Abenteuer Ulysses von James Joyce (08): 7. Kapitel – Äolus [Odyssee]

Im 7. Kapitel des Ulysses macht sich James Joyce über den Journalismus lustig. Dieser Teil des Texts ist wie eine Zeitung geschrieben, daher achte auf die Überschriften der jeweiligen Textabschnitte.

Äolus bzw. Aiolos steht für den von Zeus als Herrscher über die verschiedenen Winde eingesetzte Günstling der Götter. Er gilt als Stammvater der Hellenen. Äolus nahm Odysseus und seine Gefährten gastfreundlich auf und bewirtete sie einen Monat. Vor der Heimfahrt gab er Odysseus einen Schlauch aus Rindsleder mit Winden, der verschlossen bleiben sollte. Gleichzeitig ließ er für Odysseus’ Heimfahrt günstige Westwinde wehen. Der Schlauch wurde jedoch von den Gefährten des Odysseus kurz vor Erreichen Ithakas geöffnet. Infolgedessen entwichen alle Winde, und die Schiffe wurden zu der Insel des Äolus zurückgetrieben. Als Odysseus Äolus erneut um günstige Winde bat, wurde er als ein den Göttern Verhasster abgewiesen.

Äolus ist im Roman die Presse, der Ansturm der Informationen stellt die Winde dar, die in wirbelnden Schlagzeilen zusammengeflickt werden müssen.

Seite 1 des  Evening Telegraph vom 16. Juni 1904
Seite 1 des Evening Telegraph vom 16. Juni 1904, dem Tag, an dem der Roman spielt – rekonstruiert und digitalisiert von Ian Gunn und Mitarbeitern der Split Pea Press in Edinburgh. Source: www.splitpea.co.uk.

Inhalt des 7. Kapitels: Äolus (Zeitungsredaktion)

Stilistisch ist das Kapitel also wie eine Zeitung gegliedert mit Überschrift und den eigentlichen Beitragen, dem Zeitungstext.

In der Setzerei der Tageszeitung versucht Bloom eine Annonce in der Nachmittagsausgabe zu platzieren. Nachdem er das Büro seines Vorgesetzten verlassen hat, kommt Stephen herein, um den Leserbrief für Mr. Deasy abzugeben. Er erzählt den Zeitungsleuten eine Dubliner-Geschichte von zwei alten Jungfern.

Das Kapitel ist eigentlich als Fließtext verfasst, wird jedoch optisch gegliedert, indem es abschnittweise mit den Inhalt zusammenfassenden Überschriften versehen wird. So entsteht der Eindruck von Zeitungsartikeln. Ein Absatz, in dem der Postwagen beschrieben wird, trägt dabei zum Beispiel den Titel „THE WEARER OF THE CROWN“ („Der Träger der Krone“), oder wenn Bloom sich mit der Zitronenseife in seiner Tasche beschäftigt, heißt es: „ONLY ONCE MORE THAT SOAP“ („Nur einmal noch die bewusste Seife“).

Die Titel sind so gewählt, dass sie tatsächlich journalistische und feuilletonistische Themen aufgreifen könnten, der Inhalt des Kapitels wird somit ironisch gebrochen. Gegen Ende werden die Überschriften dann ins Absurde gedreht, verdoppelt und verdreifacht: „DIMINISHED DIGITS PROVE TOO TITILLATING FOR FRISKY FRUMPS. ANNE WIMBLES, FLO WANGLES – YET CAN YOU BLAME THEM?“ („Verringerte Finger erweisen sich als zu prickelnd für fröhliche alte Frauenzimmer. Anne popelt, Flo pupt – doch kann man’s verübeln?“) (Quelle: de.wikipedia.org)

Personen des 7. Kapitels

Während seines Besuchs der Zeitungsredaktion begegnet unser ‚Held‘ Leopold Bloom gleich mehreren Personen, Angestellte der Setzerei, der Redaktion und andere. Zunächst Red Murray, ein Angestellter, der Anzeigen in der Setzerei ausschneidet und archiviert, dann Davy Stephens, dem Boten des Evening Telegraph – und den livrierten Portier, William Brayden.

Weiter geht es zu „Nannettis Korrekturkabinett“. Joseph Patrick Nannetti ist der Herausgeber des Freeman, nebenbei Stadtrat und will OB von Dublin werden.

Auch Stephen Dedalus, der andere der Hauptakteure des Romans, tritt auf. Des weiteren J.J. O’Molley, ein junger Anwalt, dessen Praxis allerdings schlecht läuft. Bloom schätzt ihn.

