Kategorie-Archiv: Geistesblitze

Vom Denken und Dichten – Von Philosophie, Wissenschaft bis Religion

Europas digitale Bibliothek

Google beginnt damit, angloamerikanische Bücher online zu stellen. Damit die Sichtweise nicht zu einseitig wird, hat nun auch Europa begonnen, seine großen Bibliotheken zu digitalisieren und unter dem Dach einer Europäischen Digitalbibliothek zusammenzuführen und damit für jedermann online verfügbar zu machen. Nach einem Fehlstart ist der Rohbau jetzt fertig: europeana

europeana - Europas digitale Bibliothek

Vieles funktioniert wohl noch nicht, aber das Ziel ist erkennbar. Als Liebhaber alter Bücher und insbesondere von alten Landkarten bekomme ich hier eine Spielwiese, die ihresgleichen in dieser Form anderswo vergeblich sucht.

Die Europeana beherbergt bereits jetzt zwei Millionen Bücher, Bilder, Fotos, Videos und Tondokumente aus den Nationalbibliotheken und Kulturinstituten der 27 EU-Mitgliedstaaten. Doch das sei erst der Anfang, sagt Viviane Reding, in der EU-Kommission für Informationsgesellschaft und Medien zuständig. „Mein Ziel ist es, dass Europeana im Jahr 2010 mindestens 10 Millionen Objekte enthält“.

siehe auch zdf.de: Europeana nach Fehlstart wieder online

Nachdenken über Nicht-Gott?!

Unter dem Motto: There’s probably no God. Now stop worrying and enjoy your life („Wahrscheinlich gibt es keinen Gott. Nun hör auf, dich zu sorgen, und genieße dein Leben“) ist in Großbritannien eine atheistische Kampagne gestartet, die u.a. auch von dem Biologen und Religionskritiker Richard Dawkins („Der Gotteswahn“) unterstützt wird: atheistcampaign.org. Der genannten Slogan prangt auf Bussen in London und von 1000 Werbeplakate in der Londoner U-Bahn und Anzeigen auf Großleinwänden.

Sicherlich haben auch Atheisten ein Recht auf Meinungsfreiheit. Aber ich finde das eher irritierend. Muss Werbung für eine Verneinung betrieben werden? Läuft der Atheismus damit nicht Gefahr, selbst so etwas wie eine Religion zu werden (wenn er das nicht längst schon ist)? Zudem finde ich den Spruch inkonsequent mit diesem „wahrscheinlich“. Das ist kein Atheismus, sondern Agnostizismus. Außerdem ist der Nachsatz danebengegriffen. Wer an einen Gott glaubt, sorgt sich eigentlich nicht, sondern vertraut auf Gott. Und Gottesglaube und das Leben genießen schließen sich nicht unbedingt aus.

Die Initiatoren wollen mit ihrer Kampagne einen Gegenpol zu Botschaften religiöser Gruppen schaffen, die Nicht-Gläubige „verdammen“. Das ist natürlich rechtens. Aber der Slogan verfehlt schlicht und einfach diese Zielsetzung. Immerhin ist die Kampagne ein Weg, Menschen über Gott nachdenken zu lassen. Ob das so beabsichtigt ist?

Gespannt darf man jetzt über die Reaktionen der Kirchen, Synagogen und Moscheen sein. Zuviel des Aufhebens würde die Kampagne nachträglich nur rechtfertigen. Vielleicht ist das ja die eigentliche Absicht!

siehe auch zdf.de: Gibt es Gott? „Genieße lieber dein Leben“

Intelligenz und „geistiges Alter“

Am Dienstag, den 30.12., lief im Ersten (ARD) die Sendung „Deutschlands größter Gedächtnistest“. Quiz- und Fragesendungen sind seit Jahren populär im deutschen Fernsehen. Jetzt geht es nicht nur mehr um möglichst breites Allgemeinwissen, sondern die geistige Flexibilität bis hin zur Ermittlung des IQ (Intelligenzquotient) steht im Mittelpunkt einer abendfüllenden TV-Sendung.

Nun, willst auch Du Dein „geistiges Alter“ erfahren? Dann kannst Du die Sendung am PC nachspielen: Deutschlands größter Gedächtnistest. Und willst Du gar wissen, welchen IQ Du besitzt, dann gibt es u.a. hier einen IQ-Test.

Albert Einstein

Ich muss gestehen, dass mir Gedächtnisaufgaben, die sich auf das ‚Merken’ von Begriffen oder gar Zahlenkolonnen beziehen, noch nie gelegen haben. In der Schule mussten wir Rechenausgaben im Kopf lösen. Ich habe mich schon damals geweigert, an diesem Denksport teilzunehmen. Sollte ich einmal vom Lehrer aufgerufen werden, die Lösung zu nennen, dann habe ich irgendeine beliebige Zahl genannt (ich gebe zu, im ‚Hintergrund’ habe ich versucht die Zahl zu schätzen). Wenn es aber um Logik und dergleichen geht, dann bin ich immer ganz gut drauf.

Gerade zum neuen Jahr ist etwas Gehirntraining ganz gut, damit der Kopf etwas gelüftet wird. Wer es also wagt, der kann nur gewinnen, oder?

Sofies Welt: Kant

Zurück zu Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie: Nach Spinoza machen wir einen Sprung und lassen die Kapitel Locke ( … genauso leer wie eine Tafel, ehe der Lehrer das Klassenzimmer betritt …), Hume (… so werft ihn ins Feuer …) und Berkeley (… wie ein schwindliger Planet um eine brennende Sonne …), das Dreigestirn der britischen Aufklärung und des aufkommenden Empirismus, aus und kommen zu Kant.

Immanuel Kant

Hier wieder die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch zu Kant, mit denen diese kleine Reihe zu den wichtigsten Philosophen und ihren Lehren zu Ende gehen wird. Hegel, Marx, Darwin und Freud, denen Jostein Gaarder in „Sofies Welt“ ebenfalls jeweils ein Kapitel gewidmet hat, lasse ich diesmal links liegen. Diese Geister haben sich auf Teilgebiete der menschlichen Erkenntnis festgelegt, deren Ideen und Einsichten heute noch weitläufig diskutiert werden. Eine Beschäftigung mit ihnen sprengt den Rahmen dieser eher kleinen, aber – wie ich doch hoffe – lehrreichen und einfach ‚interessanten’ Einführung in die Gedankenwelt der Philosophie. Immanuel Kant, dessen „kategorische Imperativ“ vielen als Begriff geläufig ist (oft allerdings ohne zu wissen, was dieser bedeutet), hier als Abschluss und – in gewisser Hinsicht zutreffend: als Höhepunkt der Reise durch Sofies Welt der Philosophen:

Immanuel Kant wurde 1724 in der ostpreußischen Stadt Königsberg als Sohn eines Sattlers geboren. Er verbrachte hier fast sein ganzes Leben bis zu seinem Tod im Alter von achtzig Jahren. Er kam aus einem streng christlichen Zuhause. Seine christliche Überzeugung war deshalb auch eine wichtige Grundlage für seine Philosophie.

Wir erinnern uns, daß die Rationalisten meinten, die Grundlage aller menschlichen Erkenntnis liege im Bewußtsein des Menschen. Und wir wissen auch noch, daß die Empiriker alles Wissen über die Welt aus der Sinneserfahrung ableiten wollten.

… [Kant] meinte, alle hätten ein bisschen recht, aber fand auch, daß alle sich ein bißchen irrten. … Kant meinte, daß sowohl die Empfindungen als auch die Vernunft eine wichtige Rolle spielen, wenn wir die Welt erfahren.

Egal, was wir sehen, vor allem werden wir es als Phänomene in Zeit und Raum auffassen. Kant bezeichnete Zeit und Raum als die beiden ‚Formen der Anschauung’ des Menschen. Und er betont, daß diese beiden Formen in unserem Bewußtsein vor jeglicher Erfahrung kommen. Das bedeutet, daß wir, ehe wir etwas erfahren, wissen können, daß wir es als Phänomen in Zeit und Raum auffassen werden.

