Fortsetzung von: (16): Oh Schreck, lach’ nach
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um die berühmten ‚Eigentore’, die meist Schadenfreude auslösen, aber durchaus auch eine Mischung aus Schadenfreude und Mitleid hervorrufen können.
Der Patient gesteht dem berühmten Professor, er sei vorher bei einem Heilpraktiker gewesen. Der Professor höhnisch: „Da bin ich aber mal gespannt, welchen Unsinn der ihnen empfohlen hat.“ Der Patient: „Er hat mich zu Ihnen geschickt.“ So was zählt man wohl zu den Eigentoren. Um die soll es diesmal gehen.
Und noch ein anderes Thema steht auf dem Programm: die Gefühle, die ein Witz in uns weckt. Schließlich bestimmen sie die Wirkung. Wenn das so ist, was haben Sie denn eben gefüllt, als der Professor reinfiel? Schadenfreude? Ja, geben wir es nur zu. Dieses Gefühl ist recht verpönt, aber heimlich genießt man es doch. Bleibt nur die Frage, wie der Witz das macht, daß ein verpöntes Gefühl genießbar wird.
Der Oberkellner beobachtet sei Tagen, wie ein Hotelgast das Besteck am Tischtuch putzt. „Ich möchte Sie höflich bitten, das zu unterlassen“, sagt er, „erstens ist das Besteck sowieso sauber und zweitens machen Sie damit nur das Tischtuch schmutzig.“ In jedem Witz wird ein verbotenes Gefühl annehmbar, wird ein verdrängter Wunsch plötzlich zur Lust. Wie macht der Witz das? Ich glaube, wenn wir diese Frage zu beantworten wüßten, hätten wir das Rätsel der komischen Wirkung aller Witze gelöst. Versuchen wir es. Mein Vorschlag wäre: Der Trick liegt darin, daß das verpönte Gefühl mit einem ehrenvollen kombiniert wird. Hier wäre das die Kombination von Schadenfreude und Mitleid. Ein paradoxes Miteinander.
Ein Gast winkt den Wirt herbei und zeigt auf seinen Teller: „Ich habe aber schon bessere Steaks gegessen.“ Darauf der Wirt: „Aber nicht bei mir!“ Wirklich, reine Schadenfreude empfinden wir gar nicht, schließlich hat der Wirt uns ja auch nichts getan. Darum haben wir für ihn auch Mitleid. Und genau diese Verbindung erzeugt in uns die komische „Ambivalenz der Gefühle“, die man dem Witz nachsagt. Diese Ambivalenz wäre also, meine ich, genauer gesagt, eine paradoxe Paarung gegensätzlicher Gefühle.
Richter zum Kläger: „Würden Sie einräumen, daß der Beklagte Sie nur im Augenblick höchster Erregung ein ‚blödes Hornvieh’ genannt hat?“ „Nein, Herr Richter, er hat mich vorher genau angesehen.“ Natürlich können Witze ganz verschiedene Gefühle hervorrufen. Ich behaupte nur, daß diese Gefühle immer in paradoxen Gegensatz-Paaren auftreten. Ein weiteres solches Paar, das wir bei der Wirkung der Eigentor ausmachen können, ist Achtung/Verachtung. Die Personen, die wir reinfallen sehen, treten zunächst respektheischend auf, sonst könnten wir auch gar nicht über ihren Reinfall lachen. Während die Stimmung umkippt, bekommt unsere Achtung den Beigeschmack von Verachtung. Das kann auch unfreiwillig geschehen. Eine Frau ließ auf den Grabstein ihres Mannes die Worte setzen: „Ruhe in Frieden – bis wir uns wiedersehen.“ Hier kippt die Andacht in Aggression um.
Ein Kunde im Ehe-Institut: „Reich braucht sie nicht zu sein, das bin ich selbser. Tüchtig braucht sie nicht zu sein, das bin ich selber. Gescheit braucht sie nicht zu sein, das bin ich selber. Aber anständig muß sie sein!“
Die Witze aus der Kategorie „Eigentore“, die heute unsere Beispiele bilden, sind ziemlich offen aggressiv. Aggression ist ein Element vieler Witze. Man kann den Witz sogar definieren als „erlaubte Aggression“. Wahrscheinlich schlummert ein unterdrückter Wunsch nach Aggression in jedem Menschen. Diesen Wunsch lebt man im Alltag nicht aus, weil das für einen selbst gefährlich wäre. Um sich zu bremsen, sagt man sich: Ich muß mitfühlend und gerecht sein! Der Witz, so scheint es, weiß dennoch einen Ausweg. Er ist so eingerichtet, daß er unsere Forderung an uns selbst, mitfühlend und gerecht zu sein, erhält, und gerade dadurch den Wunsch nach Aggression erfüllen kann. Damit leistet der Witz ein fast paradoxes Kunststück.
Ein alter Junggeselle, steinreich und schwerhörig, kommt spät nach Hause. Sein Diener, der lange auf ihn hat warten müssen, hilft ihm aus dem Mantel und murmelt: „Na, du stocktauber alter Schwerenöter, wieder bei den Weibern gewesen und das Geld verspielt?“ „Nein, Johann, in der Stadt gewesen, Hörapparat gekauft.“
Jetzt sind unsere Beispiele noch etwas komplizierter geworden, denn es gibt nun zwei Hauptpersonen. Da wechseln unsere Gefühle so schnell zwischen beiden, daß wir kaum mitkommen. Noch vielfältiger treten die Gegensatz-Paare hier auf: „Herr Stabsarzt“, sagt der Eingezogene bei der Musterung, „ich bin fast blind.“ „Lesen Sie laut vor, was auf der Tafel steht“, befiehlt der Stabsarzt. „Auf was für einer Tafel“, fragt der Eingezogene, „ich sehe keine.“ „Sehr gut“, donnert der Arzt, „ist auch keine da. Tauglich!“
Halten wir fest: Die Gefühle, die ein Witz hervorruft, treten als Gegensatz-Paare auf. Das eine Gefühl erfüllt einen latenten Wunsch, das andere legitimiert ihn. Wir aber genießen die Wunscherfüllung und sind von der Ambivalenz hin und hergerissen.
Eine junge Frau geht regelmäßig zum Arzt, der aber nichts finden kann. Dann kommt sie vier Wochen nicht mehr. Als sie wieder da ist, fragt der Arzt: „Warum waren Sie so lange nicht da?“ „Ich konnte nicht“, erklärte die Frau, „ich war krank.“
In unser Vergnügen an dieser armen Frau mischt sich jetzt sogar Hochmut. Auch ein gefühl, das wir uns meist nicht erlauben. Aber genug des Kommentars. Die Lektion ist schon kopflastig genug.
„Ein Patient fragt den Chirurgen: „Wird die Operation sehr teuer, Herr Doktor?“ „So beruhigen Sie sich doch! Überlassen Sie dies Sorge doch getrost Ihren Erben.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 44/1984
[Fortsetzung folgt]