Frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr 2016 |
||
Alle Jahre wieder …: Allen Freunden, Bekannten, Verwandten und Besuchern meines Weblogs wünsche ich ein geruhsames Weihnachtsfest 2015 und einen gelungenen Start ins Neue Jahr 2016. Mögen die Geschenke zahlreich, besonders aber sinnvoll sein, die Weihnachtsgans nicht allzu fett und der Tannenbaum feuerfest. |
||
Wenn die Relegation ruft …
Werder Bremen steht zur Hälfte der Saison dort, wo die Mannschaft vor einem Jahr stand: auf dem Relegationsplatz 16. der Fußball-Bundesliga. Mit 15 Punkten allerdings zwei Punkte schlechter als Ende 2014. Immerhin ‚überwintern‘ die Bremer im DBF-Pokal, nachdem man in einem endlich auch einmal sehenswerten Spiel in Mönchengladbach mit 4:3 gewinnen konnte. Im Viertelfinale muss man dann aber am 9. Februar 2016 in Leverkusen gegen die Werkself von Bayer antreten. Losglück sieht anders aus.
Wer glaubte, Werder würde sich endlich ‚frei‘ spielen, muss sich getäuscht sehen. Zwar begann man am letzten Spieltag der Vorrunde in Frankfurt wie im Achtelfinale des DFB-Pokals und ging durch Pizarro in Führung. Aber am Ende gewannen die Frankfurter auch verdient mit 2:1 und konnten sich so die Bremer erst einmal vom Hals halten.
Es wird viel diskutiert: Ob Viktor Skripnik weiterhin noch der richtige Trainer ist (der Vergleich mit Lucien Fabre kommt nicht von ungefähr), ob nicht doch der eine oder andere Spieler in der Wintertransferphase an die Weser geholt werden sollte.
Bis zum 24.01.2016 ist erst einmal Verschnaufpause. Dann geht’s auf nach Schalke 04. Ob da ein Blumentopf zu gewinnen sein wird, ist äußerst fraglich. Es wird schwer werden …
Ian Anderson liest aus Sir Walter Scott: Marmion
Vor acht Jahren gab es hier einen Beitrag u.a. mit dem Titel „Weihnachtliches mit Onkel Ian“, in dem Ian Anderson von der Gruppe „Jethro Tull“ etwas der jetzigen Weihnachtszeit Gemäßes vortrug. Hier noch einmal aus gegebenen Anlass und weil ich es natürlich schön finde:
Apropos Weihnachten! Da habe ich doch auch etwas Nettes und komme so auch wieder auf unser eigentliches Thema zurück: Vielleicht kennt Ihr es ja bereits. Der Herr Anderson, wenn seine Singstimme auch nicht mehr das Wahre ist …, wenn er spricht, so finde ich die Stimme noch voll in Ordnung (wenn sie hier auch etwas kratzig klingt):
Es handelt sich hierbei um einen Radio-Beitrag zu einer Sendung namens „A Toss the Feathers Christmas Special 2004“ und wurde eben vor sechs Jahren über den amerikanischen Sender Public Radio International ausgestrahlt. Neben „Another Christmas Song“ und „Ring Out Solstice Bells” (am Ende) liest Ian Anderson aus Sir Walter Scott’s „Marmion“– Dichtung in sechs Gesängen (A Tale of Flodden Field in six Cantos) etwas Weihnachtliches vor:
INTRODUCTION TO CANTO SIXTH
Heap on more wood!-the wind is chill;
But let it whistle as it will,
We’ll keep our Christmas merry still.
Each age has deem’d the new-born year
The fittest time for festal cheer: 5
Even, heathen yet, the savage Dane
At Iol more deep the mead did drain;
High on the beach his galleys drew,
And feasted all his pirate crew;
Then in his low and pine-built hall, 10
Where shields and axes deck’d the wall,
They gorged upon the half-dress’d steer;
Caroused in seas of sable beer;
While round, in brutal jest, were thrown
The half-gnaw’d rib, and marrow-bone, 15
Or listen’d all, in grim delight,
While scalds yell’d out the joys of fight.
Then forth, in frenzy, would they hie,
While wildly-loose their red locks fly,
And dancing round the blazing pile, 20
They make such barbarous mirth the while,
As best might to the mind recall
The boisterous joys of Odin’s hall.
And well our Christian sires of old
Loved when the year its course had roll’d, 25
And brought blithe Christmas back again,
With all his hospitable train.
Domestic and religious rite
Gave honour to the holy night;
On Christmas eve the bells were rung; 30
On Christmas eve the mass was sung:
That only night in all the year,
Saw the stoled priest the chalice rear.
The damsel donn’d her kirtle sheen;
The hall was dress’d with holly green; 35
Forth to the wood did merry-men go,
To gather in the mistletoe.
Then open’d wide the Baron’s hall
To vassal, tenant, serf, and all;
Power laid his rod of rule aside, 40
And Ceremony doff’d his pride.
The heir, with roses in his shoes,
That night might village partner choose;
The Lord, underogating, share
The vulgar game of ‘post and pair.’ 45
All hail’d, with uncontroll’d delight,
And general voice, the happy night,
That to the cottage, as the crown,
Brought tidings of salvation down.
The fire, with well-dried logs supplied, 50
Went roaring up the chimney wide:
The huge hall-table’s oaken face,
Scrubb’d till it shone, the day to grace,
Bore then upon its massive board
No mark to part the squire and lord. 55
Then was brought in the lusty brawn,
By old blue-coated serving-man;
Then the grim boar’s head frown’d on high,
Crested with bays and rosemary.
Well can the green-garb’d ranger tell, 60
How, when, and where, the monster fell;
What dogs before his death he tore,
And all the baiting of the boar.
The wassel round, in good brown bowls,
Garnish’d with ribbons, blithely trowls. 65
There the huge sirloin reek’d; hard by
Plum-porridge stood, and Christmas pie:
Nor fail’d old Scotland to produce,
At such high tide, her savoury goose.
