Kategorie-Archiv: Jethro Tull

Ian Anderson und seine Jungs

40 Jahre TAAB

Im neuen Jahr beehrt uns Jethro Tull’s Ian Anderson noch einmal hier in Deutschland zum zweiten Teil seiner TAAB 1 & 2-Tour (Thick as a Brick, für diejenigen, die immer noch nichts mit diesem Kürzel anfangen können); u.a. kommt er mit seinen Mannen auch nach Bremen in den großen Saal des ehrwürdigen Konzerthauses Die Glocke am Mittwoch, den 1. Mai 2013 – Konzertbeginn: 20 Uhr.

Ein Grund ist natürlich der 40. Jahrestag der Veröffnung des Albums Thick as a Brick (TAAB1) im Jahre 1972, einem rund 45-minütigen Opus, das zu den Glanzstücken des Progressive Rock zählt.

Ian Anderson - TAAB-Projektion

Dieses Glanzstück hat auch nach 40 Jahren – musikalisch gesehen – nichts vom seiner Leuchtkraft verloren. Allerdings – aufnahmetechnisch gesehen – wurde es jetzt, so hoffe ich doch im Positiven, noch einmal reichlich poliert und gewienert, um als Remix und außerdem auf Musik-DVD u.a. mit 5.1 Mix DTS & Dolby Digital auf den Markt zu kommen. Das Box-Set Thick as a Brick 40th Anniversary Special Limited Edition kommt heute in drei Wochen, also am 2. November, auf den Ladentisch. Und wer sich als wirklicher Tull-Fan und –Kenner zu outen trachtet, der kommt an dieser Investition nicht vorbei.

    Jethro Tull: Thick as a Brick – Special Edition 2012

Thick as a Brick in 5.1-Ton (DTS) ist mir nicht ganz neu. Ich berichtete vor fast genau vier Jahren (am 2. November(sic!), um genau zu sein) von der Two of Us Productions (TOUP), die neben den Scheiben der Beatles eben auch Alben von Jethro Tull in ein entsprechendes Audio-Format umgewandelt hatten. Im Web gibt’s die genannte Website leider nicht mehr, wahrscheinlich sitzen die Jungs im Knast und brummen wegen Urheberrechtsverletzungen ihre Strafe ab. Dabei haben sie es doch nur gut gemeint. Egal. Natürlich wird sich das TOUP-Produkt nicht mit dem von Steven Wilson neu abgemischten Erzeugnis vergleichen lassen.

Nun, die Spannung steigt. Ähnlich wie beim Remix des Aqualung-Albums, das jetzt klarer, frischer klingt, darf man sich beim Remix von TAAB einiges an klanglicher Belebung erhoffen. Und das zusätzlich dann auch noch im surrounden Raumklang (ich habe mir jetzt erst eine kleine, aber wohl feine Heimkino-Anlage geordert). Da freut man sich doch drauf …

Es dürfte dann allerdings auch das letzte Geld sein, dass ich in Produkte des Hauses Ian Anderson stecke.

Abbey Road, London, City of Westminster NW8, UK

Welche bekannte Straße fällt uns ein, wenn wir an einen ganz bestimmten Zebrastreifen denken? Na? Klar! Die Abbey Road in London, gleich bei den Abbey Road Studios, dort, wo die Beatles bevorzugt ihre Scheiben aufnahmen. Das Album „Abbey Road“ sollte ja eigentlich „Everest“ heißen und John, Paul, George und Ringo sollten deshalb zu Fotoaufnahmen zum Himalaya reisen. „Als sich das Album der Fertigstellung näherte, stellten die Bandmitglieder fest, dass sie dazu keine Lust hätten und es bequemer wäre, einfach vor die Tür zu gehen, dort das Foto zu machen und das Album dann Abbey Road zu nennen.“ (Quelle: de.wikipedia.org)

Und so kam es zu einen Photoshooting, bei dem immer wieder die vier Musiker über einen Zebrastreifen in der Abbey Road liefen (siehe Webcam – der Zebrastreifen erfreut sich auch heute noch größter Beliebtheit). Paul McCartney ist dabei manchmal mit Sandalen und dann auch barfuß zu sehen. Im Hintergrund ein weißer VW-Käfer. War es die Barfüssigkeit von Paul (oder ein angebliches leichtes Schweben über dem Boden); es kam das Gerücht auf, Paul McCartney wäre gestorben und die abgebildete Person ein Doppelgänger … Er lebt bekanntlich heute noch und hat John und George längst überlebt.

The Beatles: Abbey Road (1969)

The Beatles: Abbey Road (1969)

The Beatles: Abbey Road (1969)

Im September 1969 erschien dann das Album. Das ist nun 43 Jahre her. Ich habe mir in diesen Tagen das Album nach langer Zeit wieder angehört. Zwei Jahre zuvor hatten die Beatles 1967 ihr wohl bestes Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (ebenfalls in den Abbey Road Studios) aufgenommen und dabei aufnahmetechnisch neue Wege bestritten. Und so gilt dieses Album wohl zurecht als eines der Wegbereiter der Rockmusik, was neue musikalische und technische Möglichkeiten betraf. Auch auf „Abbey Road“ wurde die damals neueste Aufnahmetechnik verwendet.


The Beatles – Abbey Road (1969)

Wenn ich ehrlich bin: „Abbey Road“ enttäuscht mich nach so vielen Jahren. Okay, einige Lieder sind ganz okay (mit Blick auf die damalige Zeit), so der Starter Come together oder die beiden George Harrison-Titel Something und Here Comes the Sun, das später besonders durch Richie Havens erfolgreich neu interpretiert wurde. Aber es gibt auch viel Tralala wie der Titel „Octopus’s Garden“ von Ringo Starr. Instrumental konnten die Beatles nie richtig überzeugen und bedienten sich beizeiten bekannter Gastmusiker. Aber auch aufnahmetechnisch überzeugt das Album kaum. Da findet ich das ebenfalls 1969 erschienene Album „Stand Up“ von Jethro Tull (übrigens in den Morgan Studios, London, aufgenommen, in denen später auch Paul McCartney mindestens ein Soloalbum aufnahm) um vieles besser.

Apropos Jethro Tull. Auch mit dieser Band gibt es Verbindungen zum Abbey Road Studio. So wurde eine der ersten Singles, nämlich ‚Sunshine Day’, hier aufgenommen (6-7.01.1968). Und anscheinend sollen in den Abbey Road Studios sämtliche Tull-Aufnahmen lagern. Hier wurden so unter Leitung vom Ian Anderson einige der alten Scheiben neu zusammengestellt und remastert. Ich hatte einmal gelesen, dass zumindest Martin Barres legendäres Gitarrensolo im Titelstück „Aqualung“ hier aufgenommen worden sei. Das kann ich leider nicht bestätigen. Dieses wie das ganze Album Aqualung wurde von Dezember 1970 bis zum Februar 1971 in den Island Studios, Basing Street, London, eingespielt – zur gleichen Zeit, als Led Zeppelin hier ihr Album IV aufnahm (siehe u.a. Interview mit Martin Barre auf classicrockrevisited.com).

weitere Links:

Abbey Road Studios
Beatlesbible.com (zur Abbey Road-Cover-Fotografiesession)

Hitler Get Banned From All Jethro Tull Shows

Jethro Tull – This was … Wie angekündigt (This was … Jethro Tull (1)This was … Jethro Tull (2)), lege ich Herrn Anderson und seine ehemalige Gruppe erst einmal auf Eis. Heute möchte ich mich mit einem Video zu diesem Thema ‚verabschieden’. Vielleicht kennt Ihr es ja bereits. Ich gebe zu, dass es eigentlich ziemlich ätzend ist, aber auch ganz witzig. Mein Sarkasmus blüht (am besten, man schaltet den Ton ab und genießt Bild samt Untertiteln):


Hitler Get Banned From All Jethro Tull Shows

– Sir, Jethro Tull is playing tonight at the Bertchesgarden theater right outside of Berlin
– Here …
– The band is staying at that same small hotel that you stayed in last year
– Right across from the theater right …
– Here …
– AH: Good. Get me my hotel confirmation, my front row center ticket and my yellow shorts.
– Mien Fuhrer …
– Ian Anderson said you are a stalker
– He said you must “fuck off”.
– AH: All those who do not have the 43-minute version of “Thick As aBrick” on their I-Pods, get out.
– AH: Who the hell does he think he is?
– AH: He hasn’t written a ney song in thirty years!
– AH: That FUCKER should be grateful that anyone buys a ticket to his lousy shows.
– AH: Who else cares about fucking Cross-Eyed Mary?
– AH: I go to three hundred and eighty-four shows!
– AH: I drag my friends halfway across Europe to see Tull and this is the thanks I get?
– AH: He makes me look like the world’s biggest douchebag!
– Martin and the crew still like you!
– AH: Screw Martin an the crew! It’s always been Ian’s band!!!
– Mien Fuhrer, it’s just that Ian says your yellow shorts make him puke.
– AH: Puke? What makes ME puke is listening to “Aqualung” for the ten thousandrh fucking time!
– AH: Fucking Aqualung…
– AH: What makes ME puke is seeing that old coot up on stage playing the flute!

