Abenteuer Ulysses von James Joyce (07): 6. Kapitel – Hades [Odyssee]

Zwischenbericht: In diesen Tagen lese ich das 14. Kapitel (Die Rinder des Sonnegottes) des Romans Ulysses, mit dem ich mich aus ersichtlichen Gründen etwas schwer tue: Eine Übersetzung ist fast nicht möglich, da das Original von James Joyce von Alliterationen und alten germanischen Wörtern geprägt ist und in dem die Entwicklung des Sprachstils und der Sprache vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang das Wachstum des Embryos im Mutterleib widerspiegelt. Der Übersetzer Hans Wollschläger beginnt die Übersetzung dieses Kapitels in althochdeutscher Sprache (oder was man dafür halten könnte). So habe ich mich daran gemacht, wiederum diesen Text in ein heute lesbares Deutsch zu übertragen.

Aber heute geht es ja vorerst um das 6. Kapitel, dessen Titel auf den Hades, den Ort der Toten in der griechischen Mythologie, verweist. Leopold Bloom fährt mit anderen Personen zum Glasnevin Friedhof zur Beerdigung von Patrick „Paddy“ Dignam, der am Montag gestorben war (sich zu Tode gesoffen hat, als Parallele zum Gefährten Elpenor von Odysseus, der betrunken vom Dach von Kirkes Haus stürzte).

Oh, oh, die Jungs von Kilkenny ... (Kapitel 3 – S. 63)
Oh, oh, die Jungs von Kilkenny … (Kapitel 3 – S. 63)
James Joyce: Ulysses (in dt. Übersetzung von Hans Wollschläger) / Penelope (The Last Chapter of ) / Flasche Kilkenny – Irish Red Ale / Fritz Janschka: Ulysses-Alphabet mit signierter Originalgraphik: Harenbergs Joyce

Inhalt des 6. Kapitels: Hades (Friedhof)

Stilistisch dreht es sich in diesem Kapitel um die Darstellung von Inkubismus, was die Psychoanalyse als Inkubation bezeichnet. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Verarbeitung von Traumata (bei Leopold Bloom der Tod von Vater und Sohn) bewusst oder unbewusst in verschiedenen Phasen vollziehen, wobei sich unbewusste Prozesse erst nach und nach organisieren (systematisieren), um mit einer bestimmten Stärke auftreten lassen.

Nachdem Bloom sich für die Beerdigung frisch gemacht hat, fährt er mit der Kutsche zur Beisetzung. In der Kutsche sitzt auch Stephens Vater, Simon Dedalus. Bloom erblickt Stephen – zum ersten Mal an diesem Tag kreuzen sich ihre Wege – und macht Simon auf ihn aufmerksam: „Da ist grad ein Freund von Ihnen vorbeigegangen, Dedalus, sagte er. – Wer denn? – Ihr Sohn und Erbe.“
Das Gespräch der Passagiere dreht sich – neben Alltäglichem wie der Straßenbahn – um den Tod, um Arten des Sterbens und um Begräbnisse. Entsprechend beherrscht dieses Thema die Gedanken Blooms, für den es unbewusst zum einen mit dem Tod seines Vaters, der sich das Leben genommen hat, zum anderen mit dem Tod seines ersten Kindes – seines Sohnes Rudy, der bereits als Kind starb – verknüpft ist. Immer wieder geht es deshalb bei seinen Reflexionen auf dem Friedhof um Vater-Sohn-Beziehungen, aber auch um die ersten Jahre seiner Ehe, um Schwangerschaft und die Mutter-Kind-Beziehung: „Nur Mutter und totgeborenes Kind werden zusammen in einem Sarg beerdigt. Seh den Sinn schon ein. Ganz klar. Schutz für den Kleinen so lange wie möglich, selbst in der Erde noch.“

Nachdem der Sarg in die Erde gelassen ist, streift Bloom über den Friedhof und denkt noch lange über den Tod nach: „Meins liegt da drüben, nach Finglas zu, die Grabstelle, die ich gekauft hab. Mama, die arme Mama, und der kleine Rudy.“