Then came the merry maskers in, 70
And carols roar’d with blithesome din;
If unmelodious was the song,
It was a hearty note, and strong.
Who lists may in their mumming see
Traces of ancient mystery; 75
White shirts supplied the masquerade,
And smutted cheeks the visors made;
But, O! what maskers, richly dight,
Can boast of bosoms half so light!
England was merry England, when 80
Old Christmas brought his sports again.
‘Twas Christmas broach’d the mightiest ale;
‘Twas Christmas told the merriest tale;
A Christmas gambol oft could cheer
The poor man’s heart through half the year. 85
Eine deutsche Übersetzung habe ich leider bisher nicht gefunden (wahrscheinlich gibt es auch keine), so dürft Ihr Euch selbst mit dem Schottischen herumschlagen (leider spricht Ian Anderson alles mehr oder weniger englisch aus. Schade eigentlich … Oder er kann nicht richtig schottisch).
Weihnachten mit Willi und überhaupt
Nun, min Deerns un Jungs, is ja wieder mal soweit: Weihnachten steht vor der Tür. Aber kein Walhalla-Marsch … Wir lassen das Fest auch so hinein. Soll ja nicht draußen erfrieren.
Weihnachten ist nun einmal viel, viel Arbeit. Muddern huckt in der Küche und backt fleißig Kekse, damit alle was zum Spachteln haben. Und Opa sägt den letzten Tannenbaum im Garten um, soll ja inner guten Stube den Weihnachtsbaum machen, mit Engeln dran, Lametta und so … und natürlich viele Kerzen. Und Vaddern muss noch kräftig arbeiten, damit das Weihnachtsgeld stimmt für die vielen Geschenke, die es zu kaufen gibt.
Und die Kinners machen jetzt schon große Augen, die voller Erwartung sind und da der Dinge harren, die auf den Gabentisch kommen. Soll ja was Ordentliches sein. Und Gustav, die Weihnachtsgans, guckt ganz trübe, als wisse sie, dass sie bald mit Äpfeln gefüllt in den Ofen wandert. Dann plötzlich ist soweit: Der Weihnachtsmann klopft anner Tür: Ho, ho. ho … und so. Und die Kinners, sonst so frech, machen auf schüchtern, so als könne sie kein Elb-Wässerchen trüben. Vielleicht schneit es ja auch mal wieder, wäre nicht schlecht. Schon sagen die Kinners ein Gedicht auf: Lieber, guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an … und all den Kram. Und der Weihnachtsmann fuchtelt mit der Rute herum: Wart ihr auch immer alle brav? Na klar doch … Und dann gibt ’s Geschenke … Jede Menge … Vaddern ist ja kein zauseliger Knauser, der sich lumpen lässt. Alles vom Feinsten. Und zuletzt, wenn der Weihnachtsmann längst bei den Nachbarskinnern ist, wird die Gans aufgefahren. Bischen fett … was soll’s! Vaddern und Opa trinken zur Verdauung nen ordentlichen Köm. Und um zwölwe ist dann Sendeschluss und alles geht ab in die Daunen. Und das war ’s dann auch schon fast wieder. Ja, das ist so was … mit Weihnachten bei uns! Oder wie wir sagen: Wiehnachten! |
Wenn ’s auf Weihnachten zugeht …
Es ist unverkennbar: Es geht langsam, aber sicher auf Weihnachten zu. Viele Häuser und Läden sind weihnachtlich geschmückt. Und mancher Mensch wird zunehmend rührselig. Für mich gibt es dazu bisher keinen Grund. Zwar setzt bei mir auf der Arbeit wieder jenes Dezemberfieber ein – Haushälter in öffentlichen Verwaltungen werden wissen, wovon ich spreche -, das unzweifelhaft andeutet, dass es dem Jahresende entgegen geht und die verbliebenen Haushaltsmittel unbedingt ausgegeben werden müssen. Aber viel hat das mit Weihnachten nicht zu tun. Und das Wetter ist auch noch alles andere als weihnachtlich.
Dabei bedeutet mir Weihnachten durchaus einiges, ohne sentimental zu werden. Wer Kinder hat, wird vielleicht den Grund erraten, weshalb ich Weihnachten für eine schöne Zeit halte. Natürlich mag ich auch nicht den ganzen Rummel, diesen Konsumterror – und diesen scheußlichen Kitsch. Vielleicht ist es gar nicht einmal Weihnachten als solches, sondern die winterliche Zeit, in der es abends früh dunkel wird und der Tag morgens lange braucht, bis er ‚in die Puschen kommt’, wie man hier sagt. Und wenn wenigstens etwas Schnee liegt, dann dämpft das manchen Lärm. Und es ist vielleicht auch das Jahresende, dem wir entgegenschreiten: Es geht etwas zu Ende, um neu zu beginnen, etwas, was wir manchmal auch für unser Leben wünschen.
Weihnachten also als Zeit der Besinnung, wenn es die allgemeine weihnachtliche Hektik zulässt. Man muss es einfach zulassen. Es ist auch eine Zeit der Rückschau. Wir ziehen Bilanz und analysieren das alte Jahr, die Fehler, die wir gemacht haben und im nächsten nicht wiederholen möchten. Wir blicken aber auch auf das Gute, das uns das zu Ende gehende Jahr gebracht hat, wenn es vielleicht auch nicht viel genug war.
Als Vater von zwei inzwischen erwachsenen Söhnen wusste ich Weihnachten immer zu schätzen. Es war schön zu sehen, wie sich die beiden kindlich freuen konnten. Und dieses Jahr Weihnachten kommen wir zusammen, um nicht allein Geschenke ‚auszutauschen’, sondern ‚uns’ – um beieinander zu sitzen und miteinander zu sprechen. Da mag das Essen noch zu gut schmecken, das ist nicht das Wichtigste.
