Kategorie-Archiv: Literatur

WilliZ Welt der Literatur

Heute Ruhetag (23): Goethe – Faust I + II

Heute Ruhetag = Lesetag!

Direktor zum Theatherdichter und der lustigen Person:

Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Not und Trübsal, beigestanden,
Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

[…]

Aus dem Vorspiel auf dem Theater

Johann Wolfgang von Goethe: Faust – eine Tragödie und als der Tragödie zweiter Teil

    Signatur: Johann Wolfgang von Goethe

Gefällig mag vieles sein dem deutschen Volk, aber auch von Bedeutung? Faust und sein Pakt mit Mephistopheles, dem Teufel, ist ein Stoff der europäischen Literatur. Aber speziell wir Deutschen zeigen die Neigung, Fiktives schnell als bare Münze anzusehen und sind zu manchem Teufelspakt bereit. Was wären wir ohne Goethe, der uns den Fauststoff als eine Tragödie und als der Tragödie zweiter Teil besonders aufbereitet hat, aus dem sich unsere Zungen auch heute noch reichlich bedienen, nicht nur den als des Pudels Kern.

Auch ich habe mich vorzeiten (1992 und Anfang 1993) aus dem Fundus Goethe’scher Verse bedient und es gemäß dem Vorspiel zum Faust „Des Fadens ew’ge Länge – Aufzeichnungen“ genannt. Hier noch einmal:

    Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
    Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

    Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
    Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.

So spricht der Dichter im Vorspiel auf dem Theater in Goethes „Faust – Der Tragödie erster Teil“. Ich mag gleichgültig sein; so drehe und fädle ich und zwinge ich das Garn, welch Hirngespinst, von der Rolle, wie auch ich so von der Rolle bin. Was ewig ist, das hat weder Anfang noch Ende. Also ist der von Goethe beschriebene Faden ohne Anfang und ohne Ende. Gewissermaßen bin ich ein Glied, ein Fädelchen, davon. Und dieses Stück Garn wehrt sich, von der Natur auf die Spindel gezwungen zu werden. Also: Ab von der Rolle mit dem Fädchen, mein Mädchen!

Wenn ’s nur die Natur allein wäre, ich würde mich gern zwingen lassen (Trieb und Leidenschaft); was wirklich zwingt, sind die Umstände, ist die Umwelt, alles was uns um Konventionen willen bedrängt und in die Schranken weist. Gegen den Faden der Gesetze heißt es zu kämpfen, den roten Faden, mit dem das Leben durchwebt ist. Und zum Kampfe reiche mir die Feder angefüllet mit tiefschwarzer Tinte. Götter zu einen, ist nicht mein Trachten, und der Olymp soll verfaulen – von mir aus. Die Gegner sind auf Erden zu finden; finden wir sie aus und besudeln sie mit der Tinte gemischt aus unserm Blut und der Natur Erde. Quarksieder, Schönredner, Ignorantenpack und Egoistengeschmeiß, Speichellecker, Ausbeuter, Dummgesocks und Schweinetreiber – alle an der Wand! Und bloßgestellt! Schreibtischtäter und ihre Handlanger, Tattergreise von Ministern, Saumägen und Rebsgeläuse, Mistkäfer und Verbrecher mit weißen Krägen und Bankkonten in der Schweiz – an den Strick! Zeigt her eure vollgefressenen Schmerbäuche und eure Finger, an denen das Blut klebt von unschuldigen, naiven Menschen, die auf eure Bauernfängereien hereingefallen sind!

Mit der Feder in der Hand nehme ich den Kampf nun auf, um gegen Paragraphen und ihre Schöpfer, diese unersättlichen Papiertiger, anzugehen. Aber auch Du, dummdreister Ochs, bekommst Dein Fett weg! Und selbst am eignen Kleide leugne ich den Schmutzen nicht.

Aber auch von manch andrem Zeug sei hier berichtet.

Kapitel 1 – Natürliches

1 Faustus Müllemann

Am Wegesrand ein Blümlein wächst, dessen Duft mir in die Nase steigt. Ein sanftes Kribbeln. Pass auf, dass Du das zarte Pflänzlein nicht unter Deinen tapsigen Stiefeln begräbst. Mir könnte etwas fehlen («Tritt nicht aufs Fettkraut!»). Befreie Dich von den klobigen Tretern und wage es wie ich, barfüßig durch das Gras zu gehn. Spürest auch Du einen Hauch vom Morgentau? Von Frische, die die Zehen benetzt? Mach Deinen Kopf frei! Und fühle! Atme ein und atme aus.

Besinne Dich, Du Ochs! Gedankenlos kippst Du allen Dreck in die Natur aus. Überall stolpere ich über Müll, den Du wie die Schleimspur einer Schnecke gleich hinter Dir herziehst, und falle mit der Nase in schimmligen Quark («In jeden Quark begräbt er seine Nase.»). Ich mag wohl gern meinen Riecher in andrer Leute Sachen stecken, aber nicht in solch fauligem Schlamm.

«Hopfen und Malz, Du stinkst aus dem Hals!» Fettbäuchig begräbst du das Blümlein unter deinem auseinanderquellenden Arsch. Um dich herum stapeln sich Bierdosen und Schnapsflaschen. Aus deinem Maul quillt nicht nur der abgestandenen Pesthauch und Sabber, sondern mit den aufgequollenen Lippen formst du unförmige Wörter, die wie Kotzbrocken aus der Fresse fallen.

Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ich kann mich hüten davor, es zu tun. Staub soll er fressen, und mit Lust, wohl bekomm ’s! Es würde dir besser bekommen als der Fraß aus Tüten, die entleert die Straßen säumen.

Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn! Also packt deinen Kram, und dann pack‘ dich! Aber bald, denn was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, und es wird dann nimmer mehr gescheh’n. Halbseidener Schlaumeier, erhebe dich … Oder bleib‘ ganz einfach sitzen, denn dann wirst du samt deines Unrats als menschlicher Sperrmüll zusammengekehrt und abtransportiert. Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur! der Meister sprach ’s, aber ach, ein Müllwerker klaubt dich aus dem Dreck, hilft dir sogar auf die Beine und fegt überstehenden Abfall von deinen Kleidern. Oh, Gott, der Schrott steht auf beiden Füßen. Ja, kehre nur der holden Erdensonne entschlossen deinen Rücken zu! Schuld- und schuttbeladen wankt er davon. Die Träne quillt, die Erde hat ihn wieder! Aber irgendeiner Schuld ist er sich nicht bewusst. Vergeblich ist mein Reden. Da steht er nun, der arme Tor! Und ist so klug als wie zuvor; und wankt davon und wankt. Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang, des Toren taube Ohren zu predigen. Und er wankt. Das also war des Pudels Kern! Müllemanns fetter Hintern! Er wankt und wankt.

Auch für mich ist es Zeit, mich aus dem Staube zu machen, mich aus seinem Dunstkreis zu entfernen. Des Denkens Faden ist zerrissen, mir ekelt lange vor allem Wissen. Was Müllemann, der wankt, nicht weiß, wenn er auch denkt, zu wissen. Er nennt ’s Vernunft und braucht ’s allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein. Aber bekanntlich: Es irrt der Mensch, solang er strebt.

