers Helden haben es immer schwer mit ihrem Leben, das ihnen als etwas vorkommt, „was sie nie schaffen“ werden. So auch Gottlieb Zürn, Immobilienmakler und Vater von vier Töchtern. Schon lange hat er „keinen Vertragsabschluss mehr zustande gebracht. Schuld ist nicht nur die Konjunkturflaute, sondern vor allem sein innerer Widerstand, seine Kollegen als Konkurrenten anzusehen, sich durchzusetzen und draußen im feindlichen Leben zu kämpfen. Sein Ideal ist sein früh verstorbener und geschäftlich erfolgloser Vater, der stets etwas Leises und Duftendes an sich gehabt haben soll. Außerdem hegt er den Wunsch, sich als Dichter zu sehen – allerdings nicht als Dichter ‚auch für andere’ und schon gar nicht mit der Absicht, seine Werke zu Geld zu machen. Auch geht es ihm nicht darum, durch seine Gedichte Dinge auszudrücken, sondern sie im Gegenteil zu verschweigen – bzw. durch das Verschweigen anzudeuten, dass er etwas auszudrücken hätte, dies aber nicht tut. Zu sensibel und zugleich zu kindlich – er selbst sieht sich in seiner subjektiven Alterseinteilung, nach der er alle Menschen beurteilt, als etwa Zwölfjährigen – um als harter Geschäftsmann zu agieren, verliert er den Kampf um das Schwanenhaus“, eine Villa im Jugendstil. Dieses wird am Ende gesprengt und macht damit Platz für einen Block von 50 bis 100 Luxusapartments. (Quelle: de.wikipedia.org)

Personenliste zum Roman:

Dr. Gottlieb Zürn, Makler, bald 50 Jahre alt
Anna, seine Frau

Rosa, die älteste Tochter <-> Max Stöckl, Kameramann
Magda(lena), Tochter
Julia, Tochter
Regina, die jüngste Tochter

Frau Ortwein, Sekretärin
Leonhard, Vetter

Dr. Enderle, Immobilienhändler, Zürn ist sein Kompagnon und nach dessen Tod übernimmt dieser die Firma

Beatrice Bansin, Eigentümerin des Schwanenhauses, das sie verspielt hat
Eberhärdle, Sohn und bei den ‚Zeugen Jehovas’, Schulkamerad von Gottlieb Zürn
Dionys Dummler, Hausmeister im Schwanenhaus

Lissi Leistle, jüngere Schwester von Frau Bansin, Ehemann Inhaber eines Chemiewerkes

Rudi W. Eitel, Kollege und Freund von Gottlieb Zürn
Helmut ‚Schaden’-Meier, früher Architekt, jetzt Schätzer, Freund von Gottlieb Zürn

Paul Schatz, Immobilienhändler und Konkurrent
Jarl F. Kaltammer, Immobilienhändler und Konkurrent

außerdem:

Lissi Reinhold und Tochter Judith
Giselher ‚Kugelbart“
Dr. Terbohm und Frau Barbi
Baptist Rauh, Kunde
Ehepaar Fichte, Kunde
Familie Schneider aus Stuttgart, Feriengäste bei Zürns
Familie Constabler aus Solingen, Feriengäste bei Zürns
Ludwig …, ehemaliger Freund von Gottlieb Zürn

Armin, der Hund der Familie Zürn
Else, die Katze der Familie Zürn
u.a.

Walser bestreitet es zwar, aber seine Romanhelden haben immer viel mit ihm selbst zu tun. Besonders in Gottlieb Zürn hat sich Walser selbst ‚erfunden’. So hat Zürn vier Töchter wie Walser, Zürns Bruder fiel wie der Bruder Walsers im 2. Weltkrieg, Zürns früh verstorbener Vater ähnelt Walsers Vater stark – und beide wohnen ja in Nußdorf. Kenntnisse im Immobiliengeschäft hat sich Walser in der Zeit erworben, als er noch in Friedrichshafen wohnte und nach einer neuen, größeren Bleibe Ausschau hielt, sich also entsprechend schlau machen musste. Auch im Lebensalter sind sich beide fast gleich.