[…]

– AH: Go out and buy me some Who tickets and send Ian this e-mail:
– AH: “You can kiss my black ass on the Jay Leno show, you bald, pompous cocksucker. Thanks for the memories and go fuck yourself.”
– (AH:) Stupid old dick.

This was … Jethro Tull (2)

Jethro Tull’s Ian Anderson samt Band macht erst einmal einige Tage Pause und weilt dann für zwei Konzerte in Islands Hauptstadt Reykjavik. Die Zeitungskritiken der letzten Konzerte in Deutschland waren durchgehend positiv. Ich will es dem ‚Flötenmann’ gönnen (falls im Netz noch verfügbar):

Konzertbericht: Ian Anderson von Jethro Tull in Mannheim
Gerald Bostock, einst und heute
Frisches vom Flötenmann
Ein Schuljunge im Rentenalter
Querkopf mit Pfiff
Ian Anderson plays Thick As A Brick – live Alfred Fischer Halle, Hamm 23.05.2012

Jethro Tull’s Ian Anderson 2012 in Berlin

Bevor ich die Akte Ian Anderson und Jethro Tull für einige Zeit schließen möchte (die Akte Jethro Tull ist meines Erachtens trotz anderer Verlautbarung bereits vollständig geschlossen), hier noch einige Infos, Anmerkungen – wie immer man es nennen kann:

Immer wieder findet man die Frage, ob Ian Anderson überhaupt Noten lesen kann. Angeblich kann er keine Noten lesen; ich denke eher, dass er schon Noten lesen kann, aber ihm gelingt es nicht, nach Noten zu spielen. Da hat er etwas mit mir gemeinsam. Die Frage des Notenlesens war bei der Auswahl der jetzigen Begleitmusiker ein wichtiger Punkt. Martin Barre kann nämlich auch nicht nach Noten spielen – und so wäre es schwierig geworden, das 1972er Thick as a Brick, das in zwei Teilen jeweils über 20 Minuten lang ist, ohne Probleme einzuüben. Florian Opahle, der auf der TAAB-Tour Gitarre spielt, hat eine umfangreiche musikalische Ausbildung hinter sich, wird also mit Sicherheit Noten lesen können – so wie ohne Frage auch John O’Hara, der Musik studiert hat. Goodier kommt aus einer musikalischen Familie.

Selbst wer weniger komplexe Musik als z.B. Jethro Tull spielt, kommt irgendwann ohne Noten nicht mehr zurecht. Ich und meine Söhne, die ja auch in einer Band musizieren, benutzen das preiswerte und am Ende ausreichende Guitar Pro – inzwischen in Version 6. Ian Anderson benutzt zum Erstellen von Partituren (z.B. für den Auftritt mit Orchestern) die Software Sibelius.

Nach Noten spielen und Rockmusik, passt das überhaupt zusammen? Bei dem suite-ähnlichen TAAB (1972) ist Notenlesen als Orientierungshilfe sicherlich sinnvoll. Ansonsten aber dürfte es eher ein Hemmschuh sein. Genau das findet sich nach meiner Meinung bei TAAB 2 (2012). Anderson verpasste seinen Jungs recht restriktive Vorgaben, die diese auch ohne Murren einhalten. Aber dann verkommt z.B. das Schlagzeug schnell zur bloßen Begleitung und hat selten starke Stellen. So spielte Florian Opahle selbst in den wenigen Soli eher mit angezogener Handbremse („wie vom Blatt“). Und das Produkt klingt dann für mich eben sehr steril.

Nun nach den Auftritten in Deutschland und der Aufführung sowohl von TAAB 1 als auch TAAB 2 stellt sich die Frage, ob es das Ganze irgendwann einmal auch als Konzert-DVD geben wird.

Wir kennen Ian Anderson als schottischen Knauser. So wollte er partout kein neues Album auf den Markt bringen. Erst nach langem Hin und Her entschied er sich dann ja zu TAAB 2. Und auch da ist er sich nicht sicher …:

„Das war vor 20, 30 Jahren anders. Da konnte man noch erwarten, einige Platten zu verkaufen. Ich werde vermutlich sogar Geld verlieren mit dem Album [gemeint ist TAAB2], das wir gerade aufgenommen haben. Es aufzunehmen, zu mischen und zu mastern, das Cover zu gestalten und so weiter hat etwas mehr als 100.000 Euro gekostet. Ich denke, meine Chancen, mein investiertes Geld von EMI zurückzubekommen sind überhaupt nicht gut. […]“ (Quelle: Wolfgang und Kevin Thomas: Jethro Tull Over Germany: Fotos und Geschichten aus über vier Jahrzehnten, 2012, S. 251)

Ich vermute, dass er das Geld durchaus wieder eingespielt haben wird. Spätestens mit seinen Live-Auftritten fließt reichlich Kohle in die Taschen von Herrn Anderson. Es ist eben ein neues ‚Geschäftsmodell’, dem sich auch Ian Anderson ‚beugen’ muss. Die Konzertsäle waren voll (wenn ’s auch nicht mehr die ganz großen Hallen sind, die er füllt), meist ausverkauft sogar, was er mit der x-ten „Best of …“-Tour sicherlich nicht erreicht hätte. Ob das nun aber zu einer Konzert-DVD reicht, bleibt fraglich. Nochmals O-Ton Anderson:

„ … Youtube als Firma ist verantwortlich für so viele Urheberrechtsverletzungen, dass es sich nicht mehr lohnt, DVDs aufzunehmen und zu veröffentlichen. Das kostet schließlich eine Menge Geld. Man braucht mindestens acht bis zehn Kameras, die ganzen Mischpulte, dann muss das alles editiert und gemischt werden. Wir sprechen hier vermutlich von etwa 100.000 Euro, um eine solche Aufnahme in professioneller Weise machen zu lassen. […] Und wenn Sie am Ende versuchen wollen, ihre 100.000 Euro wieder einzuspielen – vergessen Sie’s. Von einer Musik-DVD verkaufen Sie heute im Schnitt zwischen drei und zehntausend Kopien, vielleicht auch weniger. […] Als das Medium der DVD herauskam, konnten Sie bis zu 50.000 oder sogar 100.000 Exemplare verkaufen. […], wir haben mit „Living with the Past“ 100.000 Kopien verkauft, das war für eine Konzert-DVD ein gutes Ergebnis. Heute würden es mit viel Glück 10.000. […] Wir werden also jetzt hauptsächlich noch Aufnahmen aus der Bandgeschichte veröffentlichen, um die Produktionsfirmen, wie Eagle Vision, am Leben zu erhalten und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Büroreinigungspersonal zu bezahlen.“ (Quelle: Wolfgang und Kevin Thomas: Jethro Tull Over Germany: Fotos und Geschichten aus über vier Jahrzehnten, 2012, S. 200)

Aber vielleicht hat es sich Herr Anderson inzwischen anders überlegt. Und dann gibt es da sicherlich auch einen Live-Mitschnitt beim Montreux Jazz Festival am 1. Juli. Interessant klingt immerhin der Hinweis auf die ‚Aufnahmen aus der Bandgeschichte’. Da soll es noch einiges geben, das für mich auf jeden Fall interessanter wäre als eine DVD von der jetzigen Tournee.

