Manche Romanfigur ist allein von ihrem Typus her einmalig und daher unsterblich. Und manchen Schriftstellernamen kennt man nur noch dieser unsterblich gewordenen Romanfigur wegen. Das gilt insbesondere für Jarolav Hašek und seinen braven Soldaten Schwejk (Originaltitel: Osudy dobrého vojáka Švejka za svĕtové války, zu deutsch: Die Schicksale des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges).
Schwejk (tschechisch Švejk) ist ein typischer Prager Charakter, der sich mit List und Witz durchs Leben schlägt und sich als Soldat der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg mit Chuzpe, also einer „Mischung aus zielgerichteter, intelligenter Unverschämtheit, charmanter Penetranz und unwiderstehlicher Dreistigkeit“, vor dem Kriegseinsatz zu drücken versucht. Zunächst lebt Schwejk zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Prag als Hundehändler. Er ist naiv und tölpelhaft, meistert sein Leben aber mit Witz und Bauernschläue. Schwejk steht im ständigen Kampf mit Bürokratie, staatlicher Willkür und Militarismus. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird er als Reservist in die österreichisch-ungarische Armee einberufen. Wie die meisten Bürger in den „Untertanenvölkern“ hat der Böhme/Tscheche Schwejk wenig Lust, für die Donaumonarchie in den Krieg zu ziehen.
Seine Laufbahn beim Militär, seine Spital- und Gefängnisaufenthalte, sein Fronteinsatz, seine Kriegsgefangenschaft und nicht zuletzt seine amourösen Abenteuer: Stets schafft es Schwejk, sich mit der Hilfe von guten Freunden und vor allem mit seinem unerschöpflichen Repertoire an Anekdoten aus der Affäre zu ziehen. Sein Mut gegenüber Autoritäten und seine stoische Gelassenheit im Angesicht des „alltäglichen Wahnsinns“ machen ihn zum sympathischen Lebenskünstler. Der brave Soldat Schwejk wurde zum Sinnbild des Widerstands gegen jegliche Obrigkeit über die Grenzen der Tschechoslowakei hinaus.
In vielem ist Schwejk ein Alter Ego seines Schöpfers Jarolav Hašek. Und in noch einer Figur, der des Einjährigenfreiwilliger Marek, erkennen wir Hašek wieder. Hašek selbst war ein Original und seine Lebensgeschichte einen Roman wert (siehe meinen Beitrag: Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze). Allerdings brachte der Suff den Schöpfer des Schwejks um. Sternhagelvoll traf ihn mit noch nicht einmal 40 Jahren der Schlag. So blieb der Roman unvollendet, das Manuskript endet mitten im Satz. Übrigens: Anders als im Film mit Heinz Rühmann (siehe den nächsten Absatz) erfreut sich der Oberleutnant Lukasch auf der letzten Seite des Romans bester Gesundheit.
Ich kenne Schwejk von dem Film mit Heinz Rühmann her. Dieser 1960 gedrehte Film ist nur wenig originalgetreu, besonders Hašeks radikale Kritik an staatlicher und kirchlicher Obrigkeit fehlt fast vollständig. Aber Rühmann spielt den Schwejk immerhin liebenswert, verschmitzt augenzwinkernd und vornehmlich mit leisen Mitteln. Erst vor kurzem lief dieser Film im Fernsehen; ich habe ihn aufgezeichnet und inzwischen mit viel Schmunzeln gesehen. Und es gibt eine 13-teilige Fernsehfassung (1972/76) mit einem kongenial spielenden Fritz Muliar in der Titelrolle, die werkgetreu nacherzählt ist (in diesen Tage habe ich mir die DVD-Box bestellt).
Film mit Heinz Rühmann (1960) in voller Länge
Aber nichts geht über den fast 800 Seiten starken Roman, den ich mir 1989 gekauft habe, der 1988 in der damals noch existierenden DDR erschienen ist (Aufbau-Verlag Berlin und Weimar – Bibliothek der Weltliteratur – 11. Auflage 1988). Gerade in der DDR war Schwejk sehr beliebt. Die erste und wichtigste Übersetzung in eine andere Sprache war die ins Deutsche von Grete Reiner-Straschnow (1926), die auch heute noch den ganzen Charme des Romans offenbart.
Noch etwas zum Inhaltlichen: Bemerkenswert ist das Verhältnis von Schwejk zu Oberleutnant Lukasch, dessen Diener (Putzfleck) er ist. Wie Schwejk ihn immer wieder in den Schlamassel (‚Schlamistik’) zieht, zuletzt seine Versetzung an die Front bewirkt, hat etwas Tragikomisches. Trotzdem kann Lukasch nicht von Schwejk lassen. Beide eint ein unteilbares Schicksal:
Oberleutnant Lukasch drehte sich auf dem Stuhl zur Türe und sah, wie sich die Türe langsam und leise öffnete; und ebenso leise trat in die Kanzlei der II. Marschkompanie der brave Soldat Schwejk, der bereits zwischen der Türe salutierte, was er augenscheinlich schon getan hatte, als er geklopft und die Aufschrift „Nicht klopfen“ betrachtet hatte.