Nun, noch sind es knapp zwei Wochen bis zum Heiligabend. Mein Ältester kommt bereits am 21. zu uns, mein jüngerer Sohn und ich haben ab 23. frei. So kommen wir also bald unter einem Dach zusammen. Darauf freue ich mich: z.B. morgens am Frühstückstisch zusammenzusitzen, zu klönen und zu lachen. Oder abends ‚unterm Tannenbaum’ gemeinsam einen guten Film sehen. Dann ist auch für mich Weihnachten!
Alle Jahre wieder: „Die heiße Schlacht am kalten Buffet“
Die Adventszeit ist ja bekanntlich auch die Zeit der Betriebsweihnachtsfeiern. Ich bin kein großer Freund von solchen Veranstaltungen, aber es ist nicht gut, sich immer nur zu ‚drücken‘. Heute ist es nun wieder einmal so weit: In der Firma, in der ich meine Brötchen verdiene, findet eine dieser Betriebsfeier statt … mit kalten Buffet und so. Und unweigerlich musste ich mich an ein altes Lied von Reinhard Mey erinnern, das dieser Anfang der 70-er Jahre veröffentlicht hatte …
Die heiße Schlacht am kalten Buffet (Willi mittendrin) |
Hier der Text. Es scheint so, als hätte sich in den vielen Jahren nicht viel verändert:
Die heiße Schlacht am kalten Büffet
Gemurmel dröhnt drohend wie Trommelklang
Gleich stürzt eine ganze Armee
Die Treppe herauf und die Flure entlang
Dort steht das kalte Büffet.
Zunächst regiert noch die Hinterlist,
Doch bald schon brutale Gewalt,
Da spießt man, was aufzuspießen ist,
Die Faust um die Gabel geballt.
Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund
Kämpft jeder für sich allein,
Und schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund
Was immer hineinpaßt hinein.
Bei der heißen Schlacht am kalten Büffet,
Da zählt der Mann noch als Mann,
Und Auge um Auge, Aspik um Gelee,
Hier zeigt sich, wer kämpfen kann, hurra!
Da blitzen die Messer, da prallt das Geschirr
Mit elementarer Wucht
Auf Köpfe und Leiber, und aus dem Gewirr
Versucht ein Kellner die Flucht.
Ein paar Veteranen im Hintergrund
Tragen Narben auf Hand und Gesicht,
Quer über die Nase und rings um den Mund,
Wohin halt die Gabel sticht.
Ein tosendes Schmatzen erfüllet den Raum,
Das rülpst und das grunzt und das quiekt.
Fast hört man des Kellners Hilferuf kaum,
Der machtlos am Boden liegt.
Da braust es noch einmal wie ein Orkan,
Ein Recke mit Übergewicht wirft sich auf‘s Büffet im Größenwahn,
Worauf es dann donnernd zerbricht.
Nur leises Verdauen dringt noch an das Ohr,
Das Schlachtfeld wird nach und nach still.
Aus den Trümmern sieht angstvoll ein Kellner hervor,
Der längst nicht mehr fliehen will.
Eine Dame träumt lächelnd vom Heldentod,
Gebettet in Kaviar und Sekt,
Derweil sie, was übrigzubleiben droht,
Blitzschnell in die Handtasche steckt.
Das war die Schlacht am kalten Büffet,
Von fern tönt das Rückzugssignal,
Viel Feind‘, viel Ehr‘ und viel Frikassee
Na denn: „Prost“ bis zum nächsten Mal – hurra!
Das war die Schlacht am kalten Büffet
Und von dem vereinnahmten Geld
Geh‘n zehn Prozent, welch‘ noble Idee,
Als Spende an „Brot für die Welt“ – hurra!
Reinhard Mey: Die heiße Schlacht …
Weihnachten 1932 in Wasserburg/Bodensee
Die Bescherung fand, weil auf das Klavier nicht verzichtet werden konnte, im Nebenzimmer statt. Das heißt, Josef und Johann hatten erst Zutritt, als der Vater am Klavier Stille Nacht, heilige Nacht spielte. Der Einzug ins Nebenzimmer geschah durch zwei Türen: von der Wirtschaft her zogen, ihre Gläser in der Hand, die vier letzten Gäste hinter Elsa herein. Hanse Luis, der Schulze Max, Dulle und Herr Seehahn. Durch die Tür vom Hausgang her zogen Josef, Johann, Niklaus und der Großvater ein. Zuletzt Mina, die Prinzessin und die Mutter, sie kamen aus der Küche.
Immer an Weihnachten trug Herr Seehahn am grünen Revers seiner gelblichen Trachtenjacke den Päpstlichen Hausorden, den er bekommen hatte, weil er als Marinerevolutionär in München zum päpstlichen Nuntius, den er hätte gefangen nehmen sollen, gesagt hatte: Eminenz, wenn Sie mit mir kommen, sind Sie verhaftet, wenn Sie die Hintertür nehmen, sind Sie mir entkommen.
Dulle war wohl von allen am weitesten von seiner Heimat entfernt. Dulle war aus einem Ort, dessen Name in Johanns Ohren immer klang, als wolle man sich über Dulle lustig machen. Niemals hätte Johann in Dulles Gegenwart diesen Namen auszusprechen gewagt. Buxtehude. Dulle sprach anders als jeder andere im Dorf. Er hauste in einem Verschlag bei Frau Siegel, droben in Hochsträß, direkt an der frisch geteerten Landstraße. Dulle war Tag und Nacht unterwegs. Als Fischerknecht und als Durstiger. Oder hinter Fräulein Agnes’ Katzen her. Adolf behauptete, Dulles Verschlag, Wände und Decke, sei tapeziert mit Geldscheinen aus der Inflation. Hunderttausenderscheine, Scheine für Millionen, Milliarden, Billionen. Eine Zeitung habe, sagte Adolf, 1923 sechzehn Milliarden Mark gekostet. Immer wenn Johann von dieser Inflation etwas hörte, dachte er, das Land hat Fieber gehabt damals, 41 oder 42 Grad Fieber müssen das gewesen sein.