Aber ja, aus den Augen, aus dem Sinn! So hoff‘ ich, meinen Seelenfrieden wieder zu finden. Und suche nach Entschuldigung und find‘ sorgenvolle Kindheit. Und suche nach Erklärung und finde schädigendes Milieu. Schon der Großvater hat …, und der Vater war … Und Müllemann wankt. Mir reißt der Faden. Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden, sie hemmen unsres Lebens Gang. Und Müllemann, ach Müllemann, du wankst.

Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen, zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. So suche ich das Weite in der Ferne. Und ich gehe dahin, ein letzter Blick über die linke Schulter erspäht Müllemann, wie er wankt. Und ich laufe. Und ich hoffe, dass ein Blümlein am Wegesrand sich erholt und aufersteht und blüht und zu meiner Freude duftet und …

Freud muß Leid, Leid muß Freude haben. Und ich laufe, um einem Platz zu finden, an dem ich sagen kann: Hier bin ich Mensch, hier darf ich ’s sein! Während Müllemann wankt, nach Hause wankt, wankt, wankt …

Goethe mag mir verzeih’n!

Romananfänge (6): Garp

Heute möchte ich noch einmal auf den Roman Garp und wie er die Welt sah von John Irving zurückkommen, den ich gestern hoffentlich nicht zu sehr verrissen habe. Vielen Irving-Liebhabern muss es seltsam anmuten, den ‚Garp’ einerseits in einer Liste meiner liebsten Bücher zu finden, andererseits solch kritische Worte über das Buch zu vernehmen. Vielleicht sollte der werte ‚Liebhaber’ dann vielleicht doch etwas genauer lesen …

In einer Vorbetrachtung zum Thema Romananfänge läutete ich gewissermaßen einen Wettbewerb für gekonnt formulierte erste Romansätze ein. Dazu bin ich, wie geschrieben, durch John Irving angeregt worden. Was liegt da näher, als hier auch einmal einen Anfang eines Romans von John Irving in den Wettbewerb zu schicken – eben aus seinem besagten Roman: Garp und wie er die Welt.

Garps Mutter, Jenny Fields, wurde 1942 in Boston festgenommen, weil sie einen Mann in einem Kino verletzt hatte. Es war kurz nachdem die Japaner Pearl Harbor bombardiert hatten, und die Leute waren tolerant gegen Soldaten, weil plötzlich jeder Soldat war, aber Jenny Fields blieb fest in ihrer Intoleranz gegen das Benehmen von Männern im allgemeinen und Soldaten im besonderen.
(1. Kapitel – Das Bostoner Mercy Hospital)

Nun, der Soldat wurde gegenüber Jenny Fields sexuell aufdringlich, was Garps Mutter, die Krankenschwester, die immer ein Skalpell bei sich trug, entsprechend beantwortete.

Willi und die Romananfänge

Das Witzige ist, dass Irving zunächst einen anderen Romananfang im Sinne hatte. In einem Nachwort: Vor zwanzig Jahren (1998) – der Roman war 1978 erschienen – schreibt John Irving:

„Damals fiel mir ein, daß ich neben meinen übrigen Versuchen, einen Romananfang zu finden, vor langer Zeit auch einmal mit dem jetzigen Schlußsatz begonnen hatte („… in der Welt, so wie Garp sie sah, sind wir alle unheilbare Fälle.“), und ich erinnerte mich daran, wie dieser Satz durch das Buch gewandert war, wie ich ihn dauernd vor mir herschob. Anfangs war es der erste Satz des zweiten Kapitels, später war er der letzte Satz des zehnten Kapitels und so weiter, bis er zum Ende des Romans wurde – dem einzig möglichen Ende.“

Manchmal liegt Anfang und Ende so nah beieinander. Ein guter Anfang soll den Leser zum Weiterlesen animieren, ein gutes Ende wie das Feuerwerk zu Silvester, dem Jahresende, dem Ganzen des Romans die Krone aufsetzen.

John Irving: Garp und wie er die Welt sah

Nach längerer Zeit habe ich mir von John Irving wieder den Roman Garp und wie er die Welt sah zum Lesen vorgenommen, den Roman, mit dem er erfolgreich wurde. Es ist auch der erste Roman, den ich von John Irving gelesen habe.

„Mit seinem vierten Roman ‚Garp und wie er die Welt sah’ wurde John Irving über Nacht bekannt – in den USA brach die ‚Garpomanie’ aus. Stilistische Virtuosität, groteske Eskapaden und die für Irving typische Mischung aus Realismus und Absurdität machen den einzigartigen Charakter dieses Buches aus, das den Leser nicht mehr losläßt. Die Welt des Schriftstellers Garp ist bevölkert von Lehrern und Huren, Spießern und Randexistenzen, Verlagslektoren und Mördern, Transsexuellen und Sittenstrolchen, Männern, Frauen und Kindern – brutal, banal, perfide. Ein Pandämonium: unsere Welt.
Gegen Ende seiner Schulzeit entdeckt der Titelheld Garp seine Begabung, Geschichten zu erzählen. Fortan ist er hin- und hergerissen zwischen Literatur und Realität, zwischen den phantastischen Welten seiner Einbildungskraft und der Notwendigkeit, das wirkliche Leben in den Griff zu bekommen. Auf einer Reise nach Wien, die seine Mutter mit ihm unternimmt, um die Kunst und Dekadenz Europas ‚aufzusaugen’, macht Garp die Erfahrung, daß Leiden, Schmerz und Vergänglichkeit Grundtatsachen des Lebens sind – und daß der Glaube an einen festgelegten Sinn oder darin, das Leben lenken zu können, nichts als pure Illusion ist. Statt dessen gelangt er zu der zentralen Überzeugung, daß das Chaos des Lebens allein durch Sprache und Sexualität zusammengehalten wird. Garp wird Schriftsteller. Er schreibt eine Kurzgeschichte und zwei Romane, von denen der letzte ein voller Erfolg wird. Als sein Schwiegervater stirbt, übernimmt Garp von ihm, seinem ehemaligen Lehrer, die Aufgabe des Ringkampftrainers. Und als seine politisch aktiv gewordene Mutter ermordet wird, tritt er sogar für feministische Anliegen ein. Doch sein Ruf als Ultrachauvinist, den er sich im Kampf gegen eine Gruppe radikaler Feministinnen erworben hat, holt ihn am Ende doch noch ein.“

(aus dem Klappentext – meine Buchausgabe: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg – einmalige Sonderausgabe September 1998)

Kann man von einem Autor mit der Zeit genug bekommen? Von Irving, ich fürchte, ja. Wenn man John Irving, z.B. den Garp, zum ersten Mal liest, wird man schnell von den vielen skurrilen Typen und den makabren Begebenheiten gefangen genommen. Aber wie bei einem üppigen Mahl hat man es schnell satt.