Auch wenn Zürn nicht Walser wirklich ist, so führt uns Walser doch sehr ‚tief’ in das Familien- und Berufsleben des Gottlieb Zürn ein. Das schafft man nur mit entsprechend eigenen Erfahrungen. Als Leser tauchen wir in die Welt zur Zeit des Bundesrepublik so kurz vor 1980 ein. Dabei versteht es Walser, Fiktives so anschaulich wie nur möglich zu gestalten.

Die Helden Walsers sind Antihelden. Ihnen gelingt wenig und sie brauchen Hilfe, um ihr Dasein zu bestehen. Aber sie sind mir sympathischer als all die hemdsärmeligen Macher, die alles an sich reißen. Auch wenn eben ein solcher Macher am Ende dieses Romans siegt, so findet ein Antiheld wie Zürn doch seinen Frieden – in den Armen seiner Frau.

„Walser auf der Höhe seines Könnens. Er war nie berückender, amüsanter und überzeugender.“ Abendzeitung, München

Dem kann ich mich nur anschließen. Der Roman brodelt über von Einfällen und beweist trotz aller Nackenschläge, die der Romanheld einzustecken hat, immer viel Witz.

Schimanski zum Ersten: Duisburg-Ruhrort (1981)

Ja, ich bin heiß geworden – heiß auf alte Tatort-Folgen mit Schimanski (die neuen Folgen – natürlich ohne Schimmi – gucke ich sowieso meist …). Kein Wunder, da ich doch endlich eine bis dato vollständige Tatort Schimanski-/Schimanski-Sammlung mein eigen nenne (keine Angst: Ich ‚ertrinke’ schon nicht im Tatort und werde mit Sicherheit auch nicht alle alten Schimanski-Folgen hier ‚zum Besten’ geben).

    Tatort-Reihe der ARD (seit 1970)

Den 4. Tatort-Schimanski-Fall (Das Mädchen auf der Treppe aus dem Jahr 1982) habe ich hier allein wegen des filmischen Mitwirkens von Jan Fedder etwas näher und damit ausführlicher beleuchtet: Schimanski & Brakelmann. Aber alles hat ja einen Anfang, auch Schimanski – Folge 1 aus dem Jahr 1981: Duisburg-Ruhrort

    ‚Dienstausweis’ von KHK Horst Schimanski

Es war der 26. Juni 1981, als Kriminalhauptkommissar Horst Schimanski in der Tatort-Reihe seinen Dienst aufnahm – und für großen Wirbel in der Fernsehgemeinde sorgte. Ein Kommissar steht nicht gerade für modisches Auftreten oder für Manieren a la Knigge. Auch muss er kein Gourmet sein. Aber was da gleich die erste Szene mit Schimanski in seiner Wohnung bot (zwei ein halb Minuten ohne Schnitt), war vielen erst einmal zuviel des Guten: Ein scheinbar verkaterte Polizist blickt aus dem Fenster (Schimanskis Wohnung befindet sich in Duisburg-Wanheim. Der Blick aus dem Dachgeschoss des Wohnhauses am Biegerpark reicht bis Rheinhausen, wo das damals dort befindliche Krupp-Werk zu sehen ist), dann wirft er den Kassettenrekorder an (es erklingt „Leader of the Pack“ von den Shangri-Las aus dem Jahr 1964), kratzt sich erst einmal ausführlich, anschließend kramt er in der Küchenzeile aus dem dreckigen Geschirr eine Bratpfanne hervor, um sich doch dazu zu entschließen, zwei Eier roh im Glas zu vertilgen (da die Szene mehrmals gedreht wurde und Götz George das mit den Eiern durchziehen wollte, musste er sich – kein Wunder – übergeben, nein, nicht im Film …). Schnell sammelt er noch leere Bierflaschen ein, streift sich einen Pullover über und greift sich seine Jacke, die später genau wie die Schimanski-Tatorte Kult werden sollte. Und der erste Satz des Films, den er dann in der nächsten Szene sagte, nein schrie, war: „Du Idiot, hör‘ auf mit der Scheiße!“ Mit dem Idioten meinte er Zottel, der gerade seinen Fernseher aus dem Fenster im zweiten Stock schmiss. Er zerschellte vor einem Haus in der Fürst-Bismarck-Straße in Duisburg-Ruhrort. So begann also am 26. Juni 1981 die erste Tatort-Schimanski-Folge. Skandalös! Damals …