Kant erklärt, daß Zeit und Raum zum menschlichen Leben selber gehören. Zeit und Raum sind vor allem Eigenschaften unseres Bewußtseins und nicht Eigenschaften der Welt.

Das Bewußtsein des Menschen ist also keine passive ‚Tafel’, die nur Sinneseindrücke von außen registriert. Es ist eine kreativ formende Instanz. Das Bewußtsein selber trägt dazu bei, unsere Auffassung der Welt zu prägen. … So fügen sich auch die Sinneseindrücke nach unseren ‚Formen der Anschauung’.

Kant behauptet, daß sich nicht nur das Bewußtsein nach den Dingen richtet. Die Dinge richten sich auch nach dem Bewußtsein.

was wir nicht beweisen können, genau das betrachtet Kant als Eigenschaft der menschlichen Vernunft. Das Kausalgesetz gilt immer und absolut, einfach weil die menschliche Vernunft alles, was geschieht, als Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung betrachtet.

Kant sagt …, daß wir nicht sicher wissen können, wie die Welt ‚an sich’ ist. Wir können nur wissen, wie die Welt ‚für mich’ ist – und also für alle Menschen. … Wie die Dinge ‚an sich’ sind, können wir nie ganz sicher erfahren. Wir können nur wissen, wie die Dinge sich für uns ‚zeigen’. Zum Ausgleich können wir ohne jede Erfahrung sagen, wie die Dinge von der menschlichen Vernunft aufgefaßt werden.

morgens kannst du nicht wissen, was du an diesem Tag sehen und erleben wirst. Aber du kannst wissen, daß du das, was du siehst und erlebst, als Ereignisse in Zeit und Raum auffassen wirst. Du kannst dir außerdem sicher sein, daß das Kausalgesetz gilt, einfach, weil du es als Teil deines Bewußtseins in dir trägst.

Kant glaubte, die absolute Gültigkeit der Naturgesetze beweisen zu können, indem er zeigte, daß wir in Wirklichkeit über Gesetze der menschlichen Erkenntnis reden.

Einerseits haben wir die äußeren Verhältnisse, über die wir nichts wissen können, ehe wir sie nicht empfunden haben. Wir können sie als Material der Erkenntnis bezeichnen. Andererseits haben wir die inneren Verhältnisse im Menschen selber – zum Beispiel, daß wir alles als Ereignisse in Zeit und Raum und außerdem als Prozesse betrachten, die einem unwandelbaren Kausalgesetz folgen. Das können wir als Form der Erkenntnis bezeichnen.

Kant wies auch darauf hin, daß es klare Grenzen dafür gibt, was Menschen überhaupt erkennen können.

Kant meinte, der Mensch könne über diese Fragen [ob der Mensch eine unsterbliche Seele hat; ob es einen Gott gibt usw.] niemals sicheres Wissen erlangen.

Kant meinte, gerade in … großen philosophischen Fragen operiere die Vernunft außerhalb der Grenzen dessen, was wir Menschen erkennen können. … wenn wir zum Beispiel fragen, ob der Weltraum endlich oder unendlich ist, dann stellen wir eine Frage nach einem Ganzen, von dem wir selber ein (winzig kleiner) Teil sind. Und dieses Ganze können wir niemals voll erkennen.

Ja, das Material für unsere Erkenntnis nehmen wir durch die Sinne auf, … Aber wenn wir uns fragen, woher die Welt stammt … dann kann sie [die Vernunft] nämlich kein Sinnesmaterial ‚bearbeiten’; sie hat keine Erfahrungen, an denen sie sich reiben kann.

Bei den großen Frage, die die Wirklichkeit im ganzen angehen, werden immer zwei genau entgegengesetzte Standpunkte gleich wahrscheinlich und gleich unwahrscheinlich sein.

Es ist genauso sinnvoll zu sagen, die Welt muß einen Anfang in der Zeit haben, wie zu sagen, daß sie keinen Anfang hat. Die Vernunft kann zwischen den beiden Möglichkeiten nicht entscheiden, weil sie sie beide nicht ‚fassen’ kann.

Und schließlich können wir mit unserer Vernunft auch nicht die Existenz Gottes beweisen. … Weder Vernunft noch Erfahrung haben eine sichere Grundlage für die Behauptung, daß es einen Gott gibt. … dort nämlich, wo unsere Erfahrung und unsere Vernunft nicht hinreichen. Genau diesen Raum kann der religiöse Glaube ausfüllen.

Kant hielt die Voraussetzung, daß der Mensch eine unsterbliche Seele hat, daß es einen Gott gibt und daß der Mensch einen freien Willen hat, für eine mehr oder weniger unerlässliche Voraussetzung der Moral des Menschen.

Er selbst bezeichnete den Glauben an eine unsterbliche Seele, ja, sogar an einen Gott und an den freien Willen des Menschen, als praktische Postulate. … Es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen, sagte er.

Wir können nicht erwarten, zu verstehen, was wir sind. Vielleicht können wir eine Blume … verstehen, aber niemals uns selber. Noch weniger können wir erwarten, das ganze Universum zu verstehen.

Kant hatte von Anfang an ganz stark den Eindruck, daß der Unterschied zwischen Recht und Unrecht mehr als nur eine Gefühlssache sein mußte. … Alle Menschen wissen, was Recht ist und was nicht, und wir wissen das nicht nur, weil wir es gelernt haben, sondern auch, weil es unserer Vernunft innewohnt. Kant glaubte, alle Menschen hätten eine praktische Vernunft, die uns jederzeit sagt, was im moralischen Bereich Recht ist und was Unrecht.

Alle Menschen fassen die Ereignisse in der Welt als ursächlich bestimmt auf – und alle haben auch Zugang zum selben universellen Moralgesetz. Dieses Moralgesetz hat dieselbe absolute Gültigkeit wie die physikalischen Naturgesetze.

Kant formuliert sein Moralgesetz als kategorischen Imperativ. Darunter versteht er, daß das Moralgesetz ‚kategorisch’ ist, das heißt, in allen Situationen gilt. Außerdem ist es ein ‚Imperativ’ und damit ein ‚Befehl’ und absolut unumgänglich.

Allerdings formuliert Kant seinen kategorischen Imperativ auf verschiedene Weise. Erstens sagt er, wir sollten immer so handeln, daß wir uns gleichzeitig wünschen können, die Regel, nach der wir handeln, würde allgemeines Gesetz. Wörtlich heißt es bei ihm: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Kant hat den kategorischen imperativ auch so formuliert, daß wir andere Menschen immer als Zweck an sich selbst und nicht bloß als Mittel zu etwas anderem behandeln sollen.

Wir dürfen andere Menschen also nicht ‚benutzen’, nur um selber Vorteile zu erlangen. … Wir dürfen uns selber auch nicht als Mittel benutzen, um etwas zu erreichen.

Kant hielt das Moralgesetz für ebenso absolut und allgemeingültig wie zum Beispiel das Kausalgesetz. Auch das läßt sich mit der Vernunft nicht beweisen und ist doch unumgänglich.

Ja, wenn Kant das Moralgesetz beschreibt, beschreibt er das menschliche Gewissen.

Nur wenn du etwas tust, weil du es für deine Pflicht hältst, dem Moralgesetz zu folgen, kannst du von einer moralischen Handlung sprechen. Kants Ethik wird deshalb oft als Pflichtethik bezeichnet.

Nicht die Konsequenzen einer Handlung sind entscheidend. Deshalb nennen wir Kants Ethik auch Gesinnungsethik.

nur, wenn wir selber wissen, daß wir aus Achtung vor dem Moralgesetz handeln, handeln wir in Freiheit.

