Kategorie-Archiv: Geistesblitze

Vom Denken und Dichten – Von Philosophie, Wissenschaft bis Religion

Sofies Welt: Sartre

Bevor ich hier weitere Philosophen früherer Jahrhunderte wie Descartes, Kant usw. vorstelle, mache ich zunächst einen Sprung ans Ende des Buchs Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie. So landen wir in der Neuzeit (genauer im 20. Jahrhundert) und bei Jean-Paul Sartre, dem Begründer des Existentialismus. Mit Sartre endet dann auch Sofies Welt.

Ich ziehe Sartre den anderen Philosophen deshalb vor, weil an verschiedenen Stellen in diesem „Seminar“ die Frage nach der Tauglichkeit der Philosophie für unser Leben mit seinen Alltagsproblemen gestellt wurde, also ob die Philosophie so etwas wie eine Überlebenshilfe bieten kann.

Nun Sartre wird uns mit seinen Ansichten sicherlich nicht helfen, jedes kleine Problem zu lösen. Aber er gibt uns eine Art Gerüst, wie ich finde, dass uns im Grundsätzlichen „auf die Sprünge“ helfen kann. Sartre hat die Philosophie auf jeden Fall ganz und gar auf die Erde zurückgeholt: Im Mittelpunkt findet sich die menschliche Existenz. Als Atheist klammert Sartre religiöse Fragen allerdings vollständig aus. Daher hat das Leben im Allgemeinen auch erst einmal keinen Sinn. Trotz der atheistischen Ausrichtung glaube ich (sic!), dass Sartres Ansichten für jedermann interessant sind.

Neben Sartre ist Albert Camus ein wichtiger Vertreter des Existentialismus. Mit Camus habe ich mich in diesem Blog schon öfter beschäftigt (Mythos Kafka – Mythos CamusAlbert Camus: Der FremdeLicht und Schatten). Sartre und Camus waren zunächst freundschaftlich verbunden; ihre Wege trennten sich dann aber wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten. So wollen beide Philosophen gegen die „Sinnlosigkeit des Lebens“ revoltieren. Für den Marxisten Sartre endet die Revolte im Endziel Kommunismus, bei Camus ist die Revolte ‘endlos’.

Jean-Paul Sartre

Albert Camus

Jean-Paul Sartre

Albert Camus

Hier aber zunächst Ausschnitte aus „Sofies Welt“ von Jostein Gaarder:

Sartre hat gesagt: ‚Existentialismus ist Humanismus.’ Er meinte damit, daß der Existentialismus ausschließlich vom Menschen selbst ausgeht.

… für Sartre hat .. die Frage nach dem Sinn des Lebens so ganz allgemein keinen Sinn. Mit anderen Worten, wir sind zum Improvisieren verdammt. Wir sind wie Schauspieler, die ohne einstudierte Rolle, ohne Rollenheft und ohne Souffleuse, die uns ins Ohr flüstert, was wir zu tun haben, auf eine Bühne gestellt werden. Wir müssen selbst entscheiden, wie wir leben wollen.

Sartre sagt, daß der Mensch sich in einer Welt ohne Sinn fremd fühlt. … Das Gefühl des Menschen, auf der Welt ein Fremder zu sein, meint Sartre, führt zu einem Gefühl von Verzweiflung, Langeweile, Ekel und Absurdität.

Sartre selbst erlebte die Freiheit des Menschen auch als Fluch. ‚Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt’, schrieb er. Er ist verurteilt, weil er sich nicht selber erschaffen hat, und ist dennoch frei. Denn wenn er erst einmal in die Welt geworfen ist, dann ist er für alles verantwortlich, was er tut.

… wir sind freie Individuen, und unsere Freiheit verdammt uns unser ganzes Leben lang dazu, uns zu entscheiden. … Sartre weist gerade darauf hin, daß der Mensch niemals seine Verantwortung für das, was er tut, leugnen kann. Deshalb können wir unsere Verantwortung auch nicht vom Tisch fegen und behaupten, wir ‚müßten’ zur Arbeit oder ‚müßten’ uns nach gewissen bürgerlichen Erwartungen darüber, wie wir zu leben haben, richten. Wer auf diese Weise in die anonyme Masse gleitet, wird zum unpersönlichen Massenmensch. Er ist vor sich selber in die Lebenslüge geflohen. Aber die Freiheit des Menschen befiehlt uns, etwas aus uns zu machen, eine ‚authentische’ oder echte Existenz zu führen.

… Sartre … ist kein Nihilist.

… Sartre meint, daß das Leben eine Bedeutung haben muß. Das ist ein Imperativ. Aber wir selber müssen diese Bedeutung, diesen Sinn für unser eigenes Leben schaffen. Existieren heißt, sich sein eigenes Dasein zu erschaffen.

[zuletzt heißt es in „Sofies Welt“:]

Eine philosophische Frage ist per definitionem eine Frage, die sich jede einzelne Generation – ja, jeder einzelne Mensch – immer wieder neu stellen muß. … war es nicht immer schon so, daß die Menschen gerade dann klare und endgültige Antworten auf ‚kleine’ Fragen gefunden haben, wenn sie nach Antworten auf die ‚großen’ Fragen suchten?

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 537-546 – Carl Hanser Verlag 1995

Etwas respektlos zu philosophischen Fragen habe ich mich einmal in einer kleinen Abhandlung geäußert, in der die Sprache auch auf Sartre kommt: „Eingelegte Gurke“
(wenn auch Sartre nicht helfen sollte, dem Leben Sinn einzuhauchen, dann vielleicht das von mir Verfasste mit der einfachen Botschaft: Man sollte im Leben nie den Humor verlieren!).

Warum ist eigentlich ETWAS und warum ist nicht NICHTS?

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,
und Hallo an Alle, die es sonst noch interessiert,

auf besonderen Wunsch von Lockwood werde ich mich heute bemühen Euch die bisher noch unveröffentlichten philosphischen Theorien einer gewissen Kretakatze näherzubringen. Sie wurden von ihr an einem schönen Sonntagmorgen des Jahres 1971 während eines Aufenthaltes in der Badewanne entwickelt und beschäftigen sich mit dem Thema „Was ist der Sinn des Lebens?“.

Am Anfang zahlreicher philosophischer Betrachtungen steht die Frage: „Warum ist eigentlich ETWAS und warum ist nicht NICHTS?“. Diese Frage ist sinnlos, denn es ist eine Tatsache, dass ETWAS ist, und ich würde davon ausgehen, dass dies unvermeidlich ist. Die Existenz von ETWAS hat unter anderem zur Folge, dass es einen Sinn geben kann. Nur wenn NICHTS ist, gibt es mit Sicherheit auch keinen Sinn. Soweit zum grundlegenden Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen.

Dieses ETWAS besteht nach unserem heutigen Kenntnisstand aus Energie und Materie, die nach der allgemein bekannten Formel e = m . c² ineinander überführt werden können. Dazu benötigt man allerdings noch eine dritte Komponente, die Zeit. Zeit ermöglicht Veränderung. Es gibt Vermutungen, nach denen es auch noch etwas geben könnte, das „Gott“ genannt wird, und das denkt, plant und steuert, oder zumindest beeinflusst, jenseits der rein physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Materie, Energie und Zeit. Für derartige Theorien gibt es allerdings keinerlei Beweise.

Trotzdem kann die Existenz von „Gott“ nicht ausgeschlossen werden. Sollte es sich bei „Gott“ um etwas handeln, das überall zu aller Zeit in gleicher Form und Intensität existiert, dann ist es nicht wahrnehmbar und nicht messbar, denn jede Art von Wahrnehmung beruht auf dem Erkennen von Unterschieden. Darüber hinaus gibt es Indizien, die auf eine Existenz von „Gott“ hindeuten. Immer wieder gibt es Ereignisse bzw. Folgen von Ereignissen, die nicht auf reinem Zufall zu beruhen scheinen, manches wirkt „geplant“ oder „koordiniert“. Letztendlich ist die Existenz von „Gott“ aber eine reine Glaubensfrage. Für die Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens ist die Klärung der Frage nach der Existenz Gottes auch nicht unbedingt erforderlich.