Trotz der negativen Aussagen von Ian Anderson plant er bereits weitere Albumprojekte. Beabsichtigt er, sein Geld aus dem Fenster zu werfen? Oder droht auch den Reinigungskräften bei EMI der Rausschmiss? Da ist zunächst das „string quartet album of mainstream Jethro Tull tracks which will be perfect for the weddings, christenings and funerals of Tull fans”, das ich bereits an anderer Stelle erwähnte und das angeblich sogar schon in Arbeit sein soll. Des Weiteren ist ein Hardrock-Album geplant – wohl wieder unter dem Namen von Jethro Tull, denn Ian Anderson sagt darüber mit Bezug auf den Metal-Grammy vor etlichen Jahren „Maybe the time has come to actually say, ‚You know? All right, maybe we are a hard rock/metal band‘.“ Außerdem denkt er an eine Scheibe im Singer-Songwriter-Stil mit (fast nur) eigener Gitarrenbegleitung (nachzulesen in einem Interview im The Morton Report).

Singer-Songwriter-Stil – wie soll das gehen bei seinem Gekrächze? Nein, ich weigere mich, das weiter zu kommentieren. Schön ist es sicherlich, wenn man im Alter noch so viele Ziele vor Augen hat.

Jethro Tull – This was … Für die nächste Zeit lege ich Herrn Anderson und seine ehemalige Gruppe erst einmal aus Eis. Es gibt noch andere Musik, die mich interessiert. Und außerdem möchte ich wieder mehr lesen. Meinen Ohren kann eine Ruhepause nicht schaden …

This was … Jethro Tull (1)

Heute endet „Jethro Tull’s Ian Andersons“ „Thick as a Brick“-Deutschland-Tour mit dem Konzert im Dresdener Kulturpalast. Am 20. und 21. Juli gibt es dann noch zwei Open-Air-Konzerte in Burg Herzberg und Calw.

Lange habe ich überlegt, ob ich eines der Konzerte besuchen werde. Thick as a Brick ist auch für mich ein Meilenstein der Rockmusik und gern hätte ich es einmal in voller Länge aufgeführt gesehen und gehört. Jetzt wäre die Chance da und ich habe sie verpasst. Sicherlich hätte ich mich am letzten Freitag auf nach Aurich machen können. Die Entfernung dorthin war eine ‚schöne’ Ausrede. Aber wenn, dann hätte ich das Konzert gern mit meinen Söhnen besucht. Und denen wollte ich das nicht antun. Die Gründe sind bekannt. Zum einen sind es die Gesangsleistungen von Ian Anderson. Zum anderen fehlt mir die Begeisterung für TAAB2. Fremdschämen liegt mir nicht.

St: Cleve Cronicle: Thick as a Brick goes live!!!
Quelle: Leon Alvarado Plays Genesis

Natürlich habe ich jetzt die Rezensionen zu einigen Konzerten hier in Deutschland gelesen. Und die haben mich in meiner ablehnenden Haltung bestärkt. Hier einige Auszüge:

Die Berliner Morgenpost schreibt neben einer ausführlichen Würdigung von TAAB u.a. „Ian Andersons Stimme ist über die Jahre gereift. Man könnte auch sagen, sie hat rein altersbedingt etwas gelitten.“ Der Rezensent der Stuttgarter Zeitung geht mit Ian Anderson dagegen richtig hart ins Gericht: „Hier passt nicht mehr viel zusammen“ lautet die Überschrift und „die Stimme des bald 65-jährigen Anderson [ist] mittlerweile derart angeschlagen, dass er zwar gewohnt engagiert am Mikrofon kämpft, aber kaum noch je den richtigen Ton trifft.“ „‚Thick as a Brick’ Teil eins ist über jeden Zweifel erhaben. Von Beginn an entfaltet das bitterböse Stück über den achtjährigen Gerald Bostock […] seinen Charme.“ Zu TAAB2 steht dort aber: „Aus siebzehn oft blassen Mosaiksteinen bastelt Anderson die Fortsetzung. Er zitiert mal hier den Vorgänger, greift dort auf tausendfach gehörte Jethro-Tull-Muster zurück und kämpft sich so durch eine Stunde Belanglosigkeiten.“

Die Main-Spitze (Rhein Main Presse) ist etwas gnädiger: „Ian Anderson mit der akustischen Gitarre, Ian Anderson mit Querflöte – das klingt zunächst wie 1972. Da ist der etwas fülliger gewordene Tausendsassa mit dem Kopftuch, das das gelichtete Haupthaar verbirgt, voller Spielfreude, voller Improvisationslust und Temperament. Aber Ian Anderson als Sänger – zumindest in Teil eins, bei der Ur-Komposition, trifft er vielfach die Töne nicht, hält die Melodie nicht, hat Schwierigkeiten mit der Höhe.“ Immerhin werden die Mitstreiter gewürdigt: „Die Band hingegen spielt vor der Pause wie danach glänzend, findet problemlos in den Jethro-Tull-Sound mit seinen abrupten Wechseln von Laut zu Leise und wieder zurück. Glänzende Gitarre, ein exquisiter Schlagzeuger: alles gut.“

Auch unter wa.de – das Konzert in Hamm betreffend – wird zunächst ausführlich TAAB als „beispielloses Konzeptalbum“ hervorgehoben. Gelobt wird dann die Sängerrolle von Ryan O’Donnell: „Die Klangfärbung seiner Stimme ähnelte der des ‚jungen’ Frontmannes, der augenscheinlich kein Problem damit hatte, dass sein neuer Partner über vokale Qualitäten verfügt, die er selbst zu besten Zeiten nicht erreichte.“ Was ich allerdings bestreite. Anderson in jungen Jahren hatte deutlich mehr Power. Schön ist hier auf jeden Fall die Fotostrecke zum Konzert.

Okay, ich habe hier einiges aus dem Zusammenhang gerissen. Lediglich die Rezension aus Stuttgart ist auf Konzert und TAAB2 bezogen wirklich negativ. Alles in allem werden aber meine Vermutungen und meine Eindrücke auch aufgrund der Videoschnipsel von Konzertmitschnitten in England bei YouTube nur bestätigt. Ich will Ian Anderson und seine Jungs hier nicht verreißen. Es gibt wohl genügend deutsche Fans, die begeistert von den Konzerten waren (TAAB sei dank).

Es gibt aber noch etwas, dass mich sogar mehr als geärgert hat. Das ist das „offizielles“ Video vom Tullmanagement bei YouTube: Ian Anderson – Banker Bets, Banker Wins live show in the UK 2012. Leider ist das in Deutschland nur auf einem Umweg (mit dem Add-on „Stealthy“ für den Firefox) zu sehen und zu ‚hören’ (hier kooperiert YouTube gnadenlos mit der GEMA). Live ist hier akustisch nur der Applaus am Ende, die Musik kommt aus der Konserve. Das grenzt schon an Betrug.

Nun dieser Artikel lautet: This was … Jethro Tull in Anspielung an das erste Album der Gruppe. Was einmal am Anfang stand, steht jetzt am Ende. Frei übersetzt: Das war’s! Ian Anderson und Martin Barre, letzterer zwar nicht Gründungsmitglied, aber doch eine Art Ur-Mitglied von Jethro Tull, gehen getrennte Wege. Damit hat sich die Gruppe in meinen Augen aufgelöst. Alles andere steht in den Sternen. Natürlich ist oder war Jethro Tull in erster Linie Ian Anderson – und umgekehrt. Wenn Ian Anderson jetzt sich und seiner Band das Namensungetüm „Jethro Tull’s Ian Anderson“ gibt und das damit begründet, dass er immer, wenn er Songs als Jethro Tull präsentiere, das Problem habe, dass Betrunkene vor der Bühne nur die lauten Teile hören wollten („Für mich ist es außerordentlich schwer, die leisen Abschnitte zu spielen, wenn Leute dabei pfeifen und herumbrüllen.“), dann ist das nur die halbe Wahrheit. Anderson trägt der Trennung von Martin Barre gleichfalls damit Rechnung. Ich will gar nicht darauf herumreiten, dass Jethro Tull immer nur mit Anderson UND Barre denkbar ist. Zuviele Musiker haben sich in den Jahren die Klinke in die Hand gegeben. Da ist am Ende auch ein Martin Barre austauschbar. Nein, wenn ich Das war’s sage, dann meine ich damit, dass es insgesamt mit Jethro Tull zu Ende ist. Wenigstens für mich …!