Als Hommage an diesen ersten Satz Schimanskis konnte sich Til Schweiger bekanntlich nicht enthalten, das Wort Fuck als erstes Wort in seinem ersten Tatort-Krimi zu hauchen. Schweiger wähnte sich wohl in den für ihn dann doch etwas zu großen Fußstapfen von Götz George aka Horst Schimanski. Eine Hommage sieht aber anders aus, z.B. wie die zu der eben beschriebenen Anfangsszene: Diese wurde in der viel späteren Schimanski-Folge Tod in der Siedlung fast identisch am Ende des Films mit Fenster, rohen Eiern aus dem Glas und Musik (diesmal Jethro Tull mit Wond’ring Aloud – sic!) erneut in Szene gesetzt.


Größere Kartenansicht
Duisburg-Ruhrort: Fürst-Bismarck-Straße

Zum Inhalt (in Kürzestfassung) von Duisburg-Ruhrort:

Im Duisburger Hafen wird ein Toter gefunden. Es ist der Binnenschiffer Heinz Petschek. Er wurde erstochen. Dringend der Tat verdächtig erweist sich der Schiffer Jan Poppinga; Petschek hatte mit seiner Frau ein Verhältnis.

Kriminalhauptkommissar Horst Schimanski glaubt an Poppingas Unschuld. Es stellt sich heraus, dass Petschek kurz vor seinem Tod seinen langjährigen Arbeitsplatz verlassen und auf dem Schiff des Partikuliers Wittinger angeheuert hatte. Die Gründe für diesen Wechsel liegen im Dunkeln, selbst seinen Freunden hat Petschek nichts gesagt. Sicher ist nur, dass Petschek Rauschgift geschmuggelt hat.

Da wird ein zweiter Toter entdeckt. Es ist der türkische Gewerkschaftler Celik. Petschek und Celik haben sich gekannt. Die beiden waren einem Waffenschmuggel auf der Spur. Ist Wittinger der Mörder?

Sicherlich ist das nicht einer der besten Tatort-Folgen. Die Handlung ist etwas wirre. Aber mit Schimanski trat ein ‚Bulle’ auf, der es schaffte, wenn dann auch weiterhin in einer eigenen Sendereihe, eine Fangemeinde hinter sich scharren, die bis heute besteht. Schimmi ist einfach Kult! Lediglich Lena Odenthal (gespielt von Ulrike Folkerts), die seit dem 29. Okt. 1989 (Folge: Die Neue) auf Mörderjagd geht, also über acht Jahre nach Schimmis ersten Auftritt, und damit dienstälteste Tatort-Ermittlerin ist, ermittelt heute noch.

Schimanski, das war in den 80-er Jahren auch so ein Abbild für das Lebensgefühl vieler junger Menschen, dem ich mich auch nicht verschließen konnte. Aber was schreibe ich da. Die alten Junggebliebenen wollen den Film sicherlich noch einmal sehen. Und die wirklich noch Jungen interessiert es dann vielleicht auch. Hier der 126. Tatort aus dem Jahr 1981 auf Youtube (wenn denn die GEMA nicht dazwischenfunkt):


Tatort (126) Schimanski (01): Duisburg-Ruhrort (1981) (Playlist – 3 Teile)

siehe auch: Auf den Spuren von Horst Schimanski durch Duisburg

z.B. Bis 1993 war der „Anker „ein beliebter Treffpunkt für viele Binnenschiffer und die Ruhrorter. Hier kehrte also auch Schimanski ein. Dann wurde die Kneipe stillgelegt und diente der Eigentümerin Grete Weiler und ihrem kleinen Hund als Wohnzimmer. Nach ihrem Tod drohte dem Haus von 1906 der Verfall. Gott sei Dank fand sich für das unter Denkmalschutz stehende Haus im Jahre 2008 ein privater Investor. So wurde der“ Anker“ aufwendig restauriert und die Heimat für das Café Kaldi. Die alten Stuckdecken und auch die Holzvertäfelung sind original erhalten.