Kant teilt die Menschheit in zwei Teile, … als empfindendes Wesen sind wir voll und ganz den unwandelbaren Kausalgesetzen ausgeliefert, meint Kant. Wir entscheiden ja nicht, was wir empfinden; die Empfindungen stellen sich notgedrungen ein und prägen uns

Als Sinnenwesen gehören wir ganz und gar der Ordnung der Natur an. …Aber als Vernunftwesen haben wir darüber hinaus Anteil an der Welt ‚an sich’ – also an der Welt, wie sie unabhängig von unseren Empfindungen ist. Nur wenn wir unserer ‚praktischen Vernunft’ folgen … haben wir einen freien Willen.

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 381-396 – Carl Hanser Verlag 1995

Kant hat sich vier Fragen gestellt und diese zu beantworten versucht, Fragen, die uns bis auf den heutigen Tag beschäftigen:
1. Was kann ich wissen? – In seiner Erkenntnistheorie
2. Was soll ich tun? – In seiner Ethik
3. Was darf ich hoffen? – In seiner Religionsphilosophie
4. Was ist der Mensch? – In seiner Anthropologie

Hier alle Beiträge zu Sofies Welt im Überblick:

Sofies Welt: Sokrates
Sofies Welt: Platon
Sofies Welt: Aristoteles
Sofies Welt: Descartes
Sofies Welt: Spinoza
Sofies Welt: Sartre

Hermann Hesse: Narziß und Goldmund

Im Alter von zwanzig Jahren begann ich mit dem Lesen. Gut, in jungen Jahren hatte ich den obligatorischen Karl May gelesen und auch andere Jugendbücher. Sind ja auch gar nicht so schlecht die Geschichten von Winnetou und Old Shatterhand, obwohl mir Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar noch etwas besser gefallen haben (damals wie heute).

Mit zwanzig Jahren las ich zunächst Hermann Hesse. Es war damals die auslaufende Zeit der Blumenkinder. Und Hesses Bücher, speziell „Der Steppenwolf“, löste eine Hesse-Rezeption gerade bei diesen aus (vergleiche u.a. den Film „Easy Rider“ mit der Musik – „Born to be Wild“ – der Gruppe „Steppenwolf“, benannt nach Hesses Roman).

Hermann Hesse

In dieser Zeit las ich auch Hesses „Narziß und Goldmund“ zum ersten Mal (diese Erzählung aus dem Jahr 1930 habe ich auch in die Liste meiner liebsten Bücher aufgenommen). Das Buch handelt zwar im Mittelalter, beschäftigt sich aber mit Fragen der Psychologie. Die beiden genannten Hauptfiguren verkörpern gewissermaßen die beiden Pole des Menschen – den Geistesmensch und den Sinnesmenschen in etwa nach dem Motto: Sinn und Sinnlichkeit. Zwar wirkt die Sprache Hesses heute teilweise etwas zu pathetisch, vor allem antiquiert, lässt einen aber doch nicht vom Lesen los. Und die Thematik ist weiterhin aktuell. Natürlich stehen Narziß und Goldmund hier jeweils als Stereotypen für einen dieser Menschentypen. Aber gerade oder weil sie so verschieden sind, schließen sie eine enge Freundschaft, da sie den fehlenden Teil in sich beim anderen entdecken. Narziß, der Geistesmensch, ist Lehrer und Mönch und wird eines Tages Abt eines Klosters. Goldmund, als Schüler ins Kloster gekommen, entrinnt den starren Mauern, um in der Welt sein Glück zu suchen. Er ist ganz den Sinnen zugewandt (Emotionen und Lust) und entwickelt sich zum Künstler.

Hier die Worte von Narziß, mit denen er die Unterschiede zwischen sich und Goldmund beschreibt:

“Die Naturen von deiner Art, die mit den starken und zarten Sinnen, die Beseelten, die Träumer, Dichter, Liebenden, sind uns andern, uns Geistmenschen, beinahe immer überlegen. Eure Herkunft ist eine mütterliche. Ihr lebet im Vollen, euch ist die Kraft der Liebe und des Erlebenkönnens gegeben. Wir Geistigen, obwohl wir euch andere häufig zu leiten und zu regieren scheinen, leben nicht im Vollen, wir leben in der Dürre. Euch gehört die Fülle des Lebens, euch der Saft der Früchte, euch der Garten der Liebe, das schöne Land der Kunst. Eure Heimat ist die Erde, unsere die Idee. Eure Gefahr ist das Ertrinken in der Sinnenwelt, unsere das Ersticken im luftleeren Raum. Du bis Künstler, ich bin Denker. Du schläfst an der Brust der Mutter, ich wach in der Wüste. Mir scheint die Sonne, dir scheinen Mond und Sterne, deine Träume sind von Mädchen, meine von Knaben …“

aus: Hermann Hesse Narziß und Goldmund (suhrkamp taschenbuch 274 – 2. Auflage 1975, S 49)

Goldmunds abenteuerliches Leben bildet den großen Mittelteil der Erzählung. Er scheut selbst den Totschlag nicht, wenn er dazu gezwungen ist. Am Ende nach einer Zeit des Wüten der Pest kehrt er zu Narziß zurück. Beide erkennen:

Jedes Leben wird ja erst durch Spaltung und Widerspruch reich und blühend. Was wäre Vernunft und Nüchternheit ohne das Wissen vom Rausch, was wäre Sinnenlust, wenn nicht der Tod hinter ihr stünde, und was wäre Liebe ohne die ewige Todfeindschaft der Geschlechter?

(S. 198)

Zwar entschwindet Goldmund noch einmal und kehrt krank und alt zurück. Aber sowohl er als auch Narziß haben gewissermaßen den inneren Frieden gefunden, indem sich beide auf ihre Art selbst verwirklicht haben:

Das vollkommene Sein ist Gott. Alles andere, was ist, ist nur halb, ist teilweise, es ist werdend, ist gemischt, besteht aus Möglichkeiten. Gott aber ist nicht gemischt, er ist eins, er hat keine Möglichkeiten, sondern ist ganz und gar Wirklichkeit. Wir aber sind vergänglich, wir sind werdend, wir sind Möglichkeiten, es gibt für uns keine Vollkommenheit, kein völliges Sein. Dort aber, wo wir von der Potenz zur Tat, von der Möglichkeit zur Verwirklichung schreiten, haben wir Teil am wahren Sein, werden dem Vollkommenen und Göttlichen um einen Grad ähnlicher. Das heißt: sich verwirklichen.

(S. 286)

Thomas Mann schrieb seinerzeit durchaus passend:

Hesses Roman ‚Narziß und Goldmund’ setzt mit großer sprachlicher Schönheit ein und scheint in einer mittelalterlichen Zeitlosigkeit zu schweben, die dem poetischen Bedürfnis dieser rohen Aktualität widerstrebenden Geistes entspricht, ohne darum seine schmerzliche Fühlung mit den Problemen der Gegenwart zu verleugnen … ein wunderschönes Buch mit seiner Mischung aus deutsch-romantischen und modern-psychologischen, ja psychoanalytischen Elementen … eine in ihrer Reinheit und Interessantheit durchaus einzigartige Romandichtung.

Selbsterfüllende Prophezeiungen

Das Buch „Menschliche Kommunikation“, an dem auch Paul Watzlawick maßgeblich mitgewirkt hat, habe ich noch gar nicht zu Ende gelesen (siehe hier kleine Ausschnitte aus dem Buch in meinen Beiträgen: Kulturbedingtes PaarungsverhaltenManipulation der Wahrnehmung und Kleine Denkaufgabe), da habe ich mir Paul Watzlawicks bekanntes Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ noch einmal vorgenommen. Das Buch ist 1983 erschienen und war damals ein „Renner“. Denn entgegen gewöhnlichen Ratgebern, die uns nur glücklich zu machen versuchen, bezweckte dieses Buch das genaue Gegenteil. Oder etwa nicht? Ich denke, jeder Leser wird beim Lesen etwas von sich selbst wiederfinden – „nämlich seine eigene Art und Weise, den Alltag unerträglich und das Triviale enorm zu machen“, wie es der Piper-Verlag ausdrückt. Aber auf die „Anleitung zum Unglücklichsein“ komme ich sicherlich später noch einmal zurück.