(Die EINS hinter der Überschrift verdeutlicht es: So ganz bin ich noch nicht FERTIG …)

Kontrastprogramm

Seit gestern gastiert Ian Anderson mit seiner Band in Deutschland (mit Abstechern in die Schweiz usw.), um beide Teile von Thick as a Brick aufzuführen. Inzwischen gibt es im Netz mehrere Mitschnitte von Konzerten aus England, u.a. aus der Symphony Hall im Birmingham vom 30.04.2012. Ich selbst habe in einen Mitschnitt aus der Newcastle City Hall vom 17.04.2012 hineingehört (Download z.B. via μtorrent möglich).

Die Aufnahmen sind zwar nicht berauschend, aber doch gut genug, um einen Eindruck von den Auftritten zu bekommen. Soviel möchte ich dazu hier und jetzt sagen:

Nachdem ich bereits erste Videos gesehen habe, die mich leider enttäuschten, fand ich das gehörte Konzert doch besser als erwartet. Wenn man mit einer nicht zu großen Erwartungshaltung ins Konzert geht, besonders was die gesanglichen Leistungen des Meisters betreffen (damit auch gleich genug zu diesem Thema), dann wird man mit Sicherheit einen guten Abend mit Anderson und seinen Jungs erleben. Hier noch einmal:


Ian Anderson Thick As A Brick 2012 Liverpool Philharmonic Hall

Gut, auf den Aufnahmen scheppert mir das Schlagzeug etwas zu blechern. Das dürfte aber im Wesentlichen an der Aufnahme selbst liegen. Das Zusammenspiel aller ist noch nicht immer hundertprozentig, sollte aber von Abend zu Abend besser werden. Ryan O’Donnell, der besonders beim ersten Teil (1972er TAAB) längere Parts im Wechsel mit Ian Anderson singt, offenbart einige stimmliche Schwächen. Er ist eben kein Ian Anderson früherer Jahre. Dafür bin ich über die instrumentale Dynamik bei TAAB2 positiv überrascht.

Hier ein kleiner Zusammenschnitt aus TAAB1 vom Konzert in Newcastle. Natürlich ist es nicht das absolute Gelbe vom Ei. Aber wenn die Life-Atmosphäre hinzukommt, dann sollten die Konzerte in Deutschland schon ganz okay werden. Allen Karteninhabern wünsche ich auf jeden Fall viel Spaß:


Jethro Tull’s Ian Anderson: Thick as a Brick (Ausschnitte aus einem Konzert vom 17.04.2012 in der Newcastle City Hall/Newcastle Upon Tyne/England)

Band:
Ian Anderson – Vocals, Flute, Acoustic Guitar
David Goodier – Bass Guitar
Scott Hammond – Drums, Percussion
John O’Hara – Keyboards, Accordion
Florian Opahle – Electric Guitar
Ryan O’Donnell – Additional Vocals, Theatre

First Set
01 Intro
02 Thick As A Brick (Part 1)
03 Weather Report And Prostate Cancer Awareness
04 Thick As A Brick (Part 2)

Second Set
01 Intro
02 From A Pebble Thrown
03 Pebbles Instrumental – Might-have-beens
04 Upper Sixth Loan Shark – Banker Bets, Banker Wins
05 Swing It Far
06 Adrift And Dumfounded
07 Old School Song
08 Wootton Bassett Town
09 Power And Spirit – Give Till It Hurts
10 Cosy Corner – Shunt And Shuffle
11 A Change Of Horses
12 Confessional
13 Kismet In Suburbia
14 What-ifs, Maybes And Might-have-beens
15 Band Intros And Concert Outro

Sicherlich werden einige von uns Martin Barre (besonders bei TAAB1) vermissen. Der hat eine eigene Band zusammengestellt – Martin Barre’s New Day – und präsentiert mit dieser die Musik von Jethro Tull. Die Band besteht aus:

Martin Barre – guitar
Pat O’May – guitar/vocals
John Mitchell – vocals/guitar
John Noyce – bass
Frank Mead – flute/sax./harmonica/vocals
Geoff Dunn – drums

Am 10. Juli kommt er nach München und tritt im Bayerischen Hof auf. Weitere Termine gibt es zz. nur für den Herbst und da auch nur für England. Barre bietet gewissermaßen das Kontrastprogramm zu Ian Andersons TAAB2-Tour. Während Anderson den Konzertmeister mimt, präsentiert sich Martin Barre’s New Day noch als echte Rockband. Das fetzt dann schon etwas anders als bei Anderson, auch wenn es sicherlich Geschmackssache ist, statt der Flöte ein Saxophon zu hören. Das Sopransaxophon erinnert mich an Andersons ‚Versprechen’, nie mehr Saxophon spielen zu wollen – der Auftritt kommt hier also einer Provokation gleich. Die Gesangsleistungen von Herrn Mitchell sind sicherlich auch nicht die tollsten. Sein Stimmumfang ist ziemlich reduziert. Und doch klingt das für mich deutlich besser als bei Herrn Anderson. Vielleicht mag ich es einfach etwas ‚dreckig’ und weniger steril.

Bei YouTube gibt es einige ganz interessante Aufnahmen von Martin Barre und seinen Mitstreitern, die ebenfalls im April d.J. aufgenommen wurden:


Martin Barre’s New Day: To Cry You a Song (Tavistock, April 2012)


Martin Barre’s New Day: Teacher (Tavistock, April 2012)


Martin Barre’s New Day: Minstrel in the Gallery (Tavistock, April 2012)

Sollte Martin Barre’s New Day in nächster Zeit einmal in die Nähe meines Wohnortes kommen (z.B. Hamburg und die Fabrik wären schön), dann werde ich dabei sein. In einem nicht allzu großen Club zu zivilen Preisen (für Anderson & Co. muss man ab 40 € aufwärts bis zu über 70 € auf den Tisch legen) und mit einer Kanne gepflegten Bieres in der Hand: das könnte mir gefallen!

Wolfgang und Kevin Thomas: Jethro Tull Over Germany

Es ist schon erstaunlich, wie viele Bezüge die Rockgruppe Jethro Tull zu Deutschland hat. Nach Großbritannien und den USA dürfte die Band wohl in Deutschland die meisten Konzerte gespielt haben. Das begann bereits Mitte der sechziger Jahre (wohl 1964) mit Mick Abrahams, dem ersten Gitarristen von Jethro Tull, der mit seiner damaligen Gruppe „The Toggery Five“ längere Zeit in einem Club namens Party Club in Hannover engagiert war. Auch Clive Bunker, der erste Tull-Schlagzeuger gehörte zu der Band.

Ian Anderson, der Kopf von Jethro Tull, trat neben den unzähligen Tull-Konzerten zudem mit Solo- und Tull-Lieder samt einigen klassischen Stücken mit diversen Philharmonie-Orchestern in Deutschland auf, u.a. dem Neue Philharmonie Frankfurt Orchester, von dem es auch eine Aufzeichnung vom Dezember 2004 in Mannheim als DVD Ian Anderson – Plays the Orchestral Jethro Tull gibt. Und als Pied Piper, als Rattenfänger der Rockmusik, hat Ian Anderson auch eine besondere Beziehung zur Rattenfängerstadt Hameln. Erwähnenswert ist natürlich auch die Zusammenarbeit in Deutschland mit Leslie Mandoki, Sänger, Schlagzeuger, Komponist und Musikproduzent in einer Person, der immer wieder namhafte Musiker um sich scharte, so auch Ian Anderson (die Videos sind mir allerdings bei YouTube ‚abhanden’ gekommen). Nicht zu vergessen sei auch das weihnachtliche Konzert 2006 von Ian Anderson im Kloster Maria Laach, zu dem der damalige Bundespräsident, Herr Horst Köhler, eingeladen hatte. Natürlich findet auch der wirklich empfehlenswerte Fotoband Didi Zill: Jethro Tull live und in Farbe. 250 seltene und meist unveröffentlichte Fotos Erwähnung (inzwischen Kult und nur noch zu horrenden Preisen zu erhalten – siehe hierzu auch meinen Beitrag: Altes „Neues“ von Jethro Tull).

Dieses und viel mehr ist jetzt nachzulesen in dem Buch Jethro Tull Over Germany: Fotos und Geschichten aus über vier Jahrzehnten von Wolfgang Thomas und Sohn Kevin, das ich mir in der letzten Woche zu Gemüte geführt habe.

    Wolfgang und Kevin Thomas: Jethro Tull Over Germany

Das großformatige Buch enthält auf über 250 Seiten eine Fülle von Informationen und Hintergrund-Stories über die Auftritte der Band in Deutschland. Im Mittelpunkt stehen dabei die Beziehungen von deutschen Fans zur Gruppe, manchmal witzig beschrieben, selten wirklich banal. Auch ich durfte meinen kleinen Beitrag zu diesem Buch leisten (siehe meinen Beitrag zur Vorgeschichte hierzu: Jethro Tull Over Germany) und beschreibt meine kurze Begegnung mit Herrn Anderson am 12.02.1981 in der Bahn auf dem Weg von Bremen zu dem Konzert am Abend in Bremerhaven. Das in diesem Zusammenhang genannte Konzert am 10. Juni 2005 hatte ich auch besucht, es war mein bisher letztes Konzert von Jethro Tull (Übrigens der Link in den Danksagungen am Ende des Buchs auf weitere Eintrittskarten von mir, Willy Albin – richtig wäre natürlich Wilfried oder Willi – stimmt leider nicht).

WilliZ Beitrag zum Buch: Jethro Tull Over Germany

Neben den Fan-Äußerungen gibt es viele Interviews mit den Musikern und allem voran natürlich eine Unzahl an Fotos, die meisten sind bisher noch nirgends veröffentlicht worden. Dabei gefallen mir die Konzertplakate und Eintrittskarten besonders gut.

Natürlich wendet sich das Buch in erster Linie an deutsche Fans von Jethro Tull. Selbst der Hardcore-Fan der Gruppe wird hier Informationen finden, die er bisher nicht kannte. Leider kommen nach meinem Geschmack die frühen Jahre etwas zu kurz. Und am Schluss wird es etwas zu sehr zu einer Werbeveranstaltung zu Ian Andersons morgen in Deutschland anlaufenden TAAB-Tour. Alles in allem ist es wirklich lesens- und betrachtenswert – und für Tull-Fans ein absolutes Muss. Der Preis ist natürlich stattlich, dafür bekommt man aber auch ein Hochglanz-Fotobuch, das vielleicht eines Tages – ähnlich wie das Fotobuch von Didi Zill – Kult und damit um einiges mehr wert sein könnte, was aber nicht das Kriterium für den Kauf sein sollte.

Ian Anderson: Thick as a Brick 1 & 2 on Tour

Seit dem 14. April ist Ian Anderson mit seiner Band auf Tour und spielt neben „Thick as a Brick“ auch das Sequel TAAB2. Ab 17. Mai kommt er dann auch auf deutsche Bühnen.

    Thick as a Brick and Sequel Live in 2012

Inzwischen gibt es bei YouTube auch schon die ersten aus dem Publikum aufgezeichneten Videoaufnahmen, die zeigen, wohin die musikalische Reise gehen wird. Da gibt es auf jeden Fall eine für mich sehr große Überraschung: Ian Anderson lässt singen! Zumindest wechseln sich Ian Anderson und der junge Ryan O’Donnell, der bereits auf dem neuen Album einige Gesangparts übernommen hatte, beim Gesang ab. Anderson begründet diesen Wechselgesang damit, dass er schlecht gleichzeitig singen und Flöte spielen könne. Den eigentliche Grund kennen wir natürlich. Konsequenterweise wäre es vielleicht besser, wenn er im ersten Teil von Thick as a Brick den Gesang vollständig in fremde Hände (Stimmen) gegeben hätte, denn er hat hier massive Probleme, die bei TAAB2 nicht so schwerwiegend sind, da er beim Schreiben des neuen Materials dieses bereits an seine heutigen stimmlichen Möglichkeiten merklich angepasst hat. Die Ausrede mit dem Flötenspiel führt zudem zu einem ziemlich absurden Nebeneffekt: Anderson flötet auch da, wo es im Original nicht vorgesehen ist und auch heute nicht so richtig passt, nur um seine Bühnenpräsenz zu dokumentieren.

Ryan O’Donnell ist ein junger Schauspieler, den Ian Anderson über John O’Hara kennengelernt haben muss. Dieser hatte 2009 an der Bühnenadaption der Rock-Oper Quadrophenia von The Who mitgewirkt und diese auch dirigiert. Der Sänger des Jimmy war u.a. Ryan O’Donnell (siehe die Kritik einer Aufführung in der Wiltshire Times, die sicherlich auch Ian Anderson, der in der Grafschaft Wiltshire sein Domizil hat, gelesen haben könnte). Über seine Stimme lässt sich bestimmt streiten. O’Donnell orientiert sich beim Gesang an der Stimme Ian Andersons von 1972, was ihm natürlich nur teilweise gelingen kann. Ian Andersons Stimme von vor 40 Jahren war eben zu markant und unverwechselbar. Aber ich finde sie immerhin besser, als das, was Ian Anderson heute – besonders bei TAAB1 – hervorquält.

Der Bühnenauftritt als solches wirkt noch etwas unausgegoren. Ryan O’Donnell latscht oft unkoordiniert herum, Ian Anderson sortiert Kabel, die ihm im Wege zu sein scheinen. Das sieht dann doch nicht gerade professionell aus. Die Videoeinblendungen im Hintergrund jeweils am Anfang von TAAB1 und TAAB2 zeigen uns Herrn Anderson einmal als bekannte Figur Max Quad, jetzt als Dr. Maximilian Quad, dann als Lord Archibald Parritt von St. Cleve TV, einem fiktiven YouTube-Kanal. Ian Anderson als Schauspieler hat durchaus Witz und kommt seinem Bedürfnis, sich immer wieder gern ausführlich zu artikulieren, entgegen. Auf der Rubbing Elbows Tour früherer Jahre in den Staaten präsentierte er neben seiner Musik Gäste, mit denen er dann vor versammelter Mannschaft ausführlich quasselte. Die Visualisierung, die sich rhythmisch zum Takt der Musik bewegt, ist weniger originell. Wir kennen das von manchem MP3-Player (z.B. Windows Media Player) unseres Rechners her – und haben diese längst deaktiviert, da sie nerven.

Trotz meiner Meckerei muss ich gestehen, angenehm positiv überrascht zu sein. Das liegt natürlich in erster Linie daran, dass Ian Anderson viele Gesangparts abgegeben hat und das „stimmliche Grauen“ nicht das ganze Konzert über den Zuhörer befällt. Bei den Instrumenten klingt mir das Schlagzeug, das technisch nur spärlich ausgestattet zu sein scheint, etwas zu dumpf. Ansonsten bietet besonders auch Florian Opahle, soweit es die Videoausschnitte zeigen, eine ordentliche Leistung. Nun auch ich habe eine gute Ausrede: Da im Umkreis meines Domizils nur Aurich als Konzertort in Frage kommt, und mir das dann doch etwas zu weit entfernt ist, werde ich auch dieses Jahr die Auftritte von Ian Anderson & Co. versäumen. Denen, die sich in eines der Konzerte wagen, wünsche ich trotz der genannten Mängel viel Spaß und gute Unterhaltung!

Übrigens: Thick as a Brick 2 hatte beim Einstieg in die deutschen Album-Charts auf Platz 13 einen glänzenden Start.

Hier die bisher vorhandenen Videos von Konzertmitschnitten der Ian Anderson-Tour 2012, soweit die GEMA noch nichts dagegen hat. Zunächst Thick as a Brick Part 1 (1972) mit dem Opening, einem längeren Ausschnitt aus der ‘Mitte’ – dann das Finale:


Jethro Tull Thick As A Brick Opening 18th April 2012 Liverpool


Ian Anderson Thick As A Brick 2012 Liverpool Philharmonic Hall


‚Thick as a Brick‘ Finale (Live) @ Newcastle City Hall 17th. April 2012

Auch zu TAAB2 (2012) gibt es das Opening, dann einen Ausschnitt aus der Ferne, der aber einen guten Überblick über die Bühne gibt – und zuletzt mit „Banker bets, Banker wins“ das wohl rockigste Stück der neuen Scheibe:


Jethro Tull Thick As A Brick2 Opening 18th April 2012 Liverpool


Ian Anderson – Thick as a brick 2 (excerpt) St Georges Hall Blackburn 20/04/12


‚Banker bets, Banker Wins‘ (Live) Ian Anderson, Newcastle City Hall

Übrigens: Ian Anderson hat noch einiges auf dem Zettel. So plant er lt. einem Interview ein ganz ‚besonderes’ Album: „ …then I’m doing a string quartet album of mainstream Jethro Tull tracks which will be perfect for the weddings, christenings and funerals of Tull fans.”

Also mit Hochzeiten und Taufen sieht es bei mir in näherer Zukunft völlig mau ist. Vielleicht erscheint das neue Album noch rechtzeitig vor meiner Beerdigung, damit ich mir ein passendes Stück für eben diese aussuchen kann.

Was wäre, wenn … Ian Anderson: Thick as a Brick 2

2003 war Ian Anderson das letzte Mal im Aufnahmestudio (für sein Soloalbum „Rupi’s Dance“ und für das Jethro Tull Christmas Album), die letzte ordnungsgemäße Scheibe von Jethro Tull war „J-Tull DOT COM“ aus dem Jahre 1999. Es ist also schon lange her, dass uns der Flötenmeister mit neuen Tunes beehrt. Lange hat er uns mit Versprechen hingehalten, hier und da einige neue Noten live präsentiert. Aber eigentlich wollte schon keiner mehr daran glauben, dass der Tag kommen könnte, an dem in den Regalen der Plattenläden ein neues Album stehen wird..

Wir haben es wohl auch seinem alten Freund Derek Shulman von Gentle Giant zu verdanken, der Ian Anderson den Floh von einer Fortsetzung des Thick as a Brick-Albums ins Ohr setzte. Plötzlich hatte er eine Idee und ein Ziel: Thick as a Brick 2, kurz TAAB2.

Wenn man in ein bestimmtes Alter kommt (der Meister wird im August 65 Jahre alt, befindet sich also gewissermaßen kurz vor der Rente), dann stellt man sich meist recht komische Fragen: Was wäre, wenn … ja, wenn das Schicksal (Bestimmung, Karma oder Kismet) es mit uns anders gewollt hätte. Was hätte z.B. aus jenem Gerald Bostock werden können, dem fiktiven kindlichen Autoren von Thick as a Brick, der in diesen Tagen 50 Jahre alt geworden wäre.

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?

Und es liegt wohl auch am Alter, dass ein Mann wie Ian Anderson plötzlich in einen Schaffensrausch verfällt, wenn er erst einmal ein auch für ihn wichtiges Thema gefunden hat. Selten haben wir ihn so agil gesehen. Keine Mühen, keine Kosten scheute er, um uns am Ende die heißersehnte Scheibe zu präsentieren.

Es ist nicht nur thematisch, sondern auch musikalisch ein Alterswerk geworden. Im Alter neigt man schnell zur Verknappung – und man wiederholt sich gern. Ab einem bestimmten Alter will man es vor allem aber den Jungen zeigen, dass man noch nicht zum alten Eisen gehört. Da lässt man durchaus alte Weggenossen links liegen (Martin Barre, der mit seinem Gitarrenspiel immerhin 40 Jahre lang die Musik von Jethro Tull mitgeprägt hat) und sucht sich talentiertes Jungvolk aus (Florian Ophale als Barre-Ersatz oder Scott Hammond, den neuen Schlagzeuger – okay, der wird nächstes Jahr auch schon 40).

Das soll keine Kritik sein, das ist nun einmal so – im Alter! Entgegen der allgemeinen Euphorie (z.B. in Laufis Jethro Tull Board) sehe ich TAAB2 etwas nüchterner. Okay, ich habe mir die Scheibe bisher noch keine 20 Mal angehört – am ersten Tag habe ich mir die DVD ins Laufwerk meines Rechners gelegt und zum ersten Mal vollständig gehört, dann habe ich mir die Lieder auf meinen MP3-Player überspielt – und während meines Osterurlaubs per Kopfhörer zweimal im Zug angehört. Ian Anderson hat sehr viel Arbeit und Schweiß in diese Scheibe investiert, ohne Zweifel. Aber wirklich überzeugen kann sie mich trotzdem nicht ….

Wie ich schon im Vorfelde geschrieben habe: Instrumental wirkt das Ganze schon sehr virtuos, wenn es auch, wie ich finde, manchmal etwas kalt, steril klingt. Diesem Urteil bleibe ich treu. „Thick as a Brick“, ich meine den ersten Teil aus dem Jahre 1972, hatte ich in Ausschnitten bereits im Jahr der Veröffentlichung live miterleben dürfen (die Gnade der frühen Geburt). Bereits bei diesem ersten Mal war ich begeistert und konnte kaum die Veröffentlichung der Scheibe erwarten. Jetzt bei TAAB2 ist es weniger die Liebe auf dem ersten Blick (beim ersten Hören).

Ian Anderson und seine Jungs haben das abgeliefert, zudem sie fähig sind. Andersons Flötenspiel ist in seiner Virtuosität über jede Kritik erhaben, allerdings sind es mir immer einige ‚Schlenker’ zuviel; das soll wahrscheinlich die Tatsache, dass das Material manchmal doch etwas mager ist (Stichwort: Verknappung), verschleiern. Florian Opahle ist ein großartiger Gitarrist, aber sein Spiel ist eben nicht das eines Martin Barre, der vielleicht nicht immer ‚sauber’ spielte, der aber eine Spontanität an den Tag legte, die Opahle abgeht. Überhaupt wirkt das Zusammenspiel der Musiker auf mich äußerst abgeklärt, damit aber auch – wie geschrieben – oft kalt und steril. Es liegt nach meiner Meinung an der restriktiven Vorgabe des Meisters, dem Perfektion wichtiger waren als intuitives Spiel. Sicherlich enthält auch das 1972er TAAB viele Wiederholungen, Selbstzitate – aber manches Stück, das hier als Neukomposition ausgegeben wird, ist in geänderter Form bereits schon einmal zu hören gewesen (z.B. A Change of Horses erinnert mich an Andersons Divinities).

Ich will hier nicht auf einzelne Stücke eingehen, dazu muss ich mir die Scheibe noch öfter anhören. Aber es gibt mindestens zwei Stücke, in denen langsame mit schnellen Passagen wechseln: Da passt mir das eine nicht zum anderen. Auch die Stimmverfremdungen (und –verdopplungen) finde ich unpassend – ‚befremdlich’.

Das ist mein gänzlich subjektives Urteil. Natürlich enthält TAAB2 auch für mich einige Höhepunkte. Aber die können nun einmal meinen Gesamteindruck nicht ändern. Man merkt eben das Alter des Meisters auch dieser Scheibe an.

Eigentlich sollte ich froh sein, dass es Ian Anderson endlich geschafft hat, wenn auch unter diesem sperrigen Namensungetüm „Jethro Tull’s Ian Anderson“, ein neues Werk auf den Markt zu werfen. Und ich bin es auch. Aber es ist leider kein Meisterwerk wie das 1972er TAAB, wenn TAAB2 auch ein dem Umständen entsprechend hörenswertes Alterswerk geworden ist.

Übrigens: Das Buch Jethro Tull Over Germany: Fotos und Geschichten aus über vier Jahrzehnten von Wolfgang Thomas und Sohn Kevin (siehe auch meinen Beitrag: Jethro Tull Over Germany) habe ich inzwischen bestellt. Mehr dazu, wenn ich es in Händen halte.

Jethro Tull 25th Songbook und die neue Scheibe

Heute ist es nun soweit: Jethro Tull’s Ian Anderson und seine neue Band bringen 40 Jahre nach Thick as a Brick den zweiten Teil: Thick as a Brick 2, auch kurz TAAB2 genannt, auf den Markt. Meine Special Edition mit CD und DVD ist bereits seit gestern in der Post und dürfte heute rechtzeitig bei mir eintreffen (siehe auch zuletzt meinen Beitrag: Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?)

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?

Die Euphorie im Netz ist ziemlich groß. Anderson hat auf der Jethro Tull- bzw. Ian Anderson-Website viele Musik-Ausschnitte bereitgestellt. Aber so ganz konnte mich das bisher nicht überzeugen. Und das liegt nicht nur an Andersons Stimme, die seit Jahren nicht mehr die beste ist. Immerhin hat man viel technischen Aufwand getrieben, um die Stimme einigermaßen ‚hinzubiegen’. Aber warten wir es ab. Ich lasse mich gern positiv überraschen.

So oder so habe ich bereits meine positive Überraschung. Es handelt sich um das Jethro Tull 25th Songbook, das der Palmyra Verlag seit vielen Jahren immer wieder neu auflegen will und das bis heute nicht geschafft hat. Endlich habe ich ein Exemplar aller Liedertexte bis 1995 (Roots to Branches) von Jethro Tull – mit den deutschen Übersetzungen von Karl Schramm. Ich hatte mich vor Jahren daran versucht, z.B. Thick as a Brick zu übersetzen, bin dann aber an vielen der Wortspiele von Ian Anderson mehr oder weniger gescheitert. Damals gab es eben kein Internet, mit dessen Hilfe ich vielleicht weitergekommen wäre (endgültig aufgegeben hatte ich es mit der Zeile: „Where the hell was Biggles when you needed him last Saturday?“ Ich fragte mich nicht, wo zum Teufel Biggles war, sonder WER Biggles war? Inzwischen weiß ich das natürlich. Er ist wie Superman ein Comic-Held: James Bigglesworth, ein Flieger aus dem ersten Weltkrieg! In den Niederlanden gibt es eine entsprechende Website zu Biggles, also: Wo zum Teufel war Biggles …? – siehe u.a. meinen Beitrag Was ist bloß mit Ian los? Teil 38: Friede auf Erden). Jetzt kann ich mein Schulenglisch also etwas auffrischen und mit Andersons eigenen Wortklaubereien erweitern, denn durch Zufall bin ich, lieber Lockwood, an ein Exemplar aus der 3. Auflage von 1997 herangekommen.

Aber dem nicht genug: Am Montag erscheint ja das Buch Jethro Tull Over Germany von Wolfgang Thomas und Sohn Kevin (siehe auch jethrotullovergermany.de).

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?

1972, also vor 40 Jahren, erschien von der Gruppe Jethro Tull das Konzeptalbum Thick as a Brick. Als Autor des Textes wurde ein achtjährige Junge namens Gerald Bostock genannt. Natürlich verbarg sich dahinter kein anderer als Ian Anderson, der Frontmann und Spiritus rector der Band selbst.

„Wie die Texte zeigen, geht es um die Welt eines Kindes, dessen Weltsicht durch Erziehungsvorgaben und sogenannte Tabuthemen verbogen und lückenhaft ist, das zwischen altklug und ahnungslos, die Zeit unbeschwerten Spiels sicher hinter sich gelassen hat, aber von vorpubertären Erwartungen bedrückt ist. Es ist ganz sicher noch weit vom Erwachsensein entfernt, dabei wurde es jedoch von der aufdringlich ambitionierten und missionarischen englischen Umwelt der unteren Mittelklasse in ‚erwachsene’ Muster gedrängt (Quelle: de.wikipedia.org)

siehe hierzu:
Thick as a Brick – das ganze Album im Video
Thick as a Brick – der Text

40 Jahre nach diesem Album kommt nun von Ian Anderson und seiner Band der zweite Teil: Jethro Tull’s Ian Anderson:TAAB2 Thick as a Brick 2, auch kurz TAAB2 genannt, auf den Markt. Ich habe bereits an anderer Stelle in diesem Blog ausführlich darüber berichtet. Ergänzend hierzu gibt es einen auch sehr informativen Bericht von Martin Webb, der als Word-Datei aufrufbar ist, dessen Wortlaut ich hier aber trotzdem wiedergeben möchte:

Jethro Tull's Ian Anderson: Thick as a Brick Part 2

Was ist eigentlich aus Gerald Bostock geworden?
Ian Andersons Fortsetzung des 1972er Prog-Rock-Klassikers bietet einige Antworten

Prog Rock? Prog Rock aus dem Jahr 2012? Das kann doch kaum ernst gemeint sein. Ist es aber tatsächlich, auch wenn hier der eigentliche Terminus Progressive Rock angemessener scheint. Man lasse einfach mal alle Vorurteile außer acht, und lasse Ian Anderson, den Sänger, Flötisten und Komponisten von Jethro Tull, ausführlich erklären, was ihn bewogen hat, vierzig Jahre nach dem bahnbrechenden Klassiker „Thick As A Brick“ dieses Genre noch einmal aufzugreifen.

In den frühen 1970ern hatten Bands wie Yes, Genesis, ELP und King Crimson die Grenzen der Musik maßgeblich erweitert. Die Anfänge des Punk warfen einen Schatten auf jene Musik, die zunehmend ausschweifender und prätentiöser geworden war, was dem Begriff Prog Rock einen schlechten Ruf einbrachte. Ian Anderson erklärt hingegen: „Für mich ist etwas progressiv, wenn man versucht, mit irgendetwas in eine neue Richtung aufzubrechen und etwas voranzutreiben, was dem eigenen Bedürfnis nach etwas Neuartigem entspricht und der Weiterentwicklung der eigenen Karriere dienlich ist. Für mich klingt ‚Progressive Rock‘ nach wie vor gut.“

Jethro Tulls kurze Progressive-Rock-Phase erreichte 1972 mit „Thick As A Brick“ ihren vorläufigen Höhepunkt. Das 45-minütige musikalische Epos konzentrierte sich auf die Schwierigkeiten seines kindlichen Protagonisten, konfrontiert mit einer beängstigenden und ungerechten Welt. Das Cover bildete die Parodie auf eine Lokalzeitung, genannt St. Cleve Chronicle, dessen Titelstory von dem frühreifen Schüler namens Gerald Bostock berichtete, der bei einem Dichterwettstreit disqualifiziert worden war, weil sein Beitrag unangemessen gewesen sei – und der nun angeblich von Jethro Tull für die Songtexte des Albums benutzt werde. Die Idee dazu war Ian Anderson gekommen, nachdem viele Kritiker den vorherigen Longplayer „Aqualung“ aus dem Jahr 1971 als Konzeptalbum bezeichnet hatten, obwohl es nur aus einer Reihe von Songs bestand, von denen einige zufällig die gleichen Themen behandelten: „In Anbetracht der Kritiken zu Aqualung habe ich absichtlich ein Konzeptalbum in Angriff genommen, das in erster Linie eine Parodie auf das Konzeptalbum als solches und auf die vermeintlich grandiosen Progressive-Rock-Abenteuerlichkeiten sein sollte. Ich wollte die etwas arrogante und schwülstige Art und Weise des Songschreibens überspitzen, indem ich die Texte von einem angeblich zehnjährigen Jungen schreiben ließ. Das mag absurd und ziemlich albern klingen, aber wir lebten in der Ära von Monty Python, in der diese Art des surrealen britischen Humors ihren festen Platz in der Psyche der Briten hatte.“

Das Album war ein weltweiter Erfolg, inklusive einer Nummer-eins-Notierung in den amerikanischen Billboard-Charts. Teile des Albums tauchten seitdem immer wieder in den Konzerten von Jethro Tull und Ian Anderson auf. Aber Ian hatte immer wieder Vorschlägen seitens der Plattenfirma widerstanden, zu dem Album eine Fortsetzung zu schreiben. Zumindest war das so, bis er im Jahr 2010 seinen alten Freund Derek Shulman von Gentle Giant traf, der ihm mit der Idee in den Ohren lag, doch zum 40-Jährigen eine Fortsetzung zu schreiben, was Ian dann tatsächlich erstmals ernsthaft in Betracht zog, statt es wie sonst gleich von der Hand zu weisen. Er hatte bemerkt, dass sich mit den Jahren das Publikum verändert hatte. „Das waren nicht mehr nur alte Käuze, sondern eher eine Mischung aus alten Käuzen und jungen Käuzen. Es fiel mir auf, dass es eine neue Welle von jungen Menschen gab, die nach einer Alternative und einem Gegenentwurf zu X-Factor und der sich stetig wiederholenden Rockmusik unserer Tage suchen. So freundete ich mich langsam mit dem Gedanken an, dass es vielleicht doch nicht so unwürdig wäre, wie ich früher gedacht hatte, noch einmal etwas in der progressiven Richtung anzugehen.“

Im Februar 2011 entwickelte Ian Anderson einige Tage lang die ersten Skizzen. „Alles basierte auf der Idee, was wohl aus Gerald Bostock, diesem frühreifen Kind, geworden ist, was ihm im Leben widerfahren ist? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Schlüsselmomente aus meiner eigenen Kindheit fielen mir ein, wie ich eher zufällig die eine oder die völlig entgegengesetzte Richtung hätte einschlagen können. Aus mir hätte alles Mögliche werden können vom Soldaten, Seemann oder Astronauten bis hin zum Mimen oder Waldbauern – obwohl ich mich nach der Schule zunächst bei der Polizei bewarb und mich als Journalist einer Lokalzeitung versuchte, bis mich dann jedoch an der Kunsthochschule die Musik ganz gefangen nahm.“

„So stellte ich mir also Gerald Bostock als diesen zehnjährigen vorpubertären Knaben vor. So wie das Model aussah, das wir 1972 als den fiktiven Gerald Bostock fotografiert hatten, war er ein ziemlich Streber, der wahrscheinlich nicht besonders beliebt war an der Schule und wohl auch im Sport nicht besonders gut. Welche Möglichkeiten hätte er dann wohl gehabt, was wäre aus ihm geworden, wohin hätte es ihn geführt? Ich entwarf verschiedene Szenarien, darunter ein Stück über sein mögliches Leben gleich nach der Pubertät und daraus resultierend ein weiteres Stück über all das, was aus ihm wohl geworden sein könnte, bis er schließlich erwachsen war. Im abschließenden Teil des Albums habe ich dann all diese Dinge zu einer Art Zukunftsszenario zusammengeführt, in dem trotz aller zufälligen Wendungen ein bestimmtes Karma oder Kismet unser Schicksal vorherbestimmt, ganz gleich, welche radikal unterschiedlichen Richtungen wir auch eingeschlagen haben mögen.“

Aus diesem losen Konzept heraus entstand „Thick As A Brick 2“. Im November 2011 nahm Ian Anderson das Album gemeinsam mit Florian Opahle (Gitarre), John O’Hara (Keyboards), David Goodier (Bass) und Scott Hammond (Schlagzeug) auf, wobei ganz bewusst das Gefühl des 1972er Albums entstehen sollte, indem man zum großen Teil dasselbe Instrumentarium, also viele Akustikgitarren und viel Hammondorgel, einsetzte und die Songs mit der Band weitestgehend live einspielte. Mit einem Minimum an Overdubs und ohne sonstige gängige Studiotricks nahm Tonigenieur Steven Wilson (von Porcupine Tree) dann die Feinjustierung vor. Auch wenn es verschiedene markante Punkte (IDs) gibt, durch die sich einzelne Songs über iTunes downloaden lassen, ist dies in erster Linie ein durchgängiges 53-minütiges Musikstück mit diversen wiederauftauchenden musikalischen Motiven.

Eine weitere Referenz an das 1972er Album und das St. Cleve Chronicle Cover ist die fingierte Lokalnachrichten-Webseite www.StCleve.com, mit der das Album von 2012 aufwartet. In bewusster Anlehnung an ähnliche nicht ganz so professionelle Webseiten hat Ian sie recht amateurhaft gestaltet (Sie wird auf jeden Fall online gehen und für Fans einen Bereich anbieten, wo man seine eigenen erfundenen Nachrichten verbreiten kann). „StCleve.com soll vor allem unbeschwert sein mit vielen für Schüler typisch vulgären Zoten, aber auch mit ernsten Themen und fein beobachteten Phänomenen, die typisch sind für das Leben in provinziellen Kommunen. Es tauchen auch bekannte Charaktere wie Max Quad und Angela de Groot auf, die nun ein Fitnessstudio betreibt. Und hinzu kommen mir und dem Rest der Welt bekannte Persönlichkeiten mit leicht abgeänderten Namen. Man wird dann schon wissen, um wen es geht…“

Auch die 18 Monate währende Welttournee, die offiziell am 14. April in Großbritannien startet, soll an die ursprüngliche Bühnenshow des Jahres 1972 erinnern, wobei die „amateur dramatics village hall“, wie Ian es nennt, eine völlig neue Theaterinszenierung mit Videos und Schauspielern beinhalten soll.

Was hält Ian nun vom vollendeten Projekt? „Im Gegensatz zum 1972er Original von Thick As A Brick ist dies nicht wirklich eine Parodie. Das soll nicht alles lustig sein, einiges geht sogar richtig ans Herz und ist recht ernst, manchmal ein wenig intellektuell, manchmal fröhlich und unterhaltsam, ohne zu albern zu sein. Insgesamt ist dies ein viel ernsteres Werk, und auch wenn man es manchmal als unbeschwert und lustig empfindet, steckt immer ein gewisser Tiefgang darin.“

„So beobachtet es ganz genau diverse Rollenklischees. Eine dieser Stereotypen, in denen ich Gerald fürs Album eigentlich nicht sah, war der eines Politikers – obwohl er auf dem Album-Cover als Ex-Parlamentarier der Labour-Partei auftaucht, der nun in der Gegend von St. Cleve lebt. Er taucht jedoch noch in anderer Gestalt auf, etwa als korrupter christlicher Prediger, oder als Investment-Banker mit fetten Bonus-Prämien, also genau die Menschen, die wir heutzutage mit Vorliebe verachten. Und schließlich auch noch als Kriegsopfer, als heimgekehrter Soldat, der versucht, anderen Veteranen die Re-Integration ins Leben zu erleichtern, wobei ihn die Sinnlosigkeit des Krieges augenscheinlich verbittert hat. Das sind so Momente, die einen wirklich runterziehen können. Aber auch da muss man durch. Manchmal hilft es dabei, die Dinge so unbeschwert wie möglich anzugehen.“

„Vielleicht mögen manche hier Parallelen zu Quadrophenia sehen, aber das ist völlig falsch. Hier geht es nicht um eine gespaltene Persönlichkeit, sondern um all jene unterschiedlichen Rollen, in die wir in unserem Leben hätten hineinwachsen können. Wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt die Straßenseite gewechselt hätten, ans Telefon gegangen wären, diesen einen bestimmten Artikel in der Zeitung gelesen hätten, hätten solche Dinge vielleicht unser Leben verändert. Und genau so etwas passiert zweifellos im Leben der Menschen, je nachdem, welche Freundschaften sie schließen, welche Beziehungen sie eingehen, ob in einer Ehe oder sonst wo. Darum geht es – und das taucht immer wieder auf – um all diese Was-wäre-passiert-wenn-Momente des Lebens.“

„Einer der Schlüsselmomente des Albums ist das Stück „A Change Of Horses“, das Fans von unseren Shows des letzten Jahres wiedererkennen werden. Es handelt von dem Punkt im Leben, an dem du dir sagst, wenn es noch einmal eine Veränderung geben soll, dann muss es jetzt sein. Das passiert häufig bei Menschen so um die vierzig oder fünfzig, und ich mag die Idee dieser Neujustierung und Neubewertung, dass es da einen zweiten Teil in deinem Leben gibt, bei dem das Schicksal einen neuen Entschluss erfordert. Dabei geht es weniger um den Blick zurück als um den Blick nach vorn. All diese Momente möglicher Entscheidungen gab es in meinen Teenagerjahren reichlich und es war eine Mixtur aus Verheißung und blankem Terror, denn die Welt da draußen war beängstigend. Das will ich hier erforschen und ich glaube, das gilt für Menschen von beiden Seiten des Altersspektrums, für den Menschen im gesetzten Alter, der seinen Einkaufswagen vor sich herschiebt, ebenso wie für den pubertierenden Jüngling, der vor irgendeiner Entscheidung steht.“

Und ist TAAB 2 aus der Sicht von heute ein Konzeptalbum? Ian Anderson ist davon überzeugt. „Ja, es ist ganz klar ein Konzeptalbum! Es ist zudem ein sehr erwachsenes und reifes Konzeptalbum, aber es sollte Menschen jeden Alters ansprechen. Das ist ein intellektuelles Unterfangen. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Menschen sich darauf einlassen werden, aber ich denke genügend, um diese Platte zu rechtfertigen. Es ist ganz unverfroren in der Art und Weise, wie es zum Zuhören und Nachdenken zwingt. Manchmal ist die Musik sehr geradlinig und groovt auch, und manchmal funktionieren die Sachen auch, ohne dass man sich großartig anstrengt. Aber für das Konzept insgesamt, für einen Großteil der Songtexte und auch für einen Teil der Musik muss man sich schon richtig reinhängen. Ich glaube, das machen auch viele gerne. Man kombiniere dies mit all den Details, die rund um dieses Projekt in das Album eingeflossen sind, das Artwork und die Webseite StCleve.com, dann bekommt man ein richtig großartiges Paket zusammen, das vielen sehr viel Vergnügen bereiten wird.“

Martin Webb,
Januar 2012