Heute Ruhetag (45): Stanislaw Przybyszewski – Androgyne

Stanisław Przybyszewski (1868 – 1927) war ein polnischer Schriftsteller, der zu Beginn seiner Laufbahn auf Deutsch schrieb. Er entwickelte ein großes Interesse für Satanismus sowie die Philosophie von Friedrich Nietzsche und begann ein Bohème-Leben. Zu seinen Freunden in dieser Zeit gehörten Edvard Munch, Richard Dehmel und August Strindberg, die sich in ihrer Berliner Stammkneipe Zum schwarzen Ferkel trafen. 1895 wurde er Mitbegründer der Zeitschrift Pan, veröffentlichte daneben aber auch in Karl Kraus‘ Fackel und in der Freien Bühne.

Als Vermittler zwischen der deutschen und den slawischen Literaturen gilt Przybyszewski auch in der Tschechoslowakei, wo er kurze Zeit wohnte und literarisch befruchtend wirkte, bevor er 1919 wieder nach Polen zurückkehrte.

Hier arbeitete er intensiv am Aufbau des neuen polnischen Staates mit. Przybyszewski starb 1927 im Alter von 59 Jahren, also in einem Alter, in dem ich mich jetzt nur noch zwei Wochen lang befinde (wenn Ihr wisst, was ich meine … 😉 ).

Seine Erzählung „Androgyne“ fand ich auf einer Werkliste mit „100 erotischen Klassikern“ beim Projekt Gutenberg–DE auf Spiegel Online; hier ist sie auch nachzulesen, da sie urheberrechtsfrei, genauer gemeinfrei ist. Zur Erzählung (bis auf ihren Inhalt selbst) habe ich leider nichts gefunden. So habe ich in ihr etwas quergelesen und muss sagen, dass sie etwas schwülstig-hochtrabend klingt. Aber wer sich an einem solchen schmuddelig feucht-kalten Abend daran erwärmen möchte, bitte …

Heute Ruhetag = Lesetag!

Es war späte Nacht, als er nach Hause kam.

Er setzte sich an den Schreibtisch und sah gedankenlos auf einen herrlichen Blumenstrauß hin, der mit einem breiten roten Band umwunden war.

Auf dem einen Ende stand in goldenen Buchstaben ein mystischer, weiblicher Name.

Nichts weiter.

Und wieder empfand er diesen langen, fliederweichen Schauer, der ihn durchzuckte, als man ihm diesen Strauß auf die Estrade hinaufreichte.

Man hat ihn ja mit Blumen beworfen, soviel Kränze regneten nieder zu seinen Füßen – aber dieser Strauß mit diesem roten Band und dem mystischen Namen – wer mag ihn wohl hinaufgeschickt haben?

Er wußte es nicht.

Als ob eine warme, kleine Hand die seine erfaßt – nein! nicht erfaßt, – sich wollüstig einschmeichelte, hineinküßte mit heißen Fingern …

Und sie, deren Name ihn so verwirrte …

Vielleicht hat sie die Blumen geküßt, bevor man sie ihm reichte, ihr Gesicht in das weiche Blumenbett eingewühlt, bevor sie es zum Strauß gewunden, das reiche Armgewinde von Blumen an ihr Herz gedrückt und sich nackt und lustkeuchend über das Blumenlager gewälzt …

Und das Geblüte atmete noch den Duft ihres Körpers, zitterte noch das kauernde, heiße Lispeln ihres Verlangens …

Sie liebte ihn ja, sie kannte ihn schon lange, ganze Tage hat sie zitternd durchdacht, bevor sie wagte, ihm diese Blumen zu schenken … Er wußte es, ganz genau wußte er es …

Er wußte sicher, daß sie ihn liebte, denn solche Blumen schenken nur Mädchen, die lieben.