Oberleutnant Lukasch schloß für einen Augenblick die Augen vor dem Anblick des braven Soldaten Schwejk, der ihn mit seinem Blick umarmte und küsste.
Ungefähr mit demselben Wohlgefallen hatte der verschwenderische verlorene und wiedergefundene Sohn seinen Vater betrachtet, als dieser ihm zu ehren ein Lamm am Spieße drehte.
„Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich wieder hier bin“, meldete sich Schwejk von der Türe her mit einer so aufrichtigen Ungezwungenheit, daß der Oberleutnant mit einem Schlag zu sich kam. … (S. 430).
Hašek verspottet in erster Linie die Herren Offiziere der k.u.k. Armee. Nur Lukasch, der sich gegenüber Schwejk menschlich verhält, ist mehr oder weniger ausgenommen. Und mit diesen Offizieren und ihren obersten Kriegsherrn, dem Kaiser von Österreich, zieht Hašek über die ganze Obrigkeit her und den Krieg. Denn der Roman ist auch eine Abrechnung mit der Sinnlosigkeit des ersten Weltkrieges:
„Schwejk ist ein Geschöpf des alten Österreich. Er konnte nur in jener Atmosphäre von Borniertheit, Schlamperei, gutmütiger Perfidie, anachronistischem Absolutismus und nationaler Unterdrückung entstehen, die den alten Donaustaat charakterisierten. Er konnte nur in einer Zeit, da dieser morsche Staatskadaver in seinen letzten Zuckungen lag, nur im Krieg, zum lächerlichen, blöd-verschlagenen Helden werden, an dessen verschmitzter, fatalistischer Sabotage der Staat nicht zuletzt zugrunde ging.“ F.C. Weiskopf
„Es ist der kleine Mann, der in das riesige Getriebe des Weltkriegs kommt, wie man eben da so hineinrutscht, schuldlos, ahnungslos, unverhofft, ohne eigenes Zutun. Da steht er nun, und die andern schießen. Und nun tritt dieses Stückchen Malheur den großen Mächten der Erde gegenüber und sagt augenzwinkernd leise, schlecht rasiert die Wahrheit.“ Kurt Tucholsky: Herr Schwejk
Nun der Film mit Heinz Rühmann beginnt im Gasthaus „Zum Kelch“. Allerdings passt die im Film gezeigte Umgebung nicht zur Straße Na Bojišti in Prag. Egal. Und hier endet der Film denn auch, eben weil sich Schwejk mit seinem alten Kameraden Woditschka hier „bis der Krieg vorbei sein wird“ verabredet hatte.
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Prag, Na Bojišti („Auf dem Schlachtfeld“) 12-14 – Gasthaus “Zum Kelch”
Als Schwejk und Woditschka Abschied nahmen, weil jeder von ihnen zu seinem Truppenteil abgehen sollte, sagte Schwejk: „Bis der Krieg vorbei sein wird, so komm mich besuchen. Du findest mich jeden Abend ab sechs Uhr beim ‚Kelch’, Na Bojischti.“
„Freilich komm ich hin“, antwortete Wodtschka, „gibt’s dort Unterhaltung?“
„Jeden Tag kommst dort zu was,“ versprach Schwejk, „und wenn’s zu ruhig wär, so wern wir schon aufmischen.“
Sie trennten sich, und als sie bereits einige Schritte voneinander entfernt waren, rief der alte Sappeur Woditschka Schwejk nach: „Also schau aber bestimmt, daß du eine Unterhaltung zustand bringst, bis ich hinkomm!“
Worauf Schwejk zurückrief: „Komm aber bestimmt, bis der Krieg zu Ende is!“
Dann entfernten sie sich voneinander, und nach einer beträchtlichen Pause konnte man hinter der Ecke von der zweiten Reihe der Baracken hier abermals Woditschkas Stimme vernehmen: „Schwejk, Schwejk, was für Bier ham sie beim ‚Kelch’?“
Und wie ein Echo ertönte Schwejks Antwort: „Großpopowitzer.“
„Ich hab gedacht, Smíchover!“ rief Sappeur Woditschka von weitem.
„Mädl gibt’s dort auch!“ schrie Schwejk.
„Also nachm Krieg, um sechs Uhr abend!“ schrie Woditschka von unten.
„Komm lieber um halb sieben, wenn ich mich irgendwo verspäten möchte“, antwortete Schwejk.
Dann ließ sich noch aus weiter Ferne Woditschka vernehmen: „Um sechs Uhr kannst du nicht kommen?“
„Also komm ich um sechs“, erreichte Woditschka die Antwort des sich entfernenden Kameraden.
Und so trennte sich denn der brave Soldat Schwejk vom alten Sappeur Woditschka. „Wenn Menschen auseinandergehn, so sagen sie auf Wiedersehn!“ (S. 421 f.)
siehe auch: Bierpfützenpoesie als Weltliteratur: Jaroslav Hašek zum 125. Geburtstag