Der Titel des Kapitels verweist auf den Hades, den Ort der Toten in der griechischen Mythologie. (Quelle: de.wikipedia.org)

Personen des 6. Kapitels

Neben dem Hauptakteur dieses Romans, Leopold Bloom, treffen wir u.a. auf Simon Dedalus, dem Vater von Stephen, der zweiten Hauptperson. Simon war einst erfolgreich, gilt als angesehener, geselliger Lebemann, ist aber inzwischen ein abgestürzter Alkoholiker, der in Selbstmitleid und Trauer um seine gestorbene Frau Mary vergeht und alles Geld vertrinkt. Er lässt seine Töchter Dilly, Maggy und Boody hungern und schimpft über Stephens Lebensstil als Künstler. Weitere Personen sind Martin Cunningham, ein einflussreicher, intelligenter, scharfsinniger und sehr gläubiger Mensch (ein „Gesicht wie Shakespeare“). Er ist der Kopf der Gruppe um Power und M’Coy. Außerdem begegnen wir Tom Kernan, einem Handlungsreisender mit Zylinder und Agent für die Firma Pulbrook Robertson & Co., Ned Lambert, einem Saatguthändler, der im Getreidespeicher in Marys Abbey arbeitet – weiter Hynes, einem Reporter und Antisemit, und Corny Kelleher, Sargbauer und Mitarbeiter im Bestattungsunternehmen. Weitere Personen in diesem Kapitel sind u.a. John Henry Menton, Anwalt und ehemaliger Arbeitgeber des Verstorbenen, Patrick „Paddy“ Dignam, und John O’Connell, dem Friedhofsaufseher – sowie Father Coffery (coffin = „Sarg“), dem Priester auf der Beerdigung, der die Absolution erteilt.

Anmerkungen zu diesem 6. Kapitel

Auch in diesem Kapitel gibt es einige Redewendungen, die vielleicht der Erklärung bzw. Übersetzung bedürfen: Ich hoffe auch hier bei den Übersetzungen (Italienisch, Lateinisch) die ‚richtigen Worte‘ gefunden zu haben (der Google-Übersetzer ist nicht immer eine Hilfe bei diesen Sprachen):

S. 132: Voglio e non vorrei [Ich würde und möchte nicht]
Mi trema un poco il [Es schüttelt mich ein wenig]
Vom Stamme Reuben [1. Sohn Jakobs, Stammvater eines der 12. Stämme Israels]
S. 135 Hans Gerstenkorn [John Barleycorn – ironische Bezeichnung für Alkohol]
S. 137 Mater Misericordiae [Mutter Barmherzigkeit]
S. 140 Bugabu [wie im Original – wohl: Schiffsname]
S. 143 Harpy(i)e [Mischwesen der griech. Mythologie – Vogel mit Frauenkopf, bösartig, lassen die Geister der Toten nicht in Ruhe / Stürme]
S. 144: Artane [Vorort von Dublin]
S. 146 Schmeh [eigentl. Schmäh = Schwindelei]
Non intres in judicium cum servo tuo, Domine. [Geb nicht ins Gericht mit deinem Diener, Herr – Psalm 142]
S. 147: Et ne nos inducas in tentationem. [und führe uns nicht in Versuchung]
S. 148: Ri – ra – rutsch, wie fahren mit der Kutsch [im Original: The ree the ra, the ree the ra the roo]
O’Connell bzw. Dan O‘ [Daniel O’Connell – irischer gewaltloser Kämpfer gegen England]
S. 150: Madame Marion Tweedy [Geburtsname von Marion Bloom]
S. 152: habeat corpus [einen Körper haben]
S. 154 De mortuis nil nisi prius. [Nichts über die Toten bis auf den ersten]
Iden des März [13./15. des Monats – Errmordung von Cäsar]
S. 160: Eulogie [Segensspruch]
S. 161: Plinthe [Steinplatte]
S. 163: Affidavit [eidliche Versicherung]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (05): 4. Kapitel – Kalypso [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (06): 5. Kapitel – Lotophagen [Odyssee]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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