[…]

Ein Mädchengesicht tauchte auf: ein heller, heiliger Klang in den schwarzen Sturmakkorden, der helle Widerschein eines blassen Sternes in dem schäumenden Gischt dunkler Wogen, – nie früher hatte er es gesehen, aber er kannte es, er kannte es gut, dies Mädchengesicht …

Er wachte auf: rieb sich die Augen, ging in dem Zimmer auf und ab, aber er konnte die Vision dieses Gesichtes nicht los werden: halb Kind, halb Weib.

Ja, ja – sie war es sicher. Sie ließ ihm den Blumenstrauß auf die Estrade reichen.

Er dachte nach, woher seine plötzliche Gewißheit, daß sie es war.

Jemand Fremdes hat ihm die Blumen hinaufgereicht.

Und er dachte und grübelte …

Stanislaw Przybyszewski : Androgyne

Schimanski & Brakelmann

Man schreibt das Jahr 2014: Kurt Brakelmann, dorfbekannter Panscher üblen Fusels, wurde von Hauptkommissar a.D., Horst Schimanski, an den Hammelbeinen gepackt und dreimal durch die Luft gewirbelt. Dann ließ Schimanski ihn los und Brakelmann knallte mit der Vorderluke auf Beton: ding-dong …!

Quatsch – man schreibt das Jahr 1982: Nachdem der junge Wolfgang Patschke, genannt Wolli, Schimanski und Katja, die Tochter des Mordopfers, verfolgt hatte, verhaftete der Hauptkommissar den angeblichen Drogendealer.

Vor einigen Tagen sah ich mir aus meiner Tatort Schimanski-/Schimanski-Sammlung die insgesamt 138. Folge der Tatort-Reihe (inzwischen sind wir schon bei Folge 895 – Stand: 05.01.2013), die vierte mit Schimanski, aus dem Jahr 1982 an: Das Mädchen auf der Treppe (Kamera führte übrigens der heute bestens bekannte Regisseur Joseph Vilsmaier unter dem Namen Josef Vilsmeier)

    Tatort-Reihe der ARD (seit 1970)

Für mich war das als bekennender Schimanski-Fan natürlich wieder ein Fest. Ich mag diesen ziemlich unorthodox ermittelnden, ungehobelten Kriminalbeamten aus Duisburg, auch wenn man solchen Filmen wie den vor jetzt 32 Jahren die Last des Alters anmerkt. Allein filmtechnisch hat sich da inzwischen viel getan. Nicht nur, dass das Bild noch im Verhältnis 4:3 (ich war so frevlerisch und habe mir den Film doch tatsächlich in 16:9 angeschaut, da ist dann alles etwas in die Breite gezogen) daherkommt, auch schärfemäßig eiert solch ein Film um gefühlte Jahrhunderte hinterher. Und dann erst Inhalt und Dramaturgie: Da geht’s gemächlich zu, lange Einstellungen mit oft zuviel Gequatsche, manchmal eher willkürliche Schnitte. Und doch …

So wie eine Serie wie Mit Schirm, Charme und Melone (erst vorgestern hatte ich DIE in der Mangel) den Charme der 60-er Jahre versprüht, so tauchen wir mit einem solchen Schimanski-Tatort ungeschadet in die 80-er Jahre unserer Republik ein (das ist fast zum Schreien komisch).

Zum Inhalt (in Kürzestfassung) von Das Mädchen auf der Treppe:

Als Schimanski abends vom Dienst nach Hause kommt, sitzt ein Mädchen bei ihm auf der Treppe Es ist die 17-jährige Katja. Ihre Mutter, Geschäftsführerin des Spezialitätenrestaurants „Hawaii“ ist ermordet worden, ermordet auf eine Weise, die auf sehr persönliche Motive des Täters schließen lässt. Katja, die eine intensive Bindung an ihre Mutter hatte – ihren Vater hat sie nicht gekannt – ist tief verwundet, sie schirmt sich ab durch gespielte Flapsigkeit.

