Die Stellung der Frau in Ehe und Gesellschaft und der Kampf um die Freiheit ihrer Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt dieser drei, nun schon klassischen psychologischen Erzählungen, die sich wie die Tafeln eines Triptychons miteinander verbinden. Wir lesen das Tagebuch einer jungen Frau, deren frisches und klares Urteilsvermögen die vorgetäuschte moralische Überlegenheit ihres Mannes als raffinierten Egoismus entlarvt und die an dieser Erkenntnis zerbricht. In der zweiten Erzählung versucht der Beschuldigte eine Rechtfertigung, in der dritten nimmt, in Form eines Briefes, die Tochter des Ehepaares (inzwischen selbst eine junge Frau) zu den Ereignissen Stellung. Dabei erweist sich, daß die gesellschaftlichen Veränderungen zu einer Befreiung geführt haben: die Tochter nimmt für sich jenes Recht auf die eigene Persönlichkeit ganz selbstverständlich in Anspruch, das der Mutter versagt blieb.
André Gide, am 22. November 1869 in Paris geboren und dort am 19. Februar 1951 gestorben, der seinen Zeitgenossen und vielen seiner konservativen Autorenkollegen als gefährlich, als der große Seelenverderber galt, hat längst seinen Platz in der Weltliteratur. Der Nobelpreisträger (1947) zählt zu den wichtigsten französischen Schriftstellern seiner Generation. Er hat das geistige Gesicht des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt. Die Erzählungen >École des Femmes< erschien 1929 (dt. 1929), >Robert< 1930, >Geneviève< 1936 (dt. zus. 1950).
"Ein scharfzüngiges Manifest für die Frau. Doch bei allem Engagement zum Thema >Emanzipation< geht Gide nie der Charme aus. Schon allein die Komposition ist äußerst reizvoll ... Darüber hinaus jedoch besticht Gide durch seinen überaus eleganten Stil, in dem Einfachheit und Ironie sich raffiniert brechen." (Norddeutscher Rundfunk)
André Gide gemalt von Paul Albert Laurens (1924)
Ich finde es schon erstaunlich, wie sich André Gide als Mann vor über 85 Jahren in die unterschiedlichen Rollen der Mutter, des Mannes und dann der Tochter hineinfühlt: André Gide: Die Schule der Frauen [L’École des Femmes] – Erzählungen – dtv 1751 – 3. Auflage 1983. Die Mutter, die zunächst dem Charme ihres späteren Mannes erliegt, erkennt bald, wie perfide ihr Ehegatte ist, wie er nicht nur sie, sondern seine ganze Umwelt hintergeht. Der Mann schiebt in seiner Rechtfertigung alles auf seine Frau und dann auch auf die Tochter. Der Brief der Tochter offenbart dann das ganze Dilemma, dem ihre Mutter ausgesetzt war.
siehe auch: André Gide: Die Falschmünzer