    John Irving

John Irving beruft sich gern auf Günter Grass als literarische Vorbild. Beide sind wohl auch miteinander befreundet. Während Grass aber in seinem scheinbar dem Barock zu entstammenden Stil wortgewaltig kunstvolles Spiel mit der Sprache treibt, bleibt Irving sprachlich oft sehr blass, was nicht nur an der Übersetzung ins Deutsche liegen kann. Dafür treibt seine Phantasie reichlich Blüten, die sich aber, schaut man genauer hin, sehr schnell in immer wiederkehrenden Motiven und Themen erschöpft, z.B. „Charakteristika von Figuren (schüchterne Männer, starke Frauenfiguren, vaterlos aufwachsende Söhne, Prostituierte); Beziehungen (sexuelle Beziehungen zwischen älteren Frauen und jüngeren Männern, Inzest, häufig homoerotische Beziehungen) und Milieus (Rotlichtmilieus, Internatsschulen, Hotels/Pensionen, Zirkus) sowie die Schriftstellerei, Motorräder, Religion und immer wieder Bären.“ (vergleiche hierzu den Absatz bei de.wikipedia.org)

Manchmal ist es eben zuviel des Guten. Damit man mich nicht falsch versteht: Garp ist ein durchaus lohnenswerter Roman. Als ich ihn zum ersten Mal gelesen hatte, war ich angetan von all den seltsamen Gestalten, die ihn bevölkern. Aber man sollte den Roman wahrscheinlich kein zweites oder gar drittes Mal lesen, dann verliert er merklich an Farbe. Plötzlich erscheint jener Garp etwas blutleer geworden, in manchem kindisch oder gar banal. Garp entgleitet einem plötzlich, ist nicht mehr so sympathisch wie man ihn glaubte, sympathisch gefunden zu haben. Es treten Irritationen auf, die man nicht ganz wegstecken mag, z.B. sein Sicherheitswahn den eigenen Kindern gegenüber geht einem auf den Keks. Da musste ja kommen, was dann kam.

Vieles ist natürlich ‚Absicht’. Irving will uns locken. Und es gelingt ihm auch. Trotzdem erscheint mir das Buch (und nicht nur dieses) als eine Offenbarung männlicher Sexual- und Gewaltphantasien, die Irving mit einem feministischen Häkeldeckchen zu bemänteln sucht. Oder ist auch das nur ‚Absicht’?!

Nun bei den Kritikern kam John Irving nicht immer gut weg. Dafür hat sich aber Hollywood seiner (bzw. seiner Romane) angenommen. So wurde nicht nur eben Garp verfilmt, sondern besonders erfolgreich u.a. auch sein Roman Gottes Werk und Teufels Beitrag, der Irving dann auch den Oscar 2000 für das beste Drehbuch einbrachte. Irvings Romane scheinen sich besonders für die Verfilmung zu eignen – und besonders für die Verfilmung durch Hollywood.

siehe auch meine Beiträge:
John Irving: Die vierte Hand
John Irving: Bis ich dich finde

Martin Walser und das verlorene Tagebuch

Was kann es für einen Schriftsteller Schlimmeres geben, als den Verlust von handschriftlichen Skizzen und Tagebüchern:

Eine Zugfahrt von Innsbruck nach Friedrichshafen wird für Literat Martin Walser zur schicksalhaften Reise. Er lässt nämlich sein Tagebuch samt einiger Romanentwürfe auf dem Sitz liegen. Walsers Verlag bietet dem ehrlichen Finder nun 3.000 Euro.

„In rotes Leinen gebunden. Drin kein Name, keine Adresse. Ich hatte ja nicht vor, es liegen zu lassen“, sagte der 85-jährige Walser (Das dreizehnte Kapitel). „Und dann lässt du so ein Reise-Tagebuch, lässt du ein aufgeschriebenes Leben im Zug liegen.“

Er habe der Deutschen Bahn den Vorfall vom 17. September gemeldet und sei in der „Verlust-Gruppe Bücher, Bilder, Kunstgegenstände“ registriert worden – das Tagesbuch sei aber nicht wieder aufgetaucht. Zwar habe er versucht, mit dem Verlust klarzukommen. „Du erlebst: Wenn etwas verloren ist, entsteht ein Gefühl. Nichts entwickelt sich in uns zu solcher Deutlichkeit wie Verlorenes“, sagte Walser. „Aber nur das Verlustgefühl nimmt zu, das Verlorene selbst bleibt verloren.“

Er sei in den letzten zwölf Monaten viel unterwegs gewesen, in Chicago, Paris, London, Kopenhagen, Helsinki, Brüssel, Luxemburg. „Die Stimmung im Hancock Building in Chicago, November, nachmittags um fünf. In London noch einmal zu Fuß quer durch die Stadt, in der die Welt zu Hause ist. In Helsinki, mein Gott, allein die finnischen Begegnungen.“

Hoffen wir für Herrn Walser, dass er sein Tagebuch wiederbekommt. Immerhin hat er auf diese Weise vielleicht auch ein neues Thema für einen Roman: Der Verlust.

Heute Ruhetag (22): Charles Baudelaire – Die Blumen des Bösen

Mit leisen Schritten nähern wir uns dem Herbst. Der Herbst ist für viele eine Zeit der Melancholie. Die Tage werden kürzer, die Temperaturen sinken merklich. Die Bäume trennen sich von ihren Blättern. Die Natur hält Rückzug.

Der Herbst ist auch eine Zeit des Lesens. Und – ich weiß nicht warum – eine Zeit der Gedichte mit desillusionistischen, pessimistischen Unterton. Charles Baudelaire, der heute als einer der größten französischen Lyriker überhaupt und als einer der wichtigsten Wegbereiter der europäischen literarischen Moderne gilt, schrieb solche Gedichte. Wesentliche Anregungen gewann er bei Edgar Alle Poe, dessen Werk er als erster ins Französische übersetzte. „1857 erschien Baudelaires Hauptwerk, der Gedichtzyklus ‚Les Fleurs du Mal‘ (Die Blumen des Bösen). Wegen sechs angeblich obszöner und gotteslästerlicher Gedichte in dieser Sammlung wurden Autor, Verleger und Drucker angeklagt und der ‚Beleidigung der öffentlichen Moral und der guten Sitten‘ für schuldig befunden, erst nach dem 2. Weltkrieg wurde dieses Urteil aufgehoben“. (Quelle: gutenberg.spiegel.de)

Heute Ruhetag = Lesetag!

[…]

Wie schön ist das Erglühn aus Nebelschwaden
Des Sterns im späten Blau, des Lichts in den Fassaden
Der Kohlenströme Flößen übers Firmament
Und wie das Land im Mondlicht fahl entbrennt.
Mir wird der Lenz der Sommer und das Spätjahr hier sich zeigen
Doch vor dem weißen winterlichen Reigen
Zieh ich den Vorhang zu und schließe den Verschlag
Und baue in der Nacht an meinem Feenhag.