Schimanski und Thanner müssen sich zwangsläufig um Katja kümmern: Man ist hinter ihr her, sucht etwas, das in der Wohnung der ermordeten Mutter nicht gefunden worden ist. Es geht um Rauschgift. Das Restaurant war ein Großumschlagplatz für Drogen. Katjas Mutter wollte aussteigen, mit zwei Kilo Kokain als Kapital für die Zukunft und mit der Drohung, den ganzen Laden hochgehen zu lassen, wenn man sie nicht in Ruhe ließe. Großdealer und mutmaßlicher Mörder von Katjas Mutter ist Straub, Besitzer des Restaurants „Hawaii“. Man wird ihn erwischen – es ist nur eine Frage der Zeit.

Aber dann stellt sich heraus, dass die Zusammenhänge viel komplizierter sind. Die Polizei ist jetzt dringend auf Katjas Hilfe angewiesen.

Jetzt fragt sich jeder, der diesen Tatort nicht kennt, was das oben Angeführte mit Brakelmann und so mit diesem Film zu tun hat. Erst einmal: Es hat … Zwar wird man Schimanski wohl nie in Büttenwarder auftauchen sehen, denn dort ist jener Kurt Brakelmann (die Norddeutschen sollten das wissen, sonst … ja, was sonst …?) zu Haus. Brakelmann das ist Jan Fedder, typisch norddeutscher Schauspieler typisch norddeutscher Charaktere (auch auf Platt). Und Büttenwarder, das ist ein Nest irgendwo hier in Norddeutschland (soll in Schleswig-Holstein sein), in dem sich eigentlich nicht viel Neues tut, deshalb heißt die Sendereihe ja auch Neues aus Büttenwarder, die vom NDR produziert wird und jeden Norddeutschen erfreut (erfreuen sollte). Neues aus Büttelwarder, das sind an erster Stelle Jan Fedder als Kurt Brakelmann und Peter Heinrich Brix als Arthur „Adsche“ Tönnsen, die auch als Darsteller aus der Serie Großstadtrevier bekannt sind. Und das ist lakonisch staubtrockener norddeutscher Humor! Jo!

    Jan Fedder im Verhör

Also die Auflösung: jener Kurt Brakelmann wird wie auch noch jener Wolfgang Patschke, genannt Wolli, von Jan Fedder gespielt. Jan Fedder im Tatort. An der Seite von Schimanski. Man glaubt es kaum. Und man glaubt es noch weniger, dass jener Typ oben auf dem Bild, ja, der mit dunklem Bart und dunkler Matte, eben jener Jan Fedder ist. Ich bekam das Brüllen … (5 Jahre später ist dann Jan Fedder noch einmal in einem Tatort zu sehen: Voll auf Haß – als Schutzgelderpresser – immerhin ein Hamburger Tatort).

Spätestens dann, wenn Jan Fedder den Mund aufmacht, hört man, dass das Jan Fedder ist:


Schimanski verhört… Fedder!?

Wer jetzt also Bock auf so einen uralten, unscharfen Schimanski-Tatort bekommen hat, der sehen will, wie man so Anfang der 80-er Jahre in Deutschland lebte und ‚ermittelte’ (zum Schreien: Schimanski ruft aus der Telefonzelle seine Kollegen an), hier auf Youtube frei Haus:


Tatort (138) Schimanski (04): Das Mädchen auf der Treppe (1982)

Übrigens: Das Lied zum Film ist eine leicht veränderte Version des Stücks „White Eagle“ aus der gleichnamigen Platte von Tangerine Dream. Und: Darsteller Erich Bar hatte bei den Schimanski-Folgen einige wiederkehrende Rollen, von denen diese [der korpulente Mitarbeiter im Restaurant Hawaii] und die des Maschinisten in der Folge Duisburg-Ruhrort [die erste Schimanski-Tatort-Folge] eine humoristische Komponente enthielten. In beiden Fällen kontert Schimanski ihn bei der Frage, was nun werden soll, dass er sich jetzt einen neuen Job suchen könne (Quelle: de.wikipedia.org).

Und noch eines: Nachträglich (14. Januar) alles Gute zum Geburtstag, Jan Fedder! Bis ja auch nur ein knappes Jahr jünger als ich ….

Noch einmal: Neues aus Büttenwarder