Der Schulte Max war nirgendwo her beziehungsweise überall her, eben vom Zirkus. Er nächtigte im Dachboden des von zugezogenen Fischerfamilien bewohnten Gemeindehauses, und zwar auf einem Lager aus alten Netzen.
Verglichen mit den Schlafstätten von Dulle und Schulze Max, war das, was Niklaus droben im Dachboden als Schlafstatt hatte, eine tolle Bleibe. Niklaus hatte ein richtiges Bett so mit alten Schränken umstellt, daß eine Art Zimmer entstand. Niklaus war für Johann interessant geworden, als Johann ihm einmal zugeschaut hatte, wie er seine Fußlappen über und um seine Füße schlug und dann in seine Schnürstiefel schlüpfte. Die Socken, die Mina ein Jahr zuvor für Niklaus gestrickt und unter den Tannenbaum gelegt hatte, hatte er einfach liegen lassen. Als Mina sie ihm in die Hand drückten wollte, hatte er den Kopf geschüttelt. Niklaus sprach selten. Mit Nicken, Kopfschütteln und Handbewegungen konnte er, was er sagen wollte, sagen. Wenn er meldete, daß Freifrau Ereolina von Molkenbuer drei Zentner Schwelkoks und Fräulein Hoppe-Seyler zwei Zentner Anthrazit bestellt hatten, merkte man, daß er keinerlei Sprachfehler hatte. Er sprach nicht gern. Sprechen war nicht seine Sache.
Unterm Christbaum lagen für Josef und Johann hellgraue Norwegerpullover, fast weiß und doch nicht weiß, silbergrau eigentlich. Mit graublauen, ein bißchen erhabenen Streifen. Aber auf der Brust zwei sehr verschiedene Muster, eine Verwechslung war zum Glück ausgeschlossen. Josef zog seinen sofort an. Johann hätte seinen lieber unterm Christbaum gesehen, aber weil alle sagten, er solle seinen doch auch probieren, zog er ihn an. Johann mußte, als er spürte, wie ihn dieser Pullover faßte, schnell hinaus, so tun, als müsse er auf den Abort, aber er mußte vor den Spiegel der Garderobe im Hausgang, er mußte sich sehen. Und er sah sich, silbergrau, fast bläulich erhabene Streifen, auf der Brust in einem Kreis ein Wappen. Königssohn, dachte er. Als er wieder hineinging, konnte er nicht ganz verbergen, wie er sich fühlte. Mina merkte es. Der steht dir aber, sagte sie.
Dieser Pullover waren aus dem Allgäu gekommen, von Anselm, dem Vetter genannten Großonkel.
Zu jedem Geschenk gehörte ein Suppenteller voller Plätzchen, Butter-S, Elisen, Lebkuchen, Springerle, Zimtsterne, Spitzbuben, Makronen.
Die Mutter sagte zu Mina hin und meinte die Plätzchen: Ich könnt ’s nicht. Johann nickte heftig, bis Mina bemerkte, daß er heftig nickte. Er hatte letztes Jahr von Adolfs Plätzchenteller probieren dürfen. Bruggers Plätzchen schmeckten alle gleich, von Minas Plätzchen hatte jede Sorte einen ganz eigenen Geschmack, und doch schmeckten alle zusammen so, wie nur Minas Plätzchen schmecken konnten. In diesem Jahr lag neben Johanns und Josefs Teller etwas in Silberpapier eingewickeltes Längliches, und aus dem Silberpapier ragte ein Fähnchen, darauf war ein rotes Herz gemalt und hinter dem Herz stand –lich. Über dem Herz stand: Die Prinzessin grüßt. Josef probierte schon, als Johann noch am Auspacken war. Nougat, sagte er. Richtig, sagte die Prinzessin. Toll, sagte Josef. Johann wickelte seine Nougatstange unangebissen wieder ein.
Für Mina und Elsa gab es Seidenstrümpfe. Beide sagten, daß das doch nicht nötig gewesen wäre. Für Mina lag noch ein Sparbuch dabei. Mit einem kleinen Samen, sagte die Mutter. Bei der Bezirkssparkasse. Die gehe nicht kaputt. Mina sagte kopfschüttelnd: O Frau, vergelt ’s Gott! Für die Prinzessin lagen mehrere Wollstränge in Blau unter dem Baum. Sie nahm sie an sich, salutierte wie ein nachlässiger Soldat mit dem Zeigefinger von der Schläfe weg und sagte: Richtig. Und zu Johann hin: Du weißt, was dir bevorsteht. Johann sagte auch: Richtig! Und grüßte zurück, wie sie gegrüßt hatte. Er mußte immer abends die Hände in die Wollstränge stecken, die die Prinzessin dann, damit sie nachher stricken konnte, zum Knäuel aufwickelte. In jeder feien Minute strickte sie für ihren Moritz, den sie einmal im Monat in Ravensburg besuchen durfte; aber allein sein durfte sie nicht mit dem Einjährigen. Die Mutter des Siebzehnjährigen, der der Kindsvater war, saß dabei, solange die Prinzessin da war. Nach jedem Besuch erzählte die Prinzessin, wie die Mutter des Kindsvaters, die selber noch keine vierzig sei, sie keine Sekunde aus den Augen lasse, wenn sie ihren kleinen Moritz an sich drückte. Die Prinzessin, hieß es, sei einunddreißig. Sie hatte jedem etwas neben den Teller gelegt, und jedesmal hatte sie ihr Herz-Fähnchen dazugesteckt. Für Elsa eine weiße Leinenserviette, in die die Prinzessin mit rotem Garn ein sich aufbäumendes Pferd gestickt hatte. Für Mina zwei Topflappen, in einem ein großes rotes A, im anderen ein ebenso großes M. Für Niklaus hatte sie an zwei Fußlappen schöne Ränder gehäkelt. Für Herrn Seehahn gab es ein winziges Fläschchen Eierlikör. Für die Mutter einen Steckkamm. Für den Vater ein Säckchen mit Lavendelblüten. Für den Großvater ein elfenbeinernes Schnupftabakdöschen. Johann, sagte sie, geh, bring ’s dem Großvater