Der Chefredakteur des Freeman’s Journal, Myles Crawford, Alkoholiker, hängt an der Vergangenheit des Sensationsjournalismus, bittet Stephen Dedalus etwas zu schreiben. Crawford stellt den Windgott Äolus dar.

Weiter begegnen wir einem Mr. O’Madden Burke, der über die Geschichte Dublins schreibt. Es gibt da noch weitere Personen, die aber keine große Rollen spielen.

Anmerkungen zu diesem 7. Kapitel

Nichts Neues: Auch in diesem Kapitel gibt es einige Redewendungen usw., die vielleicht der Erklärung bzw. Übersetzung bedürfen: Ich hoffe auch hier bei den Übersetzungen (z.B. Italienisch, Lateinisch) die ‚richtigen Worte‘ gefunden zu haben (der Google-Übersetzer ist nicht immer eine Hilfe bei diesen Sprachen):

S. 164: hibernisch [irisch]
S. 165: Esquire [Herr, Anrede als Höflichkeitebezeugung]
S. 170: spationiert [Test, gesperrt mit Zwischenräumen]
S. 172: mangiD, kcirtaP [rücwärts: Patrick Dignam]
Haggadah-Buch [Erzählungen/Handlungsanweisungen im religiösen Leben der Juden]
S. 173: Schema Jisrael Adonai Elohenu [Höre Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins]
S. 174: Erin [latiniserter Name Irlands]
Gemme [geschnittener Schmuckstein]
Zephir [Südwestwind]
Xenophon [Schüler des Sokrates]
S. 175: Chatterton, der Vize-Kanzler … Hedges Eyre Chatterton [Großonkel von Ned Lambert, einer der im Roman auftretenen Personen]
S. 177: transzendent, transluzent [übersinnlich, durchscheinend]
dorisch [altgriechischer Kunststil der Dorer]
S. 179 Creticus [Versfuß]
Äolsharfe [Harfe, die durch Wind in Schwingungen gerät]
S. 182: Cortège [Prozession]
S. 183: Kalumet [indianische Friedenspfeife]
S. 184: imperatorisch, imperativ [gebieterisch, befehlend]
S. 187: Kyrie eleison [Herr, erbarme dich]
Kyrios [Herr -> Gott oder Jesus Christus]
S. 188: Sallust [römischer Statthalter von Afica Nova]
Rows of cast steel [Reihen aus Gussstahl]
Generalgouverneur von Finnland erschossen [geschah am 17.06.1904, also eigentlich einen Tag später]
S. 189: De omnibus zusammis [Küchenlatein: Alles ‚zusammen‘]
S. 192: And Able was I ere I saw Elba [Und Abel war ich, bevor ich Elba sah]
S. 193: … la tua pace [dein Frieden]
che parlar ti piace [dass du gerne redest]
mentreche il vento, come fa, si tace [während der Wind, wie er es tut, schweigt]
per l’aer perso [für den verlorenen Bereich]
quella pacifica oriafiamma [dieses friedliche Oriafiamma = Kriegsfahne frz. Könige [12. – 15. Jh]
di rimirar fè più ardenti [leidenschaftlicher zu erinnern]
S. 194: Demosthenes [altgriechischer Redner]
Occurrences [Vorkommnisse]
S. 195: lex talionis [gesetzlich zulässige Vergeltung -> Auge um Auge]
S. 196: Afflatus [Inspration]
A.E. [A.E. Russell, Rauschebart, Prophet, Dichter, Philosoph, Wirtschaftstheoretiker, Esoteriker,
Theosoph – siehe S. 260 ff. Des Romans]
S. 197: Impromptu [Improvisation in der Musik]
S. 199: Triremen, Quadriremen [Schiffstypen]
S. 200: unexpektorisch [(nicht) Schleim auswerfend]
Akascha-Chronik [Esoterik: übersinnliches ‚Buch des Lebens‘; Himmel, Äther -> sankrit]
S. 201: Fuit Ilium! [für Troja = Illium]
S. 202: Vestalin [jungfräuliche Pristerin im alten Rom]
S. 204 L.m.i.A. [im Original: KMA = Kiss my arse]
S. 205: L.m.i.m.k.i.A. [im Original KMRIA = Kiss my royal irish arse]
Nulla bona [Nichts gut]
S. 207: Sophist [Wortverdreher]
Antisthenes [altgriechischer Philosoph -> Kynismus/Zynismus [Bedürfnislosigkeit]]
S. 208: Studiker [Student]
deus nobis haec otia fecit [Gott schenke uns diese Muße [Vergil]]
Horatio [Horaz, römischer Dichter zur Zeit Augustus‘]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (05): 4. Kapitel – Kalypso [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (06): 5. Kapitel – Lotophagen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (07): 6. Kapitel – Hades [Odyssee]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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