Kommen wir zurück zum real existierenden ETWAS (ggf. einschließlich Gott). Wie wir täglich erleben, ist es voller Fehler, Mängel und Schwächen – es ist im Ungleichgewicht. Jedes Ungleichgewicht hat ein natürliches Bestreben, sich ins Gleichgewicht zu bringen. Im Verlauf dieser Entwicklung, auch Evolution genannt, entstand eine selbstgesteuerte Funktionseinheit aus Materie und Energie, die man mit Leben bezeichnet. Leben ermöglicht die mehr oder minder zielgerichtete Veränderung von ETWAS, denn es ist (zumindest in seinen höheren Entwicklungsformen) ausgestattet mit Bewußtsein, Erinnerungsvermögen und Willen. Das sind die Voraussetzungen für zielorientiertes Entscheiden und Handeln, und genau diese Eigenschaften muss „Gott“ auch haben, falls ES existiert. Das legt die Vermutung nahe, dass Leben nicht nur aus Materie und Energie sondern zusätzlich aus Gott besteht. Und alles, aus dem es besteht, das kann es verändern und von dem kann es auch verändert werden.

Damit kommen wir jetzt allmählich zum Sinn. Der besteht darin, das Gleichgewicht von ETWAS herzustellen, oder anders ausgedrückt, sich selbst und die Welt zu verbessern und der Vollkommenheit näher zu bringen. Sollte diese Vollkommenheit eines Tages tatsächlich erreicht werden, dann wird alles Leben schlagartig überflüssig, denn Leben heißt Veränderung, und jede Veränderung könnte dann nur wieder eine Verschlechterung darstellen. Aber ich denke, meine lieben Freunde, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen, dass dieses Ereignis zu unseren Lebzeiten noch eintritt.

Nun muss ich zugeben, dass diese Sinndeutung etwas dürftig ist, wenn man davon ausgeht, dass „Gott“ nicht existiert. Materie und Energie würden im Laufe der Zeit vermutlich auch allein aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten in einen stabilen, unveränderlichen, wertneutralen Gleichgewichtszustand verfallen. Das einzige wirklich schrecklich Unvollkommene auf dieser Welt ist Gott, und Leben ist der einzige Weg, auf dem man Gott verändern kann.

Tja, so sehe ich das, es ist unser Job Gott zu verbessern, wobei man das auch schon erreicht, indem man sich selbst verbessert. Aber allein das erscheint mir schon fast unmöglich. Und damit will ich nicht sagen, dass es an mir nichts zu verbessern gäbe…

Nun hoffe ich, ich habe Euch nicht zu sehr ins Grübeln gebracht.

Sinnreiche Grüße
Kretakatze

PS.: Meine heutigen Ausführungen waren hochgeistig und tiefschürfend und wurden von keinem einzigen Video illustriert. Das kann ich so nicht stehen lassen. Deshalb gibt es hier im Nachtrag – passend zum Thema und völlig kommentarlos – doch noch ein wenig Musik: Tell Me Why.

11.06.2008

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Hallo alle zusammen,

Kretakatze ist bekanntlich immer für eine Überraschung gut. Ihre philosophischen Theorien zeugen von einer Einfachheit, die geradezu genial sind. Zudem bezieht sie ein heute allgemein gültiges Weltbild mit ein. Hut ab, Kretakatze!

Natürlich tun sich beim Lesen Fragen auf und der (logische) Schluss, dass es unser Job wäre, „Gott zu verbessern“, weil Gott „das einzige wirklich schrecklich Unvollkommene auf dieser Welt ist“, klingt zunächst äußerst anmaßend. Aber gegen diese Argumentation muss man erst etwas Besseres finden. Also ich muss das erst einmal ruhig auf mich wirken lassen, was Kretakatze da geschrieben hat.

Hier nur einige erste Eindrücke von mir: Im Stile von Siegmund Freud (ES, ICH und ÜBERICH) gelingt es Kretakatze, komplexe Gefüge auf wenige Begriffe zu reduzieren (das ETWAS und in einer Neudefinition Gott als das ES). Das ETWAS bedarf natürlich einer genauen Beschreibung, soweit das überhaupt möglich ist: Ist ETWAS nur etwas mehr als NICHTS oder ist ETWAS ALLES?

Warum ist eigentlich ETWAS und warum ist nicht NICHTS?

Du mutmaßt, „dass Leben nicht nur aus Materie und Energie sondern zusätzlich aus Gott besteht“ (wenn es denn Gott gibt). Die Zeit sollte nicht vergessen werden. Es gibt bekanntlich Materie und Energie außerhalb des Lebens (ich denke da an den berühmten Stein, der allen Philosophen irgendwann einmal auf den Fuß gefallen sein muss). Wie sieht es mit Gott aus? Besteht er als Teil des Lebens oder besteht er auch außerhalb dessen (so wie Materie und Energie außerdem des Lebens bestehen können, z.B. als Stein)? Vermutlich ja …Aus den Aussagen von Kretakatze schließe ich, dass Gott etwas anderes ist als Materie und Energie (und Zeit). Allerdings hat Gott Eigenschaft, die auch beim Leben zu finden sind (Bewusstsein, Erinnerungsvermögen und Willen). Hat evtl. das Leben diese Eigenschaften, weil Gott ein Teil des Lebens ist (und damit die Eigenschaften göttlich sind), oder hat das Leben diese Eigenschaften auch ohne Gott?

Zuletzt noch eine Frage: Wenn wir es geschafft haben, Gott zu optimieren, also das ETWAS einschließlich ES (Gott) ins völlige Gleichgewicht zu bringen, würde dann an diesem „Tag der Vollkommenheit“ nicht nur das Leben, sondern auch ES überflüssig werden? Und was wäre dann am Tag darauf: NICHTS?

Ich sehe, das wird so langsam ein Philosophie-Blog (Anderson ade?!). Aber das hat ja auch ETWAS, oder?

Ich bin gespannt, was Lockwood zu Kretakatzes Theorien eingefallen ist.

Bis später
Wilfried

12.06.2008

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Liebe Freunde der Philosophie,

wenn drei Köpfe wie wir uns daran machen, den Sinn des Lebens zu entschlüsseln, dann steht er kurz vor seiner Entdeckung. Soviel ist mir bei Euren ersten Schreiben zu diesem Thema schon klar geworden.

Wenn ich Kretakatze richtig verstanden habe, ist das Leben deshalb erschaffen worden (hier wird ein Schöpferwesen vorausgesetzt !), um die Schöpfung zu vervollkommnen. Das leuchtet mir aber nicht ein, denn warum hat Gott (bleiben wir der Einfachheit halber bei dieser Bezeichnung für das Schöpferwesen) die Schöpfung nicht direkt perfekt erschaffen ? Wieso braucht er dazu solch primitive Handlanger wie Viren oder Menschen ? Auch habe ich ein Problem mit der Kausalitätenkette: Gott schafft eine suboptimale Schöpfung. Warum suboptimal ? Konnte er es nicht besser ? Ist ein solcher Gott jetzt in der Lage, etwas zu erschaffen, das diese unvollkommene Schöpfung optimiert ? Die Frage nach Gottes Allmacht hat schon Einstein beschäftigt. Spitzbübig, wie er war, formulierte er folgende Frage: „Kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selber nicht heben kann ?“ Die Antwort darauf bringt den Christenmenschen ins Schwitzen; kann er einen solchen Stein erschaffen, so kann er ihn nicht heben. Kann er ihn nicht erschaffen, ist er deshalb nicht allmächtig.

Ich freue mich aufrichtig für Kretakatze, dass sie den Sinn des Daseins für sich gefunden hat. Das ist eine sehr wertvolle Erfahrung. Leider kann ich mir ihre Antwort nicht zu eigen machen. Meine Problemstellung ist eine Stufe höher angesiedelt: Warum gibt es überhaupt eine Schöpfung ? Wer hat etwas von unserem Planeten, unserer Galaxie, unserer Milchstraße ? Wer gibt sich eine solche Mühe damit und warum ? Solange mir diese Frage nicht beantwortet wird, erschließt sich mir der Sinn des Lebens nicht.

Sollte der gesamte Kosmos durch puren „Zufall“ entstanden sein (eine Theorie, die u.a. von hochintelligenten Menschen vertreten wird), macht das einen Lebenssinn sehr unwahrscheinlich. Leben und die ganze Evolution als Zufallsprodukt, damit können wir uns die ganzen Vorstellungen vom Jenseits abschminken.