und sag ihm, Ludwig der Zweite, habe es dem Urgroßvater der Prinzessin geschenkt, weil der den König, als er sich bei der Jagd in den Kerschenbaumschen Wäldern den Fuß verstaucht hatte, selber auf dem Rücken bis ins Schloß getragen hat. Alle klatschten, die Prinzessin, die heute einen wild geschminkten Mund hatte, verneigte sich nach allen Seiten. Johann hätte am liebsten nur noch die Prinzessin angeschaut. Dieser riesige Mund paßte so gut unter das verrutschte Glasauge. Für Niklaus lagen wieder ein Paar Socken und ein Päckchen Stumpen unterm Baum. Die Socken, es waren die vom vorigen Jahr, ließ er auch diesmal liegen. Die Stumpen, den Teller voller Plätzchen und die umhäkelten Fußlappen trug er zu seinem Platz. Im Vorbeigehen sagte er zur Prinzessin hin: Du bist so eine. Sie salutierte und sagte: Richtig. Dann ging er noch einmal zurück, zum Vater hin, zur Mutter hin und bedankte sich mit einem Händedruck. Aber er schaute beim Händedruck weder den Vater noch die Mutter an. Schon als er seine Rechte, der der Daumen fehlte, hinreichte, sah er weg. Ja, er drehte sich fast weg, reichte die Hand zur Seite hin, fast schon nach hinten. Und das nicht aus Nachlässigkeit, das sah man. Er wollte denen, die ihn beschenkt hatten, nicht in die Augen sehen müssen. Niklaus setzte sich wieder zu seinem Glas Bier. Nur an Weihnachten, an Ostern und am Nikolaustag trank er das Bier aus dem Glas, sonst aus der Flasche. Johann sah und hörte gern zu, wenn Niklaus die Flasche steil auf der Unterlippe ansetzte und mit einem seufzenden Geräusch leertrank. Wie uninteressant war dagegen das Trinken aus dem Glas. Niklaus setzte auch jede Flasche, die angeblich leer aus dem Lokal zurückkam und hinter dem Haus im Bierständer auf das Brauereiauto wartete, noch einmal auf seinen Mund; er wollte nichts verkommen lassen.
…
Der Vater ging zum Tannenbaum und holte ein blaues Päckchen, golden verschnürt, gab es der Mutter. Sie schüttelte den Kopf, er sagte: Jetzt mach ’s doch zuerst einmal auf. Eine indische Seife kam heraus. Und Ohrringe, große, schwarz glänzende Tropfen. Sie schüttelte wieder den Kopf, wenn auch langsamer als vorher. Für den Großvater lag ein Nachthemd unter dem Baum. Er sagte zu Johann, der es ihm bringen wollte: Laß es nur liegen. Als letzter packte der Vater sein Geschenk aus. Lederne Fingerhandschuhe, Glacéhandschuhe, sagte der Vater. Damit könnte man fast Klavier spielen, sagte er zu Josef. Und zog sie an und ging ans Klavier und ließ schnell eine Musikmischung aus Weihnachtsliedern aufrauschen. Hanse Luis klatschte Beifall mit gebogenen Händen; das war, weil er seine verkrümmten Handflächen nicht gegen einander schlagen konnte, ein lautloser Beifall. Er sagte: Was ischt da dagege dia Musi vu wittr her. Er konnte sich darauf verlassen, daß jeder im Nebenzimmer wußte, Radio hieß bei Hanse Luis Musik von weiter her. Dann stand er auf und sagte, bevor er hier auch noch in eine Bescherung verwickelt werde, gehe er lieber. Es schneie immer noch, er solle bloß Obacht geben, daß er nicht noch falle, sagte die Mutter. Kui Sorg, Augusta, sagte er, an guate Stolperer fallt it glei. Er legte einen gebogenen Zeigefinger an sein grünes, randloses, nach oben eng zulaufendes Jägerhütchen, das er nie und nirgends abnahm, knickte sogar ein bißchen tänzerisch ein und ging. Unter der Tür drehte er sich noch einmal um, hob die Hand und sagte, er habe bloß Angst, er sei, wenn es jetzt Mode werde, statt Grüßgott zu sagen, die Hand hinauszustrecken, dumm dran, weil er so krumme Pratzen habe, daß es aussehe wie die Faust von denen, die Heil Moskau schrieen. Und dann in seiner Art Hochdeutsch: Ich sehe Kalamitäten voraus, Volksgenossen. Und wieder in seiner Sprache: Der sell hot g’seet: No it hudla, wenn ’s a ’s Sterbe goht. Und mit Gutnacht miteinand war er draußen, bevor ihm die Prinzessin, was er gesagt hatte, in Hochdeutsch zurückgeben konnte. Elsa rannte ihm nach, um ihm die Haustür aufzuschließen. Dann hörte man sie schrill schreien: Nicht, Luis … jetzt komm, Luis, laß doch, Luiiiis! Als sie zurückkam, lachte sie. Der hat sie einreiben wollen. Johann staunte. Daß Adolf, Paul, Ludwig, Guido, der eine Helmut und der andere und er selber die Mädchen mit Schnee einrieben, sobald Schnee gefallen war, war klar; nichts schöner, als Irmgard, Trudl oder Gretel in den Schnee zu legen und ihnen eine Hand voll Schnee im Gesicht zu zerreiben. Die Mädchen gaben dann Töne von sich wie sonst nie. Aber daß man so eine Riesige wie Elsa auch einreiben konnte! Hanse Luis war einen Kopf kleiner als Elsa. Kaum war Elsa da, erschien Hanse Luis noch einmal in der Tür und sagte: Dr sell hot g’sell, a Wieb schla, isch kui Kunscht, abe a Wieb it schla, desch a Kunscht. Und tänzelte auf seine Art und war fort. Die Prinzessin schrie ihm schrill, wie gequält nach: Ein Weib schlagen, ist keine Kunst, aber ein Weib nicht schlagen, das ist eine Kunst. Der Dulle hob sein Glas und sagte, Ohne dir, Prinzessin, tät ich mir hier im Ausland fühlen.