Dann werden blaue Horizonte sich erschließen
Und weinend im Boskett Fontänen überfließen
Dann wird in Küssen und im Vogellied
Der Geist der Kindheit sein der durch Idyllen zieht.

Mag gegen’s Fensterglas sich ein Orkan verschwenden
Ich werde nicht die Stirn von meinem Pulte wenden;
Denn höchst gebannt in meine Leidenschaft
Ruf ich den Lenz herauf aus eigner Kraft
Und kann mein Herz zu Strahlen werden sehen
Und meines Denkens Glut zu lindem Wehen.

aus: Landschaft (Original: Paysage)

Signatur: Charles Baudelaire

Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen/Les fleurs du mal (Übertragungen von Walter Benjamin)

Nadine Gordimer: Niemand, der mit mir geht

    … nicht aufgrund der weißen Schuld, von der die Leute redeten, sondern aus der Notwendigkeit heraus, sich der Zeit und dem Ort zu stellen, denen sie sich durch Geburt, wie sie es verstand, zugehörig fühlte. (S. 27)

Nadine Gordimer, 1923 geboren, ist eine der bekanntesten südafrikanischen Schriftstellerinnen. Ihre Romane, Erzählungen und Essays behandeln vor allem die südafrikanische Apartheidpolitik und deren zerstörerische Folgen sowohl für die schwarze als auch für die weiße Bevölkerung. 1991 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Das, was die Protagonistin Vera Stark in Nadine Gordimers Roman Niemand, der mit mir geht sagt, kann auch auf Gordimer selbst bezogen werden. Es geht nicht um ‚weiße Schuld’, es geht darum, sich der Lebenssituation, sich seinem Rechtsempfinden zu stellen, das das Unrecht der Apartheid, der Rassentrennung und Rassensegregation nicht länger dulden kann.

Nadine Gordimer: Niemand, der mit mir geht

Die Übergangsphase von der Apartheid in Südafrika zur rechtlichen Gleichstellung dauerte von 1990 bis 1994. Während dieser Zeit wurden die verbliebenen Gesetze der Rassentrennung beseitigt. Alle in Südafrika wohnhaften Menschen konnten sich frei und ohne Restriktionen bewegen. Viele Schwarze nutzten diese Chance und zogen in Städte. Diese Übergangszeit war aber auch geprägt durch blutige Unruhen, denn die Führer der so genannten Homelands sahen sich durch das neue Staatssystem in ihrer Macht bedroht. Die Unruhen forderten insgesamt etwa 7.000 Tote.

In dieser Zeit spielt der Roman von Nadine Gordimer (Niemand, der mit mir geht – Original: None to Accompany Me, 1994 – Aus dem Englischen von Friederike Kuhn – Bechtermünz Verlag – 1998), der in drei Kapitel mit den Titeln Gepäck, Transit und Ankunft gegliedert ist.

Zum Inhalt (Quelle: dieterwunderlich.de):

Die weiße Südafrikanerin Vera ist in zweiter Ehe mit Bennet („Ben“) Stark verheiratet. Ihren ersten Ehemann, dessen Frau sie mit siebzehn geworden war, hatte sie wegen Ben verlassen. Bei der zweiten Hochzeitsfeier war sie schwanger, und einige Monate später kam sie mit ihrem Sohn Ivan nieder. Vera wurde Anwaltsgehilfin und studierte Jura, doch nach der Geburt des zweiten Kindes – der Tochter Annick („Annie“) –, gab sie ihre vielversprechende Position in einer prosperierenden Anwaltssocietät auf. Jetzt – mehr als dreißig Jahre später – engagiert Vera sich in einer juristischen Stiftung, die in den letzten Jahren der Apartheid gegen Zwangsumsiedelungen von Schwarzen kämpfte und seit der gemeinsamen Erklärung des ANC und der Regierung von Frederik Willem de Klerk vom 6. August 1990 zwischen Buren-Farmern und mittellosen Schwarzen zu vermitteln versucht. Ben fühlt sich eigentlich als Künstler, doch um sich und Vera finanziell abzusichern, beteiligt er sich an dem Unternehmen „Promotional Luggage“, das teure Lederwaren herstellt und mit den Firmenlogos der Kunden versieht.

Heimlich hat Vera Stark ein Verhältnis mit dem fünfzehn Jahre jüngeren Österreicher Otto Abarbanel.

Bereits vor der Aufhebung des ANC-Verbots am 3. Februar 1990 kehrte mit Didymus („Didy“) Maqoma einer der Führer aus dem Exil nach Südafrika zurück. Einige Zeit später folgte ihm seine Ehefrau Sibongile („Sally“), und sie ließen auch ihre sechzehnjährige Tochter Mpho aus einem Internat in England kommen. Vera und Ben nahmen die Maqomas fünf Wochen lang bei sich auf, bis sie ein Haus gefunden hatten.

Während Didymus bei den Neuwahlen für die Parteileitung scheitert, rückt Sibongile in den engeren Führungszirkel auf. Bald vertritt sie den ANC auch auf zahlreichen Auslandsreisen.

Mit der Aufhebung der Apartheid ist Südafrika zwar freier geworden, aber nicht sicherer: Vera wird nach Phambili Park gerufen, wo sich eine Gruppe von aus ihren ursprünglichen Wohnorten vertriebenen Schwarzen illegal angesiedelt hatte. Nun wurden sie von Wanderarbeitern aus einem Arbeiterheim in Phambili Park angegriffen. Einige von ihnen kamen ums Leben.

Gemeinsam mit dem Squatterführer Zeph Rapulana sucht Vera den Buren Tertius Odendaal auf, der drei Farmen besitzt: eine vom Großvater über den Vater geerbte, eine von seiner Frau mit in die Ehe gebrachte und eine in den frühen Achtzigerjahren gekaufte. Er weigert sich, Hütten heimatloser Schwarzer auf seinem Land zu dulden, und mit einer Frau oder einem Schwarzen will er darüber auch gar nicht diskutieren: Er schlägt den beiden die Tür vor der Nase zu. Bald darauf kommt es im Odensville Squatter Camp zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Schwarzen und einer von Odendaal angeführten Gruppe. Neun Personen verlieren ihr Leben, vierzehn werden verletzt. Als Vera die Nachricht erhält, sorgt sie sich um Zeph Rapulana. Er ist unter den Verletzten. Odendaal, der behauptet, sich gegen einen bevorstehenden Angriff der Squatter verteidigt zu haben, kommt zwar ungeschoren davon, aber seine Klage gegen eine Gerichtsentscheidung zugunsten einer Schwarzensiedlung in Odensville wird vom obersten Gerichtshof abgewiesen.

Bens Vater zieht zu seinem Sohn und seiner Schwiegertochter. Einige Zeit später erleidet er einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt. Er stirbt.