Die entgegengesetzte Theorie – die Vorstellung von einem Schöpferwesen – wird nicht minder von hochintelligenten Menschen unterstützt. Und das nicht nur von Gläubigen oder dem Klerus. Es sind die Physiker, die erkannt haben, dass das herrschende Gleichgewicht im Universum eine derart komplexe und sensible Angelegenheit ist, dass es unmöglich auf Zufällen basieren kann. Hier sei eindeutig ein „intelligent Designer“ am Werk gewesen.

Ob ihr Recht habt oder nicht, das sagt euch jetzt das Licht. Schön wär’s. Möglicherweise wird die Menschheit nicht lange genug existieren, um diese Frage zu beantworten.

Ich halte es mit den Agnostikern: Weder die Existenz noch die Nichtexistenz Gottes sind zu beweisen.

Vielleicht mache ich einen Denkfehler, aber der Sinn des Lebens ist für mich untrennbar mit einer göttlichen Existenz verbunden. Ohne die Aussicht auf einen höheren Plan und ein jenseitiges Dasein ist das irdische Leben für mich nur ein Gärungsprozess zwischen Geburt und Tod.

Ich erwarte von niemandem, dass er das Unmögliche möglich macht und eine göttliche Existenz oder Nichtexistenz beweist. Aber ich bin dankbar für Hinweise in die eine oder andere Richtung. Welche Hinweise habt Ihr gefunden ?

Die Beantwortung dieser wohl schwersten aller Fragen bietet (so sie denn möglich wäre) lediglich eine Teillösung. Hätten wir Gottes Existenz bewiesen, wüssten wir immer noch nicht, warum er seine Geschöpfe in dieses Jammertal setzt. Anders als in der christlichen Lehrmeinung ist es in meinen Augen kein Zeichen von großer Liebe, wenn der Schöpfer seine Geschöpfe Krankheiten, Schmerz, Krieg und allen erdenklichen Formen von Leid aussetzt.

Eines machen diese Zeilen ganz deutlich: Den Philosophen und Wissenschaftlern wird nicht so bald der Stoff ausgehen.

Gott mit Euch
Lockwood

12.06.2008

You need Zugzwang

You cannot write about world affairs without a Weltanschauung; you cannot practice literary criticism without an understanding of Zeitgeist; you cannot nibble your nails properly without Angst, and you cannot report on turmoil anywhere without Sturm und Drang.

Zeitgeist

Let us suppose you already have a world view (Weltanschauung), dig the spirit of the age (Zeitgeist), are suffering anguish to the point of depression (Angst), and can thus clearsightedly observe the storm and stress of a thundering confusion (Sturm und Drang). What is it that you need?

You need Zugzwang.

William Safire in einer Kolumne über den zunehmenden Gebrauch deutscher Wendungen unter US-Intellektuellen. Titel der Glosse: „Go Easy in the Fingerspitzengefühl“ („New York Times“, 9. Dezember 1985). Aus: DIE ZEIT – Nr. 51 – 13. Dezember 1985 als Zeitmosaik

Hierzu fand ich in der NZZ Folio 01/1997, der Zeitschrift der Neuen Züricher Zeitung, u.a. folgende Kolumne:

In der «New York Times» prophezeite ihr Sprachkolumnist William Safire, in hundert Jahren werde Englisch die Muttersprache eines Drittels der Menschheit sein und für die anderen zwei Drittel die internationale Verständigungssprache – ein mit frischer Würze versehenes Englisch freilich, mit Importen angereichert, wofür Safire als Anleihen beim Deutschen Schadenfreude, Faulpelz und Fingerspitzengefühl empfahl. Andere zusammengesetzte Hauptwörter sind ja längst zu Dutzenden im englischen heimisch: Rucksack und Hinterland, Weltschmerz und Weltanschauung, Realpolitik und Ostpolitik, Katzenjammer und Götterdämmerung, Zeitgeist, Waldsterben, Vergangenheitsbewältigung und Fahrvergnügen. Auch unter den einfachen Substantiven haben sich einige den Weg ins Englische gebahnt: Angst, Lied, Kitsch, Ersatz und Gemütlichkeit.

Ja, es gibt schon einige deutsche Begriffe, die in der englischen Sprache kein entsprechendes Äquivalent haben wie zwei weitere Beispiele zeigen:

Schadenfreude: „the guilty feeling of pleasure at the misfortune of others“
Fingerspitzengefühl: „the sandpapered-fingertip sensitivity of a safecracker“

Respekt, Herr Geißler

Heiner Geißler war und ist eine streitbare und daher umstrittene Persönlichkeit der Politik. 1977 beschuldigte er viele linke und liberale Kulturschaffende und Politiker der Bundesrepublik Deutschland als „Sympathisanten des Terrors“ (der RAF). Willy Brandt warf Geißler 1985 vor, der „schlimmste Hetzer seit Goebbels zu sein“. Auf der anderen Seite konnte er auch seine eigene Partei, die CDU, als „führerkultische Partei“ (auf die Rolle Helmut Kohls anspielend) bezeichnen.

Von daher überrascht der 78-Jährige (oder überrascht auch wieder nicht), wenn er sich seit Mai 2007 in der globalisierungskritischen Organisation Attac engagiert. Zu 10 Jahre Bestehen von Attac äußerte sich Herr Geißler nun gegenüber zdf.de: „Der reine Kapitalismus ist krank“ – CDU-Politiker Geißler über zehn Jahre Attac

Hier einige Auszüge aus dem Interview. Den Aussagen von Herrn Geißler kann ich nur meinen vollen Respekt zollen:

Es ist ja nun kein Geheimnis, dass die jährliche Spekulationsblase der Finanzindustrie 90 Billionen Dollar beträgt. Erst diese Immobilienkrise, die das Eigentum von Millionen Menschen zerstörte, hat manchen jetzt die Augen geöffnet.

Das derzeitige Wirtschaftssystem definiert sich im Moment rein kapitalistisch – das ist krank und unsittlich. Wie kann es sein, dass der Börsenwert eines Unternehmens steigt, sobald Angestellte wegrationalisiert werden?

Die Globalisierung an sich ist natürlich nicht mehr rückgängig zu machen. Und natürlich sitzt die Wirtschaft, weil sie global agiert, da am längeren Hebel. Deswegen wird es notwendig, dass die Politik sich internationalisiert und damit wieder mit der Ökonomie auf eine Augenhöhe kommt.
Entscheidend wäre außerdem eine internationale Börsenumsatzsteuer [die so genannte Tobin-Steuer], um mit diesem frei werdenden Geld den Entwicklungsländern zu helfen. Bei 0,02 Prozent Tobin-Steuer bei einem börsentäglichen Umsatz von zwei Billionen würden 500 Milliarden Euro frei. Damit könnten wir die gesamten Infrastrukturprobleme in Afrika und Südostasien lösen. Dann bräuchten wir unser Geld nicht mehr so stark in klassische Entwicklungshilfe stecken, sondern könnten mehr in Bildung investieren. Außerdem müsste eine internationale Börsen- und Bankenaufsicht eingeführt, die Steueroasen geschlossen und die Weltinstitutionen IWF, WTO und Weltbank demokratisiert werden.

Sofies Welt: Aristoteles

Nachdem wir in Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie Sokrates und Platon kennen gelernt haben, will ich heute auf den dritten der großen antiken griechischen Philosophen zu sprechen kommen, Aristoteles (griechisch ?????o?????, * 384 v. Chr. in Stageira (Stagira) auf der Halbinsel Chalkidike; † 322 v. Chr. in Chalkis auf der Insel Euboia), der unsere europäische Gedankenwelt bis heute wesentlich beeinflusst hat. Ohne Aristoteles gäbe es keine Wissenschaften, wie wir diese heute kennen.

Aristoteles

Hier aber wieder zunächst die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch:

Philosoph und Wissenschaftler
Aristoteles … war zwanzig Jahre lang Schüler an Platons Akademie.

Aristoteles selber war kein Athener. Er stammte aus Makedonien, kam aber an die Akademie, als Platon 61 Jahre alt war. Sein Vater war ein anerkannter Arzt – also Naturwissenschaftler. Schon dieser Hintergrund sagt etwas über Aristoteles’ philosophisches Projekt aus. Die lebendige Natur interessierte ihn am allermeisten. Er war nicht nur der letzte große griechische Philosoph, er war auch Europas erster großer Biologe.