…
Die Bescherung war vorbei, jetzt also die Lieder. Schon nach dem ersten Lied, Oh du fröhliche, oh du selige, sagte der Schulze Max zur Mutter, die beiden Buben könnten auftreten. Der Vater hatte die Glacéhandschuhe wieder ausgezogen und spielte immer aufwendigere Begleitungen. Nach Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Frau’n sagte der Schulte Max zu Dulle: Auf diese Musikanten trinken wir noch ein Glas. Wenn du einverstanden bist. Dulle nickte heftig. Dann gehen wir aber, sagte der Schulze Max. Dulle nickte wieder. Wieder heftig. Der Schulze Max: Wir wollen überhaupt nicht anwachsen hier. Dulle schüttelte den Kopf ganz heftig. Der Schulze Max: Heute schon gar nicht, stimmt ’s? Dulle nickte so heftig, daß er danach seine Brille wieder an ihren Platz hinaufschieben mußte. Der Schulze Max: Auch eine Wirtsfamilie will einmal unter sich sein, stimmt ’s? Dulle nickte wieder, hielt aber, damit er heftig genug nicken konnte, schon während des Nickens die Brille fest. Der Schulze Max: Und wann möchte, ja, wann muß eine Familie ganz unter sich sein, wenn nicht am Heiligen Abend, stimmt ’s? Dulle nahm, daß er noch heftiger als zuvor nicken konnte, seine Brille ab. Der Schulze Max: Und was haben wir heute? Dulle, mit einer unglaublich zarten, fast nur noch hauchenden Stimme: Heilichabend. Der Schulze Max, sehr ernst: Daraus ergibt sich, sehr, sehr verehrte Frau Wirtin, daß das nächste Glas wirklich das letzte ist, das letzte sein muß.
aus: Martin Walser: Ein springender Brunnen (suhrkamp taschenbuch 3100 – 1. Auflage 2000 – S. 92- 96, S. 98-101)
Santa, reich mal die Buddel ‘rüber
Wie die Zeit vergeht: Jetzt sind wir schon mittendrin in der Weihnachts- bzw. Vorweihnachtszeit. Alles Volkstraurige, Gebüße und Totensonntägliche haben wir hinter uns gelassen, um verstärkt an Weihnachtsgeschenke zu denken (kaufen wäre auch nicht schlecht), Kekse zu backen und bald zu essen (bevor sie hart und ungenießbar sind) – und alles in Weihrauch- und Kerzengestank zu ersticken.
Aus allen Lautsprecherboxen dröhnt Weihnachtsmusik. Da will ich nicht hintanstehen und habe das Lied ‘Christmas Song’ von Ian Anderson (Jethro Tull) ausgegraben. Zu beachten ist die Textpassage, in der darauf hingewiesen wird, dass der weihnachtliche Geist nicht das ist, was man trinkt (that Christmas spirit is not what you drink) – in diesem Sinne wünsche ich eine schöne Vorweihnachtszeit:
Video: Ian Anderson 2003 – Christmas Song
Barbara Robinson: Hilfe, die Herdmanns kommen
Ende Oktober spazierte ich mit meiner Frau durch das Büsenbachtal bei uns in der Nähe in der Lüneburger Heide. Zur Stärkung kehrten wir im Cafe im Schafstall zu Kaffee und Kuchen ein. Dort hing ein Aushang mit der Ankündigung einer bald stattfindenden Lesung eines Kinderbuchs: Hilfe, die Herdmanns kommen – von Barbara Robinson.
Wenn man Kinder hat, so erwächst neben der eigenen Hausbibliothek sehr schnell auch eine hauseigene Kinder- und Jugendbücherei. Und natürlich findet such dieses Buch darunter: Hilfe, die Herdmanns kommen – Deutsch von Nele und Paul Maar – Zeichnungen von Wilhelm Schlote – Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1974 – amerikanische Originalausgabe unter dem Titel ‚The Best Christmas Pageant Ever‘
Der ganze Stadtteil ist sich einig: Die Herdmann-Kinder sind die schlimmsten Kinder aller Zeiten. Sie lügen, klauen, rauchen Zigarren (auch die Mädchen), bringen die Nachbarn zur Verzweiflung und können ein Klassenzimmer mit Hilfe ihrer halb wilden Katze in der Rekordzeit von drei Minuten völlig leer fegen. Jetzt haben sie es sogar geschafft, sämtliche Hauptrollen in dem Krippenspiel zu bekommen, das zu Weihnachten aufgeführt werden soll. Natürlich erwartet jeder das schlimmste Krippenspiel aller Zeiten …
(aus dem Umschlagtext)
„Aber es kommt anders! Spritzig und stellenweise umwerfend komisch wird erzählt, wie die Herdmanns die Weihnachtsgeschichte völlig unvoreingenommen mit den Augen der sich durchs Leben boxenden Kinder sehen, ganz realistisch in ihr eigenes Leben übertragen und mit ihrem Spiel bei den überraschten Zuschauern ein ganz neues Verständnis für die Weihnachtsbotschaft wecken. Eine erfrischend unsentimentale, zugleich aber auch nachdenklich stimmende Geschichte – nicht nur für die Weihnachtszeit.“ (Radio Bremen)
… und auch nicht nur für Kinder. Paul Maar, den Übersetzer, kennen wir aus den Geschichten, die vom Sams, einem hintergründig-frechen Fabelwesen, handeln und die mit ChrsTine Urspruch als Sams wunderschön verfilmt wurden. Außerdem ist Maar auch für viele Klassiker der Augsburger Puppenkiste verantwortlich.