Hier eine Textpassage zum Thema selbsterfüllende Prophezeiungen, die ich sehr treffend finde. Es ist eigentlich schon verwunderlich, wie sehr wir uns durch Katastrophen beeindrucken lassen (nicht umsonst triefen Presseerzeugnisse für den Boulevard davon). Und noch erstaunlicher ist es, wie wir gern selbst in solche Katastrophen hineinschlittern, in Notlagen, die tatsächlich eigentlich keine sind. Man macht sich eben gern das Leben schwer.

Ihr Horoskop in der heutigen Zeitung warnt Sie (und ungefähr 300 Millionen andere, im selben Tierkreiszeichen Geborene) vor der Möglichkeit eines Unfalls. Tatsächlich passiert Ihnen etwas. Also hat es mit der Astrologie doch seine Bewandtnis.

Oder? Sind Sie sicher, daß Sie den Unfall auch dann gehabt hätten, wenn Sie das Horoskop nicht gelesen hätten? Oder wenn Sie wirklich überzeugt wären, daß die Astrologie krasser Unsinn ist? Nachträglich läßt sich das freilich nicht klären.

Vom Philosophen Karl Popper stammt die interessante Idee, daß – etwas laienhaft ausgedrückt – sich für Ödipus die schreckliche Prophezeiung des Orakels deswegen erfüllte, weil er von ihr wußte und ihr zu entgehen versuchte. Gerade aber das, was er zur Vermeidung tat, führte zur Erfüllung des Orakelspruches.

Delphi (Orakel)

Hier hätten wir es also mit einer … Wirkung der Vermeidung zu tun, nämlich ihrer Fähigkeit, unter Umständen das herbeizuführen, was vermieden werden soll. Und was für Umstände sind das? Erstens eine Voraussage im weitesten Sinne, also jede Erwartung, Besorgnis, Überzeugung oder ganz einfach ein Verdacht, daß die Dinge so und nicht anders verlaufen werden. Damit soll außerdem gesagt sein, daß die betreffende Erwartung entweder von außen, etwa durch andere Menschen, oder durch irgendwelche innere Überzeugungen ausgelöst werden kann. Zweitens muß die Erwartung nicht als reine Erwartung, sondern als bevorstehende Tatsache gesehen werden, zu deren Vermeidung sofortige Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Drittens ist die Annahme um so überzeugender, je mehr Menschen sie teilen, oder je weniger sie anderen, vom Lauf der Dinge bereits bewiesenen Annahmen widerspricht.

So genügt zum Beispiel die Annahme – ob sie faktisch begründet oder grundlos ist, spielt keine Rolle -, daß die anderen über einen tuscheln und sich heimlich lustig machen. Angesichts dieser „Tatsache“ legt es der gesunde Menschenverstand nahe, den Mitmenschen nicht zu trauen und, da das Ganze natürlich unter einem löchrigen Schleier der Verheimlichung geschieht, genau aufzupassen und auch die kleinsten Indizien in Betracht zu ziehen. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis man die anderen beim Tuscheln und heimlichen Lachen, beim konspiratorischen Augenzwickern und gegenseitigen Zunicken ertappen kann. Die Prophezeiung hat sich erfüllt.

Allerdings funktioniert dieser Mechanismus nur dann wirklich klaglos, wenn Sie sich Ihres eigenen Beitrags dazu nicht Rechenschaft ablegen. Wie Sie aber … gelernt haben sollten, ist das nicht zu schwierig. Und außerdem, wenn die Sache einmal eine Zeitlang läuft, ist es ohnedies nicht mehr feststellbar und auch gar nicht wesentlich, was zuerst kam: Ihr für die anderen lächerlich mißtrauisches Gehabe, oder das Gehabe der anderen, das Sie mißtrauisch macht.

Selbsterfüllende Prophezeiungen haben einen geradezu magischen, „wirklichkeits“-schaffenden Effekt … .Und sie haben ihren Stammplatz nicht nur im Repertoire jedes Unglücklichkeitsaspiranten, sondern auch im größeren gesellschaftlichen Rahmen. … Je mehr Stopzeichen die Polizei aufstellt, desto mehre Fahrer werden zu Verkehrssündern, was die Aufstellung weiterer Stopzeichen „notwendig“ macht. Je mehr eine Nation sich vom Nachbarn bedroht fühlt, desto mehr wird sie sich zu ihrer Verteidigung rüsten, und desto mehr wird die Nachbarnation ihre eigene Aufrüstung für das Gebot der Stunde halten. Der Ausbruch des (längst erwarteten) Krieges ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Je höher die Steuersätze eines Landes hinaufgeschraubt werden, um die Hinterziehungen der natürlich für unehrlich gehaltenen Steuerzahler zu kompensieren, desto mehr werden auch ehrliche Bürger zum Schwindeln veranlaßt. Jede von einer genügend großen Zahl von Menschen geglaubte Prophezeiung der bevorstehenden Verknappung oder Verteuerung einer Ware, wird (ob die Voraussage „faktisch“ richtig ist oder nicht) zu Hamsterkäufen und damit zur Verknappung oder Verteuerung der Ware führen.

Die Prophezeiung des Ereignisses führt zum Ereignis der Prophezeiung. Voraussetzung ist nur, daß man sich selbst etwas prophezeit oder prophezeien läßt, und daß man es für eine unabhängig von einem selbst bestehende oder unmittelbar bevorstehende Tatsache hält. Auf diese Weise kommt man genau dort an, wo man nicht ankommen wollte.

aus: Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein (Lizenzausgabe 1983 – S. 47-61)

Sofies Welt: Spinoza

In Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie kommen wir zum niederländischen Philosophen Baruch Spinoza (* 24. November 1632 in Amsterdam; † 21. Februar 1677 in Den Haag). Er wird dem Rationalismus zugeordnet und gilt als einer der Begründer der modernen Bibelkritik.

Baruch Spinoza

Hier wieder die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch zu Baruch Spinoza:

Descartes hatte … sehr großen Einfluß. Am allerwichtigsten war vielleicht seine Bedeutung für einen anderen großen Philosophen. Ich denke an den niederländischen Philosophen Baruch Spinoza, der von 1632 bis 1677 lebte.

Spinoza gehörte zur jüdischen Gemeinde in Amsterdam, aber bald wurde wegen seiner angeblichen Irrlehren der Bannfluch über ihn verhängt. Wenige Philosophen neuerer Zeit sind wegen ihrer Gedanken dermaßen verspottet und verfolgt worden wie dieser Mann. … er meinte, nur erstarrte Dogmen und leere Rituale hielten Christentum und Judentum noch am Leben. Er selbst wandte als erster eine sogenannte ‚historisch-kritische’ Betrachtungsweise auf die Bibel an.

Er stritt ab, daß die Bibel bis in den kleinsten Buchstaben von Gott inspiriert sei. Wenn wir in der Bibel lesen, meinte er, müssen wir die Zeit im Auge behalten, wann sie entstanden ist.

grundlegend für Spinozas Philosophie ist der Wunsch, die Dinge unter dem ‚Gesichtspunkt der Ewigkeit’ zu betrachten.

Spinoza hat nicht nur gesagt, daß alles, was existiert, Natur ist. Er setzte auch ein Gleichheitszeichen zwischen Gott und der Natur. Er sah Gott in allem, was existiert, und alles, was existiert, in Gott.

er war Pantheist.