Wenn wir alles ein bißchen überspitzt formulieren wollen, dann können wir sagen, daß Platon so in die ewigen Formen oder „Ideen“ vertieft war, daß er die Veränderungen in der Natur kaum registrierte. Aristoteles dagegen interessierte sich gerade für die Veränderungen – oder das, was wir heute als Naturprozesse bezeichnen.

Wenn wir es noch überspitzter formulieren wollen, dann können wir sagen, daß Platon sich von der Sinnenwelt abwandte und das, was wir um uns herum sehen, nur flüchtig wahrnahm. (Er wollte doch aus der Höhle heraus. Er wollte in die ewige Ideenwelt schauen!) Aristoteles machte das genaue Gegenteil: Er ging in die freie Natur und studierte Fische und Frösche, Anemonen und Mohnblumen.

Aristoteles’ Bedeutung für Europas Kultur liegt nicht zuletzt darin, daß er die Fachsprache schuf, die die verschiedenen Wissenschaften noch heute verwenden. Er war der große Systematiker, der die verschiedenen Wissenschaften begründete und ordnete.

Keine angeborenen Ideen

Aristoteles glaubte, Platon habe alles auf den Kopf gestellt. Er stimmte seinem Lehrer darin zu, daß das einzelne Pferd „fließt“, und daß kein Pferd ewig lebt. Er stimmte auch darin zu, daß die Pferdeform an sich ewig und unveränderlich ist. Aber die „Idee“ Pferd ist für ihn nur ein Begriff, den wir Menschen uns gemacht haben, nachdem wir eine bestimmte Anzahl Pferde gesehen haben. Die „Idee“ oder die „Form“ Pferd existiert also nicht vor aller Erfahrung. Die „Form“ Pferd besteht für Aristoteles aus den Eigenschaften des Pferdes – wir würden von der Spezies Pferd sprechen.

Mit der „Form“ Pferd meint Aristoteles das, was allen Pferden gemeinsam ist. Und hier stimmt das Bild mit der Pfefferkuchenform nicht mehr, denn Pfefferkuchenformen existieren ja ganz unabhängig vom einzelnen Pfefferkuchen. Aristoteles glaubte nicht, daß solche Formen sozusagen in ihrem eigenen Regalfach in der Natur existieren.

Für Platon ist es der höchste Grad von Wirklichkeit, daß wir mit der Vernunft denken. Für Aristoteles ist es ebenso einleuchtend, daß der höchste Grad der Wirklichkeit darin liegt, daß wir mit den Sinnen wahrnehmen oder empfinden. Platon hält das, was wir um uns herum in der Natur sehen, lediglich für Reflexe von etwas, das in der Welt der Ideen existiert – und damit auch in der Seele des Menschen. Aristoteles meinte das genaue Gegenteil: Was in der Seele des Menschen liegt, sind nur Reflexe der Gegenstände der Natur.

Aristoteles leugnete nicht, daß der Mensch eine angeborene Vernunft hat. Ganz im Gegenteil: Aristoteles zufolge ist gerade die Vernunft das wichtigste Kennzeichen des Menschen. Aber unsere Vernunft ist ganz „leer“, solange wir nichts empfinden. Ein Mensch hat also keine angeborenen „Ideen“.

Die Formen sind die Eigenschaften der Dinge
Aristoteles .. stellt fest, daß die Wirklichkeit aus verschiedenen Einzeldingen besteht, die eine Einheit aus Form und Stoff darstellen. Der „Stoff“ ist das Material, aus dem das Ding besteht, während die „Form“ die besonderen Eigenschaften der Dinge bezeichnet.

Im Stoff liegt immer eine Möglichkeit, eine bestimmte Form zu erlangen. Wir können sagen, daß der Stoff danach strebt, eine ihm innewohnende Möglichkeit zu verwirklichen. Jede Veränderung in der Natur ist Aristoteles zufolge eine Umformung des Stoffes von der Möglichkeit zur Wirklichkeit.

Wenn Aristoteles von „Form“ und „Stoff“ spricht, dann denkt er nicht nur an lebendige Organismen. Wie es die „Form“ des Huhns ist, zu gackern, … ist es die „Form“ des Steins, zu Boden zu fallen.

Logik

Aristoteles war ein peinlich genauer Mann der Ordnung, der in den Begriffen der Menschen aufräumen wollte. Auf diese Weise hat er auch die Logik als Wissenschaft begründet. Er stellte mehrere strenge Regeln auf, welche Schlüsse oder Beweise logisch gültig sind. Ein Beispiel muß uns reichen: Wenn ich zuerst feststelle, daß „alle lebenden Wesen sterblich sind“ (1. Prämisse), und dann feststelle, daß „Hermes [Name eines Hundes] ein lebendes Wesen ist“ (2. Prämisse), dann kann ich die elegante Schlußfolgerung daraus ziehen, daß „Hermes sterblich ist“.

Die Trittleiter der Natur

Die Natur, so Aristoteles, schreitet von den unbeseelten Dingen zu den lebenden Wesen allmählich fort. Auf das Reich der unbeseelten Dinge folgt erst das Reich der Pflanzen, die „im Verhältnis zu den leblosen Dingen fast wie beseelt, im Verhältnis zu den Tieren aber fast wie unbeseelt“ erscheinen. Schließlich teilt Aristoteles auch die lebenden Wesen in zwei Untergruppen ein, nämlich in Tiere und Menschen.

Alles Lebendige (Pflanzen, Tiere und Menschen) hat die Fähigkeit, Nahrung aufzunehmen, zu wachsen und sich zu vermehren. Tiere und Menschen haben außerdem die Fähigkeit, ihre Umwelt zu fühlen und sich in der Natur zu bewegen. Alle Menschen haben dazu die Fähigkeit, zu denken – oder eben ihre Sinneseindrücke zu verschiedenen Gruppen und Klassen zu ordnen.

Und damit besitzt der Mensch einen Funken der göttlichen Vernunft. … Ja, ich habe „göttlich“ gesagt. An einigen Stellen erklärt Aristoteles, daß es einen Gott geben müsse, der alle Bewegungen in der Natur in Gang gesetzt hat. Und so wird Gott zum absoluten Gipfel auf der Trittleiter der Natur.

Aristoteles stellte sich vor, daß die Bewegungen der Sterne und Planeten die Bewegungen hier auf der Erde leiten. Aber irgend etwas muß auch die Himmelskörper bewegen. Dieses Etwas nannte Aristoteles den ersten Beweger oder Gott. Der erste Beweger bewegt sich selber nicht, ist aber die erste Ursache der Bewegungen der Himmelskörper und damit aller Bewegungen in der Natur.

Ethik

Der Mensch wird nur glücklich, wenn er alle seine Fähigkeiten und Möglichkeiten entfalten und benutzen kann.

Aristoteles glaubte an drei Formen des Glücks: Die erste Form des Glücks ist ein Leben der Lust und der Vergnügungen. Die zweite Form des Glücks ist ein Leben als freier, verantwortlicher Bürger. Die dritte Form des Glücks ist ein Leben als Forscher und Philosoph.

Aristoteles betont, daß alle drei Formen zusammengehören, damit der Mensch ein glückliches Leben führen kann. Er lehnte also jede Form der Einseitigkeit ab.

Auch was die Tugenden betrifft, verwies Aristoteles auf einen „goldenen Mittelweg“. Wir sollen weder feige noch tollkühn sein, sondern tapfer. … Auch sollen wir weder geizig noch verschwenderisch sein, sondern großzügig.

Die Ethik von Platon und Aristoteles erinnert an die griechische medizinische Wissenschaft: Nur durch Gleichgewicht und Mäßigung werde ich ein glücklicher oder „harmonischer“ Mensch.

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 128-140 – Carl Hanser Verlag 1995

Soweit einige Textpassagen aus „Sofies Welt“, die uns Aristoteles im Wesentlichen als Begründer der modernen Wissenschaften zeigen. Die Systematik des Denkens, wie es von Aristoteles ausgeht, beeinflusst auch noch oder gerade heute unser Denken. Aristoteles entwickelte das System der formalen Logik: er erarbeitete eine vollständige Theorie der Urteile und Schlussfolgerungen, der Definitionen und Beweise, der wissenschaftlichen Einteilungen und Methoden.

Bemerkenswert ist vor allem der weitreichenden Einfluss von Aristoteles auf das Vokabular (in griechischer Originalform oder in lateinischen Ableitungen), das er geprägt hat. Neben Wortpaaren wie Energie und Potential, Materie und ihre Form, Substanz und Wesen, Quantität und Qualität, Genus und Spezies, Subjekt und Prädikat u.s.w. stehen Prägungen wie Ursache (causa), Beziehung (relatio) oder Eigenschaft (Akzidenz).

Aristoteles hat gewissermaßen die Philosophie aus dem Himmel auf die Erde geholt. Aber obwohl seine philosophischen Betrachtungen als Ausgangspunkt die Wahrnehmung und die Empfindungen über die Sinne hatten und er als Begründer der Erfahrungswissenschaft (Empirie) zu gelten hat, fehlen mir bei ihm die platonischen Visionen. Es ist wie ein Blick auf den Teller, von dem wir essen, ohne den Blick über den Tellerrand zu wagen (wenn vielleicht auch nur als Fiktion bzw. Vision).

Lockwood fragte in einem seiner Kommentare: Wann konnte man jemals einen Philosophen lachen hören ? Zu dieser Frage und im Zusammenhang mit Aristoteles fällt mir der Roman „Der Name der Rose“ von Umberto Eco ein. Darin spielt eine Klosterbibliothek eine zentrale Rolle und in der ein besonderer Schatz, nämlich das „Zweite Buch der Poetik“ von Aristoteles, welches die Komödie behandelt. Dieses zweite Buch ist zwar von Aristoteles ‚angekündigt’ (als Behandlung des Lächerlichen in der Poetik), aber nicht überliefert. Vielleicht hätten wir hier einen Philosophen lachen hören? Wer weiß …

Licht und Schatten

In meinem Beitrag Sofies Welt: Platon kam ich am Rande auf Platons Höhlengleichnis zu sprechen. In diesem Zusammenhang gab es einige Irritationen (wie die Begriffe Licht und Schatten aufzufassen sind). Daher hier einige Ergänzungen. Zunächst zum Inhalt des Gleichnisses von Platon (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/):

Platon beschreibt einige Menschen, die in einer unterirdischen Höhle von Kindheit an so festgebunden sind, dass sie weder ihre Köpfe noch ihre Körper bewegen und deshalb immer nur auf die ihnen gegenüber liegende Höhlenwand blicken können. Licht haben sie von einem Feuer, das hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und ihren Rücken werden Bilder und Gegenstände vorbeigetragen, die Schatten an die Wand werfen. Die „Gefangenen“ können nur diese Schatten der Gegenstände sowie ihre eigenen Schatten wahrnehmen. Wenn die Träger der Gegenstände sprechen, hallt es von der Wand so zurück, als ob die Schatten selber sprächen. Da sich die Welt der Gefangenen ausschließlich um diese Schatten dreht, deuten und benennen sie diese, als handelte es sich bei ihnen um die wahre Welt.

Platon (bzw. Sokrates) fragt nun, was passieren würde, wenn man einen Gefangenen befreien und ihn dann zwingen würde, sich umzudrehen. Zunächst würden seine Augen wohl schmerzlich vom Feuer geblendet werden, und die Figuren würden zunächst weniger real erscheinen als zuvor die Schatten an der Wand. Der Gefangene würde wieder zurück an seinen angestammten Platz wollen, an dem er deutlicher sehen kann.

Weiter fragt Platon, was geschehen würde, wenn man den Befreiten nun mit Gewalt, die man jetzt wohl anwenden müsste, an das Sonnenlicht brächte. Er würde auch hier zuerst von der Sonne geblendet werden und könnte im ersten Moment nichts erkennen. Während sich seine Augen aber langsam an das Sonnenlicht gewöhnten, würden zuerst dunkle Formen wie Schatten und nach und nach auch hellere Objekte bis hin zur Sonne selbst erkennbar werden. Der Mensch würde letztendlich auch erkennen, dass Schatten durch die Sonne geworfen werden.

Erleuchtet würde er zu den anderen zurückkehren wollen, um über seine Erkenntnisse zu berichten. Da sich seine Augen nun umgekehrt erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen müssten, könnte er (zumindest anfangs) die Schattenbilder nicht erkennen und gemeinsam mit den anderen deuten. Aber nachdem er die Wahrheit erkannt habe, würde er das auch nicht mehr wollen. […]

Platon

Zur Deutung:

Platon veranschaulicht demgemäß durch sein Gleichnis, dass der gewöhnliche Mensch im Alltag wie in einer Höhle lebt. Denn die Dinge, die er als real wahrnimmt, sind Platons Ideenlehre zufolge in Wahrheit nur Schatten und Abbildungen des wahren Seienden. Die Höhle im Gleichnis steht für unsere sinnlich wahrnehmbare Welt, der harte Aufstieg des Höhlenbewohners für den Weg der Seele hinauf bis zur Erkenntnis des tatsächlichen Zentrums des Seins: der Idee des Guten, die im Gleichnis durch die Sonne repräsentiert ist. Es geht im Höhlengleichnis also darum, die Denkkraft nicht auf das sinnlich Wahrnehmbare der uns unmittelbar umgebenden Welt zu lenken, sondern auf das, was hinter dieser Welt steht, beziehungsweise auf den ideellen Ursprung dieser Welt.

Platons Schatten haben nichts mit Finsternis oder Sonnenflucht zu tun. In seinem Höhlengleichnis vertritt er die Theorie, dass wir nicht die Realität wahrnehmen, sondern nur ein Abbild von ihr; Schatten eben.“ wie Lockwood schreibt, wobei das Wort „Realität“ sicherlich nicht ganz treffend ist. Unsere Schattenwelt ist schon die eigentliche Realität. Aber es gibt eine höhere ‚Wirklichkeit’, die Welt der Ideen (das wahre Seiende, wie es etwas sehr abstrakt auch genannt wird), dort, wo wir die ewigen und unveränderlichen „Musterbilder“, die Urbilder hinten den verschiedenen Phänomenen, finden.

Auch wenn Licht und Schatten im eigentlichen Sinne nicht gemeint sind, so spielen beide durchaus eine Rolle in den philosophischen Gedanken von Albert Camus, zu dem ich mich auch schon mehrmals an dieser Stelle geäußert habe. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist mein Beitrag Albert Camus: Der Fremde.

Von Albert Camus gibt es zwei Frühwerke, deren Titel bereits das Thema umreißen:

Licht und Schatten (L’envers et l’endroit, 1937)
Hochzeit des Lichts. Impressionen am Rande der Wüste (Noces, 1938)

Albert Camus

Camus ist in Algerien geboren worden und aufgewachsen, also in einem Land, in dem die Sonne vorherrscht. Es ist nicht verwunderlich, wenn Platon als Grieche zur Veranschaulichung seiner Gedanken ein Gleichnis mit Licht und Schatten gewählt hat. Und so greift auch Camus als Mittelmeermensch zu Licht und Schatten. Nachfolgend einige Auszüge aus einem Aufsatz von Andreas Woyke: Suche nach Einheit und Auflehnung gegen die Welt bei Albert Camus. Bern, 2007, der mir einige wesentliche Punkte der Gedanken Camus’ unter dem Gesichtspunkt von „Licht und Schatten“ wiedergibt:

Im Vorwort zur Neuauflage der frühen Textsammlung „Licht und Schatten“ von 1958 schreibt Albert Camus:

„Ich weiß, dass meine Quelle sich in ‚Licht und Schatten’ befindet, in jener Welt der Armut und des Lichtes, in der ich lange Jahre gelebt habe und die mich dank der Erinnerung heute noch vor zwei gegensätzlichen, jeden Künstler bedrohenden Gefahren bewahrt, nämlich dem Ressentiment und der Sattheit.“

Es liegt also durchaus nahe, die frühen literarischen Texte Camus’ als Hintergrund zu wählen, um das ambivalente Verhältnis zwischen Sinnsuche und Auflehnung gegen eine sinnlose Welt zu beleuchten, mit dem uns seine philosophischen Texte „Der Mythos von Sisyphos“ und „Der Mensch in der Revolte“ konfrontieren. Im Folgenden soll es darum gehen, diesen Zusammenhang im Blick auf die frühe Textsammlung „Die Hochzeit des Lichts“ auszuloten.

Im Vorwort zu „Licht und Schatten“ nennt Camus zwei Erfahrungsdimensionen der Welt, die seit seiner Kindheit und Jugend in Algerien sein Lebensgefühl prägen, nämlich die „Welt der Armut“ und die „Welt des Lichtes“. Die näheren Einflüsse dieser beiden Aspekte präzisiert er wie folgt:

„Das Elend hinderte mich, zu glauben, dass alles unter der Sonne und in der Geschichte gut sei; die Sonne lehrte mich, dass die Geschichte nicht alles ist.“

Die Erfahrung von Leid und Armut sowie die schmerzliche Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit stoßen die Sinnsuche zurück und fordern zur Auflehnung gegen die Welt heraus, die eng mit einer grundlegenden Skepsis gegenüber allen Erlösungshoffnungen verbunden ist:

„Denn hoffen heißt zuletzt entsagen, wenn man auch das Gegenteil zu glauben pflegt. Und leben heißt: nicht entsagen.“

Doch die Schönheiten der algerischen Natur, das Wechselspiel von Sonne und Meer, sowie Erfahrungen der Kunst und des „Zaubers von Orten“ machen auch episodisches Glück und unmittelbare Freude am Dasein möglich. Die Konfrontation mit diesen beiden grundlegenden Dimensionen menschlicher Existenz bildet für Camus den Ausgangspunkt seiner philosophischen Auseinandersetzung mit dem Selbst- und Weltverständnis des modernen Menschen. Die intuitive Erkenntnis der genuinen Aufeinander-Bezogenheit beider Aspekte führt ihn dazu, eine nostalgische Harmoniesehnsucht ebenso zurückzuweisen wie alle religiösen, politischen und sonstigen Entwürfe, die eine radikale Transzendierbarkeit der negativen Seiten der Existenz versprechen:

„Wenn ich mich jetzt gleich in die Wermutbüsche werfe und ihr Duft meinen Körper durchdringt, so werde ich bewusst und gegen alle Vorurteile eine Wahrheit bekennen: die Wahrheit der Sonne, die auch die Wahrheit meines Todes sein wird.“

Wer mag, kann gern den gesamten Aufsatz bei recenseo.de lesen.

Ich heiß – du cool?

Nicht immer ist es das ‚Coolste’, nur cool zu sein. Manchmal macht er mehr Sinn, heiß zu sein: Heiß auf Mitsprache und Verantwortung! Heiß zu sein auf umweltbewusstes Handeln.

Von Freitag, 30. Mai bis Sonntag, 1. Juni 2008 findet auf dem Gelände des Jugendhofs Sachsenhain in Verden/Dauelsen das Landesjugendcamp der Evangelischen Jugend der Landeskirche Hannover statt.

Ich heiß - du cool?

Auf dem Gelände des Evangelischen Jugendhofs Sachsenhain in Verden/Dauelsen werden etwa 2 000 Jugendliche zusammenkommen und sich das Motto auf ganz unterschiedliche Weise zu eigen machen. Kreative Workshops, feierliche Gottesdienste, knallige Band–Auftritte und viele weitere Möglichkeiten haben die vorbereitenden Gruppen aus den sechs Sprengeln der Evangelisch–lutherischen Landeskirche Hannovers und den christlichen Jugendverbänden genutzt, um die Thematik »Orientierung für mich finden, Verantwortung übernehmen, umweltbewusst handeln« erlebbar und fassbar zu machen.

Halb So Wild - aus Tostedt

Eine dieser ‚knalligen Bands’ ist die Gruppe „Halb So Wild“ aus Tostedt, die am Freitagabend beim Bandcontest (zwischen 21.30 und 23.30 Uhr) auftreten wird. Mein Sohn Jan ist mit dabei (sowohl beim Landesjugendcamp als auch bei der Musik – u.a. am Banjo).

Zen des Bloggens

Zen-Buddhismus und Bloggen (d.h. das Führen eines solchen Internet-Tagebuchs), wie passt das zusammen? Vielleicht in dem das Bloggen selbst zum ‚Thema’ der Meditation wird, in dem gefragt ist, wie ich ein guter Blogger werde. Statt Bloggen und Blogger darf gern auch Leben und Lebewesen (Mensch) gesetzt sein. Wie es gefällt …

Meditativer Blogger?!

Wie so vieles aus Fernost, so ist auch der Zen-Buddhismus oft ein Buch mit sieben Siegeln für uns westlich ausgerichtete Menschen. Wenn dort z.B. das Bogenschießen nicht als Sportart sondern als meditatives Üben den Mittelpunkt bildet, so steht in der kleinen Abhandlung „Zen des Bloggens“ auch die Versenkung in das eigene Seelische im Zentrum. Wenn es dann noch hilft, ein guter Blogger zu werden – umso besser. Immerhin erfährt man so nebenbei einiges, was das Bloggen betrifft – und was Zen sein könnte …

Wie klingt das Klatschen mit nur einer Hand?

Wenn Du Dich mit Zen und mit Bloggen auskennst,
lies dieses E-Book und teile es mit anderen.

Wenn Du Dich mit Zen, aber nicht mit Bloggen auskennst,
teile dieses E-Book mit anderen.

Wenn Du Dich nicht mit Zen, aber mit Bloggen auskennst,
lies dieses E-Book.

Wenn Du dich nicht mit Zen und auch nicht mit Bloggen auskennst,
dann lies es zweimal.

Download des kleinen e-Books (als PDF): Zen des Bloggens
Quelle: upload-magazin.de

Weiteres zum Buddhismus in WilliZ Kolomnen

Sofies Welt: Platon

Nachdem wir in Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie Sokrates kennen gelernt haben, kommen wir heute auf seinen Schüler Platon (* 427 v. Chr., † 347 v. Chr.) zu sprechen.

Hier zunächst die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch:

Platons Akademie

Platon (427 – 347 v. Chr.) war 29 Jahre alt, als Sokrates den Schielingsbecher leeren mußte. Er war lange Schüler des Sokrates gewesen und verfolgte den Prozeß gegen ihn genau. Daß Athen den edelsten Menschen der Stadt zum Tode verurteilen konnte, macht nicht nur einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn; es sollte auch die Richtung seiner gesamten philosophischen Tätigkeit bestimmen.

Platon

Für Platon brachte der Tod des Sokrates glasklar zum Ausdruck, welcher Widerspruch zwischen den tatsächlichen Verhältnissen in einer Gesellschaft und dem Wahren oder Ideellen bestehen kann.

Platons erste Handlung als Philosoph war die Veröffentlichung von Sokrates’ Verteidigungsrede. Darin teilt Platon mit, was Sokrates dem großen Gerichtshof vortrug.

Was Platon betrifft, so glauben wir, daß all seine Hauptwerke erhalten sind (Außer Sokrates’ Verteidigungsrede schrieb er Briefe und nicht weniger als fünfunddreißig philosophische Dialoge.) Daß diese Schriften bewahrt sind, liegt nicht zuletzt daran, dass Platon bei Athen seine eigene philosophische Schule eröffnete. Und zwar in einem Hain, der den Namen des griechischen Sagenhelden Akademos trug. Platons Philosophieschule erhielt deshalb den Namen Akademie.

An Platons Akademie wurden Philosophie, Mathematik und Gymnastik unterrichtet.

Das ewig Wahre, ewig Schöne und ewig Gute
Platon interessierte sich für die Beziehung zwischen dem, was auf der einen Seite ewig und unveränderlich ist – und dem, was auf der anderen Seite „fließt“. (genau wie die Vorsokratiker also!)

Die Sophisten meinten, groß gesagt, die Frage, was recht ist und was Unrecht, verändere sich von Stadtstaat zu Stadtstaat und von Generation zu Generation. Die Frage von Recht und Unrecht sei also etwas „Fließendes“. Sokrates konnte das nicht akzeptieren. Er glaubte an ewige Regeln und Normen für das menschliche Handeln. Wenn wir nur unsere Vernunft anwenden, meinte er, können wir alle solche unveränderlichen Normen erkennen, denn die menschliche Vernunft ist ja gerade etwas Ewiges und Unveränderliches.

Und nun kommt also Platon. Er interessiert sich sowohl für das, was in der Natur ewig und unveränderlich ist – als auch für das, was in Moral und Gesellschaft ewig und unveränderlich ist. Ja, für Platon ist das ein und dasselbe. Er versucht, eine eigene „Wirklichkeit“ zu fassen zu bekommen, die ewig und unveränderlich ist.

Die Welt der Ideen
Empedokles und Demokrit hatten ja schon darauf hingewiesen, daß alle Phänomene in der Natur „fließen“, aber daß es trotzdem „etwas“ gibt, das sich niemals verändert (die „vier Wurzeln“ oder die „Atome“). Platon befaßt sich ebenfalls mit dieser Problematik – aber auf ganz andere Weise.

Platon meinte, daß alles, was wir in der Natur greifen und fühlen können, „fließt“. Es gibt also keine Grundstoffe, die nicht in Auflösung übergehen. Absolut alles, was der „Sinnenwelt“ angehört, besteht aus einem Material, an dem die Zeit zehrt. Aber gleichzeitig ist alles nach einer zeitlosen Form gebildet, die ewig und unveränderlich ist.

Warum sind alle Pferde gleich … Es gibt etwas, das allen Pferden gemeinsam ist, etwas, das dafür sorgt, daß wir niemals Probleme haben werden, ein Pferd zu erkennen. Das einzelne Pferd „fließt“ natürlich. … Aber die eigentliche „Pferdeform“ ist ewig und unveränderlich.

Für Platon ist dieses Ewige und Unveränderliche also kein physischer „Urstoff“. Das Ewige und Unveränderliche sind geistige oder abstrakte Musterbilder, nach denen alle Phänomene gebildet sind.

Er hat sich darüber gewundert, wieso alle Phänomene in der Natur sich so ähnlich sein können, und er ist zu dem Schluß gekommen, daß „über“ oder „hinter“ allem, was wir um uns herum sehen, eine begrenze Anzahl von Formen liegt. Diese Formen nannte Platon Ideen.

Platon glaubte an eine eigene Wirklichkeit hinter der „Sinnenwelt“. Diese Wirklichkeit nannte er die Welt der Ideen. Hier finden wir die ewigen und unveränderlichen „Musterbilder“, die Urbilder hinten den verschiedenen Phänomenen

Sicheres Wissen
Platon geht es darum, daß wir niemals sicheres Wissen über etwas gewinnen können, daß sich verändert. Von dem, was der Sinnenwelt angehört … haben wir nur unsichere Meinungen. Sicheres Wissen können wir nur von dem haben, was wir mit der Vernunft erkennen.
… über das, was wir mit der Vernunft erkennen, können wir sicheres Wissen erlangen. Die Winkelsumme in einem Dreieck beträgt in alle Ewigkeit 180 °. Und so wird auch die „Idee“, daß alle Pferde auf vier Beinen stehen, weiter gelten, selbst wenn alle Pferde in der Sinnenwelt einmal lahm werden sollten.

Eine unsterbliche Seele
Wir haben gesehen, daß Platon die Wirklichkeit für zweigeteilt hielt.

Der eine Teil ist die Sinnenwelt – über die wir nur ungefähre oder unvollkommene Kenntnis erlangen können

Der andere Teil ist die Ideenwelt – über die wir sicheres Wissen erlangen können, wenn wir unsere Vernunft gebrauchen.

Platon zufolge ist auch der Mensch ein zweigeteiltes Wesen. Wir haben einen Körper, der „fließt“. Er ist unlösbar mit der Sinnenwelt verbunden und erleidet dasselbe Schicksal … Aber wir haben auch eine unsterbliche Seele – und sie ist der Wohnsitz der Vernunft. Eben weil die Seele nicht materiell ist, kann sie einen Blick in die Ideenwelt werfen.

Platon meinte weiter, daß die Seele schon existiert hat, ehe sie sich in unserem Körper niederließ: Einst war die Seele in der Ideenwelt. … Aber sowie die Seele in einem Menschenkörper erwacht, hat sie die vollkommenen Ideen vergessen. Und dann passiert etwas, ja, jetzt setzt ein wunderbarer Prozeß ein: Wenn der Mensch die Formen in der Natur erlebt, taucht nach und nach in der Seele eine vage Erinnerung auf … Damit wird auch eine Sehnsucht nach der eigentlichen Wohnung der Seele erweckt. Die Seele verspürt also eine „Liebessehnsucht“ nach ihrem eigentlichen Ursprung. Von nun an erlebt sie den Körper und alles Sinnliche als unvollkommen und unwesentlich … Sie möchte aus dem Kerker der Körpers befreit werden.

(Aber) durchaus nicht alle Menschen lassen ihrer Seele freien Lauf … Die meisten Menschen klammern sich an die „Spiegelbilder“ der Ideen in der Sinnenwelt. Sie sehen ein Pferd … Aber sie sehen nicht das, wovon alle Pferde nur eine schlechte Nachahmung sind.

Wenn Du einen Schatten siehst …, dann denkst Du doch auch, daß etwas diesen Schatten werfen muß. Vielleicht ist das ein Pferd, denkst Du, aber Du kannst nicht ganz sicher sein. Also drehst Du Dich um und siehst das wirkliche Tier – das natürlich unendlich viel schöner und schärfer in den Konturen ist als der unstete Pferdeschatten. DESHALB HIELT PLATON ALLE PHÄNOMENE IN DER NATUR FÜR BLOSSE SCHATTENBILDER DER EWIGEN FORMEN ODER IDEEN. Aber die allermeisten sind mit ihrem Leben unter den Schattenbildern zufrieden. Sie denken nicht daran, daß etwas die Schatten werfen muß. Sie glauben, die Schatten seien alles, was es gibt – und deshalb erleben sie die Schatten nicht als Schatten. Deshalb vergessen sie die Unsterblichkeit ihrer Seelen.

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 100-110 – Carl Hanser Verlag 1995

Hier folgt das Höhlengleichnis.

Die Zweiteilung des Menschen in vergänglichem Körper und unsterblicher Seele ist heute nicht nur ein Thema der Religionen, sondern beschäftigt weiterhin viele Menschen. Wer hat sich nicht irgendwann einmal selbst gefragt, ob er so etwas wie eine Seele hat, die zudem unsterblich sein soll. Platons Gedanken sind uns also noch heute ‚vertraut’. Natürlich beinhaltet die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele auch Fragen nach einer Möglichkeit der Seelenwanderung bzw. Wiedergeburt. Hierzu führt Platon aus:

Platon schreibt [der Seele] drei Teile, das Begehrende (to epithymêtikon [Begierde]), das seinen Sitz im Unterleibe, das Mutartige (to thymoeides [Agressionstrieb]), das seinen Sitz in der Brust, und das Denkende (to logistikon [Vernunft]), das seinen Sitz in dem Kopfe hat, zu und vertritt die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, indem er für sie sowohl eine Präexistenz, aus der gefolgert wird, daß das Wissen Erinnerung (anamnêsis) ist, als auch eine Postexistenz mit Wanderung durch verschiedene Leiber und Versetzung in den Fixsternhimmel annimmt.

Neben der menschlichen Seele soll der Kosmos selbst über Vernunft in Form einer Weltseele verfügen. Ähnliche Annahmen finden wir in der indischen Philosophie in Begriffen wie Atman (Einzelseele) und Brahman (Weltseele).

aus Platons Schriften:
Platons Gastmahl
Sokrates bei Projekt Gutenberg (spiegel.de)
Platon bei Projekt Gutenberg (spiegel.de)

Sofies Welt: Sokrates

In einem früheren Betrag hatte ich schon einmal auf Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie hingewiesen. Es ist ein Buch – für Jugendliche ab 14 Jahre gedacht -, dass sich aber auch für Erwachsene eignet, die in aller Schnelle und leicht verständlich eine Übersicht über die Geschichte der Philosophie gewinnen wollen. Ich habe das Buch wieder zur Hand genommen und möchte in loser Folge auf den einen oder anderen Philosophen anhand von Zitaten aus dem Buch eingehen.

Interessant in Sofies Welt sind dabei zunächst die Abhandlungen über die antike griechische Philosophie, die in den Personen Sokrates, Platon und Aristoteles noch heute starken Einfluss auf unser abendländisches Denken (speziell in Europa) ausübt.

So möchte ich heute mit Sokrates (altgriechisch ???????? – * 469 v. Chr.; † 399 v. Chr.) beginnen, der in Athen lebte:

Wer war Sokrates?
Sokrates (470-399 v. Chr.) ist vielleicht die rätselhafteste Person in der gesamten Geschichte der Philosophie. Er hat keine einzige Zeile geschrieben. Trotzdem gehört er zu denen, die den allergrößten Einfluß auf das europäische Denken ausgeübt haben. Daß man ihn kennt, wenn man mit Philosophie wenig am Hut hat, hängt wahrscheinlich mit seinem dramatischen Tod zusammen.

Wir wissen, dass er in Athen geboren wurde, und dass er dort sein Leben vor allem auf Marktplätzen und in Straßen verbrachte, wo er mit allen möglichen Leuten redete. Die Felder und Bäume auf dem Land könnten ihn nichts lehren, meinte er. Er konnte auch viele Stunden lang in tiefes Nachdenken versunken dastehen.

Feststeht, dass er potthässlich war. Er war klein und dick und hatte Glubschaugen und eine Himmelfahrtsnase. Aber sein Inneres war „vollkommen herrlich“, wie es hieß.

Das Leben des Sokrates kennen wir vor allem durch Platon, der sein Schüler war und selber einer der größten Philosophen der Geschichte.

Platon verfasste viele Dialoge – oder philosophische Gespräche-, in denen er Sokrates auftreten läßt.

Gesprächskunst
Der eigentliche Kern in Sokrates’ Wirken war, daß er die Menschen nicht belehren wollte. Statt dessen vermittelte er den Eindruck, selbst von seinem Gesprächspartner lernen zu wollen. Er unterrichtete also nicht wie irgendein Schullehrer. Nein, er führte Gespräche.

vor allem zu Anfang stellte er nur Fragen. So gab er gern vor, nichts zu wissen. Im Laufe des Gesprächs brachte er dann oft den anderen dazu, die Schwächen seiner Überlegungen einzusehen.

Sokrates’ Mutter war angeblich Hebamme, und Sokrates verglich seine eigene Tätigkeit mit der Hebammenkunst. … Sokrates sah also seine Aufgabe an, den Menschen bei der „Geburt“ der richtigen Einsicht zu helfen. Denn wirkliche Erkenntnis muß von innen kommen.

Gerade dadurch, dass er den Unwissenden spielte, zwang Sokrates die Menschen dazu, ihre Vernunft anzuwenden. … Das nennen wir sokratische Ironie. … Athen sei wie eine Stute, sagte Sokrates, und er wie eine Bremse, die ihr in die Flanke steche, um ihr Bewusstsein wachzuhalten.

Richtige Erkenntnis führt zum richtigen Handeln
Sokrates glaubte, eine göttliche Stimme in sich zu hören, und daß dieses „Gewissen“ ihm sagte, was richtig war. Wer wisse, was gut ist, werde auch das Gute tun, meinte er. Er glaubte, die richtige Erkenntnis führe zum richtigen Handeln. … Wenn wir falsch handeln, dann, weil wir es nicht besser wissen. Deshalb ist es so wichtig, unser Wissen zu vermehren.

Sokrates hielt es für unmöglich, glücklich zu werden, wenn man gegen seine Überzeugung handelt. Und wer weiß, wie er zum glücklichen Menschen werden kann, wird auch versuchen, einer zu werden. Deshalb wird jemand, der weiß, was richtig ist, auch das Richtige tun. Denn keine Mensch möchte ja wohl unglücklich sein?

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 80-87 – Carl Hanser Verlag 1995

Sokrates

Es ging Sokrates also darum, die Vernunft auf menschliche Problemstellungen anzuwenden. Was vielen von uns heute wie selbstverständlich erscheint, war zu Zeiten der alten Griechen alles andere als alltäglich.

Auch die Geschichte seines Prozesses wegen angeblich verderblichen Einflusses auf die Jugend und wegen Missachtung der Griechischen Götter und seine gelassene Haltung während seines Todes durch den Schierlingsbecher trugen zu seinem Nachruhm bei. Sokrates hätte Athen verlassen können. Aber er war bereit, für seine Überzeugung zu sterben.

Waren die antiken Griechen farbenblind?

Nach und nach lese ich zz. Colin Wilsons „Das Okkulte“ zum wiederholtem Male. Es gilt als Standardwerk über Okkultismus und gibt dabei eine lesenswerte Übersicht über die Geschichte der Magie. Wie das zugrundeliegende Thema selbst, so bleibt natürlich auch in diesem Buch vieles nebulös. Einiges mag wissenschaftlich falsch oder inzwischen überholt sein. Insgesamt finde ich es aber sehr interessant, weil es Einblicke in die Denkweisen des Okkulten vermittelt, die hier verständlich beschrieben wurden.

Ziemlich am Anfang stieß ich auf eine Textstelle, deren inhaltliche Behauptung (Die alten Griechen waren partiell farbenblind!) ich versucht habe zu verifizieren. Hier zunächst der Text:

Schon 1887 sagte Max Müller (The Schience of Thought, New York 1887, Bd. 1; auch zitiert bei R.M. Bucke, Cosmic Consciousness, New York 1901), der Herausgeber der Heiligen Bücher des Ostens, daß unsere Vorfahren vor zweitausend Jahren praktisch farbenblind gewesen seien – wie die meisten Tiere: „ Xenophanes kannte nur drei Farben des Regenbogens – Purpur, Rot und Gelb; selbst Aristoteles sprach von dem dreifarbigen Regenbogen, und Demokrit kannte nicht mehr als vier Farben – Schwarz, Weiß, Rot und Gelb.“ Homer schien zu glauben, daß das Meer von der gleichen Farbe sei wie der Wein. Und in der indo-europäischen Ursprache gibt es gar keine Farbenwörter. Da begreifen wir gern, warum Alexander von Makedonien, der Schüler des Aristoteles, sein Leben damit verbrachte, die Welt zu erobern. Es muß eine außerordentlich dumpfe Welt gewesen sein, ohne Unterschiede zwischen dem Rot des Weins, dem Blaugrün des Meeres, dem Smaragdgrün des Grases und dem tiefen Blau des Himmels. Biologisch betrachtet, ist dies verständlich. Das Leben war hart und voller Gewalt, und die Fähigkeit, feinste Denk- und Farbunterschiede zu erkennen, wäre für das Überleben wertlos gewesen. Alexander war ein energischer, einfallsreicher Mann; was hätte er anderes tun sollen, als die Welt zu erobern und dann, als nichts mehr zu erobern gab – zu weinen?

Colin Wilson: Das Okkulte, März Verlag, Berlin und Schlechtenwegen, 1. Aufl., Sept. 1982 – S. 34

Bei der Suche nach Bestätigungen dieser Aussage, bin ich über Goethes Farbenlehre gestolpert. Heute sieht man dieses Werk von Goethe eher als metaphysische denn als physikalische Abhandlung, zumal es schon zu seiner Zeit den Erkenntnissen von Issac Newton entgegenstand. Dort steht über die Farbenbenennungen der Griechen und Römer u.a.:

Die Alten lassen alle Farbe aus Weiß und Schwarz, aus Licht und Finsternis entstehen. Sie sagen, alle Farben fallen zwischen Weiß und Schwarz und seien aus diesen gemischt.

[…]

Fangen wir von der untersten Stufe an, wo das Licht so alteriert erscheint, daß es die besondre Empfindung dessen, was wir Farbe nennen, erregt, so treffen wir daselbst zuerst ôchron (blaß), dann xanthon (gelb, gelblich), fer ner pyrrhon (feuerfarbig, rot), dann erythron (rot, rötlich), sodann phoinikoun (purpurrot), zu letzt porphyroun (purpurfarbig) an. Im gemeinen wie im poetischen Sprachgebrauch finden wir herauf- und herabwärts öfter ein Genus für das andre gesetzt. Das porphy roun (purpurfarbig) steigt abwärts in das halourges (mit Meerpurpur gefärbt), kyanoun coeruleum (blau), glaukon caesium (blaugrau), und schließt sich durch die ses an das prasinon porraceum (lauchfarbig), poôdes herbidum (grasgrün), und zuletzt an das chlôron viride (hellgrün) an, das sowohl ein mit Blau vermischtes Gelb, das ist ein Grünes, als das reine Gelb anzeigt und so das Ende des Farbenkreises mit dem Anfange verbindet und zuschließt.

Die Farbe Purpur wird hier auch für die Farbe des Meeres gesetzt. Allerdings tauchen auch Farben wie blau und grün auf. Leider ist nicht genau zu durchschauen, wie eine bestimmte Farbe tatsächlich ‚empfunden’ wurde (lauchfarbig sagt lange nicht aus, ob die Farbe tatsächlich als grün gesehen wurde). Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass bestimmte Farben nicht in dem Maße wahrgenommen werden, wie wir es heute tun. Waren die alten Griechen also tatsächlich zum Teil farbenblind?