Sie waren wirklich so rundherum schrecklich, dass man kaum glauben konnte, dass es sie wirklich gab: Ralf, Eugenia, Leopold, Klaus, Olli und Hedwig – sechs magere, dünnhaarige Kinder, die sich nur dadurch voneinander unterschieden, dass sie verschieden groß waren und an verschiedenen Stellen blaue Flecken aufwiesen, die sie sich gegenseitig beigebracht hatten. (S. 8)
Oder wie es im Original heißt: They were just so all-round awful you could hardly believe they were real: Ralph, Imogene, Leroy, Claude, Ollie, and Gladys – six skinny, stringy-haired kids all alike excerpt for being different sizes and having different black-and-blue places where they had clonked each other.
Es gibt besonders in der Kinder- und Jugendliteratur Bücher, die mir zeitlos erschienen und die man auch als Erwachsener gern noch einmal liest. Hierzu dürften dann auch die Herdmann-Bücher gehören. Und passend zur Weihnachtszeit sicherlich genau diese Erzählung von den Herdmanns und dem Krippenspiel.
Tatort (964) aus Kiel: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes
An der Kieler Förde wird eine verwirrte Frau aufgefunden. Ihre Äußerungen lassen befürchten, dass der berüchtigte Frauenmörder Kai Korthals wieder aufgetaucht ist: „Er kommt überall rein. Er kommt durch die Wand.“
Kommissarin Brandt informiert ihren Kollegen Borowski über den Serienkiller, mit dem sie einst selbst Traumatisches erlebt hat.
Borowski kommt der neue Fall ungelegen. Er ist frisch verliebt und möchte heiraten. Doch als seine Braut spurlos verschwindet, muss er sich fragen, ob der Mörder seinetwegen zurückkehrt ist.
Quelle u.a.: Das Erste*Tatort
Zweiteiler hatten wir bereits in der Tatort-Reihe der ARD. Aber die Fortsetzung einer Folge drei Jahre später, das ist neu: Der Verbrecher Kai Korthals schlich sich 2012 als stiller Gast in Wohnungen fremder Frauen, er putzte sich die Zähne mit ihren Zahnbürsten, aß von ihrem Brot, führte Beziehungen mit Partnerinnen, die von diesen Beziehungen nichts wussten. Dann brachte er sie um. Zwar wurde er von Borowski und seiner Assistentin Brandt dingfest gemacht, konnte dann aber am Schluss der Folge schwer verletzt entkommen.
ARD*Mediathek: Borowski und der stille Gast (Video tgl. ab 20 Uhr)
27.11.2015 | 89:00 Min. | Verfügbar bis 29.12.2015 | Quelle: Das Erste
Nun ist er also wieder zurück. Und es ist noch eine Person zurückgekehrt, eine alte Bekannte, von Borowski geliebt, mit der er aber oft auch zerstritten war: Frieda Jung, die Polizeipsychologin, in den ersten 14 Borowski-Folgen von 2002 bis 2010 beratend an seine Seite gestellt (in meinem Beitrag Tatort (941) aus Kiel: Borowski und die Kinder von Gaarden (2015) bin ich bereits näher auf diese Beziehung zwischen ihr und Borowski eingegangen). Borowski und Frieda Jung sind jetzt ein Paar und gedenken zu heiraten.
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Frieda Jung (Maren Eggert)
Weil der preisgekrönte Autor Sascha Arango, der bereits die erste Folge mit dem stillen Gast verfasst hatte, ein Spezialist für menschliche Abgründe und die Philosophie des Verbrechens, sich nicht wiederholen wollte, hat er dem Verhalten des Frauenmörders neue Muster und Motive zugrunde gelegt. Zwar hat Korthals der geisteskranken Frau das Baby aus dem Bauch geschnitten, was später deren Tod zur Folge hat, doch weitere Menschen kommen nicht zu schaden. „Ich bin kein schlechter Mensch“. Damit es besonders bizarr wird, wendet sich Kai Korthals plötzlich dem Zuschauer zu und spricht ihn direkt an: „Sie glauben, ich bin abartig. Ich muss weg. Aber Sie sind nicht besser als ich, sie haben es nur besser.“ (Quelle: tittelbach.tv)
Tatort (964) aus Kiel (2015): Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes
ARD*Mediathek: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes (Video tgl. ab 20 Uhr)
29.11.2015 | 89:00 Min. | UT | Verfügbar bis 29.12.2015 | Quelle: Das Erste
Kai Korthals hat sein Schema verändert: „Er beschleicht die Frauen nicht mehr, er holt sie zu sich“, stellt Kommissarin Brandt fest. Auch wenn sich dieser mörderische Voyeur äußerlich weniger unter Kontrolle zu haben scheint als in seiner Killer-Hochphase, Darsteller Lars Eidinger spricht von „Verschärfung seines geistigen Zustands“, so ist doch mehr Empathie im Spiel: Korthals ist nicht mehr der eiskalte Psycho, allenfalls ein von seiner kranken Seele Getriebener. Und er ist Vater geworden. Doch weil das Kind zu sterben drohte, musste er es den Ärzten überlassen. Jetzt will er es zurück. Korthals hat Frieda Jung in seiner Gewalt, aber er will nicht töten. Er will tauschen: Frieda Jung gegen das Kind.