Veras Sohn Ivan, der als erfolgreicher Banker in London lebt, teilt seiner Mutter in einem Brief mit, dass er sich von seiner Frau Alice scheiden lassen wird, weil er mit einer anderen Frau zusammenlebt. Die kinderlose Investment-Bankerin heißt Eva; es handelt sich um eine Halbjüdin aus Ungarn, deren Ehemann vor fünf Jahren einem Gehirntumor erlag. Von einer dauerhaften Beziehung mit Eva geht Ivan allerdings nicht aus.

Während Annie vorübergehend bei ihren Eltern wohnt, erhält sie Besuch von ihrer Freundin Lou. Vera kauft eigens eine Couch für Lou, stellt dann aber fest, dass die beiden Frauen weiterhin zusammen im Bett schlafen. Als sie es Ben erzählt, will dieser nicht wahrhaben, dass seine Tochter lesbisch ist. – Einige Zeit später adoptieren Annie und Lou ein schwarzes Mädchen.

Veras junger schwarzer Mitarbeiter Oupa Sejake hat zwar eine Ehefrau und Kinder, aber die leben bei Verwandten in einem Umsiedelungsgebiet. Eines Tages beschweren sich Didymus und Sibongile Maqoma bei Vera aufgebracht darüber, dass Oupa ihre Tochter Mpho geschwängert hat. Vera weiß, dass Mpho auch mit anderen jungen Männern herummachte, aber sie verspricht, der Sechzehnjährigen einen Termin für eine Abtreibung zu besorgen.

Bei einer Dienstreise kommen Vera und Oupa zufällig in die Nähe des Ortes, an dem Oupas Frau und seine Verwandten leben. Obwohl private Abstecher eigentlich verboten sind, fährt Vera mit ihm hin. Nach dem Besuch werden sie mit ihrem Auto angehalten, ausgeraubt und durch Schüsse verletzt. Veras Wunde am Bein verheilt, doch Oupa stirbt an einer Sepsis.

Nachdem Ivans Sohn Adam in London wegen Trunkenheit am Steuer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und ihm wegen mehrmaliger Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit der Führerschein abgenommen wurde, bittet Ivan seine Eltern, den Siebzehnjährigen für ein Jahr bei sich in Südafrika aufzunehmen.

Adam möchte ausgerechnet mit Mpho ausgehen. Seine Großmutter erzählt ihm, welche Schwierigkeiten sie mit Mphos Eltern hatte, weil das Mädchen von einem ihrer Mitarbeiter geschwängert worden war. Sie bittet ihren Enkel deshalb, sich von Mpho fernzuhalten.

Deren Mutter, die in einer neuen Regierung Ministerin werden könnte, steht inzwischen auf einer Todesliste. Obwohl Didymus keine Waffenerlaubnis hat, begleitet er Sibongile nach Möglichkeit mit einem Revolver unter dem Jackett.

Nachdem das Unternehmen „Promotional Luggage“ in bankrott gegangen ist, fliegt Ben zu seinem Sohn nach London. Vera weiß, dass er nicht mehr zurückkommt.

    Vielleicht macht das Verschwinden des alten Regimes auch die Aufgabe eines alten privaten Lebens möglich. (S. 296)

Da Adam mittlerweile zu einem Freund gezogen ist, braucht sie auch auf ihn keine Rücksicht zu nehmen und kann ihr Haus verkaufen. Vera zieht in einen Anbau des Hauses, das Zeph Rapulana in der Stadt bewohnt.

    Es war ein Verhältnis [gemeint ist das zwischen Vera und Zeph], in dem es Loyalitäten, aber keine Abhängigkeiten gab, Gefühle, die in keiner anerkannten Kategorie eingefangen waren, da sie nicht überprüft werden mußten. (S. 301)

Eines Nachts, als bei ihr ein Wasserrohr bricht und sie ins Haupthaus hinübergeht, um den Haupthahn abzudrehen, stößt sie im Bad auf eine unbekannte Frau, bei der es sich offenbar um eine Geliebte Zephs handelt.

Personen des Romans:

Vera Stark, Mitarbeiterin in einer juristischen Stiftung
Bennet Stark, ihr Mann
Ivan, ihr Sohn
Adam, Ivans Sohn
Annick, genannt Annie, ihre Tochter

Didymus („Didy“) Maqoma
Sibongile („Sally“), seine Frau
Mpho, ihre 16-jährige Tochter

Zeph Rapulana, Squatterführer (Besetzer)
Oupa Sejake, Mitarbeiter von Vera Stark in der juristischen Stiftung

Im Mittelpunkt von Nadine Gordimers Roman steht Vera Stark, eine starke Frau, die „inmitten ihrer politischen und privaten Kontakte ihre persönliche Einsamkeit akzeptiert, um ihre Unabhängigkeit nicht zu verlieren.“ Dass auch heute, rund 20 Jahre nach der Übergangsphase von der Apartheid zur rechtlichen Gleichstellung, weiterhin nicht von Normalität in Südafrika gesprochen werden, beweist der tödliche Polizeieinsatz gegen streikende Arbeiter der südafrikanischen Platinmine in Marikana.

„Wenn Sie glauben, daß der Nobelpreis eine Autorin ruhiger und weniger phantasievoll macht, wird Gordimers neues Werk Ihre These auf eine harte Probe stellen. Und wenn Sie glauben, daß Südafrika nach der Apartheid ein weniger interessanter Schauplatz für die Literatur sein muß, wird NIEMAND, DER MIT MIR GEHT Sie widerlegen.
Dieser erster Roman nach dem Nobelpreis, nach der Apartheid – Gordimers am wenigsten politischer und emotionalster – könnte das beste Werk sein, das sie je geschrieben hat.“

Marie Arana-Ward, The Washington Post

Literarische Werk von Nadine Gordimer

Heute Ruhetag (21): Hans Christian Anderson – Sämtliche Märchen

Neben den vielen Märchen, die uns in mündlicher Überlieferung vorliegen und z.B. von den Gebrüdern Grimm gesammelt wurden (Grimmsche Volksmärchensammlung „Kinder- und Hausmärchen“), gibt es die so genannten Kunstmärchen, also die von Schriftstellern verfassten. In Deutschland hat z.B. Wilhelm Hauff Märchen geschrieben, aber auch von Hermann Hesse gibt eine größere Anzahl. Die wohl bekanntesten Kunstmärchen sind die des Dänen Hans Christian Andersen, der weit über 100 solcher Märchen zu Papier gebracht hat. Wer kennt sie nicht: „Das hässliche Entlein“, „Die kleine Meerjungfrau“, „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ oder „Des Kaisers neue Kleider“. Andersens Märchen sind nicht nur zeitlos; sie gehören mittlerweile zur Weltliteratur und sind nicht nur für Kinder geeignet.

Heute Ruhetag = Lesetag!

Des Kaisers neue Kleider

Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er kümmerte sich nicht um seine Soldaten, kümmerte sich nicht um das Theater und liebte es nur, spazieren zu fahren, um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und eben so, wie man von einem Könige sagt, er ist im Rathe, sagte man hier immer: »Der Kaiser ist in der Garderobe!«

[…]

»Aber er hat ja nichts an!« sagte endlich ein kleines Kind. »Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!« sagte der Vater; und der Eine zischelte dem Andern zu, was das Kind gesagt hatte.

»Aber er hat ja nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, als hatten sie Recht; aber er dachte bei sich: »Nun muß ich die Procession aushalten.« Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

Signatur: Hans Christian Andersen

Hans Christian Andersen: Sämmtliche Märchen. Einzige vollständige vom Verfasser besorgte Ausgabe

Italo Calvino: Der Nichtleser

    „Ich? Ich lese keine Bücher!“ erklärt Irnerio bündig.

    „Und was liest du dann?“

    „Gar nichts. Ich habe mich so ans Nichtlesen gewöhnt, daß ich nicht mal lese, was mir zufällig unter die Augen kommt. Das ist nicht leicht: Im zarten Kindesalter bringen sie einem das Lesen bei, und dann bleibt man das ganze Leben lang Sklave all des geschriebenen Zeugs, das sie einem ständig vor die Augen buttern. Na ja, auch ich mußte mich in der ersten Zeit schon ein bißchen anstrengen, bis ich nichtlesen konnte, aber inzwischen geht’s ganz von allein. Das Geheimnis ist, daß du nicht weggucken darfst, im Gegenteil, du mußt hinsehen auf die geschriebenen Wörter, du mußt so lange und intensiv hinschauen, bis sie verschwinden.“
    (Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht, S. 59)

Es ist eine interessante Sache, die vom Nichtlesen, wie sie Italo Calvino in seinem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht niedergeschrieben hat. Sind wir nicht Sklaven des Gelesenen? Können wir nicht auch ‚ohne’?

    Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Zunächst drängt sich mir der Vergleich mit dem Schwimmen auf, einmal gelernt, kann man es nicht mehr verlernen. Ähnlich sollte es sich mit dem Lesen verhalten. Gut, man kann aus der Übung kommen. Aber selbst wer jahrelang im Kerker ohne Lektüre verbringt, dürfte beim Freikommen noch Lesen können.

Dann interessiert mich schon, warum wir eigentlich lesen. Ohne Lesen läuft ziemlich wenig. Das dürften Analphabeten am besten wissen. Statt des Lesens haben sie sich aber bestimmt andere Hilfen geschaffen, die ihnen das Lesen ersetzen (notfalls fragen sie nach). Lesen und Schreiben gehört zum täglichen Leben. Ich kann zwar darauf verzichten, die Zeitung zu lesen usw., aber spätestens beim Einkaufen möchte ich doch wissen, was etwas kostet (so dicke habe ich es nicht). Oder ich brauche nur das Umfeld meines Schreibtisches zu betrachten: Buchrücken mit Schrift, Notizen, der Bildschirm selbst …

Beim im Roman nur kurz auftretenden Irnerio, der eigentlich lesen kann, ist das Nichtlesen zunächst ein ganz bewusster Akt. Lässt man in seiner Konzentration, nicht zu lesen, nach, wird man unwillkürlich ‚lesen’. Irnerio schaut also ganz genau hin auf die geschriebenen Worte – und das immer mit dem Bewusstsein, nicht zu lesen. Kann man das überhaupt? Zunächst dürfte es einem schwer fallen, das Gelesene gewissermaßen zu ignorieren. Ähnlich dürfte es beim Denken sein. Ego cogito, ergo sum, meinte schon René Descartes: „Ich denke, also bin ich.“ Immerhin schaffe ich es, eine Zeitlang, wenn auch nicht zu lang, meinen Kopf abzuschalten und nicht zu denken. Aber auf Geschriebenes zu blicken und nicht zu lesen – irgendwie schaffe ich das nicht. Vielleicht kann ich meinen Kopf soweit ausschalten, dass ich nicht den Sinn des Geschriebenen verstehen. Aber es sind immer wieder einzelne Wörter, die sich in mein Bewusstsein einbrennen: Ego lego, ergo sum – „Ich lese, also bin ich“, hätte der gute René sagen sollen.

Calvions Irnerio muss also ein langes ‚Training’ hinter sich gebracht haben, um sein Nichtlesen zu perfektionieren. Ich kann zwar weggucken. Aber das ist es ja angeblich nicht. Also hinsehen und nichtlesen …. Hinsehen und nichtlesen … (Ins Wasser springen und nicht schwimmen …). Wer lässt sich so etwas einfallen: Italo Calvino in seinem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht.

Übrigens es gibt einen Twitter-Account: Nichtlesen

Das Wort nichtlesen taucht natürlich nicht im Duden auf. Es gibt nur nicht lesen. Aber nicht lesen ist etwas anderes als nichtlesen … nur so am Rande!

Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Es ist wieder einige Tage her: Auf meiner Leseliege liegend bei Sonnenschein las ich erneut Italo Calvinos Wenn ein Reisender in einer Winternacht, einen ganz außergewöhnlichen Roman, den ich hier bereits einmal kurz vorgestellt habe (Romananfänge (5): Wenn ein Reisender …). Der Roman stammt aus dem Jahr 1979 und ist auf Deutsch in einer Übersetzung von Burkhart Kroeber 1983 erschienen (ich habe die Taschenbuchausgabe dtv 10516 – Deutscher Taschenbuch Verlag, München – Januar 1986).

„Wenn sich ein Lesender in dem Roman von Italo Calvino das Eigentumsrecht an dem neuen Roman von Italo Calvino erwirbt und nach Hause eilt, um in der bequemsten Lesehaltung – über die es allerdings unterschiedliche Ansichten gibt – darin zu lesen, muß er bald erleben, daß er auf den fälschlich eingebundenen Druckbogen eines polnischen Buches stößt. Damit nicht genug. Gerade als es spannend wird, denn die Ex-Frau des Doktors ist eine faszinierende Person, und der Kommissar behält den Reisenden in einer Winternacht im Auge, fängt die Handlung an, sich zu wiederholen. Bald findet sich eine (Mit-)Leserin Ludmilla, und ‚am Ende landen der Leser und Ludmilla in aller Welt und aller Welts-Geschichten verwickelt in den Schutzräumen (den Gummizellen?) einer Bibliothek, aus denen sie herauskatapultiert werden: ins Happy-End; die beiden heiraten. Und haben ihre schönste Katastrophe noch vor sich. Die Hochzeitsnacht. Anstatt das eine tun sie das andere: Sie lesen >Wenn ein Reisender in einer Winternacht< von Italo Calvino. Alles fängt von vorne an. In unaufhörlicher Lust. Lesen, ein Wahnsinn? Ein Witz.’ (Die Zeit)“
(aus dem Klappentext)

    Bin auf den Gedanken gekommen, einen Roman zu schreiben, der nur aus lauter Romananfängen besteht. Der Held könnte ein Leser sein, der ständig beim Lesen unterbrochen wird. (S. 237)

Diesen Gedanken, den Calvino einem seiner Protagonisten, einen Schriftsteller, unterschiebt, ist gewissermaßen das Motto dieses Buches.

    Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht
    und schon legt sich über den Roman, den du lesen möchtest, ein Roman, den du möglicherweise leben könntest, die Fortsetzung deiner Geschichte [mit ihr] … (S. 39)

Man beachtet nach ‚lesen möchtest’ das ‚leben könntest’ – leben statt lesen. Aus dem Roman erhebt sich plötzlich der Leser, wird lebendig und Teil eines Romans. Eine faszinierende Idee, die sich natürlich nur lesend (dann leider doch nicht lebend) realisieren lässt, aber immerhin. Oder?

Wollt ihr beweisen, daß auch die Lebenden eine wortlose Sprache haben, mit der man nicht Bücher schreiben, sondern die man nur leben kann, Sekunde um Sekunde lebendig erleben, nicht aufzeichnen noch im Gedächtnis bewahren? Zuerst kommt diese wortlose Sprache der lebenden Körper – ist das der Grundgedanke […] – und dann erst kommen die Worte, mit denen man Bücher schreibt … (S. 85)

„Nicht in der dritten oder ersten Person, sondern konsequent in der Du-Form wird geschildert, wie der Leser das Buch in einer großen Buchhandlung kauft, es nach Hause trägt, es erwartungsvoll auspackt, aufschlägt, den Klappentext überfliegt und schließlich, nachdem er die bequemste Lesestellung gefunden und sich die nötige Ruhe verschafft hat („Mach lieber die Tür zu, drüben läuft immer das Fernsehen“), zu lesen beginnt.“ (Quelle: de.wikipedia.org).

Aber es gibt ja nicht nur den (männlichen) Leser, sondern auch die (weibliche) (Mit-)Leserin. Das Buch wird ja nicht nur von Männern gelesen:

Es ist an der Zeit, daß sich dieses Buch in der zweiten Person nicht mehr nur an ein unbestimmtes männliches Du wendet, […] sondern nun auch direkt an dich, die du seit dem zweiten Kapitel als notwendige Dritte Person auftrittst, damit der Roman ein Roman werden kann … [S. 168)

Italo Calvino beehrt uns in diesem Roman gleich mit zehn Romananfängen, die leider an ihrer jeweiligen Peripetie abbrechen. Manchen Leser wird das sicherlich nerven. „Stilistisch stellt jeder der zehn Romananfänge […] eine Parodie auf oder eher Hommage an eine bestimmte Schreibweise oder Autorengruppe des 20. Jahrhunderts dar – vom Nouveau Roman à la Robbe-Grillet bis zum russischen Revolutionsroman, von Kafka und Borges bis zum Pariser Gangsterkrimi, vom amerikanischen Campusroman bis zum Psychothriller, vom japanischen Liebesroman bis zum lateinamerikanischen magischen Realismus und zum Symbolismus eines Andrej Bely. So gesehen, bilden die zehn Romananfänge eine Art Querschnitt durch die moderne Literatur, ohne sich in jedem Fall einem bestimmten Stil oder Genre sicher zuordnen zu lassen.“ (Quelle: de.wikipedia.org).

Insgesamt ist der Roman ein Metaroman: Ein Roman in einem Roman in einem Roman usw. – das elfmal. Wer Romane mag, wird diesen Roman lieben (müssen).

„Dein Zuhause als Ort, wo du liest, kann uns nun sagen, welchen Platz die Bücher in deinem Leben haben: ob sie eine Schutzmauer sind, die du vor dir errichtest, um die Außenwelt fernzuhalten, ein Traum, in den du eintauchst wie in eine Droge, oder ob sie womöglich Brücken sind, die du nach draußen schlägst, hinaus in die Welt, die dich so interessiert, daß du ihre Dimensionen mit Hilfe der Bücher erweitern und vervielfachen willst.“ (S. 169)

„Ein brillantes Verwirrspiel um einen Lesenden und eine (Mit-)Leserin, die von einer Geschichte in neun andere geraten. ‚Prall und deftig, mit beiden Händen ins Leben gegriffen, saftig, detailreich, dicht dazu, voller versteckter und offener Bezüge, dabei raffiniert und hinterlistig, immer so erzählt, daß sich die Balken biegen’, schrieb W. Martin Lüdke im >Spiegel<“

Heute Ruhetag (20): Hugo Ball – Hermann Hesse

Am 9. August 1962, also vor 50 Jahren, starb Hermann Hesse. Ein Todestag, der wie sein Geburtstag am 2. Juli 1877, also vor 135 Jahren, den Medien und Buchverlagen Anlass genug ist, sich über den Dichter und Schriftsteller und seinem Weg Gedanken zu machen, ihn in seinem Werk vielleicht neu zu entdecken. Auch ich war in meinen frühen Jahren bereits ein fleißiger Leser von Hesse und habe ihn aus den gegebenen Anlässen in den letzten Monaten erneut gelesen

Herausragende Persönlichkeiten sind immer Anlass auch, sich mit ihrem Leben, ihrer Herkunft und den Umständen ihres Lebens zu beschäftigen. Diese bündelt sich dann in Biografien über die Person. Im Falle Hesses gab es bereits zu seinem 50. Geburtstag eine ausführliche Biografie, die auch heute noch interessierte Leser findet. Hugo Ball, den seit seinem Umzug ins Tessin eine enge Freundschaft mit Hermann Hesse verband, schrieb diese Biografie von Anfang Oktober 1926 bis Anfang März 1927. Im Juni 1927 erschien diese bei S. Fischer kurz vor Hesses 50. Geburtstag und kurz vor dem Tode Hugo Balls.

Heute Ruhetag = Lesetag!

[…]

Wer hätte als Kind nicht an seinem Vornamen gelitten, ihn hundertmal sich vor- und eingesprochen, Forderungen an ihn gestellt, ihn mit berühmten Mustern verglichen, ihm zugejubelt oder ihn ungenügend befunden? Wer hätte als Knabe und Jüngling nicht hundertmal in sanftem, kühnem, steilem oder lässigem Bogen mit Schnörkel und seltsam verschlungenem Strich seinen Namen vor sich hingeschrieben, sich mit ihm gestritten und ausgesöhnt, sich ihn eingeprägt und mit ihm abgesondert von den Geschwistern, von der Familie, als Ich, als Ich selbst, als eigenster Besitzer und Mitgiftträger für Zeit und Ewigkeit?

Frühere Zeiten pflegten dem heranwachsenden Novizen den leiblichen Vornamen nebst seinem Ich abzunehmen und ihm dafür den Namen einer Maske, ein fremdes, höheres, kanonisiertes Ich als Vorbild einzuokulieren. Wir Heutigen aber: müssen wir uns mit dem natürlichen Ich nicht abfinden? Ist dieses uns verbleibende leibliche Ich nicht ein steter Quell der Verfänglichkeit und des Verfangenseins in den Zufall und in die eigene Natur? Und wenn übermächtige Gaben der Eltern uns aufsaugen und entselbsten wollen, wenn eine wohl- oder schlechtbeschaffene Erziehung unseren Eigenwillen brechen, uns kleinkriegen will –: ist dieser Vorname nicht eine Zuflucht? Enthält er nicht unser besonderes Recht auf eigenes, neues, von vorn beginnendes Leben und Wirken?

[…]

Hugo Ball: Hermann Hesse – Sein Leben und sein Werk (1927)

William Faulkner: Licht im August

Bei einem Blick auf eine Liste der besten englischsprachigen Romane (ab 1923) im Time-Magazin (TIME 100 Best English-language Novels from 1923) war ich doch erstaunt, wie viele der dort aufgeführten Autoren ich bereits gelesen habe. Dabei ist die US-amerikanische Literatur gar nicht mein unbedingter Favorit (es handelt sich ei der Liste allerdings nicht nur um US-amerikanische Autoren): George Orwell, Raymond Chandler, Margaret Atwood, J.D. Salinger, Anthony Burgess, Doris Lessing, John Steinbeck, William Golding, Salman Rushdie, William Burroughs, Kazuo Ishiguro, Jack Kerouac, E.L. Doctorow, Dashiell Hammett, Ernest Hemingway, Henry Miller u.a.. Außerdem fallen mir noch John Irving und T. Coraghessan Boyle ein, die auf dieser Time-Liste fehlen.

Einer der bedeutendsten amerikanischen Romancier des 20. Jahrhunderts (und gleich zweimal auf der Liste im Time Magazin aufgeführt) ist William Faulkner (1897 – 1962) aus dem Bundesstaat Mississippi. Seine Romane und Erzählungen sind dort in Mississippi angesiedelt.

    „Der Mensch weiß so wenig von seinen Mitmenschen und glaubt stets, die Handlungen aller Männer und aller Frauen seien von eben dem Beweggrund bestimmt, dem er sich seiner Meinung nach selbst überließe, wenn er verrückt genug wäre zu tun, was jeweils dieser andere Mann oder diese andere Frau tut.
    (William Faulkner: Licht im August – S. 36)

Während meines Sommerurlaub auf meiner Leseliege verweilend las ich bereits wiederholt William Faulkners Roman Licht im August (Light in August (1932) – Rororo 1508 – Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 43.-47. Tausend, September 1980) in der Erstübersetzung ins Deutsche aus dem Jahre 1935 von Franz Fein.

    William Faulker: Licht im August (amerikanische Erstausgabe)

„Zu Beginn des Romans macht sich ein junges Mädchen auf, ihren Geliebten zu suchen. Am Ende, zwei Monate später, hat sich ihr Schicksal in der Begegnung mit einem anderen Mann erfüllt, aber das Chaos sündhafter Verstrickungen, in das sie auf ihrem Weg gerissen wird, entläßt sie wieder fast unberührt. Aus losen Verknüpfungen, aus verhängnisvollem Zufall wächst unerbittliche Fügung. Der Verdacht des dunklen Blutes macht aus dem alltäglichen Schicksal des Findlings Christmas, des dämonischen Helden des Buches, eine abgründige Existenz, die sich in einem blinden, tollkühnen Amoklauf in die Vernichtung stürzt. Zwischen Schwarz und Weiß, für die es keine Versöhnung in seiner Umwelt gibt, bekennt sich der von Zweifeln Gepeinigte mit selbstzerstörerischer Konsequenz zur Schattenseite seines Wesens und macht sich zum Gefäß eines unbegreiflichen Schicksals, dem keine menschliche Kraft Einhalt gebieten kann. Das Dunkel, das Faulkner in diesem großen, dynamisch-tragischen Roman beschwört, ist in seinen Tiefen von der Prometheischen Fackel der Wahrhaftigkeit geheimnisvoll zuckend durchleuchtet. Faulkner bezeugt hier […] seinen genialen Blick für die letzten Gründe und Abgründe menschlichen Seins. Dieser große Dichter leitet seine Gestalten von so tief innen her, wie es nur bei Dostojewski und Conrad der Fall ist.“
(aus dem Klappentext)

Der Roman spielt zum größten Teil in einer fiktiven Kleinstadt namens Jefferson im US-Bundesstaat Mississippi. Hier kreuzen sich die Wege unterschiedlichster Menschen. Da ist jene schwangere Lena Grove aus Doane’s Mill/Alabama, die ihren Geliebten Lucas Burch sucht, der sich als Joe Brown in Jefferson niedergelassen hat uns sich dort mit einem Joe Christmas zusammengetan hat, um schwarzgebrannten Whisky zu verhökern. Beide haben Unterkunft in einem Schuppen bei einer Miss Burden gefunden. Christmas ist Liebhaber dieser Miss Burden.

In Rückblenden erfahren wir, das jener Christmas als Findelkind in ein Heim gekommen war, dort von den anderen Kindern als ‚Nigger’ gehänselt wurde. Obwohl vom Äußerlichen nicht erkennbar, brennt sich dieser ‚Verdacht des dunklen Blutes’ derart in das Bewusstsein des Kindes ein, sodass er auch als Erwachsener nicht davon loskommt und als Außenseiter sein Dasein fristet. Er kommt noch als kleiner Junge in die Obhut von Mr. und Mrs. McEachern. Dieser ist ein bigotter Frömmler, der das Kind entsprechend zu erziehen sucht, bis er eines Tages von Christmas niedergeschlagen wird. Christmas flüchtet und findet sich in Jefferson wieder. Später erfahren wir, dass seine Mutter, Milly mit Vornamen, eine Affäre mit einem Mann aus einem Wanderzirkus hatte und begegnen seinen Großeltern, Eupheus Hines, genannt Doc, und Frau.

In Jefferson wohnen u.a. Byron Bunch, der sich später Lena Grove, die hier in diesem kleinen Ort entbunden hat, und ihrem Kind annimmt, und der Reverend Gail Hightower, der nach dem Tod seiner Frau, dessen Ursachen nicht ganz geklärt sind, in Jefferson ebenfalls als Außenseiter lebt.

Miss Burden, die Joe Brown alias Lucas Bruch und Joe Christmas Unterkunft geboten hat, wird eines Tags ermordet. Es kann für diese unsinnige Tat nur Joe Christmas in Frage kommen, zumal er zunächst flüchtet und von Kennedy, dem Sheriff von Jefferson, verfolgt wird.

Am Ende wird Christmas in dem Haus des Reverenden Hightower von dem jungen Hauptmann der Staatsmiliz, Percy Grimm, der Christmas ohne Mandat des Sheriffs verfolgt hat, in Hightowers Haus mit fünf Schüssen niedergestreckt und kastriert.

„In seinem erfolgreichsten Roman greift der amerikanische Romancier und Nobelpreisträger das erregendste Problem der USA auf: die Rassenfrage. Mit einer Leidenschaft, wie wir sie in der europäischen Literatur kaum noch kennen, entrollt sich der Lebensweg eines Ausgestoßenen in der weiten Landschaft des Mississippi.“

„Seit Henry James hat kein Schriftsteller ein so großes und dauerndes Denkmal für die Kraft der amerikanischen Literatur hinterlassen.“ (John F. Kennedy).

Werke von William Faulkner