Für Spinoza ist Gott niemand, der die Welt einmal erschaffen hat und seitdem neben seiner Schöpfung steht. Nein, Gott ist die Welt. Manchmal drückt er sich auch ein wenig anders aus. Er betont, daß die Welt in Gott ist. … Sein wichtigstes Werk heißt: ‚Die Ethik mit geometrischer Methode begründet’.

Wenn Spinoza das Wort Ethik benutzt, dann könnte es ebensogut mit Lebenskunst oder Moral übersetzt werden.

Die geometrische Methode bezieht sich auf die Sprache oder Darstellungsform. … Spinoza steht in derselben rationalistischen Tradition [wie Descartes]. In seiner Ethik wollte er zeigen, wie das Menschenleben von den Naturgesetzen gelenkt wird. Wir müssen uns deshalb von unseren Gefühlen und Empfindungen befreien, denn nur so können wir Ruhe finden und glücklich werden, meinte er.

Spinoza nahm diese Trennung [zwischen Denken und Ausdehnung (siehe Descartes)] nicht hin. Er meinte, es gebe nur eine einzige Substanz. Alles, was ist, läßt sich auf ein und dasselbe zurückführen, meinte er. Und dieses Eine bezeichnete er einfach als Substanz. An anderen Stellen nennt er es ‚Gott’ oder ‚Natur’. … Wir bezeichnen ihn als Monisten.

Unter Substanz, Gott oder Natur versteht er alles, was existiert, auch das, was aus Geist besteht.

Spinoza zufolge kennen wir Menschen zwei von Gottes Eigenschaften oder Erscheinungsformen. Spinoza bezeichnet diese Eigenschaften als Gottes Attribute, und diese beiden Attribute sind eben gerade Descartes’ Denken und Ausdehnung. Gott – oder die Natur – erscheint also entweder als Denken oder als etwas im Raum. Nun ist es ja möglich, daß Gott noch unendlich viele andere Eigenschaften außer Denken und Ausdehnung hat, aber die Menschen kennen nur diese beiden Attribute.

Die einzelnen Phänomene, auf die wir in unserem täglichen Leben stoßen … sind unterschiedliche Modi der Attribute Denken und Ausdehnung. Unter einem Modus … verstehen wir also eine bestimmte Art, in der die Substanz, Gott oder die Natur sich äußern. Eine Blume ist ein Modus des Attributes Ausdehnung, und ein Gedicht über dieselbe Blume ein Modus des Attributes Denken. Aber im Grunde sind beide Ausdruck für ein und dasselbe: Substanz, Gott oder Natur.

Spinoza meinte …, daß alle physischen Dinge, die uns umgeben oder sich um uns herum abspielen, Gott oder die Natur zum Ausdruck bringen. Das gilt auch für alle Gedanken, die gedacht werden. Auf diese Weise sind auch alle Gedanken, die gedacht werden, die Gedanken von Gott oder der Natur. Denn alles ist eins. Es gibt nur einen Gott, eine Natur oder eine Substanz.

Spinoza hielt Gott – oder die Naturgesetze – für die innere Ursache von allem, was geschieht. Er ist keine äußere Ursache, denn Gott äußert sich durch die Naturgesetze und nur durch sie.

Spinoza hatte ein deterministisches Bild des Naturlebens.

Politische Verhältnisse zum Beispiel können uns in unserer Entwicklung und unserem persönlichen Wachstum behindern. Ein äußerer Zwang kann uns hemmen. Nur wenn wir frei die in uns liegenden Möglichkeiten entwickeln können, leben wir als freie Menschen. Aber trotzdem werden wir … von inneren Anlagen und äußeren Voraussetzungen geleitet.

Spinoza betont, daß nur ein einziges Wesen voll und ganz ‚Ursache seiner selbst’ ist und in voller Freiheit handeln kann. Nur Gott oder die Natur stellen diese freie und ‚unzufällige’ Entfaltung dar. Ein Mensch kann nach einer Freiheit streben, um ohne äußeren Zwang leben zu können. Aber er wird niemals ‚freien Willen’ erlangen. Wir bestimmen nicht alles, was mit unserem Körper passiert, selber – denn unser Körper ist ein Modus des Attributes Ausdehnung.

Spinaoza meinte, daß die menschlichen Leidenschaften – zum Beispiel Ehrgeiz und Begehren – uns daran hindern, wahres Glück und Harmonie zu erlangen. Aber wenn wir erkennen, daß alles aus Notwendigkeit geschieht, dann können wir ein intuitives Erkennen der Natur als Ganzheit erlangen. … Unser Ziel ist, alles, was exisitert, in einem gesammelten Überblick zu erfassen. Spinoza bezeichnete das als: alles sub specie aeternitatis sehen. … Alles unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu sehen.

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 291-300 – Carl Hanser Verlag 1995

Wenn der Amtsschimmel wiehert

Wer kennt es nicht, diese Schreiben vom Amt, die dermaßen verklausuliert sind, dass es meist nicht reicht, sie zwei-, dreimal zu lesen, um sie zu verstehen. Es geht um Amtsdeutsch, das Deutsch der Beamten, wie diese sich als Verwaltungssprache in den Amtsstuben deutscher Behörden eingenistet hat. Sie ist gewissermaßen ein Ableger der Rechtssprache, in der unsere Gesetze gehalten sind, die ohne das nötige Hintergrundwissen selbst Juristen nicht verstehen würden.

Kennzeichnend für das Amtsdeutsche sind die Anhäufung von Substantiven und die Substantivierung und Adjektivierung von Verben: Es wird „zur Anzeige gebracht“ statt angezeigt und es gibt jede Menge Durchführung, Vornahme (nein, nicht der Vorname, die Vornahme) und Tätigkeit. Besonders gefragt sind Substantivketten („Antrag auf Aufhebung des Bescheides des Ordnungsamtes über die Beseitigung …“) und mehrgliedrige Substantive („Leistungsnachweiserbringungspflicht“). Des Weiteren muss man sich mit formelhaften Umstandsbestimmungen („zwecks Nachlassgewährung“, „unter Hintansetzung meiner Bedenken“), komplexen Adjektivbildungen („kindergeldrechtliche Berücksichtigung“) und häufige Passivbildungen („Es wird hier anerkannt“, „Um Rückantwort wird gebeten“) herumschlagen.

Ganz besonders nett sind allerdings Begriffe, Eigengeschöpfe der Amtssprache, die zwar dahin tendieren, etwas möglichst genau zu beschreiben, meistens aber überflüssig sind, weil es dafür umgangssprachlich weitaus verständlichere Wörter, also gängige Alltagsbegriffe, gibt. Hier nur einige Beispiele:

Ein Kind, das zur Schule geht, wird „beschult“
„Fahrtrichtungsanzeiger“ für Blinker
„Postwertzeichen“ anstelle von „Briefmarke“
„Raumübergreifendes Großgrün“ anstelle von Baum

Nun gibt es bei der Uni Bochum ein Team von Sprachexperten, die zusammen mit den Mitarbeitern der Verwaltungen schwierige Begriffe übersetzen, komplizierte Passagen umformulieren und ganze Texte verständlicher, freundlicher und geschlechtergerecht machen wollen. Ihre Ergebnisse sammeln sie in einem lernenden Online-Wörterbuch, so dass alle Projektteilnehmer auch von der Arbeit der anderen profitieren können. So lohnt sich die Arbeit doppelt, denn viele Textmodule sind gleich oder ähnlich in vielen Verwaltungen: IDEMA (Internet-Dienst für eine moderne Amtssprache)verständlicher, freundlicher, gerechter

siehe hierzu ein Video bei zdf.de: Amtsdeutsch auf dem Prüfstand

und einige weitere interessante Links:

Rotkäppchen auf Amtsdeutsch
Verstehen Sie Beamtendeutsch? – der Test bei stern.de
Mir ist es immerhin gelungen, 15 von 20 Fragen richtig zu beantwortet. Danach bin ich ein Behörden-Kenner: „Sie durchschauen verquaste Formulierungen. Bei einigen Begriffen wissen Sie jedoch auch nicht weiter“.

Siehe hierzu auch meine Beiträge:
Von Archaismen und NeologismenWas ist ein Jackpot?

Jean-Paul Sartre: Der Ekel

Jean-Paul Sartre, den Begründer des Existentialismus, habe ich bereits kurz vorgestellt. Seinen Roman „Der Ekel“ (französisch: La nausée), der 1938 erschienen war und als Hauptroman des Existentialismus gilt, hatte ich bereits 1979 zum ersten Mal gelesen. Da ich dieses Jahr meinen Urlaub hauptsächlich zu Hause verbringe, und die zz. herrschende Wärme nicht dazu angetan ist, größere Ausflüge zu machen, so habe ich mir einige Bücher herausgesucht, die ich einmal erneut lesen möchte. So auch Sartres „Der Ekel“.

Der Roman ist als Tagebuch verfasst, der Autor ein gewisser Antoine Roquentin, der sich nach längeren Reisen in einer Stadt am Meer namens Bouville niedergelassen hat, um an einem historischen Buch über den Diplomaten Rollebon zu schreiben.

Roquentin lebt allein und hat nur wenige Kontakte zu anderen Menschen in der Stadt. Ihn überkommt ein Ekel, den er eher in den Dingen selbst spürt, und dessen Ursache die Sinnlosigkeit und Zufälligkeit seiner Existenz ist:

Solange man lebt, passiert nichts. Die Szenerie wechselt, Leute kommen und gehen, das ist alles. Nie gibt es einen Beginn, Tag schließt sich an Tag, ohne Sinn und Verstand, eine unaufhörliche und langweilige Addition. Von Zeit zu Zeit zieht man Bilanz: man sagt sich, jetzt bin ich seit drei Jahren auf Reisen, jetzt lebe ich seit drei Jahren in Bouville. Aber ein Ende gibt es ebenso wenig: nie verläßt man endgültig eine Frau, einen Freund, eine Stadt. Und alles ist sich so ähnlich – Shanghai, Moskau, Algier. Nach zwei Wochen ist alles gleich. Bisweilen, aber selten, merkt man auf, wird man sich bewußt, daß man mit einer Frau geschlafen, sich in eine dunkle Sache eingelassen hat. Blitzartig. Und dann beginnt wieder das alte Lied, die Addition von Stunden und Tagen nimmt ihren Fortgang – …

Das heißt leben. Erzählt man aber das Leben, dann ist alles anders, nur bemerkt es keiner. Beweis: man erzählt wahre Geschichten. Als ob es wahre Geschichten geben könnte! Die Ereignisse geschehen in einer bestimmten Reihenfolge, und wir erzählen sie gerade erst. Wir geben uns den Anschein, mit dem Beginn anzufangen: „Es war ein schöner Abend im Herbst 1922. Ich war Bürovorsteher bei dem Notar in Marommes.“ In Wahrheit hat man beim Ende angefangen. Es ist das Ende, unsichtbar und doch gegenwärtig, das diesen wenigen Worten Auftrieb und Wert eines Anfangs beigibt.

(S. 46 f.)

Plötzlich erkennt Roquentin, dass das Schreiben an dem Buch über Rollebon die bisher einzige Rechtfertigung für seine Existenz darstellt:

Herr de Rollebon war mein Partner. Er brauchte mich, um zu sein, und ich brauchte ihn, um mein Sein nicht zu fühlen. Ich lieferte den Rohstoff, von dem ich übergenug hatte und mit dem ich nichts anfangen konnte: die Existenz, meine Existenz. Seine Aufgabe war es, zu repräsentieren. Er stellte sich vor mich hin, ergriff mein Leben, um mir dafür das seinige zu präsentieren. Ich fühlte meine eigene Existenz nicht mehr, in mir selbst existierte ich nicht mehr – nur noch in ihm; für ihn atmete, für ihn aß ich, jede meiner Bewegungen hatte nur noch einen nach außen gerichteten Sinn, war nur noch auf mein Gegenüber, auf ihn abgestimmt. Ich sah meine Hand nicht mehr, die Buchstaben aufs Papier schrieb, nicht einmal mehr den Satz, den ich geschrieben hatte – aber dahinter, hinter dem Stoß Papier, sah ich den Marquis, der diese Geste gefordert und dessen Geste die Existenz verlängert und gefestigt hatte. Ich war nur ein Mittel, ihn am Leben zu erhalten, er war meine Daseinsberechtigung, er hatte mich von mir selbst befreit: Was soll ich jetzt tun?

Vor allem: keine Bewegung, keine Bewegung … Ach! Dieses Zucken mit den Schultern, ich habe es nicht hindern können … Das wartende Ding ist munter geworden, ist auf mich zugekommen, dringt ein in mich, erfüllt mich. Es ist nichts: diese Ding bin ich. Die befreite, entfesselte Existenz fließt in mich zurück. Ich existiere.

(S. 106)

In Abwandlung von Descartes’ „Cogito ergo sum“ („Ich denke also bin ich“) heißt es bei Sartre:

Ich existiere, denn ich denke …

(S. 108)

Sofies Welt: Descartes

Nachdem ich bereits Sartre abgehandelt habe, möchte ich doch zurückkehren und lande so bei Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie beim französischen Philosophen René Descartes.

Mit Descartes beginnt die Philosophie der Neuzeit. Wichtige Punkte seiner Arbeit sind dabei
– eine Erkenntnistheorie, die nur das als richtig akzeptiert, was durch die eigene schrittweise Analyse und logische Reflexion als plausibel verifiziert wird,
– eine Ethik, gemäß der das Individuum sich im Sinne bewährter gesellschaftlicher Konventionen pflichtbewusst und moralisch zu verhalten hat,
– eine Metaphysik, die zwar (durch logischen Beweis) die Existenz eines vollkommenen Schöpfer-Gottes annimmt, aber kirchenartigen Institutionen wenig Raum lässt,
– eine Physik, die die Natur als durch zwar gottgegebene, aber allgemein gültige Gesetze geregelt betrachtet (Wunder also ausschließt) und dem Menschen ihre rationale Erklärung und damit letztlich ihre Beherrschung zur Aufgabe macht.

René Descartes

Hier die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch, die ein ziemlich klares Bild von Descartes’ Philosophiesystem vermitteln:

René Descartes wurde 1596 geboren und reiste zeitlebens viel in Europa hin und her. Schon als junger Mann verspürte er den heißen Wunsch, Einsicht in die Natur von Mensch und Universum zu erlangen. Aber nachdem er Philosophie studiert hatte, wurde ihm vor allem seine eigene Unwissenheit bewußt.

Wie Sokrates war er … überzeugt davon, daß uns sichere Erkenntnis nur die Vernunft geben kann. … Wir können nicht … dem vertrauen, was unsere Sinne uns erzählen.

Von Sokrates und Platon führt eine direkte Linie über Augustinus bis zu Descartes. Allesamt waren sie ausgeprägte Rationalisten. Sie hielten die Vernunft für die einzigste sichere Quelle der Erkenntnis.

Ohne Übertreibung können wir sagen, daß Descartes der Begründer der Philosophie der neueren Zeit war. Nach der berauschenden Neuentdeckung von Mensch und Natur in der Renaissance entstand abermals das Bedürfnis, die zeitgenössischen Gedanken in einem einzigen zusammenhängenden philosophischen System zu vereinen. Der erste große Systembauer war Descartes, und ihm folgten Spinoza und Leibniz, Locke und Berkeley, Hume und Kant.

im 17. Jahrhundert versuchte die Philosophie wieder, die neuen Gedanken in ein philosophisches System zu bringen. Der erste, der diesen Versuch machte, war Descartes. Er gab den Startschuß zu dem, was für die folgenden Generationen zum wichtigsten philosophischen Projekt werden sollte. Vor allem beschäftigte ihn das, was wir wissen können, also die Frage nach der Sicherheit unserer Erkenntnis. Die zweite große Frage, die ihm am Herzen lag, war das Verhältnis zwischen Körper und Seele.

Bei der Frage, wie wir sicheres Wissen erlangen können, brachten viele ihren totalen philosophischen Skeptizismus zum Ausdruck. … zu Lebzeiten von Descartes hatte die neue Naturwissenschaft eine Methode entwickelt, die eine ganz sichere und exakte Beschreibung der Naturprozesse liefern sollte. Descartes mußte sich fragen, ob es nicht eine ebenso sichere und exakte Methode für die philosophische Reflexion gab.

Immer mehr Menschen sprachen sich für ein materialistisches Naturverständnis aus. Aber je mechanistischer die physische Welt aufgefaßt wurde, desto dringlicher wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Seele.

Descartes erklärt, daß wir nichts als wahr betrachten dürfen, solange wir nicht klar und deutlich erkannt haben, daß es wahr ist. Um das zu erreichen, müssen wir vielleicht ein kompliziertes Problem in so viele Einzelteile wie möglich zerlegen. … Descartes glaubte, der Philosoph könne vom Einfachen zum Komplizierten weitergehen. Auf diese Weise könne eine neue Erkenntnis aufgebaut werden. Bis ganz zum Schluß müsse man dann durch ständiges Nachrechnen und Kontrollieren überprüfen, daß man nichts ausgelassen hat. Nur so könne man zu philosophischen Schlußfolgerungen kommen.

.. Descartes wollte die ‚mathematische Methode’ … auf die philosophische Reflexion anwenden. … Er wollte genau dasselbe Werkzeug anwenden, das wir bei der Arbeit mit Zahlen benutzen, nämlich der Vernunft. Denn nur die Vernunft kann uns sichere Erkenntnis vermitteln.

er stellt als erster klar, daß wir im Ausgangspunkt an allem zweifeln müssen.

Descartes fand es wichtig, altes Gedankengut über Bord zu werfen, ehe er mit seiner eigenen philosophischen Untersuchung begann.

Aber Descartes’ Zweifel reichen noch tiefer. Wir können nicht einmal dem vertrauen, was unsere Sinne uns erzählen, meinte er. Vielleicht werden wir von ihnen zum Narren gehalten.

Er ist zu der Erkenntnis gekommen, daß er alles anzweifeln, und daß das einzige ist, dessen er sich ganz sicher sein kann. … Aber wenn er zweifelt, muß auch feststehen, daß er denkt, und wenn er denkt, dann muß feststehen, daß er ein denkendes Wesen ist. Oder, wie er selber sagt: ‚Cogito, ergo sum.’ Ich denke, also bin ich.

er versteht zugleich, daß dieses denkende Ich wirklicher ist, als die physische Welt, die wir mit den Sinnen wahrnehmen. … Er erkennt, daß er auch eine klare und deutliche Vorstellung eines vollkommenen Wesens hat … Die Vorstellung eines vollkommenen Wesens kann nicht von etwas herstammen, das selbst unvollkommen ist. … Also muß die Vorstellung eines vollkommenen Wesens von diesem vollkommenen Wesen selber herstammen – mit anderen Worten: von Gott.

.. ein vollkommenes Wesen wäre nicht vollkommen, wenn es nicht existierte. Außerdem hätten wir keine Vorstellung von einem vollkommenen Wesen, wenn es kein solches Wesen gäbe. Denn wir sind unvollkommen, und deshalb kann die Idee des Vollkommenen nicht von uns stammen.

Descartes sah wie Sokrates und Platon einen Zusammenhang zwischen Denken und Existenz. Je einleuchtender etwas für das Denken ist, um so sicherer ist auch seine Existenz.

auch die äußere Wirklichkeit hat einige Eigenschaften, die wir mit der Vernunft erkennen können. Und zwar die mathematischen Verhältnisse, also das, was gemessen werden kann, nämlich Länge, Breite und Tiefe. Diese quantitativen Eigenschaften sind für die Vernunft ebenso deutlich wie die Tatsache, daß ich ein denkendes Wesen bin. Qualitative Eigenschaften wie Farbe, Geruch und Geschmack hängen dagegen mit unserem Sinnesapparat zusammen und beschreiben eigentlich keine äußere Wirklichkeit.

zwischen der äußeren Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Gedanken besteht ein Wesensunterschied. Descartes kann jetzt davon ausgehen, daß es zwei verschiedene Formen der Wirklichkeit gibt – oder zwei Substanzen. Die eine Substanz ist das Denken oder die Seele, die andere die Ausdehnung oder die Materie. Die Seele ist nur bewußt, sie nimmt im Raum keinen Platz ein, und deshalb läßt sie sich auch nicht mehr in kleinere Teile aufteilen. Die Materie dagegen ist nur ausgedehnt, sie nimmt Platz im Raum ein und läßt sich deshalb in immer kleinere Teile zerteilen – aber sie ist nicht bewußt.

Wie bezeichnen Descartes als Dualisten, und das bedeutet, daß er eine scharfe Trennlinie zwischen der geistigen und der räumlichen Wirklichkeit zieht.

Descartes kam zu dem Schluß, daß der Mensch ein Doppelwesen ist, das sowohl denkt als auch Raum einnimmt. Der Mensch hat demnach also eine Seele und einen räumlichen Körper.

Nicht einmal Descartes konnte abstreiten, daß es immer wieder zu einer Wechselwirkung zwischen Seele und Körper kommt. Solange die Seele im Körper sitzt, meinte er, sei sie mit dem Körper durch ein ganz spezielles Gehirnorgan, eine Drüse, verbunden, in der eine dauernde Wechselwirkung zwischen Geist und Materie stattfinde. Auf diese Weise kann Descartes zufolge die Seele dauernd von Gefühlen und Empfindungen verwirrt werden, die mit den Bedürfnissen der Körpers zu tun haben. Das Ziel ist, der Seele die Leitung zu übertragen.

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 275-285 – Carl Hanser Verlag 1995

WilliZ kleines Philosophie-Modell

Während es anscheinend schon beim wortwörtlichen Begriff keine klare Definition für Religion (lat. für Gottesfurcht, Frömmigkeit, aber auch Rücksicht, Skrupel, Aberglaube usw.) gibt, so ist Philosophie aus dem Altgriechischen immerhin mit Liebe zur Weisheit zu übersetzen. Beide beschäftigen sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens. Philosophie und Religion schließen sich dabei bis heute nicht aus. Während in der Religion das Transzendente (Überstreiten von Grenzen, also z.B. vom irdischen ins himmlische Leben) eine wesentliche Rolle spielt, so ist die heutige Philosophie eher erdverbunden, also auf die menschliche Existenz auf Erden bezogen.

Ich habe mich im Laufe meines Lebens immer wieder mit Religion und Philosophie beschäftigt. Irgendwie tut das wohl jeder Mensch, der sich die Frage aller Fragen, eben die nach dem Sinn des Lebens, stellt (nicht nur Monty Python).

Mit Religion, hier der christlichen Religion, wurde ich von Kindesbeinen an durch meine Eltern konfrontiert (ich berichtete bereits ausführlicher darüber: Salvation à la mode). Ich wurde quasi zum Christentum zwangsrekrutiert. Später beschäftigte ich mich auch mit anderen Religionen, vor allem dem Buddhismus. Dieser interessiert mich auch heute noch, wenn ich in ihm auch eher ein philosophisches System erkenne. Dazu später mehr.

In religiöser Hinsicht bin ich im Wesentlichen ein Agnostiker. Wie Kretakatze andeutete, ist Gott keine physikalische Größe, also nicht messbar oder wahrnehmbar. Ich bewundere Menschen, die anscheinend einen sechsten oder siebten Sinn haben, den ich die Fähigkeit zum Gotteserlebnis nennen möchte. Ich habe nie ein solches Gotteserlebnis gehabt und kann also nicht sagen, ‚Gott erlebt’ zu haben. Ich schließe die Existenz Gottes dabei nicht gänzlich aus. Dafür habe ich einen anderen Gedankenansatz gefunden. Irgendwo an gleicher Stelle definiert Kretakatze das Leben mit Materie + Energie + Gott. Für mich ist Gott bezogen auf das einzelne menschliche Individuum als etwas wie Atman (das Selbst, die unzerstörbare, ewige Essenz des Geistes, auch Seele übersetzt) zu verstehen. Womit ich auch schon fast beim Buddhismus bin. Buddha (eigentlich Siddhartha Gautama) selbst verneinte Atman, also die Seele als individuelle und konstante Einheit, weil sie in beständigem Werden, Wandel und Vergehen begriffen ist, was ich nur unterstützen kann. Ohne zu sehr auf fernöstliche Religionen einzugehen, so will ich wenigstens noch einen Begriff einführen: Brahman. Damit wird gewissermaßen eine kosmische Weltenseele bezeichnet, in die Atman, also die Einzelseele, zurückfließt, wenn der Mensch stirbt. Anders ausgedrückt: So wie die Summe der Energie konstant bleibt, so bleibt auch die Summe der geistigen Essenz (Gott oder wie immer man es benennen will) gleich.

Willi 'Mahatma'

Vielleicht ist es etwas wie Anmaßung, wenn ich dem Menschen eine Seele zuspreche. Aber an so etwas wie an einen ‚göttlichen Funken’ vermag ich schon zu glauben, wenn auch nur wenige, wie es scheint, damit ‚gesegnet’ sind. An der Formel „Leben = Materie + Energie + Gott (sprich: geistige Essenz)“, bezogen auf den Menschen (bei Tieren, und noch weniger bei Pflanzen, bin ich mir nicht so sicher, das mag aber auch für mich dahingestellt sein), könnte ich also Gefallen finden.

Komme ich noch auf einen wesentlichen Aspekt fernöstlicher Religionen, auch des Buddhismus, zu sprechen: die Wiedergeburt. An eine Wiedergeburt, wie es sich wohl die meisten vorstellen, vermag ich nicht zu glauben. Trotzdem beziehe ich diese in mein bescheidenes Modell mit ein.

Somit sind wir jetzt auch schon mitten bei dem, was ich für mich als philosophisch-religiöses Gedankengebäude errichtet habe. Oft spricht man vom Schlaf als den kleinen Bruder des Todes. Und so wie ich aus dem Schlaf erwache, beginnt für mich, wenn man so will, mit jedem Tag ein neues Leben. Zumindest versuche ich es so zu ‚erleben’. Jeden Tag werde ich also (wenn auch nicht im religiösen Sinne) ‚wiedergeboren’.

Ansonsten habe ich mir einige philosophische Ideen bei Sartre, mehr wohl noch bei Camus geklaut. Dazu habe ich ja schon einiges in meinem Blog zum Besten gegeben. Im Grunde halte ich das Leben wie die beiden (Sartre und Camus) für sinnlos. Es gibt keinen eigentlichen, allgemeingültigen Sinn des Lebens. Man muss sich und seinem Leben ‚selbst’ einen Sinn geben. Ähnlich dachte auch Buddha, der das Leben für leidvoll hielt. Man muss gegen diese allgemeine Sinnlosigkeit, gegen das Leid revoltieren. Diese Revolte ist ein tägliches sich Aufbäumen gegen die Absurdität des Lebens.

In Sofies Welt ist zu lesen:

Sartre weist gerade darauf hin, daß der Mensch niemals seine Verantwortung für das, was er tut, leugnen kann. Deshalb können wir unsere Verantwortung auch nicht vom Tisch fegen und behaupten, wir ‚müßten’ zur Arbeit oder ‚müßten’ uns nach gewissen bürgerlichen Erwartungen darüber, wie wir zu leben haben, richten …

aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 540 – Carl Hanser Verlag 1995

Sicherlich empfinden wir vieles als Zwang. Aber wir müssen uns klar werden, dass wir es sind, die sich diese Zwänge auferlegen. Wir sind verantwortlich für uns – und können eigentlich tun und lassen, was wir wollen. Natürlich gibt es kausale Zusammenhänge, die in Zwänge münden. Wenn ich z.B. behaupte, ich müsste zur Arbeit, dann ist das die Konsequenz, die ich ziehe, weil ich mich für eine Familie entschieden habe und für sie (und mich) zu sorgen habe.

Oft ist es auch so, dass scheinbare Zwänge nichts anderes sind, als der Weg des geringsten Widerstandes. Wenn ich mich nach „bürgerlichen Erwartungen richte“, dann doch nur, weil ich bestimmte Auseinandersetzung scheue. Es sei denn, ich akzeptiere die Rolle und erfülle die Erwartungen aus eigenem Willen.

Mein kleines Philosophie-Modell müht sich also um Praxis-Nähe. Gegen einen theoretischen Unterbau habe ich nichts einzuwenden, aber das ist dann eher wie Spiel, sich mit den verschiedensten philosophischen Modellen auseinander zu setzen. Wenn Sartre schreibt: „Die Existenz geht dem Wesen voraus“, so mag das die Quintessenz des Modells Existenzialismus sein. Was dahinter steckt, nämlich der Gedanke, dass dem Menschen einzig sein nacktes Dasein vorgegeben ist; er dann aber selbst erfinden muss, was ihn am Ende ausmacht – so ist das vielleicht nicht so prägnant, aber verständlicher (aber jeder ‚echte’ Philosoph sucht nach der ‚Formel’, der kürzesten Beschreibung seines Modells wie z.B. Descartes und sein „Cogito ergo sum“).

Zusammenfassend und erläuternd: Jeder Tag gilt mir wie ein neues Leben. Das heißt nicht, dass ich in den Tag hineinlebe. Es gibt immer Dinge, die einer Planung bedürfen. Nur müssen wir wachsam sein und sollten nicht zu viel ‚verplanen’. Schnell vergisst man über zuviel Planung das eigentliche Leben. Der eigentliche Grundsatz meine Philosophie ist: Bewusst zu leben! Sich bewusst werden, was man eigentlich will! Sich auch hinterfragen, ob man mit dem, was man hat, ist und will, zufrieden sein kann. Und ich muss immer bereit sein, mich zu ‚entscheiden’. Gerade die heutigen Menschen lassen sich oft nur noch treiben, und schaffen es nicht, sich in bestimmten (entscheidenden!) Momenten zu entscheiden. Und: Manchmal muss man auch einmal nein sagen können.

Nur als Trost: Natürlich gelingt mir das auch nicht immer. Oft genug tue auch ich mir Zwang an.

Nun, das klingt alles fast banal, was ich da als eigenes Lebensmodell mit philosophischer Grundlage vorgelegt habe. Aber ich neige nun einmal nicht dazu, nach dem Sternen zu greifen. Das Naheliegende hilft uns manchmal mehr. So versuche ich in kleinen Schritten voran zu kommen. Jeden Tag aufs Neue. Und jeden Tag versuche ich, aus dem „göttlichen Funken“ ein kleines Feuer in mir zu entfachen. Das Leben ist ein Weg – und der Weg ist das Ziel!

Natürlich gibt es viele noch offene Fragen, Fragen der Moral, die Frage nach gut und böse usw. Diese muss sich jeder nach eigenem besten Wissen und Gewissen selbst beantworten. Man muss sich dabei u.a. fragen, ob man mit den Antworten leben kann (Gewissen). Und es gibt sicherlich Fragen (z.B. Gen- und Stammzellenforschung), für deren Beantwortung man ohne größeres Wissen nicht auskommt. Es ist sicherlich schon wichtig, überhaupt Fragen zu stellen (wie heißt es schon im Sesamstraßen-Lied: „… wer nicht fragt, bleibt dumm!“).