„Weh tut es erst, wenn es persönlich wird“, hat Borowski früher gesagt – jetzt weiß er, was das bedeutet. Mehr noch als in „Borowski und der stille Gast“ entwickelt sich das Sequel zu einem Psychoduell zwischen Korthals und dem Kommissar. Mehr denn je überschreitet Borowski Grenzen – er ermittelt am Rande der Selbstjustiz, belügt seine Kollegin und bringt seinen Gegenspieler zwischenzeitlich in seine Gewalt. Zwei Getriebene, ein wütender Psychopath und ein nicht minder wütender Melancholiker. Borowski setzt seine Karriere aufs Spiel. „Als Kriminalist habe ich die Möglichkeit, ein Verbrechen nachzuvollziehen, zu erleben, ohne es selbst begangen zu haben“, philosophiert Borowski zu Beginn des Films über seine Rolle als Kommissar und seine Lust als Kind, Verbrecher werden zu wollen: „Ich wollte immer Verbrecher werden. Ich habe sechs Semester forensische Anthropologie studiert, dann wurde mir klar, dass man Verbrecher und Psychologe werden kann: Man wird Beamter!“
Die Atmosphäre dieser Tatort-Folge wirkt durchgängig befremdlich und steigert sich gelegentlich ins Bedrohliche. Objekte wie eine Kuckucksuhr oder die Mechanik eines Fahrstuhls, der eine besondere Bewandtnis für die Geschichte haben wird, verselbständigen sich.
Was wäre ein Tatort mit Borowski aber ohne diesen besonderen, vielleicht typisch norddeutschen Humor, ich würde fast sagen: Borowski’schen Humor. So lernt Borowski beim Abendessen in Friedas Wohnung deren Mutter Constanze Jung kennen, eine Hippiefrau mit Wohnsitz Ibiza. Skeptisch fragt sie den Verlobten ihrer Tochter aus: „Und Sie waren schon immer Beamter, Klaus?“ Der kontert: „Nein, zuerst war ich Kind.“
Aber auch Korthals beweist einen gewissen Humor, als er Borowski gegrüßt: „Willkommen auf der dunklen Seite, mein Freund.“
Am Schluss muss man sich fragen, wie es mit Borowski als Kieler Ermittler weitergehen soll. Seinem Chef hatte er seinen Dienstausweis vor die Füße geworfen, ihn später sogar niedergeschlagen. Es ist Borowskis Kollegin Brandt, die es als erste begriffen hat, welches Spiel Borowski treibt und ihn bestaunend nur noch als eine „geniale Sau“ gezeichnet kann. Eines steht bereits fest: Klaus Borowski bleibt uns erhalten!
Und noch eines steht fest: Mit Borowski und Frieda Jung ist es zu Ende. Für sie war das alles einfach zu viel des Guten. Am Ende der Folge schauen sich Borowski und seine Frieda einen Rohbau an, sie wollten zusammenziehen – vor dem Korthals-Fall. „Da ist viel Raum für Kreativität und Entspannung. Die Lebensfreude springt einen hier ja an – finden Sie nicht?“, sagt die Klischee-Maklerin. „Ich glaube, es ist zu groß für uns“, sagt Borowski. Und meint damit mehr als die Immobilie.
siehe auch: spiegel.de/kultur/tv
Übrigens: Inzwischen wird spekuliert, ob es sogar eine 3. Kieler Tatortfolge mit ‚dem stillen Gast‘ geben könnte. Angeblich liegen entsprechende Pläne hierzu bereits vor.
Außerdem: Der 1000. Tatort ist bereits in Arbeit: „Taxi nach Leipzig“ hieß der erste ausgestrahlte Tatort aus dem Jahr 1970 – und genauso lautet auch der Titel der 1000. Episode. Damals ermittelte der NDR Kommissar Paul Trimmel alias Walter Richter, nun sind es die Ermittler Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg). Zu sehen ist die Jubiläumsfolge in der ARD kommendes Jahr im Oktober, die ersten Szenen werden bereits gedreht – in Salzgitter und Braunschweig.
Pech und Unvermögen
Ja, es ist bitter, wenn man zu Hause im 103. Nordderby gegen den HSV verliert. Und vor allem wie! Da versucht der SV Werder von Anfang an Druck zu machen, hat eine Superchance – und im Gegenzug machen die Hamburger den Treffer. Dann dieser Freistoß: Der Ball prallt von einem Bremer Spieler ab, steigt in die Höhe, um als Bogenkerze genau ins rechte Toreck einzuschlagen. Endlich nach dem Anschlusstreffer kommen die Bremer immer besser ins Spiel. Aber ein Konter der Hamburg führt zum 1:3. Ende, Feierabend!
Am Ende gewann der HSV, vom Glück weiterhin gesegnet, nicht unverdient. Neben all dem Pech offenbarten die Bremer viel Unvermögen in Form von individuellen Fehlern, aber auch die Taktik darf hinterfragt werden.
Was läuft falsch beim SV Werder? Warum hat die Mannschaft als schlechteste aller Bundeslisten erst eins von sieben Heimspielen gewinnen können – holt immerhin 10 Punkte aus sieben Auswärtsspielen (Platz 8!)? Und warum fängt die Abwehr im Schnitt zwei Tore pro Spiel (28 in 14 Spielen – nur Stuttgart ist mit 35 Gegentreffern schlechter) bzw. kassiert oft Tore zur Unzeit (früh zu Beginn oder zum Ende einer Halbzeit bzw. des Spiels).
Wir dürfen gespannt sein, was St. Nikolaus im Gepäck hat, wenn es am Samstag nach Stuttgart geht, die ähnlich agieren wie die Bremer, nur noch etwas schlechter dastehen. Drei Punkte wären nicht schlecht. Eine Punkteteilung würde keinem wirklich weiterhelfen.
siehe auch Werder online: „Doppelt bitter, doppelt unangenehm“
Der Traum von einer Teilnahme an der Europa League oder gar Champions League ist in Bremen längst ausgeträumt. Im Gegenteil: So langsam muss man sich in Bremen mit dem Gedanken vertraut machen, dass der SV Werder Bremen in die 2. Liga absteigen könnte! Eine erste Weichenstellung ist das Spiel am Wochenende in Stuttgart. Dann fließt sicherlich noch viel Wasser die Weser bis zum Saisonende hinab. Aber die Verunsicherung wird sich weiter in die Köpfe der Spieler fressen. Und auch der Trainer, vor einem Jahr als Heilsbringer gefeiert, wird sich etwas mehr einfallen lassen als bisher. Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht …